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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 25.05.2016
Mrs. Dalloway
Woolf, Virginia

Mrs. Dalloway


ausgezeichnet

Für den modernen Leser liest sich das Buch ungewohnt, denn es hat keinen wirklichen Handlungsbogen. Was tatsächlich passiert, ist zweitrangig - wichtig ist, was in den Köpfen der Charaktere vor sich geht, die über die verschiedensten Themen nachdenken: Vergänglichkeit und das unaufhaltsame Verstreichen der Zeit, die Auswirkungen des Krieges auf die Psyche eines Menschen (und da finden sich Parallelen zur psychischen Erkrankung der Autorin), Liebe und Sexualität, gescheiterte Hoffnungen... Fast alle denken darüber nach, was hätte sein können, wenn sie andere Entscheidungen getroffen hätten und ihr Leben dadurch nur ein klein wenig anders gelaufen wäre. Tatsächlich scheinen die meisten das Gefühl zu haben, dass sie etwas verpasst haben und etwas Wichtiges in ihrem Leben vermissen, und die Vergangenheit nimmt in ihren Gedanken mehr Raum ein als die Gegenwart.

Was dieses Buch so originell macht, ist daher auch nicht die Handlung, sondern die Erzählweise: "Stream of Consciousness", Strom des Bewusstseins - eine Technik, die zum Beispiel auch James Joyce in seinem epischen Werk "Ulysses" einsetzte. Die Prosa bleibt immer ganz nahe dran an den Gedanken des Charakters, aus dessen Sicht wir die Geschehnisse gerade sehen, so gut wie ungefiltert. Das ist nicht immer einfach zu lesen, denn da springen die Gedanken schon mal unvermittelt von einem Thema zum nächsten, Worte und Satzfetzen wiederholen sich... Aber für mich hatte das etwas unwiderstehlich Hypnotisches, eine echte Sogwirkung. Ich hatte manchmal wirklich das Gefühl, für einen Moment durch fremde Augen zu sehen. Ich fand den Schreibstil großartig und einzigartig - er spricht oft über Banalitäten, aber darin verbirgt sich so viel.

Deswegen war das Buch für mich auch nicht spannend, wie ein Krimi spannend ist, aber ich konnte es dennoch kaum weglegen, weil ich wissen wollte, ob die Charaktere im Laufe des Tages zu Schlüssen über sich selbst und ihr Leben kommen und vielleicht sogar etwas ändern würden. Tatsächlich hat der innere Tumult, der sich in den Köpfen abspielt, dann erstaunlich wenig greifbare Auswirkungen - wobei einer der Charaktere letztendlich doch eine drastische und tragische Entscheidung trifft.

Die Charaktere kamen mir alle sehr echt und glaubhaft vor. Virginia Woolf lässt den Strom ihrer Gedanken, die sich im immer gleichen Kreise um Liebe und Verlust, Wünsche und Bedauern, Wahrheit und Wahnsinn drehen, ganz natürlich fließen. Besonders Septimus hat mich sehr berührt, denn aus seinen Gedanken spricht unendlicher Schmerz, was aber niemand zu verstehen scheint. Tragischerweise kam er mir vor wie derjenige, der von allen Charakteren noch am nächsten daran herankam, sein Leben in die Hand zu nehmen und es zu verändern.

Interessant fand ich, dass die Autorin auch das Thema Homosexualität ganz nebenher anschneidet: Clarissa Dalloway fühlte sich in ihrer Jugend zu einer anderen Frau hingezogen, und ihre Tochter ist mit einer Frau befreundet, die ebenfalls in sie verliebt zu sein scheint.

Auch der Krieg ist unterschwellig allgegenwärtig in diesem Buch - er ist zwar vorbei, aber die Menschen haben sich noch lange nicht davon erholt. Ich fand sehr bestürzend, wie wenig Verständnis man zu der Zeit anscheinend noch den Veteranen entgegen brachte, die von ihren Erlebnissen völlig traumatisiert waren. Die Autorin zeigt das sehr eindringlich am Beispiel von Septimus, von dem scheinbar erwartet wird, dass er sich einfach zusammenreißt und wieder zu einem produktiven Mitglied der Gesellschaft wird, obwohl er kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Bewertung vom 22.05.2016
Das Haus der verlorenen Kinder
Winterberg, Linda

Das Haus der verlorenen Kinder


sehr gut

Während der deutschen Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg verliebten sich zahlreiche junge Norwegerinnen in den Feind im eigenen Land. Geschätzte 12.000 Tyskerbarna ("Deutschenkinder") entstanden aus solchen Verbindungen, was von deutscher Seite ausdrücklich gewünscht und gefördert wurde, galten die Norweger doch als "reine arische Rasse" .

Von Seiten ihrer Landsleute wurden den Frauen überwiegend Hass und Verachtung entgegengebracht: von den eigenen Familien verstoßen, als Tyskertøs ("Deutschenflittchen") beschimpft. Vielen jungen Müttern blieb als einziger Ausweg das sogenannte "Lebensborn"-Projekt der Nazis. In dessen Heimen konnten schwangere Frauen nicht nur bis zur Geburt, sondern noch mehrere Monate darüber hinaus unentgeltlich leben. Einige der Kinder wurden letztendlich an parteitreue deutsche Familien zur Adoption abgegeben.

Nach dem Krieg wurden zwischen 3.000 und 5.000 der "Verräterinnen" in Norwegen in Lager eingesperrt. Letztendlich wurden viele aus Norwegen ausgewiesen.

Vor diesem Hintergrund entfaltet sich nun die Geschichte von "Das Haus der verlorenen Kinder".

Als Tochter einer Tyskebarn war ich natürlich sehr neugierig auf das Buch! Inwieweit würden die Erlebnisse von Lisbeth und Oda die Erlebnisse meiner Großmutter wiederspiegeln? Ich muss sagen, ich habe tatsächlich viele davon hier wiedergefunden - und war beeindruckt davon, wie überzeugend und authentisch alles geschildert wird, die Autorin scheint gründlich recherchiert zu haben.

Aber ich denke, auch für LeserInnen ohne persönlichen Bezug ist es ein mehr als lohnendes Buch! Nicht nur ist es ein sehr bewegendes Kapitel der Geschichte, sondern Linda Winterberg erzählt auf dieser Grundlage eine spannende, rührende, manchmal traurige, manchmal schöne Geschichte, die sich über zwei Länder und drei Generationen erstreckt. Trotz allem ist es eine Geschichte, in der es immer auch um Liebe geht - die Liebe zwischen Freundinnen, die Liebe zwischen Mutter und Kind, natürlich die Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch die selbstlose Nächstenliebe. Kitschig wird es dabei in meinen Augen nie.

Manches kann man sich schon früh denken, manches erschien mir dann doch ein bisschen zu viel des Zufalls... Aber im Großen und Ganzen fand ich diese Verbindung von Historie, Liebesgeschichte und Familiengeheimnis gelungen umgesetzt.

In dem Teil der Geschichte, der in den 40er Jahren spielt, stehen die junge Norwegerin Lisbeth und ihre beste Freundin Oda im Mittelpunkt. Wir sehen die Geschehnisse aus Lisbeths Augen, und sie war mir direkt sehr sympathisch - sie ist liebenswert, mitfühlend, großzügig und aufgeschlossen, wenn auch ein bisschen naiv. Die aufbrausende, gelegentlich egoistische Oda ist in vielem ihr Gegenteil, aber auch sie habe ich schnell lieb gewonnen. Die Autorin bringt wunderbar rüber, mit welchen Gewissensbissen und Ängsten die beiden Frauen zu kämpfen haben. An keiner Stelle hatte ich den Eindruck, dass die beiden es auch nur im Geringsten verdient hatten, als Verräterinnen abgestempelt zu werden.

Der andere Teil der Geschichte spielt im Jahr 2005, und in diesem lernen wir Marie kennen, die gerade in einem Altenheim ihr Soziales Jahr absolviert und auf der Suche nach ihren Wurzeln ist - sie ist Vollwaise und ist den Spuren ihrer verstorbenen Mutter bis zu diesem Altenheim gefolgt, das in der Vergangenheit wohl einmal ein ganz anderes Heim war... Dort lernt sie Betty kennen, eine alte, aber immer noch lebenslustige Frau, die ebenfalls eine persönliche Suche an diesen Ort geführt hat. Auch diese beiden Frauen haben mir sehr gut gefallen, sie werden sehr lebendig beschrieben, mit all ihren Stärken, Schwächen und kleinen Marotten.

Der Schreibstil ist meines Erachtens eher einfach, mit oft kurzen Sätzen, aber dennoch flüssig, emotional und voller Atmosphäre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.05.2016
Du lebst, solange ich es will
Henry, April

Du lebst, solange ich es will


weniger gut

Die junge Kayla wird bei der Auslieferung einer Pizzabestellung entführt, das aber sozusagen aus Versehen - eigentlich wollte sich der Täter ihre Arbeitskollegin Gaby schnappen, aber mit der hat Kayla die Stunden getauscht. Widerwillig gibt sich der Entführer erstmal mit dem "Ersatz" zufrieden, aber er stellt schnell fest, dass ihn das überhaupt nicht zufrieden stellt...

Kaylas Eltern sind am Boden zerstört, ihre Schulfreunde und Arbeitskollegen trauern, als sei sie schon tot. Aber zwei Menschen wollen das nicht einfach so hinnehmen: Drew, Kaylas Kollege, der die fatale Bestellung des Täters aufnahm, und Gaby, die weiß, dass es eigentlich sie hätte treffen sollen.

Dazu kommt noch ein bisschen Sozialkritik, denn Gaby stammt als Tochter eines Ärzteehepaares aus reichem Hause, während Drews Mutter im Drogenrausch wertlosen Plunder klaut, der sich dann in ihrer heruntergekommenen Wohnung stapelt. Durch eine angebliche Hellseherin und Gabys unerklärliche Gewissheit, dass Kayla noch lebt, kommt noch eine Prise Übernatürliches dazu.

Was nach einer soliden Grundlage für einen spannenden Jugendthriller klingt, konnte mich letztendlich leider nicht überzeugen. Die Geschichte ist einfach und gradlinig, ohne große Überraschungen oder unerwartete Wendungen. Schlimmer noch, ich hatte das Gefühl, das alles schon unzählige Male gelesen zu haben - nur deutlich besser umgesetzt.

Spannung wollte sich für mich nur selten aufbauen; mir fehlten die unmittelbare Gefahr und die Dringlichkeit. Ja, der Täter denkt gelegentlich darüber nach, wie er Kayla am besten entsorgen kann und lässt sie ein paar Tage hungern, aber ansonsten lässt er sie mehr oder weniger in Ruhe. Er verlangt von ihr, ihn "Meister" zu nennen, aber da sie sich brav daran hält, ist das Thema damit auch schon vom Tisch. Ganz ehrlich, ich brauche bei Thrillern wirklich weder bluttriefende Gewalt noch voyeuristische Beschreibungen von Demütigung oder Vergewaltigung, aber hier gibt es in meinen Augen über große Strecken des Buches fast gar keine direkte Konfrontation zwischen Täter und Opfer.

Mir war bis zum Schluss nicht klar, warum er eigentlich Mädchen entführt. Was ist sein Motiv dabei? Ich hatte fast den Eindruck, dass er selber nicht so recht wusste, was er denn nun mit Kayla anfangen soll. Bedrohlich wirkte er auf mich nicht; er blieb für mich blass, farblos, nichtssagend.

Die anderen Charaktere haben mich ebenfalls nicht sonderlich berührt - ich fand einfach keinen Zugang zu ihnen. Auch hier fehlte mir das gewisse Etwas: dieses magische Gefühl, beim Lesen manchmal zu vergessen, dass die Protagonisten nicht "echt" sind. Dabei haben sie durchaus Potential! Gaby hat zwar ein sorgenfreies Leben, dafür aber Eltern, die versuchen, sie quasi zu einem Klon ihrer selbst zu machen. Drew hatte noch nie ein liebendes Elternhaus und ist daher sehr misstrauisch gegenüber anderen Menschen. Wie sich die beiden durch die gemeinsame Sorge um Kayla etwas besser kennen lernen, ist für mich zwar der interessanteste Teil des Buches, aber auch da blieb die Geschichte meiner Meinung nach an der Oberfläche.

Kayla... Tja, was ist mit Kayla? Wenn ich jetzt zurückdenke an das Buch, fällt mir nur ein, dass über sie öfters gesagt wurde, sie sei immer gut gelaunt und fröhlich. Deswegen hat mich die Frage, ob der Täter Kayla denn nun umbringen wird oder nicht, kaum berührt.

Was mich mehr als einmal gewundert hat: die Polizei zieht schnell auf Grundlage einer sehr, sehr dürftigen Beweislage Schlüsse. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das im echten Leben niemals so ablaufen würde!

Der Schreibstil ist angenehm und flüssig zu lesen, plätschert aber ohne große Höhen und Tiefen vor sich hin. Interessant fand ich, dass der Text immer mal wieder unterbrochen wird von Bestellzetteln, Berichten der Polizei oder Zeitungsartikeln.

Bewertung vom 16.05.2016
Die Protestantin
Mayer, Gina

Die Protestantin


ausgezeichnet

Die Geschichte umspannt einen Zeitraum von über 50 Jahren, von 1822 bis 1876. Dabei richtet die Autorin ihr Augenmerk auf starke Frauen, die diese Zeit aus scheinbar grundverschiedenen Blickwinkeln wahrnehmen, deren Schicksale aber dennoch untrennbar miteinander verwoben sind.

Johanne, Catherina, Magdalena, Esther, Nelli, Florine... Schwestern, (Zieh-)Mütter, Töchter, Freundinnen. Ob sie ihr Heil nun im Glauben suchen, im Wohlstand oder in der Revolution, ihnen allen ist gemein, dass sie mehr wollen vom Leben, als die Gesellschaft oder ihr Geburtsrecht ihnen zugestehen wollen.

Durch ihre Augen erlebt der Leser eine Zeit, in der eine enorme Kluft Arm von Reich trennt: während die Oberschicht in behaglichem Komfort lebt, wird die Unterschicht von Armut, Krankheit, hoher Kindersterblichkeit, Arbeitslosigkeit und politischer Machtlosigkeit geplagt und kleingehalten. Frauen haben in allen gesellschaftlichen Schichten nur wenige Rechte - von einer Gräfin wird genauso wie von einer Bäuerin erwartet, dass sie ihrem Mann untertan ist und Kinder zur Welt bringt.

Die soziale Ungerechtigkeit wird mehr und mehr zum Pulverfass. Die Frauen nehmen verschiedene Rollen im Drama der Revolution ein (ob sie nun dafür oder dagegen sind), obwohl noch nicht einmal die Revolutionäre die vermeintlich schwachen Weibsbilder ernst nehmen... Und das liest sich lebendig und spannend, kein bisschen wie eine trockene Geschichtsstunde! Ja, man kann durchaus viel lernen über diese Zeit, aber ich war mir dessen beim Lesen kaum bewusst, denn ich war einfach gefesselt von den unterhaltsamen Geschehnissen.

Sehr interessant fand ich auch, wie das Thema Glaube immer wieder im Mittelpunkt steht. Manchen Charakteren ist der Glaube eine Stütze, sogar ein Lebensziel, andere sagen sich im Laufe der Geschichte davon los. Aber immer ist deutlich, was für eine zentrale Rolle Kirche und Glaube in der damaligen Zeit im Leben der Menschheit einnahmen. Faszinierend ist meines Erachtens vor allen die Figur des Theodor Fliedner, den es tatsächlich gegeben hat - und den ich manchmal für seine visionären Ansichten bewundert habe, manchmal aber auch unerträglich selbstgefällig, kalt und unerbittlich fand.

So unterschiedlich die Frauen auch sind, ich habe über alle gerne gelesen. Sie sind beileibe nicht perfekt (das wäre ja auch langweilig), aber ich konnte ihr Gefühlsleben, ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen immer nachvollziehen. Ihr Verhalten war für mich stets absolut schlüssig. Auch wenn eine Protagonistin in meinen Augen einen Fehler beging, konnte ich trotzdem verstehen, was sie dazu motivierte.

Viele der Frauen lieben Männer, die auf ihre jeweilige Art Besessene, Getriebene sind, und müssen daher feststellen, dass sie immer hinter dem großen Ziel zurückstecken müssen - wenn sie das denn zulassen und sich keine aktivere Rolle erkämpfen. Daher sind die Liebesgeschichten in diesem Buch oft fast schon tragisch, aber auf jeden Fall selten kitschig.

Die Art und Weise, wie Gina Mayer ihre Geschichte erzählt, fand ich rundum gelungen - einfallsreich, stimmig und unterhaltsam, mit einem sehr angenehmen Schreibstil, dem es gelingt, einerseits den modernen Leser abzuholen, sich andererseits aber nicht zu weit von Stimmung und Klang der Zeit zu entfernen.

Fazit:
"Die Protestantin" ist in meinen Augen ein historischer Roman, den man auch dann getrost lesen kann, wenn man sich in Geschichte nicht ganz so gut auskennt und/oder Berührungsängste vor diesem Genre hat. Zwar erzählt Gina Mayer eine Geschichte, die im 19. Jahrhundert spielt und in der es unter anderem um die Lebensumstände der Zeit, die Rolle der Frau und die Revolution geht, aber sie tut das packend und kurzweilig, so dass sich das Buch flüssig und mühelos lesen lässt.

Bewertung vom 09.05.2016
Schwarzer Mond über Soho / Peter Grant Bd.2
Aaronovitch, Ben

Schwarzer Mond über Soho / Peter Grant Bd.2


ausgezeichnet

Ich liebe, liebe, LIEBE dieses Buch! Kann ich die Rezension einfach hier beenden? Nein? Ok, dann mache ich es mir halt doch nicht ganz so einfach:

Die Peter-Grant-Bücher sind eine unglaublich originelle Mischung: ein bisschen Krimi, ein bisschen Magie, ganz viel Humor - und das so gekonnt miteinander verbunden, dass sich diese Zutaten gegenseitig nur umso vorteilhafter zur Geltung bringen. Ich habe oft laut gelacht und dennoch gespannt an den Fingernägeln geknabbert!

Der Humor ist großartig, denn er ist zwar zum Schreien komisch, aber trotzdem intelligent geschrieben, mit ganz viel Charakter. Für mich braucht sich Ben Aaronovitch definitiv nicht hinter dem Großmeister der humorvollen Fantasy, Terry Pratchett, zu verstecken.

Schon nach nur zwei Bänden hat sich Peter Grant in die Riege meiner Lieblingscharaktere eingereiht. Abgesehen davon, dass mir sein Humor gefällt, weiß ich auch seine Intelligenz, seinen Einfallsreichtum und seine Integrität zu schätzen. Er versucht, Magie nach wissenschaftlichen Standpunkten zu betrachten, indem er experimentiert und neue Dinge ausprobiert, und auch wenn das seinen Meister ein bisschen zur Verzweiflung treibt, fand ich Peters Fortschritte damit beachtlich - obwohl die Dinge nicht immer ganz so funktionieren, wie geplant.

Auch die anderen Charaktere haben mich wieder voll überzeugt. Magisch oder nicht magisch, sie sind alle sehr lebensecht und glaubhaft geschrieben!

Die Handlung ist unheimlich clever, denn sie baut aus magischen Elementen echte Krimispannung auf, mit unerwarteten Wendungen, zwiespältigen Charakteren und einer vielschichtigen Auflösung.

Der Schreibstil ist schlicht und ergreifend wunderbar; nach wenigen Sätzen war ich schon wieder mittendrin in der Geschichte.

Fazit:
"Schwarzer Mond über Soho" macht einfach Spaß, Punkt. Es ist spannend, es ist lustig, es hat charmante Charaktere, einen fabelhaften Schreibstil, eine fantastische Atmosphäre - und jetzt gehen mir langsam die positiven Adjektive aus, dabei hätte die Geschichte noch viel mehr davon verdient...

Da es der zweite Band der Peter-Grant-Reihe ist, würde ich empfehlen, erst "Die Flüsse von London" zu lesen. Das aber unbedingt.

Bewertung vom 08.05.2016
Das Eisrosenkind / Christine Bernard Bd.2
Vieten, Michael E.

Das Eisrosenkind / Christine Bernard Bd.2


sehr gut

Dies war mein erstes Buch von Michael E. Vieten, daher war ich gespannt darauf, was mich erwarten würde. Im Großen und Ganzen war ich positiv überrascht - mit kleineren Abstrichen. Die Geschichte zog mich schnell in ihren Bann und hielt mich dann mit interessanten Wendungen und spannenden Einfällen bis zum Schluss mühelos gefangen. Dennoch gab es ein paar Dinge, die mich gestört haben.

Die Protagonistin, Christine Bernard, war mir direkt sympathisch. Sie ist ehrgeizig, dabei aber auch mitfühlend. Ihr Beruf hat sie noch nicht abgestumpft, und so vergießt sie die ein oder andere Träne, kann und will keine professionelle Distanz wahren und macht sich dadurch angreifbar.

Ich finde es gut, wenn ein Charakter nicht perfekt ist, aber manchmal reizt Christine das richtig aus! Sie verrennt sich total, schießt sich gegen alle Vernunft auf einen bestimmten Tatverdächtigen ein und ist danach völlig blind und taub für jeden anderen Ansatz. Im ganzen Buch zieht sie immer wieder voreilig Schlüsse und verfällt danach in sturköpfiges Scheuklappendenken. Da habe ich oft ungläubig den Kopf geschüttelt!

Ich hatte schnell das Gefühl, die verschiedenen Protagonisten zu kennen. Sie werden detailliert beschrieben, mit ihren Schrullen und Marotten, und erschienen mir vielschichtig und (meist) glaubwürdig.

Den Schreibstil fand ich sehr angenehm und abwechlungsreich, immer passend zu Stimmung und Atmosphäre der jeweiligen Szene: manche Szenen sind eher nüchtern geschrieben, mit kurzen, emotionslosen Sätzen, in anderen finden sich fast schon poetische Formulierungen.

Gelegentlich fand ich die Dialoge jedoch etwas zu förmlich, und was mich immer wieder stutzen ließ: die verschiedenen Charaktere werden auffallend oft mit vollem Namen oder Berufsbezeichnung benannt. Da ist Christine selten einfach nur Christine, meistens ist sie entweder Christine Bernard oder Kommissarin Bernard, auch wenn sie gerade erst einen oder zwei Sätze davor erwähnt wurde. Für mich hat das den Lesefluss gelegentlich empfindlich gestört. Eigentlich kennt man als Leser die wichtigsten Charaktere doch so weit, dass man nicht immer wieder daran erinnert werden muss, wer sie sind, gerade wenn sie, wie hier, lebendig und gut beschrieben wurden.

Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Ermittlungen eher chaotisch und planlos verlaufen. Die Kommissare stolpern durch einige Szenen wie kopflose Hühner und kommen zum Beispiel gar nicht auf den Gedanken, mal die Großeltern des Kindes zu verhören - bis sie denen zufällig begegnen. Überhaupt finden sie Vieles nur durch Zufall heraus, lassen sich erstaunlich einfach von Tatverdächtigen überrumpeln und begehen wirklich dämliche Fehler - da vergisst ein Einsatzkommando schon mal die Nachtsichtgeräte zuhause, und ein Kommissar lässt sein Auto unverschlossen am Straßenrand stehen...

Nicht alles machte in meinen Augen 100%igen Sinn. Zum Beispiel wird eine Person stundenlang bei gravierenden Minusgraden eingesperrt, liegt davon einen Großteil bewusstlos auf dem eisigen Boden, hat dann aber weder Erfrierungen noch andere schwerwiegende Schäden. Und obwohl vermutet wird, dass die Person vorher vom Täter betäubt wurde, veranlasst niemand, dass das Betäubungsmittel im Krankenhaus mal abgeklärt wird!

Das klingt jetzt alles ein bisschen negativ, aber tatsächlich fand ich das Buch sehr unterhaltsam und spannend. Ich wollte unbedingt herausfinden, wer denn nun der Mörder ist, und trotz der Dinge, die mich gestört haben, hat es mir viel Spaß gemacht, "Das Eisrosenkind" zu lesen.

Mit der Auflösung war ich allerdings nur so halbwegs zufrieden, denn ein paar Zufälle erschienen mir dann doch zu weit hergeholt... Außerdem wird die Geschichte für mein Empfinden künstlich herausgezögert: eigentlich ist der Täter schon so gut wie gefasst, aber dann beginnt für die Polizisten eine Reihe von Pleiten, Pech und Pannen - zum Beispiel wird Christine von einem Reh umgerannt (!!) und verliert dabei ihre Waffe.