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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 09.07.2021
Bauern, Land
Ruge, Uta

Bauern, Land


ausgezeichnet

umfassendes Sachbuch über das Bauernleben

1783 wird begonnen ein Moor im Land Hadeln, heute im Kreis Cuxhaven, in Ackerfläche umzuwandeln, eigentlich weil der Landbesitzer und Kurfürst in Hannover so mehr Steuern generieren will. Aber damals reicht dieses karge Land gerade für die Selbstversorgung. Die Bewohner werden für 14 Jahre von Abgaben befreit.
Die dort aufgewachsene Uta Ruge berichtet nicht nur von ihrem Heimatdorf, sie erzählt im Grunde die ganze Geschichte der Bauern, angefangen in römischen Reich über die Entstehung des Adel, der die Bauern anfangs gegen Feinde, also vor allem gegenüber landraubende Nachbarn schützte. Aber die Zeit nach 1783 wird ausführlicher behandelt, selbst die Landwirtschaft der USA - wo auf den großen die Mechanisierung begann, aber auch mit dem „Dust Bowl“ in den 30er Jahren des 20. Jhs die erste Umweltkatastrophe geschah – und in der Sowjetunion, wo der gewaltsame Übergang von der Agrarwirtschaft unter dem Zaren mit Leibeigenschaft zu den Kolchose der Kommunisten nie so hohe Erträge brachte, wie sie ein selbständiger Bauer erreicht hätte.

Doch bleiben wir in Dorf der Autorin, in Neubachenbruch. Mit Napoleon kommt das bürgerliche Recht auch ins Land Hadeln. Jetzt müssen auch sie Soldaten abstellen, weil sie ihre Sonderrechte wegen des Deichschutzes an der Elbe verloren haben.
So kommt auch Uta Ruge als Kind von Bauern aus Rügen in dieses Dorf, weil ihre Eltern vor der Kollektivierung in Rügen geflohen sind. Der Vater wollte einen Hof nahe der Küste und fand ihn hier, weil der Hoferbe der Vorgänger im Krieg geblieben ist, war hier ein Hof frei, den die Eltern dank staatlicher Kredite erwerben konnten.

Und damit sind wir beim ersten Erzählstrang des Buches. Ruges Bruder Waldemar hat den elterlichen Hof übernommen und damit auch die Probleme der heutigen Landwirtschaft. Neben den niedrigen Milchpreisen, die nur ein Wachsen oder Weichen erlauben, leidet der Bauer heute unter bürokratischer Auflagen und vor allem seinem Image als Umweltverschmutzer, dabei werden die Vorschriften für konventionelle Landwirte immer strenger.

Bei ihren Besuchen vergleicht die Autorin das Leben heute mit dem Leben damals in ihrer Kindheit, als sie noch zu Fuß zur Dorfschule laufen musste und die Felder ständig von Hochwasser überflutet waren. Weidehaltung gibt es heute fast nicht mehr und wenn, dann müssen die Tiere vor dem zurückgekehrten Wolf geschützt werden. Als ich schon glaubte, der Klimawandel käme nicht vor, berichtet sie sogar über den Dürresommer 2018.

Außer dass mir manche Familiengeschichte zu lang war – ich kann mir doch nicht alle Dorfbewohner merken – hat mir nichts gefehlt, ganz im Gegenteil, ich glaube, dass dieses Buch zu einem Touristenansturm in Neubachenbruch führen wird. 5 Sterne

Bewertung vom 03.07.2021
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


ausgezeichnet

gelungenes Debüt

Dieses Buch stellt überaus wichtige Fragen. So verbindet die Autorin die Me Too-Debatte mit der Guttenbergaffäre. Dabei erscheint alles noch im milden Licht, die Autorin schläft freiwillig mit ihrem Doktorvater. Aber woher wissen wir, dass man sich einen Doktortitel nicht erschlafen kann?

Bis heute ist in Deutschland nicht diskutiert worden, wieso Guttenberg für sein Kopierwerk auch noch die Bestnote bekommen hat. Gegen Ende meiner Studentenzeit las ich von einer Doktorarbeit, die sich aus mir nicht mehr erinnerbaren Gründen verzögert hatte. Der Doktorvater veröffentlichte inzwischen Teile der ihm bekannten Arbeit und nun hätte bei der Abgabe seiner Arbeit der oder die Studierende – obwohl es seine Ideen sind - seinen Professor zu zitieren, wenn er seine Arbeit abgibt.
Mir ist nicht bekannt, wie das auch im Buch angedeutete Problem gelöst wurde. Es ist Irrsinn, wenn wissenschaftliche Qualität an der Zahl der Veröffentlichungen gemessen wird.

Das zweite große Thema ist die Restitution von Kunstwerken. Nach der Lektüre wird klar, dass die Suche und ggf. Rückgabe möglicher Bilder äußerst schwierig ist.

Mir gefällt an diesem Buch, dass es nicht nur aus der Perspektive von der Doktorandin Hannah und ihrer Großmutter Evelyn erzählt. Nahezu jede im Buch vorkommende Figur erhält mindestens ein Kapitel aus ihrer Sicht. Klar, die Sicht der Hauptfiguren kommt häufiger vor. Da so für den Leser kaum noch Fragen offen bleiben, wundert es mich aber schon, warum wir nicht erfahren, wie Evelyn von Esslingen nach Berlin zurückkehrte.

Bestnote trotz dieser Frage und trotz der Trauer um den schönen Vermeer.

Bewertung vom 28.06.2021
Annette, ein Heldinnenepos
Weber, Anne

Annette, ein Heldinnenepos


ausgezeichnet

verdienter Buchpreis

Über das Leben der in der Bretagne geborenen Widerstandskämpferin in der Resistance gegen die Nazis und dann für die algerische Unabhängigkeit sowie über den Stil als Versepos ist schon genug gesagt worden.

Ich möchte deswegen darauf hinweisen, dass mir der Stil ohne Verse an Annie Ernaux erinnerte, die ihr Leben in ähnlicher Weise beschreibt. Weiter erinnert mich das Buch an „Die fabelhafte Welt der Amelie.“

Trotz des traurigen Themas behält das Buch seinen Witz, wenn von ihrer Großmutter etwa die Rede ist, dass sie „reich ist nicht an Gütern und gebildet nicht durch Lektüren.“ (8) Auch gefällt mir, dass die Autorin uns erklärt, dass mit PC weder ein Computer noch korrekte Ausdrucksweise, sondern ihre Partei gemeint ist (27). Kurz vor Kriegsende sei sie „von den Marxisten zu den Leichtsinnixten“ übergewechselt (66). Und schließlich meint sie, dass in der algerischen Unabhängigkeitsbewegung von Anfang an der Wurm drin war und fragt: „Gibt es denn Revolutionen, Staatsgründungen, Neuanfänge ohne Wurm? Wohl kaum.“ (170)

Zum Buchpreis möchte ich anmerken, dass wir im Gegensatz zu 2016 und 2018 eine würdige Preisträgerin haben. Erstmals habe ich auch die gesamte Shortlist gelesen. Bis auf die „Zuckerfabrik“ handelt sich um gute und sehr gute Bücher. Aus ihnen einen einen Preisträger zu ermitteln, erscheint mir schon fast unfair. Aber so ist das Publikum. Es will Sieger sehen. 5 Sterne

Bewertung vom 25.06.2021
Bad Regina
Schalko, David

Bad Regina


gut

verstaubter K&K-Glanz

Dies war mein erstes Freibadbuch 2021. Ich wählte es, weil ich die Geschichte von Bad Gastein so interessant fand. Verfallende Orte mit dem Glanz vergangener Tage finde ich spannend.

Leider beschreibt der Roman weniger die Entwicklung des Ortes, sondern mehr die noch übrig gebliebenen 48 Bewohner von Bad Regina, wie Gastein im Roman heißt.
Und leider ist meine Aufmerksamkeit im Freibad nicht so groß, dass ich die Charaktere aller 48 Personen behalten hätte. Mit anderen Worten: Ich habe irgendwann den Überblick verloren.

Drei Personen sind mir dennoch in Erinnerung geblieben: Othmar, die Hauptperson, Alkoholiker, Mastubierer und stets gelangweilt, der Chinese Chen, der den ganzen Ort aufkauft und dann nachher von den Dorfbewohner, aber das will ich nicht verraten. Außerdem gibt es in jeder Gruppe immer nur einen Mörder. Und dann war da noch der als Mörder verurteilte Pfarrer, der sich für den Ort opferte.

Mir fällt die Bewertung schwer. Vielleicht tue ich dem Buch unrecht, da ich nicht voll konzentriert war und lasse ihm 3 Sterne. Vielleicht aber wird die nächste Leserin sagen, dass dies zu viel ist. Ich habe in diesem zu Ende gehenden Monat noch kein gutes Buch gelesen, von daher wird auch meine Bewertung großzügiger.

Bewertung vom 23.06.2021
Buch der Zahlen
Cohen, Joshua

Buch der Zahlen


schlecht

Lust verloren

Eigentlich schade, der Autor hat ein umfängliches Wissen in vielen Bereichen. Auf S.42 zeugt eine Deckenpaneele von seinem Schachwissen, das auch auf S.52 auftaucht. Cohen versucht auch neue Wege zu gehen, in denen er im zweiten Teil die Biografie des Computer-Spezialisten mit durchgestrichenen Sätzen füllt.

Selbst mit dem Wissen, dass selbst Experten nur die Hälfte des Buches verstanden haben und ich über Quellcodes einfach hinweglesen konnte, verlor ich aber mehr und mehr das Interesse. Ich habe schon die Arabien-Reise im ersten Teil nicht verstanden und der zweite Teil wurde nicht besser.

Immerhin 423 schnell gelesene Seiten habe ich geschafft, knapp mehr als die Hälfte, dann legte ich es weg und sehe dieses Buch als gescheitertes Experiment an. 1 Stern.

Bewertung vom 17.06.2021
Brüste und Eier
Kawakami, Mieko

Brüste und Eier


weniger gut

übergelobtes Frauenbuch

Dieses Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten will sich die Schwester der Ich-Erzählerin die Brüste vergrößern lassen. Sie hat eine Tochter, die nicht mit ihr spricht, aber Tagebuch führt und gerade in der Pubertät ist.

Während hier die Erzählperspektive wechselt, besteht der zweite Teil fast nur aus Dialogen mit der Ich-Erzählerin, die ein Kind will, aber Sex verabscheut. So geht es um Samenbanken, um bekannte und unbekannte Väter, um die Herabschätzung kinderlose Frauen und um Kinder, die per Samenspende gezeugt wurden und jetzt ihren Vater suchen. Das alles wird langatmig, weil erst eine Gesprächssituation entstehen muss, die diese Themen zulässt. Einzig der Hengst, der seinen Samen über allen Klee lobte, hat mir gefallen. Und das Ende ist so absehbar, dass ich es auch verraten könnte.

3 Sterne für den ersten Teil, 2 für den zweiten. Da der zweite Teil länger ist, setzt er sich durch.

Bewertung vom 14.06.2021
Feministin sagt man nicht
Herbst, Hanna

Feministin sagt man nicht


sehr gut

Gelungenes Büchlein zur MeToo-Debatte

Ich glaube, dass dieses Buch beim Bachmannpreis 2018 erwähnt wurde und deswegen auf meine Leseliste kam. Inzwischen hat sich die Aufregung verzogen, dass es immer noch Männer gibt, die ihre Machtposition gegenüber Frauen ausnutzen, kann kaum bezweifelt werden.

Ganz kurz zusammengefasst spricht sich die Autorin gegen Gewalt aus und auch gegen Komplimenten von Männer, deren Beziehung zur Frau nicht durch Liebe sondern beispielsweise im Beruf zustanden kommt. Frauen wollten aus Höflichkeit nicht immer direkt ablehnen.

Die Aufmachung des Büchleins, die großgedruckten Zitate, die klar getrennten Kapitel laden zum Lesen ein. Einen Stern muss ich aber abziehen, weil ich nichts Neues gelesen habe. 4 Sterne

Bewertung vom 09.06.2021
Das Teemännchen
Strunk, Heinz

Das Teemännchen


sehr gut

düstere Anekdoten

Was macht eigentlich Heinz Strunk? Der Autor, den ich von extra3 kenne, ist laut Wikipedia vor allem als Musiker unterwegs. Er litt früher selbst unter Depressionen und bezeichnet sich als Atheist. Lässt sich das in seinen Figuren erkennen, deren Geschichten immer noch schlechter enden als man ohnehin erwarten? Wer stirbt, wird gleich vergessen selbst er Lothar Späth heißt.
Bei Elke Heidenreich habe ich nach den Anekdoten manchmal schmunzeln können, doch was macht die Faszination seiner düsteren Geschichten aus?

Vielleicht ist es der Trost, dass auch andere Menschen gescheitert sind wie die frühere schöne Frau, die nach der Scheidung im Keller einer Imbissstube arbeitet, vielleicht dass man sich nicht vorstellen möchte dabei zu sein, wenn ein Heroinsüchtiger das Baby im Kinderwagen bespuckt oder wenn ein Jugendlicher beim Wichsen auf dem Fahrrad von einer schönen Frau umgefahren wird und die nicht mehr vom Schwanz bekommt.
Die Untaten werden meist mit dem Tod durch Vergessen bestraft. Will uns der Autor sagen, dass das Leben eine Summe aus vertanen Chancen ist?

Ich habe das Buch erstaunlich gerne und schnell gelesen, einen Stern muss ich aber abziehen, weil alles schlecht ausgeht und deswegen die Spannung fehlt. Zu guter Letzt sei noch auf die Geschichte mit Klaus und Klaus hingewiesen, wo ich mich frage, ob Strunk Insiderwissen hatte. 4 Sterne

Lieblingszitat: Wer morgens zerknittert aufsteht, hat am Tag die besten Entfaltungsmöglichkeiten. (88)