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Havers
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Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 10.08.2021
Harlem Shuffle
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


ausgezeichnet

Dreh- und Angelpunkt der Story ist der sympathische Protagonist Ray Carney, ein Gebrauchtwarenhändler, dessen Geschäfte in letzter Zeit eher schleppend laufen. Ein Umstand, der ihm Kopfzerbrechen bereitet, da die Upper Middle Class Familie seiner Frau Elizabeth ihn eh misstrauisch beäugt. Sein Ringen um Akzeptanz, natürlich verknüpft mit materiellem Wohlstand, führt dazu, dass er sich immer wieder auf krumme Geschäfte einlässt und als Mittelsmann für Hehlerware fungiert, die ihm sein Cousin vorbei bringt. Dass das nicht ungefährlich ist, zeigt sich spätestens, als dieser sich für einen großen Coup mit dem richtig bösen Buben der Harlemer Unterwelt einlässt. Natürlich geht die Sache schief, ist aber auch ein Weckruf für Ray, der sich endlich der Machtverhältnisse bewusst wird, sich fragen muss, wie es um seine persönliche Moral bestellt ist, in welchen Abhängigkeiten er sich verfangen hat und wie seine Zukunft aussehen soll…

Colson Whitehead, der zweifache Pulitzerpreisträger (2016 für „Underground Railroad“ und 2020 für „Die Nickelboys“), nimmt uns in seinem neuen Roman „Harlem Shuffle“ mit in das New York der frühen sechziger Jahre. Das Buch schlägt einen zeitlichen Bogen von 1959 bis zu den Harlem Riots von 1964 und ist so vieles: Zuerst natürlich eine Liebeserklärung an diesen Stadtteil in Upper Manhattan, aber auch eine Familiengeschichte und ein Kriminalroman. Und zuletzt natürlich auch ein Roman über Rassismus aus der Zeit, in der die Bürgerrechtsbewegung noch in den Kinderschuhen steckt. Detailreich und liebevoll zeichnet der Autor seine Figuren und deren Leben, wirft uns hinein in das Zentrum der afroamerikanischen Kultur, zeigt ein vielschichtiges und komplexes Bild einer Epoche im Umbruch, die zaghafte Veränderung verheißt. Nicht nur ein großartiger Roman sondern auch ein Zeitzeugnis. Lesen!

Bewertung vom 09.08.2021
Bad Castro
Brooks, Kevin

Bad Castro


weniger gut

Üblicherweise mag ich Gang-Triller, aber Kevin Brooks und ich passen nicht zusammen, was mit Sicherheit daran liegt, dass seine Bücher in erster Linie für jugendliche Leser gedacht sind. Die Sprache ist mir zu einfach, die Handlung zu simpel und durch die geringe Seitenzahl lediglich auf das Wesentliche reduziert. Und außerdem fehlt mir die Einordnung der Geschehnisse in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Aber das kann die Story ja auch nicht leisten, weil...siehe oben, die Seitenzahl.

Bad Boy und Good Girl - und ja, das sind noch Kinder - auf der Flucht, dazu ein bißchen Romeo und Julia, da sie verschiedenen "Lagern" angehören. Das mag ja eine gewisse Faszinaton auf Teenager ausüben und macht sich bestimmt gut in einer Verfilmung, ist aber nicht mit meinem Anspruch an Spannungsliteratur zu vereinbaren. Zumal auch in den Hintergrundinfos zu den Protagonisten viel zu wenig Fleisch an den Knochen ist, wobei da durchaus Potential vorhanden gewesen wäre.

Daumen runter, das war nix.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.08.2021
Der Erlkönig
Loubry, Jérôme

Der Erlkönig


weniger gut

Von den vielen positiven Rezensionen habe ich mich dazu verleiten lassen, zu diesem Buch zu greifen. Nun bin ich aber kein Fan von Mystery- und Psychothriller, empfinde kein wohliges Gruseln und bekomme keine Gänsehaut, wenn sich das Grauen auf leisen Pfoten anschleicht. Okay, bei Stephen King mache ich manchmal eine Ausnahme, aber dessen Stories haben in der Regel auch weitaus mehr Fleisch an den Knochen als diese hier.

So ist es kein Wunder, dass ich mich mit dem „Erlkönig“ schwergetan habe. 150 Seiten lang passiert nichts, werden lediglich Spuren ausgelegt, die dann mehr oder weniger gelungen in dieser extrem konstruiert wirkenden Geschichte verwurstet werden. Nun könnte man einwenden, dass es das Anliegen des Autors war, mit den Erwartungen der Leser:innen zu spielen, um dann am Ende das Kaninchen aus dem Hut zu zaubern. Ja klar, das tut er, aber bis es dazu kommt, muss man nicht nur eine lange sondern auch eine langweilige Durststrecke überwinden. Und vor dem Abbruch hat das Buch nur der Umstand gerettet, dass ich meine Vermutung bestätigt wissen wollte.

Auch wenn Loubry als die Krimihoffnung Frankreichs gilt und 2019 für dieses Buch mit dem Prix Cognac du meilleur roman francophone (einer der renommiertesten Krimipreise Frankreichs) ausgezeichnet wurde, konnte er mich nicht überzeugen. Zu offensichtlich waren die Hinweise, die er im Verlauf der Geschichte ausgelegt hat, zu banal die daraus gezogenen Schlussfolgerungen, zu vorhersehbar die Auflösung. Ich verstehe auch, dass man in der deutschen Übersetzung den Originaltitel „Les Refuges“ nicht beibehalten hat, denn dann wäre vielleicht noch mehr Leser:innen von Beginn an klar gewesen, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird.

Eine Frage zum Schluss. Warum ein toter Vogel auf dem Cover? Wirkt der gefiederte Freund etwa verkaufsfördernder als eine tote Katze?

Bewertung vom 04.08.2021
Dein ist die Lüge / Kate Burkholder Bd.12
Castillo, Linda

Dein ist die Lüge / Kate Burkholder Bd.12


sehr gut

Beim Lesen der letzten Bände der Reihe machte sich bei mir Ermüdung breit, was vor allem daran lag, dass die Handlung doch sehr vorhersehbar war und zum wiederholten Mal die immer gleichen Sitten und Gebräuche der Amisch thematisiert wurden.

„Dein ist die Lüge“ überrascht, denn hier verzichtet Linda Castillo auf einen Todesfall als Ausgangssituation und zeigt uns eine neue Facette von Kate Burkholder, die mit ihrer Vergangenheit in Gestalt einer alten Weggefährtin konfrontiert wird. Gina, ihre ehemalige Freundin und Mitbewohnerin aus der Zeit an der Polizeiakademie, liegt halb erfroren auf dem Grundstück der Lengachers. Adam bringt sie in Sicherheit und alarmiert Kate.

Gina erzählt von einem schief gelaufenen Einsatz mit tödlichem Ausgang, von Korruption auf höchster Ebene, ist auf der Flucht vor ihren Kollegen, die sie aus dem Weg schaffen wollen, fürchtet um ihr Leben. Kate hat ihre Zweifel, weiß sie doch aus ihrer gemeinsamen Zeit, dass diese es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, insbesondere dann, wenn es zu ihrem eigenen Vorteil ist. Ein Katz-und-Maus Spiel beginnt, das seine besondere Dramatik durch den Blizzard erhält, der das Verlassen der Farm unmöglich macht, während Ginas Verfolger immer näher kommen und auch Adam und seine Kinder in Gefahr bringen.

Es sind verschiedene Elemente, die hier Spannung generieren. Zum einen natürlich die Frage nach Ginas Glaubwürdigkeit, zum anderen der Gewissenskonflikt, in dem sich Adam befindet, weil er sich von ihr angezogen fühlt. Wird er die Regeln der Amisch verletzen? Bringt er sich und seine Familie in Gefahr? Und dann sind da noch die Erinnerungen, die nostalgische Solidarität, die Kates Urteilsvermögen trüben könnte. Aber glücklicherweise lässt Tomasetti seine Beziehungen spielen und liefert ihr damit wichtige Hinweise für die Beurteilung der Lage, bevor es zum finalen Showdown kommt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.08.2021
Die letzte Bibliothek der Welt
Sampson, Freya

Die letzte Bibliothek der Welt


sehr gut

June Jones lebt in einem kleinen Dorf in England und betreut dort seit vielen Jahren die Gemeindebücherei. Sie geht in ihrer Arbeit auf, kümmert sich hingebungsvoll um die Wünsche der Benutzer, kennt deren Eigenheiten, weiß, wem sie welches Buch empfehlen kann. Die Arbeit ist für sie mehr als der Job, den sie von ihrer verstorbenen Mutter übernommen hat, es ist ihr Leben, definiert sie, macht sie aus. Deshalb trifft es sie umso härter, als sie erfährt, dass es Pläne in der Kreisverwaltung gibt, „ihre“ Bibliothek zu schließen.

Die Bücherei ist nicht nur ihr Refugium, sie ist auch das Zentrum des öffentlichen Lebens der Gemeinde, ein Ort der Unterstützung, an dem der Einsame Zuwendung findet, die Schülerin ihre Hausaufgaben machen kann, weil sie zuhause nicht die nötige Ruhe hat, der Migrantin geholfen wird - jeder Einzelne als Stellvertreter für die Bevölkerungsgruppen, aus denen sich ein Gemeinwesen zusammensetzt. Sie ist der Mittelpunkt nicht nur von Junes Leben, sondern das Herz der Gemeinde, eine Institution, die es zu retten gilt. Das geht aber nur dann, wenn June ihr Schneckenhaus verlässt, sich der Realität stellt und gemeinsam mit ihren engagierten Benutzern für den Erhalt der Bibliothek kämpft.

„Die letzte Bibliothek der Welt“ wartet mit zahlreichen Querverweisen zu Büchern auf, die den meisten von uns bekannt sein dürften, aber vor allem ist es ein Roman über Trauerbewältigung, persönliches Wachstum, Freundschaft und Solidarität, voll mit liebenswerten und detailreich gezeichneten Charakteren. Natürlich lässt sich das eine oder andere Klischee bei Büchern diese Genres nicht vermeiden, z.B. die Love Story zwischen June und ihrem alten Schulfreund, diese sind aber nicht so penetrant in den Mittelpunkt gerückt, dass sie die eigentliche Handlung und das Anliegen der Autorin überlagern.

Ein lesenswerter Roman nicht nur für Buchaficionados. Aber vor allem sollte man dieses Buch jedem Etat-Verantwortlichen für öffentliche Bibliotheken in die Hand drücken, vor allem denjenigen, die den Nutzen einer Bücherei lediglich an Ausleihzahlen messen und meinen, permanent den Rotstift ansetzen zu müssen.

Bewertung vom 31.07.2021
Die Skrupellosen
Jones, Sadie

Die Skrupellosen


ausgezeichnet

Seit „Der Außenseiter“ bin ich ein Fan der britischen Autorin. Ich schätze ihre Wandlungsfähigkeit, die sie bislang in jedem ihrer vier Romane unter Beweis gestellt hat. Ganz gleich, ob sie die Kunstszene im London der siebziger Jahre oder die untergehende Welt des englischen Landadels beschreibt, ist sie immer ganz nah an ihren Protagonisten und hat ein ganz besonderes Gespür für die Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Die Autorin nimmt uns in „Die Skrupellosen“ mit in die Gegenwart der dysfunktionalen Familie Adamson, in er sich alles um Geld, Macht und Einfluss dreht, verkörpert durch den Familienpatriarchen Griff, ein Immobilienmogul, der sein Vermögen mit krummen Geschäften gemacht hat. Liv, die Frau an seiner Seite, verkörpert das typische Bild einer auf Hochglanz gewienerten Society Lady ohne Hirn und Herz, egozentrisch und narzisstisch, in deren Universum kein Platz für ihre (inzwischen erwachsene) Kinder ist und war. Klingelt da etwas? Richtig, die Ähnlichkeiten mit dem ehemaligen US-Präsidenten sind nicht zu übersehen und beeinflussten auch den Schreibprozess, wie die Autorin in einem Interview verlauten ließ. Alex, der Sohn flüchtet sich in Drogen, lebt als Besitzer eines heruntergekommen Provinzhotels in Frankreich, übereignet von seinem Vater. Einzig Beatrice hat einen anderen Weg gewählt. Sie arbeitet als Therapeutin und lebt mit ihrem Mann Dan in einer winzigen Wohnung in London. Das Geld ist immer knapp, aber dennoch ist sie zufrieden, bis bei dem Zusammentreffen der Familie in Alex‘ Hotel Zwietracht und Misstrauen gesät werden, alte Konflikte aufbrechen und das Unvorstellbare geschieht.

Diese Milieustudie entfaltet sich in klaren, nüchternen Worten, ganz so, wie wir es von der Autorin auch aus ihren anderen Werken kennen. Und genau das macht dieses Buch umso eindringlicher und erschütternder. Es ist ein Roman über Gier und Moral, Verletzungen, Isolation und Entfremdung, aber auch über die Liebe und die Sehnsucht nach Glück. Warum man den Originaltitel „The Snakes“ allerdings nicht beibehalten hat, ist mir ein Rätsel. Sind es denn nicht die Schlangen, die für die Vertreibung aus dem Paradies verantwortlich sind? Lesen. Unbedingt!

Bewertung vom 30.07.2021
Die Anderen
Lalami, Laila

Die Anderen


sehr gut

Wenn man sich die Ausgangssituation in Laila Lalamis „Die Anderen“ anschaut, erwartet man einen Kriminalroman: Es ist Nacht, als Driss Guerraoui vor seinem Diner überfahren wird und seinen Verletzungen erliegt. Der Fahrer flüchtet unerkannt. Unfall oder Absicht, das ist die entscheidende Frage, denn der Restaurantbesitzer ist ein marokkanischer Einwanderer. Vor 35 Jahren nach Amerika gekommen, von dem Wunsch getrieben, für sich und seine Familie eine sichere Existenz zu schaffen. Hat sich dem Leben in der neuen Heimat bis zur Selbstverleugnung angepasst, muss sich aber dennoch immer wieder mit Anfeindungen auseinandersetzen, ist seinem direkten Nachbar ein Dorn im Auge. Aber würde dieser wirklich so weit gehen und ihn töten?

Lalami lässt verschiedene Personen zu Wort kommen, von denen jede/r auf die einen oder andere Weise in den Todesfall involviert ist. Sei es die Tochter des Opfers, der Nachbar, der Veteran, die ermittelnde Polizeibeamtin oder der Passant, der sich illegal im Land aufhält. Alle kommen abwechselnd zu Wort, konzentrieren sich in ihren sauber getrennten Abschnitten aber nur bedingt auf die Fahrerflucht. Wir erfahren Einzelheiten aus ihrem Leben, lernen ihre Ängste kennen, erfahren, was sie umtreibt.

Diese wechselnden Perspektiven legen entlarvend den Zustand der Gesellschaft bloß, richten den Blick auf die „anderen Amerikaner“, die in Amerika Geborenen mit Brüchen in der Biografie, die nicht dazugehören. Die polizeilichen Ermittlungen bilden zwar den Rahmen, aber dieser Plot hat mehr zu bieten. Damit hat die Autorin das Rad zwar nicht neu erfunden, aber dennoch einen Roman mit Substanz abgeliefert. Eine Familiengeschichte, ein Memoir, ein Gesellschaftsporträt, die Geschichte einer großen Liebe und ein bisschen Krimi. Sie erzählt stimmig von Aufbruch und Ankommen, Erwartungen, Enttäuschungen und Vorurteilen, von Ausgrenzung und vom Fremdsein im eigenen Land.

Bewertung vom 28.07.2021
Wild Card
Thompson, Tade

Wild Card


gut

Der afrikanische Handlungsort von Tade Thomspons „Wild Card“ (im Original „Making Wolf“) ist ungewöhnlich, aber leider ist ein exotisches Setting noch lange kein Garant für die Qualität eines Thrillers. Dazu bedarf es gerade dann, wenn man eine Story in Afrika ansiedelt, auch einen kritischen Blick auf die gesellschaftspolitischen Probleme des Kontinents.

Weston Kogi ist mit seiner Schwester während des Bürgerkriegs aus Westafrika geflohen und hat sich mittlerweile eine neue Existenz in London aufgebaut. Als seine Tante stirbt, reist er zu ihrer Beerdigung zurück in die alte Heimat. Das Wiedersehen mit alten Bekannten wird zum riskanten Unternehmen, woran er nicht unschuldig ist. Um zu renommieren und seinen Status aufzupolieren, ändert er nämlich kurzerhand seine Profession vom Supermarkt-Wachmann zum Detective bei der Londoner Mordkommission. Und schon erwartet ihn ein Auftrag, denn der allseits geachtete Papa Busi wurde ermordet, und Weston soll den Fall aufklären. Keine gute Idee, wie er bald feststellen muss, denn mit diesem Auftrag gerät er zwischen alle Fronten.

Die Story kommt im Gewand eines Hardboilers daher und weckt Assoziationen zu den Filmen Tarantinos. Blut fließt reichlich, mit roher Gewalt und Sex wird auch nicht gegeizt. Zwar werden immer wieder Passagen zur afrikanischen Realität eingestreut, diese gehen aber in dem Meer der brutalen Gewaltdarstellungen unter. Ich hatte mir mehr erwartet. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 26.07.2021
Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1
Beckett, Simon

Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1


weniger gut

Wenn der Klappentext eines Buches vollmundig den „atemberaubenden Auftakt einer neuen Thrillerserie“ verspricht, sind die Erwartungen hoch. Um so enttäuschender für den/die Leser/in, wenn diese der Überprüfung nicht standhalten.

Kindsentführung, Traumatisierung, Polizeikorruption, Migranten, Bandenkriminalität, Zwangsprostitution, Mord mit und ohne Leiche und natürlich die ansatzweise Lovestory – alles Teil der Handlung, und genau da liegt das Problem. In einer derart wirren Konstruktion werden hier neben jeder Menge nichtssagender Füllmaterialien unzählige Klischees verwurstet, die weder Spannung noch Tempo generieren. Der Protagonist ist zwar angeblich Angehöriger einer Spezialeinheit der Londoner Metropolitan Police, agiert aber dermaßen unprofessionell, dass er ebenso Briefträger oder Autoverkäufer sein könnte, aber mit Sicherheit kein Elitepolizist. Null Überblick in kritischen Situationen, jede Aktion ausnahmslos unüberlegt. so dass man bereits im Vorfeld weiß, dass sie in die Hose geht. Gleich zu Beginn erleidet er eine schwere Knieverletzung, die eine Operation nach sich zieht, was ihn aber nicht daran hindert, sich mit den Krücken bei unzureichender Beleuchtung schnellen Schrittes über Kopfsteinpflaster zu bewegen. Und einer Prügelei geht er natürlich auch nicht aus dem Weg. Ein wahrer Superheld!

Aber offenbar hat er auch eingesehen, dass er für diesen Job nicht der Richtige ist, denn am Ende des Buches quittiert er den Dienst. Und da „Die Verlorenen“ der Auftaktband einer neuen Reihe ist, steht eine Karriere als Privatdetektiv zu erwarten. Allerdings werde ich diesen Werdegang mit Sicherheit nicht weiterverfolgen.

Eine kurze Bemerkung zum Schluss: Es scheint, als wäre Deutschland Becketts erfolgreichster Markt, denn das Original erscheint in Großbritannien erst Ende November. Nicht weiter verwunderlich, gibt es doch genügend englischsprachige Autoren, die ihr Handwerk weit besser beherrschen.

Bewertung vom 21.07.2021
Unbarmherziges Land
Offutt, Chris

Unbarmherziges Land


ausgezeichnet

Im Zentrum der Handlung steht Mick Hardin, ein Militärpolizist, der auf Anraten seiner Schwester Linda zurück in seine Heimat, das östliche Kentucky, kommt, um private Angelegenheiten zu klären. Seine Frau hatte eine Affäre, und nun ist sie schwanger. Von ihm oder ihrem Liebhaber, wer weiß? Aber noch bevor die klärende Aussprache stattfindet, wird er von Linda, die der erste weibliche Sheriff des Countys ist, um Hilfe in einem Mordfall gebeten. Ein alter Mann hat beim Ginseng sammeln in den Hügeln eine weibliche Leiche entdeckt. Unfall oder Mord, schnelle Aufklärung ist gefordert, ehe die Dinge außer Kontrolle geraten, denn im Hinterland von Kentucky ticken die Uhren anders.

„Unbarmherziges Land“ kommt im Gewand eines Thrillers daher und kann mit sämtlichen Attributen des Genres aufwarten, aber gegenüber dem Setting sind diese absolut zweitrangig und machen nicht die Qualität dieses Buches aus. Offutt ist mit der Gegend vertraut, seine Naturbeschreibungen sind mehr als bloße Dekoration, denn sie vermitteln ein Gefühl dafür, wie die Abgeschiedenheit sich auf das Leben der Menschen auswirkt. Wenn man Elmore Leonards „Raylan“ (literarische Vorlage für „Justified“) kennt, hat man schon eine ungefähre Vorstellung, was einem erwartet. In den Hügeln sind Familienbande wichtiger als Recht und Gesetz, das alttestamentarische Auge um Auge bestimmt das Handeln. Mick ist damit vertraut, er ist hier aufgewachsen, kennt die Bräuche, weiß, wen er wie ansprechen muss, um an Informationen zu gelangen, um die Hintergründe des Todesfalls aufzuklären und zu verhindern, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Ein feiner „Rural Noir“, der hoffentlich in Serie geht!