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MaWiOr
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Halle

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Insgesamt 3573 Bewertungen
Bewertung vom 07.08.2023
Fischland, Darß und Zingst literarisch
Soden, Kristine von

Fischland, Darß und Zingst literarisch


ausgezeichnet

Die Halbinsel Fischland, Darß und Zingst entwickelte sich bereits im 19. Jahrhundert zu einem Treffpunkt von Künstlern – vor allem von MalerInnen, aber auch von SchriftstellerInnen. Zog die einen die reich beschenkte Natur der Ostseeküste an, bot sie den anderen reichhaltig Inspiration zum Schreiben. Ob schroffe Steilküsten, feine Sandstrände oder windzerzauste Bäume – sie finden sich in vielen Texten, Reiseskizzen, Erinnerungen, Gedichten oder historischen Betrachtungen.

Die Autorin und Dozentin Kristine von Soden hat zahlreiche literarische „Bekundungen“ zur Ostsee-Halbinsel zusammengetragen – angefangen von dem Lehrer Christian Johann Friedrich Peters (1822-1889), der eine erste historisch zusammenhängende Darstellung des Fischlandes verfasste, bis zu GegenwartsautorInnen wie Simone Trieder oder Albert Schaefer-Ast. Neben bekannten Namen wie Bertolt Brecht, Marie Luise Kaschnitz, Uwe Johnson oder Ingo Schulze sind auch weniger bekannte Namen vertreten. Selbst bildende Künstler wie Max Schwimmer oder Gerhard Marcks äußerten sich literarisch zu der Halbinsel, die heute ein Touristenmagnet ist. Auch die Herausgeberin hat zwei Texte dazu beigetragen – u.a. über die elegante, faszinierende Schönheit der Kraniche, die hier im Frühjahr und im Herbst zu Abertausenden Station machen. Auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bekennt in seinem Erinnerungstext „Hier bin ich zu Hause“ seine Liebe zur Ostsee.

Betrachtungen der einzigartigen Natur wechseln sich mit Impressionen ab. Zarte Aquarelle von Georg Hülsse (1914-1996), dessen Wirkungsstätte das Ostseebad Ahrenshoop war, bereichern die Neuerscheinung.

Fazit: Eine interessante und äußerst lesenswerte Zusammenstellung, die zum Schwärmen anregt. Übrigens gibt es ähnliche Ausgaben zu „Sylt“ und „Hamburg“.

Bewertung vom 07.08.2023
Hamburg literarisch
Irro, Werner

Hamburg literarisch


ausgezeichnet

Die Neuerscheinung „Hamburg literarisch“ zeigt eindrucksvoll, dass die Hansestadt immer ein Anziehungspunkt für SchriftstellerInnen und JournalistInnen war. Die vorliegende Sammlung von literarischen Hamburg-Texten gewährt nicht nur einen Blick in die wechselvolle Geschichte sondern auch hinter die Fassaden der Stadt an der Elbe. Die Stadt prägte die Menschen, die in ihr lebten. Und umgekehrt.

Der Eimsbütteler Literaturwissenschaftler und Autor Werner Irro hat sich durch viele, viele Hamburg-Veröffentlichungen gelesen und hier einige aussagekräftige Texte zusammengetragen. Die 24 literarischen Kapitel erzählen Geschichten über Hamburg, subjektiv, stimmungsreich und sehr unterschiedlich. Was war los in Hamburg vor zweihundert Jahren oder in dem bewegten 20. Jahrhundert? Der interessierte Leser findet hier Texte z.B. von Heinrich Sieveking, Heinrich Heine, Ilse Frapan, Hans Erich Nossack, Siegfried Lenz oder Uwe Timm. Aber auch unbekanntere Namen kommen zu Wort.

Der Herausgeber hat die chronologisch geordneten Beiträge nach zwei Gesichtspunkten ausgewählt. Sie sollen den Alltag und die Lebensumstände der Hamburger zeigen und zugleich über einen Zeitraum von über zweihundert Jahren erzählen, von 1790 bis heute. Jeder der Texte, der mit einer kurzen Einführung versehen ist, zeichnet ein ganz eigenes Bild von Hamburg und fühlt auf unterschiedliche Weise den Puls der Stadt.

Fazit: Eine interessante und spannende Zusammenstellung, die viel über Hamburg verrät. Übrigens gibt es ähnliche Ausgaben zu „Sylt“ und „Fischland, Darß und Zingst“.

Bewertung vom 06.08.2023
Die Entflogenen
Kern, Etienne

Die Entflogenen


ausgezeichnet

Der französische Schriftsteller und Essayist Étienne Kern erzählt in seinem ersten Roman „Die Entflogenen“, der gleich mit dem Prix Goncourt du premier roman ausgezeichnet wurde, die Geschichte von Franz Reichelt, einem österreichischen Schneider aus Böhmen, der nach Paris kam und eines Tages im Jahr 1912 starb, als er mit dem von ihm erfundenen Fallschirmanzug vom Eiffelturm sprang.

Kern schildert einfühlsam Reichelts Lebensweg von der Kindheit in Böhmen, von seinem Traum vom Fliegen und den Anfängen in der Pariser Couture in der Rue Gaillon und seinen ersten Flugversuchen. Nur allmählich wird er in Frankreich aufgenommen. Unerschütterlich glaubt er jedoch an seinen Erfolg und hält seine kühnsten Träume als Realität. Vielleicht würde die französische Armee seine Fallschirme bestellen. So würde er seinen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft leisten. Doch dann das Unglück am Morgen des 4. Februar 1912 vor versammelten Polizisten, Journalisten, Neugierigen und laufender Filmkamera.

Die spannende Reichelt-Geschichte bietet dem Autor die Gelegenheit, kurze Passagen der Reflexion oder des Dialogs in die Erzählung einzubauen. Darüber hinaus setzt er sich mit Fragen auseinander, die ihn seit dem Tod zweier geliebter Menschen durch einen Fenstersturz beschäftigen.

Bei der Lektüre erfasst die LeserInnen eine gewisse Traurigkeit, besonders durch die persönlichen Reflexionen des Autors. Eine ergreifende Geschichte, in der Kern eine wahre Begebenheit von den Anfängen der Luftfahrt mit seiner persönlichen Geschichte vermischt. Eine weitere Stärke des Kurzromans besteht in der Schilderung des Lebens der Pariser Einwanderer auf der Suche nach Anerkennung und Aufstieg.

Der Schreibstil des sowohl biografischen wie auch historischen Teils des Romans ist feinfühlig und durchaus poetisch. Die 170 Seiten überraschen immer wieder mit Präzision, Sensibilität und Tiefe. Fazit: Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.