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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 21.01.2021
Unter dem Nordlicht
Menrath, Manuel

Unter dem Nordlicht


ausgezeichnet

Kanada ist für viele ein Wohlfühl- oder Sehnsuchtsort, bei dem man an eine offene und liberale Gesellschaft, das „bessere Amerika“, denkt. Zumindest hört und liest man das immer wieder. Aber ganz so ist es nicht. Manuel Menrath beleuchtet in seinem Buch „Unter dem Nordlicht- Indianer aus Kanada erzählen von ihrem Land“ die eher unrühmlichen Aspekte der Geschichte des Landes. Heute leben „auf dem kanadischen Territorium 634 vom Staat anerkannte indianische „Stammesgemeinschaften“, die offiziell als First Nations bezeichnet werden und die etwa 3000 Reservate besitzen.“ Dennoch treten die Angehörigen indigene Völker heute in Kanada kaum in Erscheinung, ihr Beitrag zur Geschichte des Landes wird meist schlicht ignoriert oder „vergessen“. „So entsteht der Eindruck, alles, was vorher (also vor der Besiedelung durch die Europäer) gewesen war, sei bedeutungslos.“
Manuel Menrath sieht dies anders und rollt die Geschichte der indigenen Bevölkerung Kanadas minutiös auf. Er schreibt eindrucksvoll über ihr heutiges Leben und wie es dazu kam, dass stolze und friedliche Stämme, die jahrhundertelang im Einklang mit der Natur gelebt hatten, nach und nach von den „weißen Herrenmenschen“ in Reservate verbannt wurden. Er schreibt über Zwangassimilation, darüber, wie Eltern ihre Kinder weggenommen wurden, um sie „gesellschaftsfähig“ zu machen (die Kinder wurden auf christliche Schulen, sogenannte „residential schools“ geschickt, oft misshandelt und gequält und gezwungen, alles „Wilde“ abzulegen) – die Konsequenz war oft ein Gefühl der Entwurzelung, Verzweiflung und führte in vielen Fällen zu Alkoholismus und/oder Selbstmord.
Die Erlebnisse haben in der indigenen Bevölkerung teils bis in die heutigen Generationen Auswirkungen. In den meisten Ländern, die kolonialisiert wurden, kann man diese Aus- und Nachwirkungen betrachten. Sei es in den USA, Australien oder auch in Grönland. Zwar haben sich die meisten Regierungen inzwischen für das begangene Unrecht entschuldigt (oder besser: sie baten um Entschuldigung), aber wirklich viel hat sich für die Betroffenen nicht verändert, denn manche Dinge kann man einfach nicht entschuldigen oder rückgängig machen. Denn zu den Spätfolgen des erlittenen Unrechts kämpfen die Angehörigen indigener Völker (wie so viele andere auch) gegen Rassismus und Ausgrenzung.
Gekonnt verflicht der Autor Geschichte mit Geschichten. Tatsachen aus Kanadas Historie (beispielsweise die Entstehung der Hudson Bay Company und der North West Company) paart er mit zahlreichen Interviews von Angehörigen indigener Stämme und der Leser erfährt praktisch aus erster Hand über zerstörte Kulturen, die bis heute zwar im Kleinen weiter am Leben erhalten werden, aber denen meistens jegliche Lebensgrundlage fehlt. Als Historiker beleuchtet Menrath natürlich auch die „Fakten-Seite“, die Geschichte des Kolonialismus seit 1493, dem Jahr, in dem Papst Alexander VI eine Bulle erließ, die neu entdeckte Länder automatisch den christlichen „Entdeckern“ zusprach. Seine Fakten untermalt er mit Zitaten und untermauert sie mit sage und schreibe 822 Fußnoten.
Dennoch ist das Buch spannend, interessant und packend geschrieben, hervorragend und gefällig formuliert und daher trotz der Fülle an Information sehr gut zu lesen. Der Inhalt ist bestürzend, beschämend und macht schlicht traurig. Auch wenn manche Abschnitte schöne Geschichten, vielleicht sogar ein bisschen „Wild-West-Romantik“ enthalten, blieb in mir eine große dunkle Wolke der Traurigkeit. Vermutlich könnte dieses Buch es vielen Lesern die Augen über das ach so liberale Kanada öffnen, ein Land, in dem wesentlich mehr Diskriminierung herrscht, als vermutlich viele wahrhaben wollen. Das Potenzial zur Aufklärung hat es allemal. Eine ganz klare Lese-Empfehlung für jeden, der sich für die Geschichte hinter der Fassade interessiert. 5 Sterne.

Bewertung vom 18.01.2021
Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1
Ditlevsen, Tove

Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

„Kindheit” ist der erste Teil der „Kopenhagen-Trilogie” von Tove Ditlevsen, posthum rund 44 Jahre nach ihrem Selbstmord veröffentlicht. Es war mein erstes Buch der Autorin, aber sicher nicht mein letztes. Die Dichte, mit der sie schreibt, die Wortgewalt in ihren eigentlich schlichten Sätzen und natürlich die Geschichte an sich, hatten mich von der ersten Seite an gepackt.
Tove Ditlevsen schreibt die Geschichte ihrer Kindheit im Kopenhagen der 1920er Jahre auf und fängt innerhalb ihrer eigenen Biografie den Zeitgeist der Jahre zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg ein. Aufgewachsen ist sie als jüngeres von zwei Kindern in einer Arbeiterfamilie, der Vater war sozialistisch eingestellt, was der Mutter missfiel und oft zu Reibereien zwischen den Eltern führte. Als Mädchen hatte Tove (wie vermutlich die meisten Mädchen ihrer Zeit) nur eine Aussicht im Leben: gut zu heiraten. Daher melden sie die Eltern nach der Konfirmation (also mit knapp 14 Jahren) von der Mittelschule ab. Eine weitere Ausbildung war für sie, anders als für ihren Bruder, nicht vorgesehen. Dabei ist sie intelligent und lernwillig, liest gerne und schreibt schon in jungen Jahren ihre ersten Gedichte. Stattdessen verdingt sie sich zuerst einmal als Dienstmädchen. Der Traum, Dichterin zu werden, bleibt aber bestehen, auch wenn diesen in ihrem Umfeld keiner ernst nimmt.
Die Lektüre des Buchs bereitete mir aufgrund der Intensität und Authentizität fast körperliche Schmerzen. Nicht, dass der Vater seine Arbeit verliert und die Familie lange Zeit von altbackenen Gebäckstücken leben muss. Auch nicht, dass sie durch ihre Freundin Ruth beinahe auf die schiefe Bahn geraten wäre, da diese sie zu Ladendiebstahls-Touren mitnahm. Nein, die Unnahbarkeit der Mutter, ihr liebloser Umgang mit ihrer Tochter, Toves Unverstandenheit und ihr ständiges Gefühl, nicht dazuzugehören, nicht zu genügen und „falsch zu sein“ machte mir enorm zu schaffen – selten habe ich mich einer Autorin so nah und verbunden gefühlt. Die toxische Mutter-Tochter-Beziehung zieht sich durch die gesamte Kindheit der Autorin, wobei sie die Schuld immer bei sich selbst sucht.
Das Buch endet mit ihrer Konfirmation, die auch das Ende ihrer Kindheit darstellt. Zu dieser Zeit endet auch ihre Freundschaft mit Ruth und Tove bricht in einen neuen Lebensabschnitt auf. Den kann man dann im zweiten Teil „Jugend“ nachlesen, der demnächst auch auf Deutsch erscheinen wird. Wenn man sich näher mit Tove Ditlevsens persönlicher und beruflicher Biografie beschäftigen möchte, halte ich die Bände der „Kopenhagen-Trilogie“ für einen unverzichtbaren Baustein für das Verständnis ihres Werkes.
Das Buch hat mich in mehrerlei Hinsicht beeindruckt. Ich habe es auch im Original gelesen und, obwohl ich sonst meistens Probleme mit Übersetzungen habe, muss ich sagen: hier hat die Übersetzerin ganz Hervorragendes geleistet. Die Sprache, der Ausdruck und der Duktus sind im Deutschen ebenso gut gelungen, wie im dänischen Original. Der Zeitgeist, das Lebensgefühl und die Ängste der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist beim Lesen spürbar, vor allem anhand der Rolle der Frauen in der Gesellschaft und die allgegenwärtige Arbeitslosigkeit, beziehungsweise die stetig präsente Angst davor. Für mich war das Buch ein echtes Highlight, klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 07.01.2021
Essen gut, alles gut
Niemeier, Heike

Essen gut, alles gut


ausgezeichnet

„Essen gut, alles gut. Wie wir wieder lernen, auf unseren Bauch zu hören“ von Dr. Heike Niemeier ist schlicht und einfach eines der besten Bücher über Ernährung, das ich bislang gelesen habe. Die promovierte Ökotrophologin bringt das schwierige und äußerst komplexe Thema fachlich fundiert, umfassend und anschaulich auf den Punkt. Gewürzt mit teils launigen, immer aber lehrreichen Geschichten über ihre Erfahrungen mit Klient*innen aus ihrem Alltag als Ernährungsberaterin, Rezepten und Anleitungen zu Selbstversuchen, hat sie einen umfangreichen Ernährungsratgeber geschaffen. Aber das Buch ist noch mehr als das ist: es ist ein lesenswerter, informativer und umsetzbarer Ernährungs-Leitfaden. Denn schlussendlich müssen wir alle irgendwie essen, Lebensmittel sind nämlich schlicht Mittel zum Leben.
Angenehm finde ich vor allem auch, dass der Autorin selbst nichts Menschliches fremd ist. Sie schreibt nicht mit erhobenem Zeigefinger oder schwingt die Moralkeule, nein, sie isst selbst gern („Auch Ökotropholog*innen essen – und das sogar gern. Zumindest ich.“) und verteufelt in ihrem Buch nichts, außer vielleicht ein Zuviel an Kohlehydraten. Aber insgesamt propagiert sie eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung, in der nichts verboten ist. („Verbote sind verboten. […] Kein Lebensmittel auf dieser Welt ist so schlimm oder gefährlich, dass es nicht gegessen werden dürfte. Selbstverständlich kann man immer über die Menge und die Häufigkeit reden. Doch bitte tun Sie sich selbst den Gefallen und essen Sie! Essen Sie so lange und so viel davon, wie Sie ein gutes Gewissen haben. Nehmen Sie Ihre eigene Körperintelligenz und das Bauchgefühl als Maßstab.“) Mit dem obigen Zitat ist eigentlich alles gesagt: das Buch liefert einen Leitfaden und Anregungen (samt dazugehöriger Rezepte), die Umsetzung liegt bei den Leser*innen.
Formal besteht das Buch aus drei großen Teilen („Wozu über das Essen nachdenken?“, „Was essen wir?“ und „Wie essen wir?“), die ihrerseits aus 12 Unterkapiteln bestehen. Am Ende wichtiger Abschnitte fasst die Autorin das Thema noch einmal in einem farbig hinterlegten Feld kurz zusammen. In Kapiteln wie „Eine Kalorie ist nicht gleich eine Kalorie“ liefert die Autorin auch biochemisches Grundlagenwissen, ohne ihr Publikum mit Fachausdrücken und Formeln zu langweilen („Sie finden in diesem Buch an der einen oder anderen Stelle Zahlen, Fakten und Empfehlungen. Ich möchte aber auch sagen: Nutzen Sie diese als Orientierungshilfen und nicht als Gesetze.“). Vieles davon wusste ich schon vorher (wie viel Zucker beispielsweise in Smoothies oder Orangensaft steckt, wie wichtig eine Kombination aus guter Ernährung und Bewegung ist, oder dass Eier keinen Einfluss auf den Cholesterinspiegel haben), fand die Herangehensweise von Dr. Niemeier aber interessant und ihren Schreibstil erfrischend, außerdem kann man die Begeisterung für das Thema überall herauslesen.
Die Autorin räumt mit manchen Binsenweisheiten auf, betont die Wichtigkeit von Eiweiß und Fett in der Ernährung, erklärt und klärt auf und gibt zudem wirklich nützliche Tipps für Veränderungen der persönlichen Gewohnheiten. Aber sie ist nicht dogmatisch, sondern zeigt (manchmal mit einem erkennbaren Augenzwinkern), dass sie mitten im Leben steht und viel Erfahrung mitbringt. Sie ist realistisch und vermittelt dies auch ihrem Publikum, denn sie weiß, dass es bei angepeilten Veränderungen oft Rückschläge gibt, ermuntert aber zum Durchhalten und Weitermachen. Ihr Buch gibt gute Ratschläge für Veränderungen des Ess-Verhaltens im realistischen Rahmen. Nicht mehr und nicht weniger.
Von mir für dieses gelungene Buch 5 Sterne und eine Lese-Empfehlung für alle, die sich mit (ihrer) Ernährung eingehender beschäftigen wollen.

Bewertung vom 06.01.2021
Ihr Königreich
Nesbø, Jo

Ihr Königreich


weniger gut

Zugegeben, „Ihr Königreich“ war mein erstes Buch von Jo Nesbø, vermutlich aber auch mein letztes, denn so wirklich warm konnte ich damit nicht werden. Dabei ist es an sich gar kein schlechtes Buch. Ich musste aber immer mal wieder aufs Titelblatt schauen, ob es sich tatsächlich um einen Krimi handeln soll, denn über weite Strecken ist das Buch ein (gut geschriebener und nett zu lesender) Familienroman, bestenfalls ein Drama in sieben Akten. Zwar ist latent beim Lesen ein stetig ungutes Gefühl spürbar, wie eine omnipräsente dunkle Wolke, die über dem Berghof der Brüder (ihrem Königreich) und dem nahen Abgrund zu schweben scheint, aber wirklich Spannung konnte ich wenig feststellen. Abgebrochen habe ich das Buch allerdings auch nicht, für mich war es wie ein Verkehrsunfall – eigentlich wollte ich es weglegen, aber so wirklich losreißen konnte ich mich dann doch nicht davon, zu groß war meine Neugier, ob der Autor die Kurve zu einem spannenden Buch doch noch bekommt..
Die Geschichte ist vielschichtig und eigentlich nicht uninteressant. Roy (der auch der ich-Erzähler ist) und Carl wachsen auf einem abgelegenen Hof in Norwegen auf, der Vater ist streng und will sie zu „echten Männern“ erziehen, die Mutter eher Typ „Heimchen am Herd“. Beide Eltern kommen bei einem Unfall ums Leben, Carl geht in die USA um zu studieren und Roy bleibt im elterlichen Hof wohnen. 15 Jahre später kommt Carl mit großen Plänen und einer Frau zurück und die gemeinsame Vergangenheit beginnt, die beiden einzuholen.
Kurz gesagt: so richtig in Fahrt kam das Buch für mich nicht, richtige Spannung kam kaum oder nur zögerlich auf. Stilistisch fand ich das Buch gut zu lesen und es ist flüssig geschrieben, wenn auch etwas lang(atmig). Die verschiedenen Zeit-Ebenen, auf denen die Handlung spielt, sind gut erkennbar abgegrenzt. Auch das Familiendrama war an sich gut konstruiert. Dennoch las das Buch sich für mich sehr zäh und war für mich absolut kein Page-Turner. Auch die problematische Persönlichkeit von Roy, dem Ich-Erzähler fand ich schwierig, denn er löst seine Probleme im Endeffekt immer auf dieselbe Art und Weise („Ich schlage auf Leute ein“).
Die Haupt-Charaktere fand ich ganz gut ausgearbeitet und durch die vielen Einblicke in ihr Leben und ihre Persönlichkeiten anschaulich beschrieben, wenn auch nicht sehr sympathisch. Das Buch hätte thematisch sehr viel Potenzial geboten: Leben in der Einöde, problematische Familienverhältnisse mit dunklen Geheimnissen, Loyalität, Schuldgefühle und Mord, um nur ein paar der Punkte zu nennen, die der Autor versucht, zu einem stimmigen Ganzen zu verknüpfen.
Gut, gegen Ende kommt etwas Spannung auf, aber von einem Spannungsbogen kann man bei dem Buch nicht wirklich sprechen, schon gar nicht von einem hohen. Meine Erwartungen an den hochgepriesenen Jo Nesbø waren andere und die wurden enttäuscht. Es ist kein wirklich schlechtes Buch, aber das Genre hat es definitiv verfehlt. Es ist absolut kein Krimi, sondern vielmehr eine Mischung aus Familiendrama und Milieustudie mit Einblick in das Leben in einem kleinen Dorf in der Einöde, gepaart mit unrealistischen Plot-Twists. Das Durchbeißen bis zum Ende hat sich für mich nicht wirklich gelohnt. Von mir daher 2 Sterne.

Bewertung vom 05.01.2021
Meine lieben jungen Freunde
Fallada, Hans

Meine lieben jungen Freunde


ausgezeichnet

„Meine lieben jungen Freunde: Briefe an die Kinder“ von Hans Fallada, herausgegeben von Nele Holdack, ist ein schmaler Band (das Buch hat nur 144 Seiten), in dessen erstem Teil augenscheinlich nicht mal wirklich viel steht. Kennt man aber die Biografie des Schriftstellers, dann steht zwischen den Zeilen sehr viel und im zweiten Teil noch viel mehr. Außerdem besteht nur der erste Teil des Buchs aus Briefen, aber nicht an DIE Kinder, sondern fast ausschließlich an seine Tochter Lore, genannt Mücke, die als Neunjährige ein Internat in Hermannswerder bei Potsdam besuchte, da es in der ländlichen Heimat nur eine Dorfschule gab. Die Briefe an seinen Sohn Uli, der im Internat in Templin (Uckermark) war, sind übrigens in „Mein Vater und sein Sohn“ erschienen. Den zweiten Teil macht ein Vortrag aus, den Fallada für den literarischen Verein seines Sohnes Ulrich schrieb (und auch hielt). Von diesem stammt auch der Titel des Buchs.
Der erste Teil, die Briefe an Mücke sind zwar eher trivial, denn Fallada lässt die Tochter durch seine Berichte am Leben zu Hause teilhaben. In der Hauptsache bestehen seine Briefe aus Erzählungen darüber, was sie verpasst, Kritik an ihrer mangelhaften Rechtschreibung und Bitten, sie möge doch öfter und vielleicht etwas ausführlicher schreiben. Mücke schreibt kurz und erzählt eher wenig und auch ihre vielen Rechtschreibfehler sind übernommen. Da die Briefe aus der Zeit August 1942 bis Ende 1943 stammen, fehlen aber auch Fliegerangriffe und Luftalarme in Mückes Briefen nicht, was das Buch zu einem eher unterschwelligen, wenn auch sehr knappen, Zeitdokument macht. Die Eltern auf dem Land sehen den „Feuerschein über Berlin“ aus der Ferne und hören die Flugzeuge, Mücke erlebt manches hautnah.
Der zweite Teil des Buch, der Vortrag an „meine lieben jungen Freunde“, ist autobiografisch angehaucht und zeigt eine Art „Innenansicht“ des Schriftstellers, der zwar wohl tatsächlich der liebende Vater war, den die Briefe des ersten Teils erahnen lassen, aber der auch eine andere, eine dunkle Seite hatte. So war er Alkoholiker, Morphinist und nahm es mit der ehelichen Treue nicht so genau. Und er war ein Getriebener, einer, der gegen seine Dämonen ankämpfte und letztendlich verlor. „Man muss Bücher schreiben, weil man sie schreiben muss!“ Sogar: „Schreibe ich denn diese Bücher? Es schreibt sie in mir.“ – war nicht nur seine Erklärung dafür, was es braucht, ein Schriftsteller zu werden, sondern auch eine Art Entschuldigung für seinen Lebensstil und seinen Lebenswandel.
Die heile (Familien-)Welt, die der erste Teil vermuten lässt, ist nämlich tatsächlich nicht so heil, wer Fallada kennt, weiß beispielsweise, dass er nicht nur mehrfach zum Entzug in diversen Sanatorien war, sondern auch im Gefängnis saß, weil er seine Frau im Rausch mit einer Pistole bedrohte. Mit diesem Wissen im Hinterkopf liest sich das Buch dann zwischen den Zeilen doch etwas anders. Aber fest steht, dass er mit Sicherheit ein liebender und liebevoller Vater und ein außergewöhnlicher Schriftsteller war. Mir hat das Büchlein den Menschen Hans Fallada (oder Rudolf Ditzen, wie er mit bürgerlichem Namen hieß) etwas näher gebracht. Eine Lese-Empfehlung für alle, die, wie ich, Falladas Werk schätzen. 5 Sterne.

Bewertung vom 04.01.2021
Der Spiegelmann / Kommissar Linna Bd.8
Kepler, Lars

Der Spiegelmann / Kommissar Linna Bd.8


sehr gut

Endlich ein neuer Joona-Linna-Thriller! Mit „Der Spiegelmann“ haben Lars Kepler (dahinter verbirgt sich ja bekanntlich ein Autoren-Duo) den achten Teil der Serie veröffentlicht und reißen ihre Leser mit in einen Strudel aus Gewalt, Brutalität und Mord.
Fünf Jahre nach ihrem Verschwinden, wird die Schülerin Jenny Lind erhängt auf einem Spielplatz aufgefunden. Joona Linna beginnt er mit seinen Ermittlungen und findet mehr zufällig (wenn man bei Joona Linna überhaupt irgendwas zufällig ist) eine Auffälligkeit an der Leiche. Zwar bietet sich mit einem psychisch kranken Zeugen auch direkt ein potenzieller Täter an, aber Linna erkennt schnell: so einfach, wie es aussieht, ist an diesem Fall rein gar nichts. Näher möchte ich auf die Handlung gar nicht eingehen, denn sie ist sehr komplex und rasant erzählt. Aber eines ist klar: in Brutalität, Vielschichtigkeit und Verwirrung steht auch dieser Band den Vorgängern aus der Serie in nichts nach.
Der Thriller spielt in drei verschiedenen Handlungssträngen, die erst sehr spät zu einem Ganzen verflochten werden. Er fängt spannend an, geht spannend weiter und endet mit einem (für mich nicht ganz) überraschenden Schluss – und natürlich dem unvermeidlichen Cliffhanger und dem kleinen Ausblick auf das, was einen in Band 9 so erwarten könnte. Zwischendrin hat das Buch allerdings ein paar eher gemächliche Passagen, in denen der Leser bei so viel rasanter Spannung und Brutalität etwas zu Atem kommen kann. Das ist meiner Meinung nach bei den sehr detailliert beschriebenen Gewalttaten auch nötig, denn die sind nichts für schwache Nerven und sensible Mägen. Manche waren selbst mir zu brutal und ich bin als eingefleischter Krimileser wirklich einiges gewohnt.
Interessant fand ich die (eventuell gar nicht beabsichtigte) Namensähnlichkeit des ersten Opfers Jenny Lind mit der jungen Cecilia Lind aus Cornelis Vreeswijks „Balladen om Fredrik Åkare“. Seltsam falsch ist der Begriff „Adlernest“ (schwedisch: örnbo) – es heißt auf Deutsch korrekt „Adlerhorst“. Schade auch, dass der Rechtsmediziner in der Übersetzung „Åhlén“ heißt und der „Sprachwitz“, dass er „Nålen“ (die Nadel) genannt wird, verloren geht. Selbst in der englischen Übersetzung wird dieser mit „the needle“ aufgegriffen. Auch sind Oberarme nicht „muskulär“, sondern muskulös und die Pulsader am Hals heißt Halsschlagader. Alles in allem hat das Buch ein paar Schwächen, einige davon liegen in der Übersetzung, andere in der Recherche der Autoren, worauf ich allerdings nicht näher eingehen kann, ohne zu spoilern. Allerdings muss ich aus eigener Erfahrung sagen, dass da sehr vieles viel zu pauschal abgearbeitet wird und auch fachlich auf dem Gebiet der Psychologie und Medizin nicht alles ganz korrekt ist.
Der Spannungsbogen ist konstant hoch, die Geschichte packend und rasant erzählt. Obwohl es schon der achte Band der Serie ist, konnte man ihn auch problemlos einzeln verstehen, selbst das Zerwürfnis zwischen Joona Linna und seiner Tochter Lumi, das aus dem vorhergehenden Teil stammt, wird hinreichend erklärt. Gefreut habe ich mich über ein Wiedersehen mit dem „Hypnotiseur“ Erik Maria Bark. Bei aller Spannung waren manche Szenen allerdings eher widerlich-brutal und man hätte sie ohne Verlust innerhalb des Plots auch weglassen können. Aber auch das bin ich von Lars Kepler gewohnt. Ebenso die manchmal nervige, fast übermenschliche Ermittlungsgenialität von Joona Linna.
Der Thriller ist eine klare Lese-Empfehlung für alle Fans des Autoren-Duos und alle, denen brutalste Folter-, Missbrauchs- und Tötungsszenen nichts ausmachen. Ich freue mich auf Band 9, überlege aber, ihn im Original zu lesen. Abzüglich eines Übersetzungs-Sterns vergebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 21.12.2020
Glücksritter
Kleeberg, Michael

Glücksritter


ausgezeichnet

„Glücksritter. Recherche über meinen Vater“ ist der Titel von Thomas Kleebergers Roman und gleichzeitig ist dieser Titel Programm. Denn sein Vater, dem er sich nach dessen Tod anzunähern versucht, scheint sein Leben lang auf der Suche nach dem Glück zu sein („Glück ist etwas gewesen, dem mein Vater sein Leben lang hinterher gejagt hat“). Aber er war zwar ein Glücksritter, aber weniger ein Ritter ohne Furcht und Tadel, sondern eher einer von der traurigen Gestalt.
Wie so viele Familien ihrer Zeit, standen die Eltern von Thomas Kleeberger bei seiner Geburt 1959 mit einem Fuß noch im 2. Weltkrieg und mussten mit dem Erlebten klarkommen (die Tante entging knapp einer Vergewaltigung durch einen Soldaten, der Vater musste sich nach dem Ende der Kinderlangverschickung alleine nach Hause durchschlagen und die Mutter erinnert sich noch lebhaft an Nächte in Luftschutzkellern) und mit dem anderen Fuß standen sie im Wirtschaftswunder, versuchten, „zu etwas zu kommen“. Geld und Besitztümer, vor allem wohl Autos, waren in der Familie ein großes Thema.
Der Vater scheint aber ein „ewig zu kurz Gekommener“ gewesen zu sein, und dennoch schien er zu glauben, das Universum schulde ihm wenigstens ein Quäntchen („Und wenn ich es recht bedachte, hatte mein Vater immer Pech gehabt, wenn es um Geld gegangen war oder immer die falschen Entscheidungen getroffen. Was vielleicht erstaunlich war bei einem Menschen, der so sehr vom Geld besessen war wie er, und vielleicht dann auch wieder nicht.“) Enkeltrick, beziehungsweise in diesem Fall „Nigeria-Trick“, sind Dinge, die die meisten nur aus den Medien kennen. Thomas Kleebergers Eltern fielen im fortgeschrittenen Alter auf diesen Trick herein, als er es bemerkte, hatten sie schon Tausende Euro verloren, Geld, das sie sich unter anderem in der Verwandtschaft geliehen hatten. Kleebergers Buch ist eine Mischung aus Familiengeschichte, Lebensgeschichte des Vaters und auch ein zeitgeschichtliches Dokument ab der Zeit des 2. Weltkriegs. Aber insgesamt ist es natürlich auch eine Abrechnung mit den Eltern, vor allem dem Vater, einem, der sich nie etwas sagen ließ – und am Schluss beinahe alles verloren hätte.
Recherche über meinen Vater lässt eigentlich ein nüchternes, eher wissenschaftliches Werk erwarten. Das empfand ich aber nicht so. Zwar nähert er sich akribisch an seinen Vater an, aber er verliert nie die persönliche, die „Sohn-Komponente“. Vor allem muss er selbst recherchieren, denn nach dem Tod des Vaters schreitet die Demenz der Mutter rasant fort und sie kann ihm nicht mehr beim Graben in der Vergangenheit helfen. Es ist eine liebevolle aber fast kriminologisch aufklärerische Annäherung an den Vater, die zwiegespaltene Persönlichkeit. Einerseits der charmante Mann („Mein Vater sagte ›proper‹ oder ›rundlich‹, selbst seine Schwägerin, meine adipöse Tante, die bei 1,63 Körpergröße zuletzt weit über 100 Kilo wog, nannte er liebevoll ›moppelig‹.“), der auch die Demenz der Mutter lange mit „nicht mehr so fit im Kopf …“ umschrieb. Auf der anderen Seite war er wohl jähzornig und auch die Mutter legte den Sohn des Öfteren übers Knie und versohlte ihn mit dem Kochlöffel. Zudem war der Vater nicht in der Lage, auf seinen Sohn stolz zu sein. Der sollte ein „Herr Doktor“ werden, wurde er aber nicht. Und auch den Unterhaltungsroman, den der Vater gerne von ihm gelesen hätte, blieb er schuldig, obwohl der Vater überzeugt war „So was wollen die Leute lesen. Nicht nur immer Probleme. Damit hättest du Erfolg.“
Das Buch ist wohlformuliert und flüssig zu lesen, die Sprache ist alltagsnah und gefällig. Der Inhalt ist zum Teil schwere Kost, an der man eine Weile zu kauen hat. Für mich aber definitiv einer DER Familienromane des Jahres und eine ganz klare Lese-Empfehlung. „Mein Vater war also vor seinem Tod mit mir im Reinen, aber – das fragte ich mich, während wir in seiner letzten Wohnung beisammensaßen – war ich auch endlich mit ihm im Reinen?“ – es ist ihm auf jeden Fall von ganzem Herzen zu wünschen. Von mir 5 Ste

Bewertung vom 15.12.2020
Die schönsten bretonischen Sagen
Bannalec, Jean-Luc;Spreckelsen, Tilman

Die schönsten bretonischen Sagen


ausgezeichnet

In meiner Kindheit waren es „Grimms Märchen“ oder der „Große Märchenschatz“, die mir meine Oma abends vorgelesen hat. Die Faszination hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, daher habe ich mich auf und über „Die schönsten bretonischen Sagen“ ganz besonders gefreut. Herausgegeben wird das Buch von Jean- Luc Bannalec, dem Schöpfer des Buch- und Fernsehkommissars Dupin, und Tilmann Spreckelsen, der dem einen oder anderen Krimi-Fan durch sein Buch „Nordseegrab“ ein Begriff sein dürfte. Diese Sagen-Sammlung ist ganz sicher nichts für Kinder, sondern ein wahres Füllhorn an Geschichten für Erwachsene.
Mit Beschreibungen der Landschaft, die ich im Schüleraustausch kennenlernen durfte, führen die 21 Erzählungen die Leser ins Reich von Zauber, Magie, Feen, Gnomen und Riesen, die dort beheimatet sind. Die Sagen sind wie man es von diesem Genre kennt: spannend, mystisch, manchmal brutal und gruselig. Auf jeden Fall sind sie nichts für schwache Nerven und in fast jeder steckt eine Moral von der Geschicht‘ und in manchen ein erhobener Zeigefinger. Auch sprachlich sind die Sagen in gewohnter und bewährter Manier geschrieben: eher kompliziert und rasant, altertümlich und zum Teil poetisch, da muss man schon ganz genau lesen, um alles mitzubekommen und nicht zwischendrin den Faden zu verlieren. Was auffällt, ist der enorme religiöse Bezug, der war mir noch nie so stark aufgefallen, wie bei der Lektüre dieses Buchs.
Schön sind die Geschichten nicht alle, in manchen wird mit den Charakteren ganz schön fies und gemein umgegangen und nicht alle haben ein gutes Ende. Für mich war das Buch aber auf jeden Fall eine Reminiszenz an meine Kindheit und die Schülerzeit, eine Reise durch Zeit und Raum und eine wahre Lese-Freude. Daher von mir 5 Sterne und eine Lese-Empfehlung für die Fans der Bretagne, von Kommissar Dupin und überhaupt jeden, der Märchen und Sagen mag.

Bewertung vom 11.12.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


sehr gut

Karina und Prem, die beiden Kinder der Familie Olander sind ein Herz und eine Seele. Die indisch-amerikanische Familie, die im Mittelpunkt von Shilpi Somaya Gowdas Roman „Was uns verbindet“ steht, ist von England in die USA ausgewandert. Die Eltern Yaya und Keith haben es zu etwas Wohlstand gebracht, Haus mit Pool, gute Schule für die Kinder und ein weitgehend sorgenfreies Leben. Karina hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihren jüngeren Bruder zu beschützen. Und ausgerechnet sie ist alleine mit ihm zu Hause, als der Achtjährige im Pool ertrinkt.
Nach diesem Schicksalsschlag wird für die komplette Familie alles anders. Jeder trauert für sich alleine und Karina bleibt mehr oder weniger auf der Strecke, als die Familienmitglieder in unterschiedliche Richtungen auseinanderdriften. „Letzten Endes verlor Karina sowohl ihren Bruder als auch ihre Eltern. Sie ließen sich in dem Sommer scheiden, als sie sechzehn wurde, zwei Jahre nach Prems Tod.“
Trotz einiger Schwächen fand ich das Buch sehr bewegend. Das Thema „Verlust eines Kindes“, gekoppelt mit allseitigen Schuldgefühlen ist nicht leicht zu behandeln und manchmal hatte ich daher das Gefühl, die Autorin hat sich ab und zu ein bisschen verrannt und driftet in Klischees ab. Aber alles in allem ist es emotional beschrieben und sicher sehr realitätsnah. Alle drei verwaisten Familienmitglieder suchen nach dem Verlust einen neuen Anker im Leben und nach einem Weg, um mit ihren Schuldgefühlen klarzukommen. Für die Mutter ist es der Glaube, für den Vater neue Beziehungen und die Arbeit und Karina findet Trost in Schule und Lernen. Und, unbemerkt von ihrer Umwelt, beginnt sie, sich selbst zu verletzen, die „Flucht“ ins Studium scheitert und sie rutscht komplett ab.
Das Buch wird aus der Sicht aller Beteiligten erzählt, selbst der verstorbene Prem kommt aus dem Jenseits zu Wort. Ihm macht es zu schaffen, dass die Familie nach, seinem Tod, beziehungsweise durch ihn, zerbrach. „Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Ich hätte versuchen sollen, länger zu bleiben. Ich wusste nicht, dass ich der Kitt war.“- was für eine traurige Schlussfolgerung. Traurig, aber sicher nicht realitätsfern, fand ich auch die Tatsache, dass die Eltern ihre Tochter völlig aus den Augen verlieren. Sie geben ihr zwar keine Schuld am Tod des Bruders, sehen aber fortan nur noch sich selbst und die Verzweiflung und die Schuldgefühle von Karina bleiben unbemerkt.
Die kulturellen Unterschiede innerhalb der Familie kommen zwar zur Sprache, werden mir aber zu wenig vertieft. Der amerikanische Banker und die indisch-stämmige Diplomatentochter haben, als es hart auf hart kommt, nichts mehr gemeinsam. Sie lebt fortan für ihre Religion als Ausdruck ihrer Kultur, er für Geld und Erfolg und Karina steht als Produkt ihrer einstigen Liebe und Mischung aus ihnen beiden zwischendrin und verliert Anker, Bezugspunkte und den Boden unter den Füßen, und das nicht nur wegen ihrer Trauer und der Schuldgefühle, sondern auch, weil sie nicht mehr weiß, wo sie dazugehört.
Das erste und das letzte Drittel des Buchs fand ich sehr gut, teils sogar spannend geschrieben. Der Mittelteil dreht sich für meinen Geschmack ein bisschen zu viel um Vater Keith und die Wirtschaftskrise. Sprachlich fand ich das Buch gut geschrieben und flüssig zu lesen. Die Geschichte ist gut konstruiert, die verschiedenen Erzähl-Ebenen (teilweise wird dasselbe Geschehen aus verschiedenen Perspektiven beschrieben) fand ich interessant. Der Inhalt ist auf psychologischer Ebene gut aufgearbeitet, klischeehaft, aber berührend und unterhaltsam zu lesen. Wer aber ein wirklich tiefgehendes Buch über Trauer und Verlust eines Kindes/Familienmitglieds sucht, ist mit diesem Buch eventuell nicht gut bedient. Von mir daher 4 Sterne.

Bewertung vom 11.12.2020
Todeswall / Emma Klar Bd.5
Peters, Katharina

Todeswall / Emma Klar Bd.5


ausgezeichnet

Da ich die Autorin schon von „Fischermord“ und „Bornholmer Schatten“ kannte, habe ich mich auf den neuen Krimi von Katharina Peters sehr gefreut. Zwar ist „Todeswall“ schon der fünfte Teil der Emma-Klar-Serie, die ich bislang noch nicht kannte, aber auch diese Ermittlerin konnte bei mir von Anfang an punkten. Sie war mir sofort ebenso sympathisch wie Romy Beccare und Sara Pirohl.
„Man erinnert sich an alles, dachte Emma. Man braucht nur eine Brücke“ – dieser Satz ist bezeichnend für den Thriller. Denn die Wurzeln des aktuellen Falles liegen in der Vergangenheit. Und einige Personen erinnern sich, andere können oder wollen sich nicht erinnern. Und der Fall, in dem Emma Klar ermittelt, hat es in sich. Anna Bohn, eine als fleißig und eher besonnen bekannte Abiturientin, stürzt im Drogenrausch vom Balkon und stirbt. Emma Klar soll die Polizei als private Ermittlerin unterstützen, denn die Theorie eines Unfalls wirft Fragen auf. Noch dazu ist auch die Mutter der Verstorbenen vor Jahren ermordet worden, ihr Tod wurde nie aufgeklärt. Emma, ihr Partner Christoph und der Journalist Jörg Padorn ermitteln im Umfeld der Toten, graben immer tiefer, fischen manchmal im Trüben und gewinnen nach und nach interessante Erkenntnisse, die letztendlich zu einem für mich dann doch überraschenden (aber schlüssigen) Ende führen. Irgendwie hängt alles mit allem und jeder mit jedem zusammen, und im Zentrum von allem steht immer wieder Rache und „Poena“, also Strafe. Wofür bestraft aber wer wen?
Ich fand das Buch sprachlich sehr gut, den Stil der Autorin kannte ich ja schon vorher. Ihre Bücher sind flüssig zu lesen und unkompliziert geschrieben, sie verzichtet fast gänzlich auf Kraftausdrücke und schafft es, dem Leser auch mit unblutigen Schilderungen Gänsehaut zu bereiten. Kompliziert hingegen fand ich die Geschichte an sich, clever konstruiert, aber man muss sich als Leser erst einmal darauf einlassen. Das dauerte bei mir einige Zeit, vor allem, da der Prolog erst nach mehr als der Hälfte es Buchs etwas mit der eigentlichen Handlung zu tun hat.
Die Charaktere fand ich mit vielen menschlichen Eigenheiten sehr gut ausgearbeitet und hervorragend beschrieben, was bei der Vielzahl der Personen tatsächlich eine Kunst ist. Auch die falschen Fährten, die die Autorin legt, fand ich sehr gut, der Spannungsbogen ist durch zahlreiche Verdächtige und Nebenschauplätze fast konstant hoch, es gibt wenige Verschnaufpausen für den Leser. Spannend fand ich auch, dass die Autorin gekonnt die Grenzen und Gefahren der Computerisierung (gehackte oder gefälschte Online-Profile, falsche Identitäten usw.) aufgreift.
So war der Thriller für mich wie aus dem Lehrbuch: gut ausgearbeitete Charaktere, reichlich Verdächtige und falsche Fährten und spannend fast von Anfang bis Schluss. Machte für mich Lust auf mehr und ich werde mich jetzt mal durch den Rest der Serie lesen. Von mir 5 Sterne.