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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 17.02.2008
Das Geisterhaus
Allende, Isabel

Das Geisterhaus


ausgezeichnet

Nicht wenige warfen Isabel Allende bei Erscheinen ihres Romans vor, sie habe sich allzu sehr an Gabriel Garcia Márquez angelehnt, dessen Mythos von Südamerikas Geschichte im Begriff des Magischen Realismus gipfelt. Dem Erfolg ihres Epos machte dies jedoch nichts aus. Das Geisterhaus beschreibt die bewegende Geschichte Chiles im 20. Jahrhundert. Ein Land, dessen politische Auseinandersetzungen sich gegen das eigene Volk richtete, dessen Militär sich berufen fühlte, sein Demokratieverständnis der Wirtschaft und Machtanspruch der Oberschicht zu unterwerfen. Allende entgeht der blanken Schwarz-Weiß Malerei, in dem sie anhand einer Familiengeschichte zeigt, wie über Generationen die Politik die Menschen zerstört, wie das Streben nach Besitz eine Härte erfordert, die Unrecht erschafft. Allende webt den Mythos eines Geisterhauses, in das die Menschen nach ihrem Versagen zurückkehren, um ihre Wunden zu lecken. Unrecht wird mit Unrecht vergolten. Die Inthronisierung einer Militärdiktatur dient nicht dem Zweck, das Land zu befrieden. Esteban Trueba, den wir durch die jüngere Geschichte begleiten und dessen moralischen Maßstäbe ihn nicht vor Verblendung schützen, muß miterleben, wie erst seine Frau dem Schweigen verfällt, und er selber beginnt, mit einem Geist zu leben. Ein wunderbares Gleichnis für ein Land, das hat bitter lernen müssen, seine Zerrissenheit zu überwinden. Ein pittoreske Zeitgemälde, das es schafft, ein Gefühl für den Schrecken über die Grenzen hinaus zu versenden, den Chile zu der Zeit befallen hat, und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, die Liebe zu diesem Land zu erneuern.
Polar aus Aachen

7 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.02.2008
Theater
Maugham, William Somerset

Theater


ausgezeichnet

Es ist schon erschreckend wie treffend Sommerset Maugham die Welt des Theaters beschreibt. Wer jemals im Umfeld seine Zeit dort hat verbringen dürfen, wird dem Autor zustimmen, dass das wirkliche interessante Drama stets hinter der Bühne stattfindet. In den Garderoben, den Gängen, während der Proben. Alternde Schauspielerinnen sind eine Gefahr für sich selbst. Da sie sich selbst nicht beißen können, schnappen sie nach den Kollegen und lassen lediglich Bewunderer in ihrem Dunstkreis zu. Wenn sie dann noch selber die Geschicke eines Theaters leiten und nicht einem Intendanten oder Schauspieldirektor unterstehen, werden sie allmächtig, gottähnlich und nichts ist imstande, ihnen Frieden zu schenken. Nicht mal eine Affäre. Der Roman spielt in den dreißig Jahren, ist mit furiosem Finale wie ein Theaterstück gestrickt und überrascht durch seinen schonungslosen Blick, der sein Mitgefühl nicht verschweigt. Somerset Maugham mag die Welt des Theaters. Er weiß um das Risiko, in das Menschen sich begeben, wenn sie sich dem Applaus aussetzen. Niemand wird so direkt bewertet. Und niemand sonst muß so sehnsuchtsvoll damit leben, dass ihm immer die Flucht auf die Bühne bleibt, weit weg von der Welt da draußen. Amüsant beschrieben, weise und unterhaltend. Somerset Maugham hat nicht umsonst so viele Jahre in Theatern verbracht.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.02.2008
Seltsam wie die Liebe
Gowdy, Barbara

Seltsam wie die Liebe


sehr gut

Dass gute Stories sich nicht nur immer um die Suche des Mittelstands nach dem Sinn im Leben drehen, den geheimen Seitensprüngen von Geschäftsleuten oder Avon-Beraterinnen nachgehen müssen, beweist Barbara Gowdy furios in ihrem Band Seltsam wie die Liebe. Bei einer Hochzeit entpuppt sich der frisch angetraute Ehemann als Transsexueller, dann taucht ein Mann auf, der sich freiwillig erhängt, um begehrt zu werden, Gowdy erzählt von Sylvie und ihren vier Beinen, und auch Simon und Samuel, die siamesische Zwillinge, gehören nicht zum Alltäglichen, was man Leser vorgesetzt bekommt. Bizarr, Grotesk, bisweilen abgrundtief humorvoll und doch immer mit scharfen Blick auf ihre Figuren entführt uns Gowdy aus unserer Welt und schafft es, keine Schlüssellochperspektive loszutreten, keine Lust auf die Freakshow zu entfachen, sondern Geschichten zu erzählen, die so normal abseitig sind, dass wir uns gut unterhalten fühlen. Vor allem dank der beeindruckenden Dialogregie, die nicht selten das verschweigt, was andere bis ins Letzte auserzählen. Dass dies nicht nötig ist, dass die Liebe bisweilen seltsam ist, dass die Welt aus mehr als Versicherungen besteht, ist gut zu wissen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 14.02.2008
Black Dahlia, Die Schwarze Dahlie
Ellroy, James

Black Dahlia, Die Schwarze Dahlie


ausgezeichnet

Ellroy kennt sich aus in seinem L.A., er hat genau recherchiert und beschreibt in hoher Dichte die Atmosphäre jener Tage, die sich an einem authentischen Fall orientieren. Mit diesem Roman steigt er auch in die Abgründe seines persönlichen Verlustes hinab, indem er die Geschichte Der schwarzen Dahlie und ihres brutalen Mordes schildert, findet er zu seinem persönlichsten Roman, einer Geschichte, die hinter einer Hochglanzfassade aus Menschen Tiere machen, die ihre Befriedigung daraus ziehen, ihre Opfer zu verstümmeln. Dass ausgerechnet der Held der Geschichte eine Liebesaffäre mit einem Familienmitglied aus dem reichen Haus der Täter beginnt, gehört zu Ellroys zynischen Augenzwinkern, mit dem er gerne seine Geschichten würzt. Ellroy ist ein Meister der rücksichtslosen Beschreibung, der die Leser nicht davor bewahrt, einen Mord beinah körperlich nachzuempfinden. Die Hitze jener Tage, ihr Leben nahe am Durchgeknalltsein, die Sucht Berühmtheit zu werden, läßt Starlets blind in die Falle tappen. Ellroy seziert sein Hollywood der späten vierziger Jahre, zeichnet nach wie ein Lächeln sich in Angst, Ergebenheit verwandelt und greift auf das bewährte Mittel zweier Cops zurück, deren Aufklärungsarbeit ganz dem Film Noir verschrieben ist. Wer ist schon frei von Schuld in einer korrupten, den Sehnsüchten verpflichtete Gesellschaft?
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.02.2008
Letzte Nacht
O'Nan, Stewart

Letzte Nacht


ausgezeichnet

Stewart O'Nan ist der Meister der kurzen Form. Wie bei einer Novelle beschränkt er seine Geschichte in Letzte Nacht auf einen Ort, auf einen Tag, auf eine Handvoll Menschen, die im Übergang leben. Das Red Lobster schließt eine seiner Filialen, obwohl zumindest dem Geschäftsführer Manny nicht ganz klar ist, warum. So schlecht waren die Zahlen nicht. Einige seiner Mitarbeiter werden übernommen, für andere ist es der letzte Arbeitstag. Ein Bus Chinesen, denen übel ist, zwei eingeschlagene Windschutzscheiben, ein unartiges Kind und eine ausgestandene Affäre zwischen Manny und einer Angestellten: vielmehr passiert nicht. Und doch wird von dem ganzen Abenteuer erzählt, das die Menschheit abseits der Fernsehgeräte und Werbeversprechungen ausmacht. O’Nan gelingt es meisterhaft, in seinem kleinen Kosmos die Welt zu spiegeln. Seine Menschen funktionieren, obwohl draußen die Stadt im Schnee versinkt, sie warten auf Gäste, bedienen sie, schlagen sich mit eigenen Hoffnungen und Enttäuschungen herum und lassen keinen Zweifel daran, dass es nächste Woche, nächstes Jahr, an einem anderen Ort, in anderer Zusammensetzung nicht genauso ist. Der Held Manny macht sich selbst, als er wehmütig das Restaurant verläßt, noch Gedanken darüber, ob er alles zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers erledigt, ob er nicht etwas abzuschalten vergessen hat. Währenddessen schwimmen die Lobster, die er zu viel bestellt hat, mit zugebundenen Scheren im Aquarium. Ein Bild, das auf die Menschen in dieser beeindruckenden Geschichte paßt. Die Lobster werden wohl in einer anderen Filiale verzehrt werden. Und Manny und seine Crew nie merken, dass ihre Scheren längst außer Gefecht gesetzt wurden.
Polar aus Aachen

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2008
Stille Gefahr
Rimington, Stella

Stille Gefahr


sehr gut

Wie sich die Bedrohung eines Anschlags aufbaut, man ihr auf die Schliche kommt, welche Wege und Umwege dabei beschritten werden müssen, zeigt Stella Rimington in ihrem ersten Thriller um die MI5-Agentin Liz Carlyle. Sie verschweigt dabei nicht, dass islamitische Terroristen nicht vom Himmel fallen, sondern beschreibt, wie ein persönliches Schicksal dazu führt, dass aus einem Menschen wie Faraj ein Extremist wird, den nichts anderes als Rache antreibt. Jean D’Aubigny hingegen flieht aus der Leere in die islamische Obhut und wird zur Mittäterin, die die Glaubenssätze ihrer Religion verinnerlicht hat. Beide werden benutzt und glauben, sich zu Höherem berufen. Nach der Lektüre versteht man eher, warum Innenpolitiker so gerne nach schärferen Gesetzen rufen, am liebsten alles überwachen würden und trotzdem bleibt der Eindruck zurück, dass man nicht alles wissen, vorhersehen kann. Wie Faraj sich in einem Transport illegaler Einwanderer Zugang zu Großbritannien verschafft, Carlyles minutiöse Arbeit zu seiner Entdeckung führt, ist spannend im klassischen Stil des ständigen Wechsels von Ermittler und Täter beschrieben. Realistisch, wenn man bedenkt, dass eine solche Verzweiflungstat zu jeder Zeit überall möglich ist. Einen zu allem Entschlossenen aufzuhalten, bedeutet, in erster Linie auf sein Glück und seine Intuition zu vertrauen. Das gelingt Liz Carlyle.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 08.02.2008
1977 / Yorkshire-Ripper-Saga Bd.2
Peace, David

1977 / Yorkshire-Ripper-Saga Bd.2


ausgezeichnet

War 1974 bereits ein Kriminalroman von David Peace, der einen nicht gleichgültig ließ, der schonungslos sein Thema vorantrieb, ohne ein Netz von Gutmütigkeit, Gerechtigkeit und Erlösung zu spannen, geht der Autor in 1977 noch einen Schritt weiter und treibt seine Geschichte, die sich um den Yorkshire-Ripper dreht, hitzig voran. Niemand bleibt zurück, der sich die Hände nicht auf irgendeine Art schmutzig gemacht hätte. Alles dreht sich um Sex. Sei es die schnelle Nummer, sei es das Sexualdelikt, sei es die krude Liebesgeschichte, sei es das dauernde Reden darüber. Es geht ums Versagen, ums Durchknallen. Da ist Peace nicht weit von Ellroy entfernt, doch der selbst ernannte Krimigott erscheint einem nach David Peace wie jemand, der brutal beschreiben kann, aber nicht wie Peace hilflos in eine Geschichte hineinfällt, in der wir atemlos mit ansehen, wie er sich da wieder herausschreiben will. Eine Inhaltsangabe würde dem Roman nicht gerecht werden, sie bliebe an der Oberfläche. Es ist der Stil des Autors, der einen in den Bann schlägt. Er ist dialoglastig und verzichtet auf ausschweifende literarische Beschreibung. Seine Helden haben keine Zeit. Sie hasten durch die Geschichte. Dabei verpassen sie manches und stehen nicht selten nackt vor sich selbst da. Peace Helden sind zum Helden nicht gemacht. Selbst jene nicht, die das gerne von sich glauben würden. Korruption, sexuelle Gewalt, verkümmerte Gefühle sind eben nicht etwas fürs Scheinwerferlicht. Viele Autoren haben diesem Milieu ein Gesicht zu zeichnen versucht, keiner ihm wie Peace eine so furiose Sprache geliehen.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.02.2008
Unbestechlich
Francis, Dick

Unbestechlich


sehr gut

Derek Franklins Familie hat sich in alle Winde zerstreut. Die Schwestern erscheinen nicht einmal zur Beerdigung des Bruders Greville, der unter einem Baugerüst zu Tode kam. Nun hinterlässt der Bruder ihm seine Firma, die wertvolle Steine bis hin zu Diamanten verkauft. Wie bei Dick Francis üblich spielt die Handlung teilweise im Pferdesportmilieu und so ist Derek Franklin ein Jockey, der sich plötzlich in das bürgerliche, äußerst erfolgreiche Leben seines Bruder versetzt sieht und als Testamentvollstrecker und zukünftige Erbe über die Geschicke der Firma entscheidet. Gleichzeitig ist es die Geschichte einer Bruderliebe, die sich spät entwickelt hat. Der Plot dreht sich um gedopte Pferde, Lizenzen für Spielcasinos, heimliche Lieben, Unterschlagung und Mord. Ausgerechnet Derek gerät, obwohl er nach einem Reitunfall an Krücken geht, ins Kreuzfeuer der verschiedenen Interessen, während er gleichzeitig hinter das verborgene Leben seines Bruders zu kommen versucht. Ein solider, kenntnisreicher, spannender, sehr britischer Kriminalroman, der zu unterhalten versteht und weniger durch abrupte Spannungssteigerung als durch die subtile Beschreibung von Charakteren und Zusammenhängen besticht.
Polar aus Aachen