Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1115 Bewertungen
Bewertung vom 07.09.2022
Die Frau des Blauen Reiter / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.10
Rehn, Heidi

Die Frau des Blauen Reiter / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.10


sehr gut

Die Suchende

„Deine Bilder sehen doch schon sehr ordentlich aus.“ (S. 7) ist wohl der letzte Satz, den man als angehende Malerin aus dem Mund seiner Eltern hören will. Maria Franck ist da schon 26 und studiert seit Jahren an verschiedenen Kunstschulen, in Ateliers, bei privaten Lehrern und in Sommerkursen, aber sie ist nie mit ihrer Arbeit zufrieden. Sie hofft, dass sie auf der Münchner Damenakademie endlich den letzten Schliff bekommt, schließlich ist das Anfang des 20. Jahrhunderts DIE Adresse für angehende Künstlerinnen. Dass sie auch das freie und selbstbestimmte Leben weit weg vom Berliner Bankdirektoren-Haushalt ihrer Eltern sucht, sagt sie denen lieber nicht.

In München kann Maria endlich so leben (und lieben), wie sie es sich erhofft hat und wie es ihre Eltern entsetzen würde, wenn sie es wüssten. Bei einem Fest lernt sie den noch unbekannten Maler Franz Marc kennen, ist begeistert, dass er sie als Künstlerin ernst nimmt und fängt eine flüchtige Affäre mit ihm an, denn sein Ruf eilt ihm voraus. „Niemals wird er sie Annette Simon deinetwegen verlassen. Niemals wird er dir allein gehören.“ (S. 82) Sie verbringen viel Zeit miteinander, bestärken sich gegenseitig bei ihren Arbeiten, helfen sich weiter und lernen voneinander. „Sie achteten einander als Kollegen und genossen es, sich miteinander zu vergnügen. Ohne zu viel vom anderen zu erwarten. Ohne ihn zu arg zu bedrängen. Sie waren gute Kameraden.“ (S. 72) Und dann passiert es eben doch, sie verlieben sich ineinander.

Heidi Rehn erzählt hier, etwas abweichend von den anderen Büchern dieser Reihe, nicht nur Marias Geschichte, sondern auch die von Franz Marc. Er nimmt genauso viel Raum ein wie sie, denn sie haben eine sehr symbiotische Beziehung geführt. Und wie Maria es wohl auch selbst immer betont hat, hat sie zwar „nur“ elf Jahre mit ihm verbracht, aber das waren die wichtigsten und prägendsten ihres Lebens.
Dabei ist das Zusammenleben und -arbeiten nicht einfach. Sie verdienen kaum eigenes Geld, sind auf die Unterstützung ihrer Eltern oder Gönner angewiesen.
Franz hat eine große (verheiratete) Liebe und wendet sich auch Marias Lehrerin und Freundin „Schnürlein“ zu, geht sogar eine Scheinehe mit ihr ein, wegen der Maria und er auch Jahre nach seiner Scheidung nicht heiraten dürfen. Aber sie kann nicht von ihm lassen, und er versichert ihr seine Liebe ja auch immer wieder. „Ich liebe dich. Weil ich mich jederzeit auf dich verlassen kann.“ (S. 136) Diese wechselvolle und emotionale Beziehung wird sehr detailreich und umfassend erzählt.

Maria scheint eine sehr unsichere, aber auch leidenschaftliche und leidensfähige Frau gewesen zu sein. Sie ist mit ihrem Aussehen und ihrer Kunst nie zufrieden und hält seine Eskapaden aus, auch wenn die sie körperlich krank machen. Sie nimmt sich, typisch Frau, häufig hinter ihm zurück, lebt nur für ihn und seine Bedürfnisse. Ich hatte das Gefühl, dass sie gleichberechtigt sein wollte, aber seine Kunst, seinen Fortschritt (bewusst oder unbewusst) immer über ihre eigene gestellt hat. Oft musst er sie daran erinnern, dass auch sie etwas kann und wert ist: „Du musst von dir und deiner Malerei überzeigt sein, niemand anderer sonst. Du bist für dich das alleinige Maß deiner Kunst. ... Das bist du dir schuldig.“ (S. 57)

Ihrer beider Entwicklung hin zum Abstrakten wird wunderbar plastisch dargestellt, ebenso ihre verschiedenen Ansätze und Motive, seien es Marias Kinderbilder und Stillleben oder seine Tierstudien, ebenso die verschiedenen verwendeten Materialien und Stile, das immer wieder Probieren und Verwerfen, das sich Aneinanderreiben und daran wachsen.

„Die Frau des Blauen Reiter“ erzählt von einer von Kunst, Liebe und Leidenschaft geprägten Beziehung und hat mir das Paar Maria und Franz Marc nähergebracht.

Bewertung vom 05.09.2022
Die magische Weihnachtsbäckerei
Barns, Anne;Below, Christin-Marie

Die magische Weihnachtsbäckerei


ausgezeichnet

Zauberhafte Weihnachtsgeschichte mit leckeren Rezepten

„Keine Kekse, keine Weihnachten.“ (S. 67) könnte auch der Leitspruch unserer Familie sein (Ich fange oft schon Mitte November mit dem Backen sämtlicher Lieblingssorten an.), aber für die Helfer des Weihnachtsmanns ist das bitterer Ernst. Denn „Ohne die Flug-Cookies können die Rentiere nicht fliegen. Ohne die Schornsteinkipferl kommt der Weihnachtsmann nicht durch den Kamin. Ohne die Energiekugeln schafft er die anstrengende Arbeit nicht, und ohne Mutstangen bekommen die Rentiere Angst, wenn sie durch Gewitter fliegen müssen.“ (S. 67). Doch der magische Ofen der Weihnachtsbäckerei ist ausgegangen und um ihn wieder anzuzünden, braucht man ein sich liebendes Geschwisterpaar. Die Wahl von Fiora, der Oberelfe und Assistentin des Weihnachtsmanns, ist auf Paul und seine große Schwester Lena gefallen, die sich gerade streiten, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt. Paul glaubt noch fest an ihn, während Lena längst entdeckt hat, wo die Eltern die Geschenke verstecken. Aber als Fiora mit dem märchenhaften Schlitten des Weihnachtsmanns vor ihrem Haus landet und sie um Hilfe bittet, ist der Streit sofort vergessen. Ein aufregendes und sehr ereignisreiches Abenteuer beginnt …

„Die magische Weihnachtsbäckerei“ aus der Feder des Mutter-Tochter-Duos Anne Barns und Christin-Marie Below ist eine zauberhafte Weihnachtsgeschichte für alle kleinen und großen Kinder, zum Vor- oder Selberlesen und Bestaunen der traumhaften Illustrationen von Florentine Prechtel. Durch die 21 kurzen Kapitel ist es fast ein literarischer Adventskalender, denn die fehlenden 3 Tage braucht man mindestens, um alle 24 Rezepte nachzubacken, die am Ende des Buches stehen.

Die beiden Autorinnen haben eine Welt zum Staunen, Träumen und Naschen geschaffen, in der Zuckerstangen zwischen Bäumen wachsen, die Straßenlampen aus Pfefferminzbonbons, die Pilze aus Lebkuchen und die Wolken aus Zuckerwatte sind und die Zeit eine andere Dimension hat.

Paul und Lena lernen dort nicht nur Elfen, Gnome, Kobolde, Feen und Wichtel kennen, die den Weihnachtsmann bei seiner Arbeit unterstützen, sie erfahren auch von den Sorgen und Problemen, die diese Geschöpfe haben. Auch Wichtel und Elfen können in Vorweihnachtstress geraten und mal was verschusseln und selbst der Weihnachtsmann bracht ab und an Zeit für sich. Die Geschwister erkennen, wie wichtig Zusammenhalt ist und dürfen sogar beim Backen der magischen Gebäckstücke helfen.

Mein Fazit: Das perfekte Geschenk für Kinder, Eltern und Großeltern, die zusammen nicht nur eine zauberhafte Geschichte lesen, sondern auch leckere Plätzchen etc. backen wollen.

Bewertung vom 03.09.2022
Das Versprechen von Glück / Töchter der Speicherstadt Bd.3
Marschall, Anja

Das Versprechen von Glück / Töchter der Speicherstadt Bd.3


ausgezeichnet

Kaffee und Frauengold

Hamburg 1956: Auf einem Ball lernt Anna den neuen Prokuristen der Firma ihrer Eltern „Behmer und Söhne“ kennen. Joost van der Vehlen stammt aus einer Bremer Kaufmannsfamilie, ist ehrgeizig, gutaussehend und charismatisch. Anna fühlt sich von seiner Werbung geschmeichelt, aber sie verliebt sich in einen Anderen. Trotzdem gibt sie Joosts Werben auf Drängen ihrer Mutter nach. Eine Traumhochzeit wird gefeiert, der leider kein Traumleben folgt. Joost zeigt schnell sein wahres Gesicht – ihm ging es nur um die Firma.

Der dritte Band der Kaffee-Saga spielt in den Jahren 1956 bis 1989. Ich war sofort wieder im Kosmos Behmer & Ehmke angekommen, auch wenn inzwischen 11 Jahre vergangen sind. Die Bestatzungszeit ist vorbei und der Kaffeehandel normalisiert sich, Annas Eltern scheinen nur für das Kontor zu leben: „… immer war der Kaffee wichtiger als alles andere.“ (S. 99), welches Cläre vehement gegen Joosts Machenschaften verteidigen muss.

Annas wird in ihrer Ehe schnell unglücklich und immer unsicherer. Joost geht fremd, ihre Ideen und Vorschläge für die Firma negiert er. Also bleibt ihr nur das Dasein als Hausfrau und Mutter. Ich fand es schrecklich, dass sie wegen ihrer Tochter und des Skandals, den eine Scheidung ausgelöst hätte, bei Joost bleibt, die Fassade ihrer „glücklichen“ Ehe aufrechterhält und sich mit „Frauengold“ betäubt.

Ich habe mich über das Wiederlesen mit alten Bekannten wie Fritz, der wieder in Cläres (und Annas) Leben auftaucht, gefreut. Erna, die gute Seele des Hauses, ist verliebt, und auch Rolf Stammler tritt erneut in Cläres Leben. Ich fand es übrigens toll, dass es mal wieder Protagonisten gibt, die man aus vollster Seele hassen kann.

Den Strang um Irma, die nach dem Krieg im „Osten“ gelandet ist, fand ich besonders spannend. Die arbeitet bei der Magdeburger Kaffeerösterei Röstfein, wird wegen ihrer Westverwandtschaft, zu der sie keinen Kontakt hat und auch nicht will, aber von der Stasi schikaniert.
Als Kind der DDR kenne ich die Kaffeesorten und Gegebenheiten noch aus eigener Erfahrung und kann mich auch noch gut an die Delikat-Läden und die „geflügelte Jahresendzeitfigur“ erinnern.

Ein besonderes Highlight ist Ernas Freund Icke, ein Berliner Binnenschiffer, den man einfach mögen muss, auch wenn er immer wieder Mist baut.

Mir gefällt, wie harmonisch und trotzdem spannend und dramatisch Anja Marschall die große Flut 1962, politischen Ränkespiele zwischen der DDR und BRD und aktuelle Mode und Musik in die Handlung einfließen und damit das Wirtschaftswunder der goldenen 50er, die Swinging Sixties und die politisch unruhigen 80er Jahre wieder auferstehen den lässt.

„Das Versprechen von Glück“ ist ein wirklich toller Abschluss, der die Saga um Familie Behmer wunderbar rund macht. Und obwohl ich eigentlich keine Happy Ends brauche, habe ich mich über die hier, die ich natürlich nicht verrate, sehr gefreut.

11 von 14 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2022
Die rote Tänzerin
Weng, Joan

Die rote Tänzerin


ausgezeichnet

Genie und Wahnsinn

„Immer wollte Otto alles sehen, alles erleben, notfalls ersterben. Die Berber, dieses Eitergeschwür Berlins, dieser Dämon, dieser Nachtalp jedes sittsamen Bürgers – die, nein das, musste er sehen.“ (S.14)
1923 besucht Otto Dix eine Vorführung von Anita Berber, weil er sie malen will. Doch was er sieht, erschüttert ihn bis ins Mark. Das abgewrackte Etablissement mit seinen überschminkten und überreizten Gästen und Angestellten, die aufgeheizte Stimmung – das ist zu viel. Und dann „DIE Berber“ mit ihrem großen Auftritt. Männer geifern und johlen, bewundern und verachten sie. „Das dort, diese Frau, das war kein Motiv! Das war Gefahr.“ (S. 17)
Als er sie zwei Jahre später dann doch bittet, für ein Portrait Modell zu sitzen, überrascht sie ihn. Statt dem verlebten Vamp kommt ein braves, knabenhaftes, ungeschminktes, junges Mädchen. Im Laufe ihrer Zusammenarbeit lässt sie ihn noch weiter hinter ihre Fassade blicken, teilt ihre intimsten Momente, Sorgen und Ängste mit ihm. Und erweckt damit Beschützerinstinkte. „Er würde sie nicht nackt malen. … Er wollte sie nicht bloßstellen, obwohl sie selbst ihre Seele und ihren Körper Abend für Abend, Nacht für Nacht, preisgab.“ (S. 169)

„Die rote Tänzerin“ ist ein sehr fein gezeichnetes, beeindruckendes Portrait zweier Ausnahmekünstler, wobei Anita natürlich einen deutlich größeren Raum einnimmt als Otto. Gleichzeitig ist es auch eine Charakter-und Gesellschaftsstudie.
Während der Inflation führt die Boheme ein Leben im Rausch, immer ganz nah am Abgrund. Keiner weiß, was das Geld, Leben oder die eigene Leistung am nächsten Tag noch wert ist.
Danach schafft Anita den Absprung nicht und lebt weiter so weiter, als gäbe es kein Morgen mehr. Nicht nur ihr Tanz, ihr ganzes Leben ist eine Provokation gegen die bürgerliche Moral. Sie schläft scheinbar wahllos mit Männern und Frauen. Es ist ihr augenscheinlich egal, was Andere von ihr denken. Doch tief drinnen ist sie eine gebrochene Frau, die im Krieg ihre große Liebe und damit den Halt verloren hat, die den Tod herbeisehnt und das Leben nur noch mit harten Drogen, Zigaretten und Alkohol erträgt. Und das zeigt sie auch auf der Bühne. „Wenn kein Wunder passierte, ging es mit Anita zu Ende. Alle sahen es, und alle sahen weg.“ (S. 59)

Ich habe selten so viel Mitleid mit einer Anti-Heldin gehabt wie mit Anita, einer herzensguten und mitfühlenden Frau, die am eigenen Schicksal zerbricht. Die nur tanzen will und dabei keine Kleidung mag, weil die sie behindert. Joan Wenig zeigt eine Tänzerin, die ihre Nacktheit als Ausdrucksform benutzt und keine Nackte, die tanzt, um sich zu prostituieren. Sie lässt eine Künstlerin wieder lebendig werden, die extrem wandlungsfähig ist und das Verruchte genauso gut beherrscht wie die zartherbe Unschuld oder perfekte Hausfrau, die morgens nicht weiß, wer der Mann neben ihr im Bett ist und auf dem Gaskocher in Ottos Atelier Kaiserschmarrn kocht. Eine langsam sterbende Überlebende, die sich in verschiedene Realitäten flüchtet, um noch ein bisschen durchzuhalten.

Anita Berber hat sich im Tanz und im Leben immer ganz hingegeben, hat fast alles von sich gezeigt, nur eines nicht „Der Tanz der Nadel, der schönste und von ihr doch nie auf der Bühne gezeigte Tanz.“ (S. 33)

Joan Weng hat mich von der ersten Zeile an mitgerissen und bis zum Ende gefesselt. „Die rote Tänzerin“ ist ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.

Bewertung vom 27.08.2022
Canaria Mortal
Verano, Daniel

Canaria Mortal


gut

Arbeiten, wo andere Urlaub machen

… so hat sich Journalist Felix Faber seinen Neustart auf Gran Canaria bei der vielversprechenden linksorientierten Zeitschrift LA VIDA vorgestellt, aber nicht nur die Insel, auch die Redaktionsmitglieder sind anders als erwartet. Die Insel ist kein grünes Tropenparadies, sondern eher felsig und steinig und seine neuen Kollegen verschweigen ihm etwas Wichtiges, das ihn in Gefahr bringen könnte. Außerdem liegen sie mit der neuen, rechtsgerichteten Partei RAZÓN im Clinch.
Als eine junge Frau ermordet aufgefunden wird, führt eine der Spuren zu LA VIDA und Faber stellt zusammen mit einer Kollegin eigene Nachforschungen an, da sie Informationen haben, die die Polizei noch nicht kennen kann.

Felix ist gerade erst auf der Gran Canaria und in seinem neuen Job angekommen, als er in die Ermittlungen rutscht. Durch ihn lernt man Land und Leute und auch die dunklen Seiten der Urlaubsregion kennen. Die Handlung dreht sich nämlich auch um Flüchtlinge, die die Insel als Sprungbrett nach Europa nutzen, Geldwäsche, Bestechung und die Reibereien zwischen den verschiedenen politischen Lagern.

Auf Seiten der Polizei ermittelt Ana Montero in dem Mord. Sie stammt ursprünglich aus Madrid und wurde hierher zwangsversetzt, will aber so schnell wie möglich zurück. Um ans Ziel zu kommen, braucht sie den einen großen Fall und wittert jetzt ihre Chance. Aber sie ist sich auch des Klüngels unter den Einwohner bewusst und spannt darum Felix ein, weil sie ihm mehr traut als ihren Kollegen …
Sie ist nicht die perfekte, linientreue Polizistin, die man erwartet, sondern noch relativ jung und dynamisch, sieht sehr gut aus und liebt schnelle Autos – und ab und an einen Joint.

Die Grundidee von „Canaria Mortal“ hat mir gut gefallen. Ein junges Mädchen aus der Unterschicht wird ermordet und es ist lange nicht klar, ob sie in etwas Illegales verwickelt war oder es sich um eine Beziehungstat handelt.

Etwas schwer hingegen habe ich mich mit den häufigen Sprüngen zwischen den erzählenden Personen getan. Durch den ständigen Perspektivwechsel fiel die Spannung immer wieder ab und mein Lesefluss wurde gestört. Auch die Geheimnistuerei wer die beiden Unbekannten sind, war mir zu viel (zumal eine recht schnell die Tote und damit ihre Identität geklärt ist).

Nicht ganz rund fand ich auch den Plot Twist, als Faber Lehrer wird, um an der Schule der Toten zu ermitteln und dafür keine Papiere oder Ausbildung braucht und es auch in der Redaktion außer einer Kollegin niemand weiß.
Zwei weitere Ungereimtheiten sind eine nächtliche Kletterpartie, für die Ana als geübte Kletterin eine Spitzhacke braucht, er als Ungeübter aber nicht, und dass sie anderthalb Stunden zu einem möglichen Tatort fahren, um dann Verstärkung zu rufen, die schon nach einer Viertelstunde da ist?!

Mein Fazit: Interessante Grundidee, auch die (Flüchtlings-)Politik hat gut in die Handlung gepasst, aber der Erzählstil und einige Ungereimtheiten haben mich etwas gestört.

Bewertung vom 26.08.2022
Ruf nach Veränderung / Die Frauen vom Reichstag Bd.2
Gabriel, Micaela A.

Ruf nach Veränderung / Die Frauen vom Reichstag Bd.2


sehr gut

Träume sind aus Mut gemacht

Berlin 1926: Marlene von Runstedts Vater stirbt, ohne ein Testament bzgl. seiner Anwaltskanzlei zu hinterlassen. Jetzt muss sich die Abgeordnete der DDP entscheiden, ob sie endlich ihr zweites Staatsexamen ablegen und selber als Juristin arbeiten, oder Max, dem Kanzleipartner ihres Vaters, weiterhin nur zuarbeiten will. Erschwerend kommt hinzu, dass sie sich ihrer Gefühle für ihn nicht klar ist, da sie in ihm seit über 20 Jahren nur ihren besten Freund sieht. Aber als er jetzt ausgerechnet ihre Intimfeindin Sonja Grawitz in einem Fall vertritt und dieser dabei privat näherkommt, wird Marlene eifersüchtig. Zumal es bei dem Fall um die uneheliche Tochter von Sonja und Justus geht, Marlenes vor 6 Jahren verstorbenem Geliebten.

Ihre beste Freundin Sophie Maytrott hat ähnliche Probleme. Sie ist Abgeordnete der Zentrumspartei und mit einem 20 Jahre älteren Mann verheiratet. Er hat ihr vor der Hochzeit versprochen, dass sie ihre politische Karriere weiterverfolgen kann. Allerdings hat er nicht damit gerechnet, dass sie es bis in den Reichstag schafft. Jetzt fordert er plötzlich, dass sie ihrer Rolle als Hausfrau und Stiefmutter seiner halbwüchsigen Kinder gerecht wird. „Es kommt mir seit ein paar Wochen – oder sogar schon Monaten – so vor, als verlöre ich den Boden unter den Füßen. Meine Wünsche und Hoffnungen sind eine Sache, aber meine Pflichten und die Ansprüche meiner Familie eine andere.“ (S. 258)
Außerdem hat sie nach einer Polio-Erkrankung ein gelähmtes Bein, das sie im Alltag extrem beeinträchtigt, und verliebt sich einen katholischen Pfarrer, der ihre Gefühle zu erwidern scheint.

Micaela A. Gabriel schreibt auch im 2. Teil der „Frauen vom Reichstag“ sehr lebendig und mitreißend, lässt das frühere Berlin und die Stimmung und Abläufe im Reichstag wieder auferstehen.

Marlene und Sophie führen in Berlin ein eigenständiges und unabhängiges Leben, engagieren sich in ihren Parteien vor allem für die Fragen und Rechte von Frauen und Kindern. Doch auch durch das Erstarken des Nationalsozialismus werden die Freundinnen von ihren männlichen Parteigenossen in Richtungen gedrängt, mit denen sie nicht konform gehen und die auch nie Ziele ihrer Parteien waren. Sollen sie sich doch beruflich umorientieren?
Marlene will sich immer noch nicht an einen Mann binden, liebt ihre Freiheit und trauert dem Kind nach, das sie damals nicht bekommen hat. Dass sie jetzt Justus` Tochter zu ihrem Recht verhelfen soll, wühlt die bislang erfolgreich verdrängten Erinnerungen erneut auf und bringt sie an ihre Grenzen.
Sophie lebt ihren Glauben sehr intensiv, Nächstenliebe und vor allem -hilfe stehen für sie nach ihrer Arbeit als Abgeordnete an erster Stelle. Je länger sie in Berlin lebt, desto mehr fallen ihr die Einschränkungen durch ihren Mann zu Hause in München auf. Als er ihr ihre Tätigkeit dann sogar verbieten will, muss sie eine Entscheidung treffen. „Der Beschützer, den sie in ihm gefunden zu haben glaubte, entpuppte sich als Wächter, der nicht um sie besorgt war, sondern dem es nur um sich selbst und seinen gesellschaftlichen Ruf ging.“ (S. 368)

De beide Frauen studierte Juristinnen sind, hat Micaela A. Gabriel auch einen echten und extrem spannenden Skandalfall aus dieser Zeit in die Handlung einfließen lassen. Ein 18jähriger soll nach einer Orgie zwei Mitschüler erschossen haben. Die einzige Zeugin ist die Schwester des einen Toten. Marlenes Kanzlei wird mit der Verteidigung des Täters beauftragt und vor allem Sophie arbeitet Max dabei zu. Bei der Recherche nach Beweisen für die Unschuld des Angeklagten, wächst sie über sich hinaus und erlangt nationale Berühmtheit und Anerkennung – die ihrem Mann natürlich nicht auch passen.

Fazit: Spannende Fortsetzung der „Parlamentarierinnen-Reihe“, in der zwei Abgeordnete und Freundinnen für Emanzipation und ihr persönliches Glück kämpfen, aber auch die Rechte von Kindern und Frauen. Aber wie schon beim ersten Teil wurden mir einige politische Details etwas

Bewertung vom 22.08.2022
Das Kind der Lügen / Hamburgs erste Kommissarinnen Bd.2
Glaesener, Helga

Das Kind der Lügen / Hamburgs erste Kommissarinnen Bd.2


sehr gut

Hysterie

Hamburg 1929: Paula Haydorn ist seit einem Jahr eine der ersten Frauen bei der Kriminalpolizei und macht ihren Job wirklich gerne und auch gut, doch die Hinrichtung einer von ihr überführten Mehrfachmörderin hat sie verunsichert und geht ihr noch lange nah. „Und wenn wir doch etwas übersehen haben?“ (S. 11)
Darum ist sie bei ihrem neuesten Fall besonders gründlich. Die gutsituierte aber hysterische Witwe Signe von Arnsberg zeigt erst den Mord ihres Schoßhündchens an und meldet später ihre sechsjährige Tochter Dorothee als vermisst. Außer Paula nimmt sie zunächst niemand ernst. Man glaubt ihr nicht einmal, dass es das Kind wirklich gibt. Dann vermuten Paulas Kollegen, dass sich das Kind und sein Kindermädchen Alma nur verlaufen oder durch etwas haben ablenken lassen, schließlich machen sie hier Urlaub.

„Das Kind der Lügen“ ist bereits der zweite Teil der Reihe mit Paula Haydorn. Sie und ihr Vorgesetzter Martin Broder sind sich im letzten Jahr nähergekommen, aber immer, wenn sie denkt, dass er endlich den nächsten Schritt macht, zieht er sich wieder zurück. Also stürzt sie sich voller Elan in die Arbeit.

Die Suche nach Dorothee und Alma verlangt dem ganzen Team einiges ab. Im Laufe der Ermittlungen geraten neben Signe selbst auch ihr Chauffeur und eine alte Freundin ins Visier der Polizisten – aber nirgendwo findet sich eine Spur von oder zu dem Kind und Kindermädchen. Die Zeit rennt ihnen langsam davon. „Wir sind nicht schnell genug, Paula. Wir suchen zwei Menschen, darunter ein kleines Kind, und tappen auch nach einer Woche immer noch im Dunkeln.“ (S. 162)
Signe erschwert die Nachforschungen, ist übernervös, sehr undurchsichtig und voller Geheimnisse. Sie verrät den Ermittlern immer nur das Allernötigste und belügt sie auch – natürlich nur zum Wohl ihres Kindes, behauptet sie später. Die Situation spitzt immer weiter zu, es gibt sogar Anschläge auf die die Ermittler. Will der Entführer die Polizisten etwa mit allen Mitteln von der Aufklärung des Falles abhalten?!

Helga Glaesener hat einen sehr komplexen Handlungsstrang geschaffen, bei dem man bald nicht mehr weiß, wem bzw. was man noch glauben kann und wer alles involviert ist. Paula und ihre Kollegen ermitteln in Hamburg, Cuxhaven und Bielefeld, dadurch bekommt man einen Einblick in die Örtlichkeiten zur damaligen Zeit, wie die (Zusammen-)Arbeit funktionierte und welche Ermittlungsmethoden angewandt wurden.

Ich finde es toll, dass Paula zwar als starke Frau, aber nicht als überlegene Einzelkämpferin dargestellt wird. Sie ist mutig und kann sich durchsetzen, hat aber auch Schwächen und Ängste. Zusammen mit ihren Kolleginnen hat sie sich inzwischen gut in die Kripo integriert, man kann sich aufeinander verlassen, deckt sich auch schon mal gegenüber Vorgesetzten und geht nach der Arbeit zusammen baden oder ein Bier trinken.

Mein Fazit: Paula ist eine sympathische Ermittlerin mit Ecken und Kanten, die Handlung bis zum Ende spannend und temporeich. Ich bin gespannt auf den nächsten Fall.

Bewertung vom 20.08.2022
Miss Sharp macht Urlaub / Miss Sharp ermittelt Bd.2 (MP3-Download)
Swann, Leonie

Miss Sharp macht Urlaub / Miss Sharp ermittelt Bd.2 (MP3-Download)


ausgezeichnet

Tod im Paradies

Nachdem Agnes Sharp mit ihrer Senioren-WG (Edwina, Charlie, Winston, Bernadette und der Marschall) den Mord an ihrer Nachbarin aufgeklärt hat, fallen ihr weitere eigenartige Todesfälle in ihrem Ort auf, die die Polizei einfach als natürliche Tode abtut. Vielleicht sollte sie sich die mal genauer ansehen? Aber nein, ein Abenteuer ist genug. Und als Edwina dann bei einem Preisausschreiben eine Reise für zwei Personen in ein romantisches Öko-Hotel an der Küste von Cornwall gewinnt, klingt das nach einer tollen Abwechslung mit Erholungsgarantie. Sie fahren einfach alle mit – auch, weil man die vergessliche Edwina nirgendwo mehr allein hingehen lassen kann und sie sich nicht einig werden, wer zu Hause bleiben soll …

Das Hotel sieht zwar sehr futuristisch aus und liegt etwas abgelegen direkt an der Steilküste, ist aber sehr heimelig und das Personal wirklich nett. Die Bewohner von Sunset Hall lassen sich nach Strich und Faden verwöhnen. „Das Eden schien ein Ort, an dem einen nichts Böses zustoßen konnte.“
Doch schon am ersten Abend beobachtet Agnes ein verliebtes Pärchen, das in Richtung der Klippen geht, und hört kurz darauf einen Schrei – und nur eine Person kommt zurück. Ist etwa ein Unfall passiert? Oder gar oder ein Mord? Allerdings wird niemand vermisst. „Vielleicht spielte sich der ganze Mordfall ja doch nur in ihrem Kopf ab?“ Aber dann wird das Hotel durch einen Erdrutsch von der Außenwelt abgeschnitten und eine Leichen nach der anderen taucht auf. Agnes und ihre Freunde nehmen die Ermittlungen auf.

Auch der zweite Fall der skurrilen Rentner-WG hat mich wieder bestens unterhalten. Die alten Leutchen sind herrlich schräg und machen das Beste aus ihren Gebrechen. Agnes hört kaum noch – zum Glück, da kann sie in Ruhe nachdenken. Edwina ist dement, dann kann sie sich wenigstens alles erlauben und auch ein neues, gefährliches Haustier anschleppen und einen jungen Mann im Schrank verstecken. Und Bernadette ist zwar blind, hört und riecht dafür aber besonders gut. Zudem waren sie früher alle bei der Polizei bzw. dem Geheimdienst und wissen, wie man Nachforschungen anstellt und was man alles als Waffe benutzen kann. Man darf sich nur nicht von den herrlich weichen Sesseln und Betten, den leckeren Mahlzeiten, Gratis-Drinks und dem Eis-Buffet ablenken lassen und schließlich selber verdächtigt werden …

Leonie Swann unterhält und fesselt ihre Hörer bzw. Leser gleichermaßen. Die Bewohner von Sunset Hall ermitteln in alle Richtungen, da als Täter sowohl Gäste als auch das Personal in Frage kommen. Und als Bernadette von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, muss sie sich der Frage stellen, ob nicht sogar ein alter Freund und Profikiller sein Unwesen im Eden treibt.

„Was einem Niemand sagt, wenn man mit dem Morden anfängt, ist, wie stressig es ist. Ständig auf dem Sprung, nie hat man Zeit, nie hat man Zeit, die Sache ein wenig bewusst anzugehen. Immer nur alles schnell, schnell …“
Ich mag den trockenen Humor der Reihe und habe mich gefreut, dass Anna Thalbach den verschiedenen Protagonisten wieder ihre raue, kratzige und damit perfekt passende Stimme geliehen hat. Hoffentlich ermittelt die Senioren-WG bald wieder!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2022
Die Freundinnen vom Strandbad - Wogen der Freiheit / Die Müggelsee-Saga Bd.2
Heiland, Julie

Die Freundinnen vom Strandbad - Wogen der Freiheit / Die Müggelsee-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Wunder gescheh´n

„Wir sind nun einmal keine Kinder mehr …“ (S. 238) Clara fehlt ihren Freundinnen Betty und Martha, aber sie können verstehen, dass sie die Chance auf ein Leben in Freiheit und vielleicht sogar ihrem Wunschberuf Astronautin einem Leben in der immer enger werdenden DDR vorgezogen hat und in allerletzter Minute geflüchtet ist. Doch ist sie auch lebend „drüben“ angekommen und glücklich? Ihre Ungewissheit hält lange, bis sie endlich eine verschlüsselte Nachricht bekommen.
Inzwischen feiert Betty eine Traumhochzeit mit Kurt und ist schwanger, versucht eine perfekte Ehefrau zu sein und führt ein angebliches Vorzeigeleben. Martha schafft es gegen alle Widerstände, einen Job bei der progressiven Frauenzeitschrift Evelyn zu ergattern. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Kurt betrügt Betty und ihre Eltern verlangen, dass sie wegsieht. „Geh nach Hause und reiß dich zusammen. Unsere Familie hatte immer einen tadellosen Ruf, und das soll auch so bleiben.“ (S. 177) Und Martha rebelliert immer häufiger und offener gegen das System. Als Betty eine Tragödie widerfährt, soll sie Martha für die Stasi bespitzeln …
Zur gleichen Zeit kämpft Clara in Westberlin gegen ihr Heimweh und sucht verzweifelt Halt und eine neue Perspektive. Findet sie das alles bei ihrer Retterin Lilli, die sie nach ihrer Flucht aufgenommen hat, oder dem Unbekannten, mit dem sie immer wieder zusammenstößt?

„Wogen der Freiheit“ ist die gelungene Fortsetzung und leider auch der Abschlussband der „Freundinnen vom Strandbad“, und verfolgt die Lebenswege der drei Frauen vom Bau der Mauer bis zu deren Fall 1989 bzw. bis kurz vor die Wiedervereinigung 1990.

Martha, Betty und Clara sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich habe wieder mit ihnen mitgefiebert, ihre unterschiedlichen Karrieren und vor allem ihre Emanzipation verfolgt. Sie werden in den zwei Bänden der Müggelsee-Saga in mehr als nur einer Hinsicht erwachsen. Ihre Kleinmädchen-Träume und Schwärmereien zerschellen ja schon im ersten Band auf dem Boden der Realität. Bettys große Liebe stammt aus dem Westen und ist damit nach dem Mauerbau für sie unerreichbar, also gibt sie dem Werben des berühmten Regisseurs Kurt Weiler nach. Marthas Familie entpuppte sich als Fälschung, und Clara wird kurz vor dem Abi wegen politischer Diskussionen von der Schule geworfen und bekommt nur Aushilfsjobs.

„Ist Erwachsensein ein Alter oder ein Gefühl?“ „Langsam denke ich, dass es nur darum geht, sich verzweifelt auf das Gute zu konzentrieren und das viele Schlimme auszublenden, weil man sonst kaputtgeht. Ein verzweifeltes Kopf-über-Wasser-Halten.“ (S. 351) Auch nach dem Mauerbau wird es nicht besser, die Probleme nicht kleiner. Die Freundinnen suchen ihren jeweiligen Platz im Leben, müssen entscheiden, mit wem und welchen Kompromissen sie leben können oder wollen, was sie wirklich glücklich macht. Ihre Schicksale sind sehr unterschiedlich und bewegend. Sie müssen mit Dramen und Problemen fertigwerden, sich zwischen verschiedenen Lebensentwürfen und Männern entscheiden. Zudem testen Betty und Martha aus, wie weit sie nicht nur für ihre eigene, sondern auch die Freiheit aller gehen, inwieweit sie sich gegen das System auflehnen wollen bzw. können.
Ich fand es toll, dass sie die ganze Zeit der Trennung über an dem Glauben und der Hoffnung festgehalten haben, dass sie sich nicht nur wiedersehen werden, sondern auch die Trennung der Stadt bzw. Staaten aufgehoben wird.

Julie Heiland hat die Unterschiede zwischen dem Leben in der DDR und Westberlin toll herausgearbeitet. Im Osten wird es immer farb- und trostloser, man muss für alles anstehen, wenn es denn überhaupt mal was zu kaufen gibt, während die Reklame und Läden im Westen nicht bunt genug sein können und Clara reisen kann, wohin sie will.

Auch „Wogen der Freiheit“ hat mich wieder sehr gut unterhalten – Julie Heiland kann extrem anschaulich schreiben – und an meine Vergangenheit in der DDR erinnert. Schade, dass die Reihe jetzt zu Ende ist.

Bewertung vom 09.08.2022
Die Rückkehr der Kraniche
Fölck, Romy

Die Rückkehr der Kraniche


sehr gut

Das Glück der kleinen Dinge

„Bevor ich sterbe, möchte ich, dass ihr beide euch wieder vertragt.“ (S. 73)
Zwei Schwestern, die verschiedener kaum sein könnten, eine Mutter, die ihre Liebe nicht zeigen kann und eine Enkelin, die ihre Tante mehr zu lieben scheint als ihre Mutter. Vier Frauen aus drei Generationen unter einem Dach – wie lange kann das gutgehen?

„Es war ihr Kreuz, sich nach fernen Ländern zu sehnen und doch wieder in das in die Jahre gekommene Elternhaus zurückzukehren. So wie jeden Tag in den letzten 50 Jahren.“ (S. 10) Grete hat das Hamburger Marschland und ihr Elternhaus nie verlassen. Bisher hat sie das nicht gestört. Sie liebt ihre Heimat und ihren Job als Vogelwartin beim Naturschutzverein auf „ihrer“ kleinen Insel in der Elbmarsch. „Hier war ihr Seelenort, … wo die Zeit einem ewig fließenden Gewässer glich, in dem ein Menschenleben nur ein Wimpernschlag war. Wenn sie doch nur hier draußen leben könnte, dann wäre die Last, ihr Leben lang an einem Ort festzuhängen, besser zu schultern.“ (S. 14) Aber kurz vor ihrem runden Geburtstag wird sie dann doch nachdenklich – soll es das jetzt schon gewesen sein?

Ihre Mutter Wilhelmine ist früh verwitwet, Grete hat ihr schon als Kind geholfen, die jüngere Schwester Freya aufzuziehen. Als Freya mit 18 die Familie verließ, wurde Grete unverheiratet schwanger und zog ihre Tochter Anne mit Wilhelmines Hilfe auf. Und als Anne flügge wurde, brauchte Wilhelmine Gretes Hilfe auf dem Resthof. Jetzt bekommt Grete ein berufliches Angebot, von dem sie viele Jahre geträumt hat, da wird Wilhelmine krank. Muss sie wieder verzichten? Sie bittet Freya, die inzwischen eine erfolgreiche Firma in Berlin leitet, und Anne, die mit knapp 30 noch studiert, nach Hause zu kommen. Doch es wird kein friedliches Wiedersehen. Stattdessen brechen alte Wunden, Vorwürfe und schon oft gestellte Fragen nach streng gehüteten Geheimnissen wieder auf. „Keiner will hören was ich denke!“ „Weil in dieser Familie niemand die Wahrheit hören möchte.“ (S. 68)

Freya kommt Gretes Hilferuf gerade recht. Ihr Freund hat sie verlassen, weil sie ihm zu distanziert war und keine Kinder bekommen konnte – dabei hat sie sich immer nach einer eigenen Familie gesehnt. Sie wollte die Probleme zu Hause wie immer mit Geld regeln und schnell zurück, aber dann stellt sie fest, wie ruhig es dort ist, wie sehr sie das alles vermisst hat, wie sehr es sie erdet. Sie stellt sich endlich den Fehlern ihrer Vergangenheit „… ich habe die Menschen verletzt, die mich bedingungslos geliebt haben. Nur um endlich respektiert zu werden.“ (S. 154) und denkt über ihre Zukunft nach.

Anne ist gegenüber Grete immer gereizt, versteht alles negativ. Sie glaubt ihr nicht, dass sie wirklich das Ergebnis eines One-Night-Stands ist, fühlt sich nur von Freya verstanden und hat ein Geheimnis, von dem sie noch nicht weiß, wie sie es den Anderen beibringen soll.

Wilhelmine hat ein schweres, arbeitsreiches Leben hinter sich und nach dem Tod ihres Mannes, ihrer großen Liebe, nie wieder einen Mann an sich herangelassen. „Sie war einen Hansen, aus hartem Holz geformt, von Sturm und Wasser geschliffen wie ein Stück Strandgut, das die Elbe mit sich trug.“ (S. 222) Sie will leben oder sterben, aber nicht im Bett dahinsiechen, wie es der Arzt und ihre Gesundheit verlangen. Aber vorher muss sie den Mädchen noch etwas Wichtiges sagen – sie sollen es nicht erst nach ihrem Tod erfahren.

Romy Fölck schreibt sehr intensiv und detailreich, aber auch poetisch über ein hartes Leben, das sich nach den Jahreszeiten und der Natur richtet. So war es schon bei Wilhelmine und auch Grete hält es so. Neben dem Beobachten der Vögel bäckt sie Brot nach alten Rezepten, hält Bienen und bestellt einen großen Nutzgarten. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, ist im Marschland verwurzelt und gestattet sich nur selten, von einem ganz bestimmten Mann und einem anderen Leben zu träumen.
Wilhelmine hat es immer für selbstverständlich genommen, dass Grete, die Ältere,