Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
solveig

Bewertungen

Insgesamt 472 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2016
Die langen Tage von Castellamare
Banner, Catherine

Die langen Tage von Castellamare


gut

Leichte Lektüre ohne Tiefgang


Eine rote Kladde, gefüllt mit zahlreichen Geschichten, Sagen und Legenden, zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Familienroman. Der Arzt Amedeo Esposito, der im Jahr 1914 auf der kleinen abgelegenen Insel Castellamare sein Glück gefunden hat, liebt und sammelt sein Leben lang Geschichten und vermacht sie später seinen Nachkommen. Es ist eine lange Zeitspanne, von der die Autorin erzählt, sie umfasst nicht ganz ein Jahrhundert. Sie schildert Amedeos Werdegang, sein Schicksal auf der Insel und das Leben seiner Kinder, Enkel, bis hin zur Urenkelin Lena. Eingeführt in das nicht immer einfache Leben in Castellamare, zwischen Klatsch, Nachbarschaftshilfe, Religiosität und Aberglaube erlebt der Leser die alltägliche Mühe und Arbeit der Familie mit. Obwohl scheinbar von der Zivilisation abgeschnitten, erreichen die Ereignisse der Weltgeschichte - mit etwas Verspätung - schließlich auch die Inselbewohner. Sie bleiben von Kriegen und Finanzkrisen genauso wenig verschont wie ihre Mitbürger auf dem Festland, erleben voll Staunen neue technische Errungenschaften und den Wirtschaftsaufschwung.
In leichtem, fließendem Stil entwickelt die Autorin ihr Familienepos über die Generationen hinweg, bis ins Jahr 2009 und lässt immer wieder einzelne Geschichten aus Amedeos roter Kladde einfließen. Detailreich beschreibt sie das Auf und Ab der Familie Esposito, politische und soziale Auseinandersetzungen, Begebenheiten, die den dörflichen Frieden stören. Doch etwas Wesentliches fehlt mir an diesem Buch: echte Anteilnahme. Ich als Leser bleibe nur distanzierter Beobachter, der die Ereignisse von außen her, die Oberfläche betrachtet. Für mein Empfinden gelingt es der Autorin nicht, den Leser emotional in das Schicksal der Protagonisten einzubinden; dazu wirken die Charaktere zu flach, zu konstruiert. Immerhin eine leichte, angenehme Lektüre für Liebhaber von Familienromanen.

Bewertung vom 31.08.2016
Hilfe, mein Lehrer geht in die Luft
Ludwig, Sabine

Hilfe, mein Lehrer geht in die Luft


ausgezeichnet

Lesevergnügen pur

Wenn es plötzlich stinkt, dann liegt meistens nichts Gutes in der Luft! Diese unangenehme Erfahrung macht der 12jährige Felix Vorndran, der sich gerade glücklich in seiner Schule eingelebt hat. Denn er steht in der Nähe seiner Mathematiklehrerin Frau Schmitt-Gössenwein und nimmt einen unangenehmen Geruch wahr, als sie auf unerklärliche Weise in eine Grube fällt und sich so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus muss. Und wie konnten die Haare seiner Schulfreundin und Banknachbarin Ella dermaßen verkleben, dass sie abgeschnitten werden müssen? Auch für die bösartigen Graffiti-Sprüche auf dem Schulhof wird er verantwortlich gemacht. Zunächst versucht Felix auf eigene Faust, das Rätsel zu lösen und seine Unschuld zu beweisen. Dann zieht er den neuen, skurrilen Biologielehrer Herrn Dr. Dr. Witzel hinzu, dessen größter Wunsch es ist, fliegen zu können. Doch nun wird die Angelegenheit nur noch verzwickter…
Sehr turbulent geht es zu in Sabine Ludwigs Nachfolgeroman zu „Hilfe, ich habe meine Lehrerin geschrumpft“. Auf geistreich witzige Art lässt die erfolgreiche Autorin ihre Hauptfigur Felix Vorndran selbst seine unglaublichen Erlebnisse erzählen; eine richtig spannende Geschichte, bei der den jungen Leser ab und an ein wohliger Grusel packt. Angenehm aufgefallen ist mir der leichte, aber dennoch gehobene Schreibstil. Die Wortwahl ist nicht zu kompliziert, aber auch nicht zu simpel - genau passend für die Zielgruppe der 10- bis 12jährigen Leser. Und sicherlich haben auch Erwachsene ihren Spaß an dieser erfrischenden Geschichte, in der Ludwig Themen verarbeitet, die in jedem Alter eine wichtige Rolle spielen: Familie und Freundschaft. Mein Fazit: uneingeschränktes Lesevergnügen mit Niveau.

Bewertung vom 24.08.2016
Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1
Ferrante, Elena

Meine geniale Freundin / Neapolitanische Saga Bd.1


sehr gut

Eine lebenslange Freundschaft


„Sie wollte sich in Luft auflösen, … nichts von ihr sollte mehr zu finden sein“. Diesen lang gehegten Vorsatz Raffaelas, kurz Lila genannt, scheint sie nun im Alter von mehr als sechzig Jahren tatsächlich in die Tat umgesetzt zu haben.
Doch ihre Freundin Elena, die Lilas spurloses Verschwinden nicht akzeptieren will, beginnt, ihre Geschichte schriftlich festzuhalten. Es entsteht die lebhafte, angenehm leicht geschriebene Erzählung einer komplizierten Freundschaft.
Schon als kleine Mädchen aus dem Arbeiterviertel Rione in Neapel versprechen sich die zwei Freundinnen gegenseitig, eine bessere Zukunft anzustreben und ihrem Milieu zu entkommen. Lenú und Lila wachsen in den 40er und 50er Jahren in einer Gesellschaft auf, in der Gewalt alltäglich ist und Mädchen und Frauen eine untergeordnete Stellung einnehmen: „Es passierte alles Mögliche, zu Hause und draußen, Tag für Tag, doch ich kann mich nicht erinnern, jemals gedacht zu haben, dass unser Leben besonders schlimm sei. Das Leben war eben so, und damit basta…“, sagt Lenú schlicht.
Aus Elenas Sicht schildert die Autorin lebendig und sehr stimmungsvoll das Auf und Ab ihrer Freundschaft vor dem düsteren, realistisch erscheinenden Hintergrund des alltäglichen Lebens in dem Problem-Stadtteil. Zutiefst ehrlich und sensibel wirken ihre Gedanken zu Lilas und Lenús Beziehung; die Bewunderung, die Elena für ihre Freundin hegt, wird deutlich, aber auch der Neid und gelegentliche Selbstzweifel, die sie zwischendurch immer wieder aus der Fassung bringen. Ferrante erzählt auf ihre lockere Art, wie beide Mädchen einen Weg suchen, dem anscheinend vorbestimmten Leben im Elend zu entfliehen; die naiven Vorstellungen ihrer Kindheit weichen konkreten Vorstellungen, als sie zu Teenagern werden. Während die eigentlich angepasste Elena sich ein Fortkommen durch höhere Bildung erarbeiten will, wählt die eher aufmüpfige Lila, einst Elenas Vorbild, einen völlig anderen, traditionellen Weg. Die Entwicklung des Romans hält mit der Weltsicht der beiden Mädchen Schritt, von den verträumten Grundschulkindern bis hin zum beginnenden sozialpolitischen Bewusstsein von 16jährigen Teenagern. So endet der erste Band der vierteiligen Familiensaga, in der Elena Ferrante ausführlich von Kindheit und früher Jugend der Mädchen erzählt, mit einer folgenschweren Entscheidung Lilas. Der Leser bleibt erwartungsvoll zurück: Wie mag es den jungen Frauen auf ihrem Weg weiter ergehen? Werden sie es schaffen, aus ihrer bedrückenden Umgebung auszubrechen?

Bewertung vom 18.08.2016
Die Markus-Version
Esterházy, Péter

Die Markus-Version


sehr gut

Kurz, aber intensiv


Die als zweites Buch der Trilogie „Einfache Geschichte Komma Hundert Seiten“ angekündigte „Markus-Version“ erweist sich bei genauem Hinsehen - wen wundert´s - als gar nicht so einfach zu lesen.
Ein kleiner Junge schildert seinen Alltag in der ungarischen Provinz und das Verhalten seiner Familienmitglieder, so, wie er es versteht. Seine Familie, von Kommunisten im Nachkriegsungarn aus ihren Berufen vertrieben und von Budapest aufs Land zwangsumgesiedelt, haust hier nun zusammengepfercht in einem Zimmer und muss bei der Landarbeit helfen. Sehr genau beobachtet der kleine Protagonist, der seine Familie lange in dem Glauben lässt, stumm zu sein, seine Umwelt: den Vater, der trinkt, „weil er sein Leben nicht findet“; die schweigsame Mutter, seinen Halbbruder Peter, Mari, das Nachbarmädchen. Seine christliche, sehr fromme Großmutter hat für ihn große Bedeutung. Sie kann nämlich „auf eine Weise von Gott erzählen, dass es unbegreilich wird, dass er nicht sein soll.“ Er verknüpft die frommen Heiligenlegenden und die Gebete seiner Großmutter mit dem Alltag, wie er ihn erlebt, und verbindet ihn mit der Geschichte des Markus-Evangeliums. „Das ist der Beginn. Beten konnte ich früher als sprechen.“
Sein unbedingter Glaube an Gott weicht im Verlauf des Romans kritischeren Gedanken, Zweifeln, Hoffnungen - einer kindlich naiven Gottsuche. Denn da kommt auch noch eine andere Großmutter ins Spiel, die seines älteren Halbbruders. Sie ist jüdischen Glaubens und hat ebenfalls einen Sohn verloren, (wie auch die christliche Oma); allerdings unter anderen Umständen.
Esterházy schreibt in klaren, schlichten Sätzen, gut verständlich. Sein autobiographisch gefärbter Roman ist mit Bibelsprüchen und Zitaten anderer Autoren bereichert und in wirklich sehr kurze, numerierte Abschnitte eingeteilt, die an die Struktur einer Bibel erinnern. Aber man darf sich nicht täuschen lassen: jedes einzelne Kapitel fordert zum Nach- und Weiterdenken auf !

Bewertung vom 02.08.2016
Unterleuten
Zeh, Juli

Unterleuten


ausgezeichnet

Wie funktioniert Dorfleben?

Davon erzählt Juli Zeh sehr unterhaltsam am Beispiel des fiktiven Ortes Unterleuten, der sich etwas abgelegen in Brandenburg befindet. Hier treffen neu zugezogene „Wessies“ auf die alt Eingesessenen und versuchen ihre Ziele zu verwirklichen: Jule etwa wünscht sich ein harmonisches Leben mit ihrer kleinen Familie, Linda dagegen plant ein Gestüt aufzubauen. Doch so einfach, wie es klingt, ist es ganz und gar nicht; denn die gewachsenen sozialen Strukturen des Dorfes sind kompliziert und miteinander verflochten, bestehen aus vielerlei Gefälligkeiten und Schulden, von denen die „Neuen“ erst nach und nach erfahren. Und als dann noch ein Unternehmen für erneuerbare Energien Windkrafträder aufstellen will, brechen alte Feindschaften wieder auf und sorgen dafür, dass das dörfliche Leben alles andere als beschaulich ist.
Erfrischend lebendig schildert Juli Zeh die Dorfbewohner, ihre Gewohnheiten und ihr Leben. Ebenso authentisch wirken die Charaktere der neu Zugezogenen und ihre Bemühungen. Politik - ob es sich um ehemalige DDR Angelegenheiten handelt oder aktuelle Themen betrifft - wird aus der Sicht der Dörfler und ihren ganz speziellen Bedürfnissen kommentiert. Kann ein Dorf eine Gemeinschaft bleiben, wenn es um finanzielle Interessen geht? Gab es überhaupt jemals Geschlossenheit oder war es immer nur ein Zweckbündnis? In ihrem Roman beschwört die Autorin Bilder voller Leben, Humor, aber auch Tragik. Sie beleuchtet den Mikrokosmos einer Gesellschaft; wunderbar beobachtet und mit spitzer Feder auf den Punkt gebracht. Wobei der Titel des Buches genauso gut auch „Unter Leuten“ heißen könnte.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.07.2016
Ein toter Lehrer
Lelic, Simon

Ein toter Lehrer


sehr gut

Verstörend aktuell

„Ruhe und Ordnung“ lautet das Motto von Mr. Travis, Schulleiter einer Londoner Comprehensive School. Der Amoklauf des jungen neuen Geschichtslehrers während einer Schulversammlung lässt dieses Prinzip jedoch fragwürdig erscheinen - der eigentlich als besonnen eingeschätzte Samuel Szajkowski erschießt drei Schüler, eine Lehrerin und schließlich sich selbst. Detective Lucia May ist mit den Ermittlungen beauftragt und stellt sich die Frage nach dem Warum.

Zeugenaussagen von Schülern und Lehrern wechseln sich mit Lucias privaten Gedanken und ihrer Situation im Polizeiteam ab. Schnell wird klar, dass Samuel in zunehmendem Maße von einigen Schülern auf unerträgliche Weise gemobbt wurde und auch im Lehrerkollegium wenig Verständnis und Hilfe fand. Parallel dazu entwickelt sich Lucias Situation: auch sie wird von bestimmten Kollegen schikaniert. Wie reagieren Menschen, „wenn sie mit etwas konfrontiert werden, was den Horizont ihres alltäglichen Lebens überschreitet?“ Simon Lelic lotet das in seinem Roman aus. Er trifft keine Schuldzuweisungen, sondern lässt den Leser selbst entscheiden, ob und wieviel Verantwortung jeder einzelne an Samuels Verzweiflungstat trägt. Ist er als Täter allein schuldig? Gibt es möglicherweise andere Personen, die den Amoklauf hätten verhindern können? Lelic beschäftigt sich auf packende Art mit einem Thema, das ganz aktuell ist. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 15.07.2016
Gekoffert und Verschleppt
Brenk, Lisa

Gekoffert und Verschleppt


sehr gut

Feuerwerk der Fantasie


„Wie komme ich bloß wieder nach Hause?“ So lautet die bange Frage des 13jährigen Robert Caillou, und das ist auch das zentrale Motiv des Romans. Robert, der nachts in einem Koffer aus seinem Elternhaus entführt wird, findet sich in einer merkwürdigen Welt wieder. Es ist die Alte Welt, wie man ihm erklärt, und hier soll er zum Zauberer ausgebildet werden. Doch er eignet sich so gar nicht zum Zauberlehrling und hat schreckliches Heimweh. Eines Tages bekommt er unverhofft Gelegenheit dem magischen Haus zu entfliehen. Gemeinsam mit seinem treuen Totem, der Hyäne Tatu, macht er sich auf die gefahrvolle Reise nach Immerstadt. Dort, in der quirligen Hauptstadt des Oberen Kontinents, hofft er eine Möglichkeit zur Rückkehr in seine Heimat zu finden. Doch es gilt zahlreiche Hindernisse und böse Fallen zu überwinden, wofür der Junge all seinen Mut und Verstand braucht. Und schließlich in Immerstadt angekommen, erwarten ihn einige überraschende Entdeckungen…
Packend, in Form von Tagebuchaufzeichnungen, werden Roberts unfreiwillige Abenteuer aus seiner Sicht erzählt. Rätselhaft bleibt dabei, wie sie seinen Freund Gilbert Faunus, der sie der Öffentlichkeit präsentiert, erreicht haben. Rätselhaft dunkel bleiben auch noch lange Zeit viele der seltsamen Ereignisse, mit denen Lisa Brenk Robert und den mitfiebernden Leser in ihrem Debutroman konfrontiert und denen der Junge, tatkräftig unterstützt von Tatu, mit viel Köpfchen, aber auch sehr viel Glück, begegnet.
Jedes einzelne Kapitel zeugt von dem Spaß der Autorin am Fabulieren: Immer wieder verblüfft sie mit neuen unkonventionellen Einfällen, kreiert fantastische Lebewesen, erfindet skurrile Situationen - das (immerhin 500 Seiten lange) Buch sprüht geradezu vor Fantasie. Spannend, aber auch witzig, schildert sie, wie der Teenager mit dem guten Herzen - für sein Alter sehr reif - allen Problemen zum Trotz, sein Ziel, die Oberwelt zu verlassen, nicht aus den Augen verliert. Ob es ihm gelingt? Der Verlauf des Fantasyromans und vor allem sein Ende überrascht mit zahlreichen unvorhersehbaren Wendungen und hinterlässt den Eindruck eines farbigen, lebhaften (Alb-)Traums, aus dem es nicht so schnell ein Erwachen gibt.
Roberts Tagebuch entpuppt sich als ein Roman, der nicht nur Kinder ab zehn Jahren in seinen Bann zieht, sondern auch Erwachsene „koffert“ , die „eine Geschichte suchen, die voller Abenteuer und Gefahren steckt“…

Bewertung vom 07.07.2016
Die Geschichte des Sitting Bull
Lorenz, Erik

Die Geschichte des Sitting Bull


ausgezeichnet

Sitting Bull: Ein bemerkenswerter Lebenslauf


Tapferkeit, Geschick und Schnelligkeit, aber auch Klugheit und Weitsicht zeichnen den wohl berühmtesten aller Indianer aus: Tatanka Iyotake, dessen englischer Name „Sitting Bull“ lautet. Auf warmherzige und doch sachliche Weise erzählt Erik Lorenz hier vom Leben des großen Anführers der Lakota (1831 – 1890). In seiner gut strukturierten „Geschichte des Sitting Bull“ schildert er sehr lebendig das Aufwachsen des Häuptlingssohnes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Indianer noch in den Weiten der Prärie jagten. Ein weiteres Kapitel widmet er den Veränderungen, die mit dem Treck weißer Siedler nach Westen und skrupellosen Goldsuchern in den Heiligen Bergen der Indianer die Lebensbedingungen der Ureinwohner Nordamerikas stark beeinträchtigen und erläutert schließlich den Niedergang, die erbitterten Kämpfe, Massaker und die Verdrängung in Reservate, die ihrem freien Leben ein Ende setzen. Es entsteht das eindrucksvolle Porträt eines ungewöhnlichen Mannes, der zeit seines Lebens gegen die Unterdrückung durch die Weißen kämpft, der versucht, annehmbare Kompromisse mit den eindringenden Bleichgesichtern zu schließen, aber bald erkennen muss, dass Verträge von ihrer Seite nicht eingehalten werden:
Sie behaupten, unsere Erde gehört ihnen … Die Liebe zum Besitz ist bei ihnen wie eine Krankheit. Diese Leute haben viele Gebote erlassen, welche von den Reichen gebrochen werden dürfen, von den Armen jedoch nicht. (Tatanka Iyotake)
Die wunderschönen großzügigen Illustrationen von Claudia Lieb machen „Die Geschichte des Sitting Bull“ zu einem kleinen Kunstwerk. Sensibel und in zurückhaltender Farbigkeit setzt sie Lorenz´ Text bildlich um. Sie zeigt die Indianer und ihre Bräuche im Einklang mit der Natur und zaubert eine ganz eigene Atmosphäre, die bei dem Leser einen stimmungsvollen Eindruck von Land und Menschen hinterlässt und seine Fantasie anregt.
„Die Geschichte des Sitting Bull“ ist viel mehr als eine interessant erzählte und wunderschön illustrierte Biografie für Liebhaber der Indianerliteratur; denn sie erinnert an das Unrecht, das dem roten Mann widerfahren ist. Mir gefällt es sehr gut, dass der Leser zu einer kritischen Wahrnehmung der selbstgerechten Art von „Heilsbringern“ moderner Zivilisation und Kultur inspiriert wird - auf eine ganz leise, unaufdringliche Art.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.07.2016
Die Frau, die allen davonrannte
Snyder, Carrie

Die Frau, die allen davonrannte


sehr gut

Ein Frauenschicksal


Einhundertundvier Jahre bewegtes Frauenleben fasst Carrie Snyder auf knapp 350 Seiten in ihrem Romandebut „Die Frau, die allen davonrannte“ zusammen. Als „Wirbel von hartgegossenen Momenten“ erlebt Aganetha Smart, die auch im hohen Alter ihren bissigen Humor nicht verloren hat, im Rückblick ihr Dasein - einen Wirbel von Ereignissen und Emotionen, den sie stets mit körperlicher Bewegung zu kontrollieren versucht hat. Zwei junge Leute, Kaley und Max, holen die hochbetagte Frau zu einem Ausflug aus ihrem Altenheim, mit der Absicht, sie zu einem Filminterview zu überreden. Aggie ist nämlich eine fast vergessene Berühmtheit: Im Jahr 1928 hat sie bei den Olmpischen Spielen in Amsterdam die Goldmedaille im 800m-Lauf der Frauen gewonnen. Der Trip mit Max und Kaley wird für die alte Dame jedoch mehr als nur ein sachlicher Bericht über ihre sportliche Laufbahn. Konfrontiert mit dem Ort ihrer Kindheit, tritt sie eine emotionale Reise in ihr vergangenes Leben an, schmerzhafte aber auch schöne Erinnerungen und Gefühle brechen auf - und nun kann sie, die früher immer in Bewegung war, „nur noch im Kopf“ davonrennen, gewissermaßen „aus Gewohnheit“.
In klaren, schnörkellosen Worten erzählt die junge Autorin sehr eindrucksvoll das lange Leben Aganethas. Vor dem geschichtlichen Hintergrund des frühen 20. Jahrhunderts schildert sie die Konventionen, Vorurteile und Tabus, die lange Zeit vor allem das Leben von Frauen geprägt und beeinträchtigt haben, und wie sie sich auf Aggies Leben auswirkten. Snyder gelingt es mühelos, die Gefühle des Lesers unmittelbar anzusprechen und ihn hinein zu ziehen in eine authentische, bewegende Familiengeschichte. Es erscheint ganz natürlich, wie die Gedanken der alten Frau übergangslos von der Gegenwart in ihre Vergangenhheit gleiten, dem Auf und Ab ihres Lebens folgend in „einer dunklen Welt des Wirrwarrs und des Zufalls“.
Ein schönes, vielversprechendes Romandebut, das den Leser nachdenklich zurücklässt!

Bewertung vom 29.06.2016
Mit dem Zeppelin nach New York
Meyer, Stephan M.

Mit dem Zeppelin nach New York


ausgezeichnet

Ein hervorragendes Kinder-Sachbuch


Auch heute noch ein ganz besonderer Anblick: Ein Luftschiff, das am Himmel schwerelos seine Bahn zieht! Wie ist es möglich, dass solch ein Riese so ruhig und fast geräuschlos durch die Luft schwebt? Antworten hierauf und viele weitere Informationen gibt Stephan Martin Meyer auf unterhaltsame Weise in seinem Buch „Mit dem Zeppelin nach New York“, das soeben im Gerstenberg Verlag erschienen ist.
Eingebettet in die authentische Geschichte des Kabinenjungen Werner Franz, der als 14jähriger seinen Dienst auf der „Hindenburg“ antrat und sich bei dem schrecklichen Absturz des Zeppelins in New York retten konnte, erleben die jungen Leser dessen Fahrt im Zeppelin hautnah mit. Seine Geschichte wird im Rückblick von Werners Sohn an seinen Enkel weiter gegeben und stellt so mühelos den Bezug zur Gegenwart der Leser her.
Zu einem gelungenen Sachbuch gehören neben den kindgerechten, deutlichen Erklärungen vor allem auch klare, verständliche Illustrationen. Thorwald Spangenberg hat diese Aufgabe sehr vielseitig gelöst. Die Mischung der einzelnen Techniken, von Aquarell über Kohle-/Bleistiftzeichnungen bis zu detaillierten Konstruktionszeichnungen wirkt durchdacht. Sie lässt die bildliche Gestaltung sehr abwechslungsreich erscheinen: Graphic Novel-Elemente stellen (dramatische) Aktionen dar; Die (oft ganzseitigen) Aquarelle geben sehr schön das Gleiten des Zeppelins über Städte und Landschaften wieder und beschwören die Stimmung jener Zeit herauf. Detaillierte Konstruktionszeichnungen verdeutlichen zusätzlich die Textpassagen, in denen interessante technische Informationen über die Funktion des Luftschiffes, seinen Aufbau, Einrichtung und Betrieb erläutert werden. Verpackt in eine spannende Geschichte mit einem Protagonisten, der nicht viel älter ist als die Leser des Buches, erfährt man auf kurzweilige Art viel Wissenswertes über den Flugbetrieb der Zeppeline - und auch ein wenig von den Lebensbedingungen der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Ein rundum gelungenes Bild-Sachbuch - nicht nur für Kinder!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.