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Buchbesprechung
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Bad Kissingen
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Ich bin freier Journalist und Buchblogger auf vielen Websites. Neben meiner Facebook-Gruppe "Bad Kissinger Bücherkabinett" (seit 2013) und meinem Facebook-Blog "Buchbesprechung" (seit 2018) habe ich eine wöchentliche Rubrik "Lesetipps" in der regionalen Saale-Zeitung (Auflage 12.000).

Bewertungen

Insgesamt 368 Bewertungen
Bewertung vom 31.05.2018
Die Abenteuer der Cluny Brown
Sharp, Margery

Die Abenteuer der Cluny Brown


sehr gut

Mit seiner im März erschienenen Neuübersetzung des 1944 erstmals veröffentlichten Romans „Die Abenteuer der Cluny Brown“ erinnert der Eisele-Verlag an die zu Unrecht in Vergessenheit geratene britische Schriftstellerin Margery Sharp (1905-1991). Die Bestseller-Autorin veröffentlichte fast 30 Romane und Erzählungen, drei Theaterstücke und ein Dutzend Kinderbücher um „Miss Bianca“, die Vorlage zu Walt Disneys Zeichentrickfilm „Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei“. Auch manche ihrer Romane wurden verfilmt, so als erster 1946 der Roman „Cluny Brown“ unter dem Titel „Cluny Brown auf Freiersfüßen“.
Dieser amüsante und nur scheinbar lockere Roman erzählt vom Leben der als Waise bei Onkel und Tante aufgewachsenen Cluny Brown, die nicht gewillt ist, den ihr gesellschaftlich zustehenden Platz einzunehmen, sondern auf unkonventionelle Art ihren Lebensweg zu meistern versteht. Ihr Vormund, ein Klempner, schickt die 20-Jährige als Dienstmädchen auf den Landadelsssitz Friars Carmel in Devonshire. Dort trifft die junge Frau auf Sir Henry und Lady Carmel, die eigentliche Herrscherin über das Gut, sowie Sohn und Erbe Andrew, der den gleichaltrigen polnischen Intellektuellen Adam Belinski auf dem Landsitz vor den Nazis versteckt, und Andrews Londoner Freundin Betty, eine verzogene junge Dame aus reichem Hause, mit der er die Partys der Londoner Gesellschaft besucht. Während England sich auf den drohenden Krieg gegen Nazi-Deutschland vorbereitet und schon jetzt das traditionelle Gesellschaftsgefüge spürbar wankt, scheint in der englischen Provinz auf Friars Carmel die Zeit stehengeblieben zu sein. Sir Henry reitet wie seit Jahrzehnten alltäglich aus, Lady Carmels Leben erschöpft sich in der Schaffung täglich neuer Blumengestecke, das Hauspersonal bleibt an dem ihm zustehenden Platz.
Auch Cluny versieht ihre Aufgaben als Dienstmädchen, doch lässt sie sich nicht auf ihre niedere Stellung reduzieren. Sie bricht gesellschaftliche Schranken, begegnet allen Menschen auf Augenhöhe – lebensfroh und unerschrocken. Sie ist weder hübsch noch gebildet, eher naiv und unbedarft, aber ein „ehrlicher Kerl“: Sie sagt, was sie fühlt; sie sagt, was sie denkt. So gewinnt sie die Liebe des schüchternen Dorfapothekers, der sie zur Freude von Clunys Vormund heiraten will und ihr damit eine gesellschaftlich höhere Stellung ermöglichen würde.
Cluny Browns Handeln scheint für andere oft spontan und unüberlegt. Sie lässt sich nicht durch gesellschaftliche Zwänge und Konventionen leiten, sondern folgt mutig und entschlossen ihren Gefühlen, wohin auch immer sie diese bringen werden. Der 75 Jahre alte Bestseller „Die Abenteuer der Cluny Brown“ ist ein historischer Gesellschaftsroman, der durch seine Neuübersetzung in flottem Sprachstil nicht nur angenehm zu lesen ist, sondern auch inhaltlich wieder an Aktualität gewonnen hat. So amüsant und unterhaltsam er auch wirkt, ist es zugleich ein Aufruf, sich selbst zu verwirklichen, den eigenen Weg zu suchen, sich nicht von anderen beherrschen und von ihnen den Lebensweg vorgeben zu lassen. Cluny Brown versteht es - trotz unzureichender Ausbildung und Förderung - allein durch Herzensbildung, Offenheit, Ehrlichkeit und Spontanität das für sie Beste aus ihrem Leben zu machen, am Ende sogar in eine für sie völlig neue Welt und neue Zeit aufzubrechen.

Bewertung vom 28.05.2018
Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder / Inspektor Takeda Bd.3
Siebold, Henrik

Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder / Inspektor Takeda Bd.3


ausgezeichnet

Ein ungewöhnlicher Kriminalist ist zweifellos der im Austauschprogramm nach Hamburg versetzte japanische Inspektor Ken Takeda, den wir nun schon bei den Ermittlungen zu seinem dritten Fall in Henrik Siebolds Roman „Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder“ erleben können – erschienen im April im Aufbau-Taschenbuchverlag. Schon in den zwei ersten Bänden „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ (2016) sowie „Inspektor Takeda und der leise Tod“ (2017) ließ der ausgewiesene Japan-Kenner Henrik Siebold (50), der selbst mehrere Jahre in Tokio gelebt und dort für eine japanische Tageszeitung gearbeitet hatte, die gegensätzlichen, sich so fremden Kulturen in den Personen des geschiedenen Inspektors aus Japan und dessen junger Hamburger Kollegin Claudia Harms aufeinander prallen. Immer wieder irritiert die von Männerbeziehungen enttäuschte, als Single lebende Harms mit ihrer herben Art und direkten Ausdrucksweise ihren asiatisch zurückhaltenden Kollegen, den gebildeten Feingeist, Jazz-Fan und seine Zuhörer begeisternden Saxophonisten. Dennoch entwickelt sich von Fall zu Fall trotz aller kulturbedingter mentaler Gegensätze eine enge kameradschaftliche Beziehung zwischen beiden. Während Harms spontan ihrem Ärger Luft macht, hält sich der Japaner äußerlich zurück. Seine Gefühlswelt zeigt sich abends in seinen Saxophon-Improvisationen im Jazz-Club oder ist an der Menge des einsam getrunkenen Whiskys zu messen.
Im neuen Krimi geht es um Mordfälle ohne erkennbares Motiv. Ein 17-jähriger Schüler scheint eine Frau vor die S-Bahn gestoßen zu haben. Bei seiner Festnahme gesteht er sogar lächelnd die Tat, widerruft aber bald darauf alles. Auch bei folgenden Mordfällen ist der junge Mann immer in der Nähe des Tatortes, doch handfeste Beweise gegen ihn gibt es nicht. Die Lage wird allmählich brisant, denn der Verdächtige ist der Sohn des Hamburger Innensenators, der als nächster Bürgermeister gehandelt wird. Auf Art klassischer Krimis bietet Autor Siebold uns Lesern und seinen beiden Kriminalisten immer neue Motive und Verdächtige an. Verleiten die auch in Deutschland beliebten japanischen Horror-Comics die Klassenkameraden zu ihren Taten? Oder geht es vielmehr um Grundstücksspekulationen und politische Intrigen zum Schaden des Senators? Wird der 17-Jährige etwa nur als Werkzeug gegen seinen Vater missbraucht? Es scheint ein unlösbarer Fall für Ken Takeda und Claudia Harms zu sein.
Henrik Siebolds Takeda-Krimis sind ungewöhnlich – spannend und vergnüglich zugleich: Einerseits sind es realistische Kriminalfälle mit aktuellen Hintergründen, die stellenweise durchaus Thriller-Charakter haben. Andererseits aber faszinieren Siebolds Romane durch ihre beiden Protagonisten, die sich in ihren kulturellen Unterschieden immer wieder aneinander reiben. Gerade diese Passagen sorgen immer wieder für die amüsanten Momente im Krimi. „Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder“ ist deshalb also – wie die zwei Vorgängerbände – wieder ein spannender, zugleich aber vergnüglicher und in gewisser Weise sogar schöngeistiger Krimi für erholsame Feierabendstunden, der sich wohltuend von den sonst üblichen bluttriefenden Thrillern heutiger Autoren unterscheidet.

Bewertung vom 27.05.2018
Das schweigende Klassenzimmer
Garstka, Dietrich

Das schweigende Klassenzimmer


ausgezeichnet

Einen erschütternden Bericht über die Willkür eines totalitären und menschenverachtenden Regimes lieferte der in der Mark Brandenburg aufgewachsene Autor Dietrich Garstka (1939-2018) mit seinem 2006 erstmals veröffentlichten und seitdem mehrfach neu aufgelegten Buch „Das schweigende Klassenzimmer“. Zur Uraufführung des gleichnamigen Films auf der diesjährigen Berlinale erschien im Februar eine aktuelle Taschenbuch-Neuausgabe beim Ullstein-Verlag.
Garstka berichtet in seiner sorgfältig recherchierten Dokumentation aus eigenem Erleben, der Sichtung amtlicher Unterlagen und den Erinnerungen vieler Beteiligter in der Nach-Wende-Zeit über die Erlebnisse einer Abiturklasse, der er selbst als Schüler angehörte, im November 1956 im märkischen Storkow.
Auf die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes reagierten die angehenden Abiturienten damals zu Beginn einer Unterrichtsstunde spontan mit einer Schweigeminute. Die für diesen DDR-Bezirk zuständigen Parteifunktionäre suchten deren Rädelsführer vergeblich. Sogar der DDR-Bildungsminister schaltete sich ein, um die Verantwortlichen zu ermitteln, und machte den Vorgang zu seiner persönlichen Angelegenheit. Doch trotz aller Drohungen und Erpressungen hielten Schüler und Eltern zusammen. Sogar die Drohung, das Gymnasium verlassen zu müssen und auf keinem DDR-Gymnasium das Abitur machen zu dürfen, damit sich den beruflichen Lebensweg zu verbauen, schüchterte die Schüler nicht ein, sondern schweißte die Abiturienten sogar noch enger zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen.
Bald kam der Plan zur Flucht nach West-Berlin auf, was damals - zur Zeit vor dem Mauerbau - noch mit dem Übergang von Ost- nach West-Berlin am Bahnhof Friedrichstraße vergleichsweise leicht möglich war. Das gegenseitige Vertrauen unter den Schülern und deren Eltern war so stark, dass sogar Mitschülerinnen, die die DDR nicht verlassen wollten, die Fluchtpläne ihrer Klassenkameraden trotz möglicher Repressalien geheim hielten. Nachdem allen 16 fluchtwilligen Abiturienten der Übergang nach West-Berlin und anschließend in die Bundesrepublik gelungen war, machten sie als Klassengemeinschaft im Westen ihr Abitur.
Der Autor Dietrich Garstka, der zu den Wortführern der Gruppe gehörte und als Erster geflohen war, gibt in seiner Dokumentation einen eindrucksvollen Bericht über den Alltag und das Zusammenleben in der DDR zur Zeit des Kalten Krieges, als Partei und Staatssicherheit meinten, den noch jungen Sozialismus gegen die Gefährdungen des westlichen Kapitalismus verteidigen und in allen Kritikern nur Staatsfeinde erkennen zu müssen. Garstka schildert die Dramatik der Geschehnisse in ihren Einzelheiten sowohl durch Wiedergabe offizieller Protokolle als auch durch Erlebnisberichte der Schüler, ihrer Eltern und der damaligen Lehrer. Es ist ein dramatischer Bericht über die Wirklichkeit der DDR-Diktatur in jenen Jahren, die nicht mit dem Jahrzehnt vor der Wende vergleichbar ist.
Gerade deshalb ist diese authentische Dokumentation ehemals junger Menschen, die sowohl die DDR in ihren Anfängen als auch später als Erwachsene die Bundesrepublik kannten, eine spannende, beklemmende und informative Lektüre nicht nur für Erwachsene. Dieses Buch ist vor allem Heranwachsenden zu empfehlen, die nur die Jahre nach der Wiedervereinigung kennen und für die die DDR nur Geschichte ist. Aus dieser Lektüre erfährt man vieles hautnah über die Willkür der DDR und vergleichbarer totalitärer Systeme.
In heutiger Zeit kommt die Neuauflage dieses Buches gerade recht: Auch wenn unsere Demokratie gelegentlich fehlerhaft sein oder Schwächen aufzeigen mag, lehrt uns dieses Buch doch immerhin, dass es lohnt, unsere demokratischen Freiheiten zu schätzen, was den Abiturienten von Storkow damals und den DDR-Bürgern in späteren Jahrzehnten niemals vergönnt war und von ihnen - damals wie 1989 - nur unter Repressalien und Entbehrungen, unter Verzicht auf Familie und Heimat erkämpft werden musste.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.05.2018
Achtzehn Hiebe
Gavron, Assaf

Achtzehn Hiebe


gut

Eitan Einoch war schon die Hauptfigur in „Ein schönes Attentat“, dem 2008 veröffentlichten Debütroman des inzwischen als Bestseller-Autor gerühmten israelischen Schriftstellers Assaf Gavron (50). Zehn Jahre später spielt Eitan Einoch wieder die Hauptrolle in Gavrons neuem Roman „Achtzehn Hiebe“, im Februar beim Luchterhand-Verlag erschienen. Auch wenn auf die Ereignisse des Debütromans stellenweise Bezug genommen wird, ist der neue Roman keine Fortsetzung.
Es ist ein im heutigen Tel Aviv spielender, unterhaltsamer Krimi, dessen Vorgeschichte sich 1946 vor der Staatsgründung Israels zugetragen hat, als die Briten noch das Mandat über Palästina hatten. Inzwischen ist Eitan Einoch selbständiger Taxifahrer, der seine Fahrgäste mit Anekdoten zur Geschichte Israels unterhält. Er ist geschieden, Vater einer kleinen Tochter, um die er sich liebevoll an zwei Wochentagen kümmert. Eines Tages erhält er den Auftrag, eine liebenswerte 85-jährige Dame, die sich ihm als Lotta Perl vorstellt, täglich zum Friedhof zu fahren, wo ihr kürzlich verstorbener Jugendfreund begraben liegt. Eitan erfährt ihre Lebens- und Liebesgeschichte: Als 17-Jährige hatte sich das jüdische Mädchen verbotenerweise in einen britischen Soldaten verliebt, ebenso ihre Freundin. Nach 66 Jahren hatte sich das Quartett nun wiedergetroffen. Lotta ist überzeugt, ihr Jugendfreund sei ermordet worden. Als Eitan Einoch beginnt, gemeinsam mit seinem Freund Bar diesem Verdacht nachzugehen, finden sie Lotta Perl tot im Bett. War es Mord?
Im Laufe der locker und durchaus humorig erzählten Kriminalhandlung erfahren wir in mehreren Rückblicken Atmosphärisches und Wissenswertes aus der Zeit des Mandats: Die Briten waren bei den Juden verhasst und wurden von zionistischen Untergrundorganisationen bekämpft. Neben der Todesstrafe gab es bei den Briten auch die Prügelstrafe, die dem Roman seinen Titel gibt. Die Untergrundkämpfer revanchieren sich auf dieselbe Art, nehmen britische Soldaten gefangen und rächen sich an ihnen mit der Lederpeitsche. Eines Abends trifft es auch Lottas Freunde.
Bedauerlicherweise verzettelt sich Assaf Gavron in seinem Roman, der eigentlich interessante Ansätze hat. Doch wird in den Rückblicken ins Jahr 1946 das Alltagsleben der Juden unter britischer Verwaltung recht oberflächlich behandelt, auch kommen die verfeindeten Palästinenser überhaupt nicht vor. Es stimmt, was Lotta Perl sagt, dass sich die Liebenden nicht um Politik gekümmert haben. Dennoch hätte der israelische Autor in seinem Roman auf die Vorgeschichte seines Heimatstaates intensiver eingehen müssen. Auch die Handlung in heutiger Zeit wird bei Gavron nicht wirklich zum richtigen Krimi, sondern plätschert seitenweise fröhlich und in manchen Absätzen sogar trivial vor sich hin.
„Achtzehn Hiebe“, vom Thema her ein passender Roman zum 70.Jahrestag der Staatsgründung Israels, verspielt diese Chance. Es hätte ein spannender Krimi vor historischem Hintergrund werden können. So bleibt es ein austauschbarer Unterhaltungsroman, eine bunte Mischung aus Liebe und Verrat, Schuld und Verbrechen. Die anfängliche Spannung und Erwartung, aufgelockert durch eine Prise Humor, verflacht mit zunehmender Seitenzahl. Und: Wozu braucht es eigentlich die in Einzelheiten geschilderten Bettszenen? Sie tragen nichts zur Sache bei, sondern mindern noch das Niveau dieses Romans. Schade! Ich hatte vom neuen Buch des mehrfach ausgezeichneten Bestseller-Autor mehr erwartet.

Bewertung vom 11.05.2018
Der Tote in der Kapelle / Hugo Hawksworth Bd.1
Edmondson, Elizabeth

Der Tote in der Kapelle / Hugo Hawksworth Bd.1


gut

Nur ein Jahr vor ihrem plötzlichen Tod hatte die erfolgreiche britische Schriftstellerin Elizabeth Edmondson (1948-2016), in Deutschland vor über zehn Jahren durch „Lady Helenas Geheimnis“ bekannt geworden, die ersten zwei Bände ihrer neuen Krimireihe um Geheimagent Hugo Hawksworth noch veröffentlichen können. Der erste Band erschien nun im Februar beim Goldmann-Verlag unter dem Titel „Der Tote in der Kapelle“ als Taschenbuch. Hatte sich Edmondson in ihren früheren Werken stark an Jane Austen und deren Zeit orientiert, erinnert diese Krimireihe in Handlung und Atmosphäre stark an Bücher von Agatha Christie oder Edgar Wallace.
Der Krimi spielt in England im Nachkriegsjahr 1953 – es gibt noch immer Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs nur auf Bezugsschein. Der wegen einer im Feindeinsatz erlittenen Beinverletzung ins Kriegsarchiv im provinziellen Selchester versetzte Geheimagent Hugo Hawksworth wird auf dem alten Selchester Castle einquartiert, wo noch Gespenster ihr Unwesen treiben sollen. Dort wird bei Renovierungsarbeiten in der Schlosskapelle unter den Bodenplatten ein Skelett entdeckt. Es sind die Gebeine des letzten Earls, der vor sieben Jahren während einer Abendgesellschaft plötzlich verschwand. Polizei und Geheimdienst wollen die Akte unbedingt schließen und bezichtigen den vor Jahren in Palästina gefallenen Sohn Tom des Mordes. Misstrauisch geworden, nimmt sich nun Hugo Hawksworth dieses geheimnisvollen Mordfalles an und sucht mit Freya, der Nichte des Earls, nach dem wahren Täter.
Auch wenn in Edmondsons Krimi kein Nebel um die alten Schlossmauern wabert, wie wir es aus den deutschen Wallace-Filmen kennen, ist dieser britische Krimi in gewisser Weise ähnlich aufgebaut. Die Handlung ist locker geschrieben, alles ist ziemlich geheimnisvoll: Bei der damaligen Abendgesellschaft im Jahr 1946 waren vier Gäste anwesend, außerdem vier Personen des Personals. Das Schloss war durch starken Schneefall von der Außenwelt abgeschnitten. War der Mörder also jemand vom Personal? Oder vielleicht einer der Gäste? Oder etwa alle Gäste gemeinsam - wie in Christies „Mord im Orient-Express“?
„Der Tote in der Kapelle“ ist gewiss keine anspruchsvolle Lektüre, kein tiefenpsychologischer Thriller, wie wir ihn heute von den skandinavischen Autoren kennen, sondern eher ein unterhaltsamer Roman zum Feierabend. Wir lernen wie in den alten britischen Krimis einige skurrile, auch geheimnisvolle oder burschikose Charaktere kennen. Ein Mordmotiv ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, weshalb es unmöglich ist, uns frühzeitig für einen möglichen Täter zu entscheiden. Erst am Schluss des Romans wird der Mordfall auf Selchester Castle gelöst.
Die neue Krimireihe von Elizabeth Edmondson war in Großbritannien erfolgreich. Ob sich dies in Deutschland wiederholen wird, mag bezweifelt werden, da hierzulande die Christie- und Wallace-Welle vorbei ist und heutige Leser eher für bluttriefende Psychokrimis zu begeistern sind. Wer sich aber einen Sinn für britische Krimi-Klassiker bewahrt hat, dem wird wohl auch „Der Tote in der Kapelle“ gefallen. Den zweiten Band dieser unvollendeten Reihe, „Mord auf Selchester Castle“, kündigt der Goldmann-Verlag für Februar 2019 an. Für einen dritten Band konnte Edmondson nur Notizen hinterlassen, nach denen ihr Sohn, der Schriftsteller Anselm Audley, den dritten Band „A Matter of Loyalty“ (2017) verfasst hat.

Bewertung vom 07.05.2018
In Zeiten der Liebe und des Krieges / Die Korff-Saga Bd.1
Wallner, Michael

In Zeiten der Liebe und des Krieges / Die Korff-Saga Bd.1


weniger gut

Schon mit der Wahl des Covers erscheint der im Februar im Piper-Verlag veröffentlichte Roman „In Zeiten der Liebe und des Krieges“ des österreichischen Theaterregisseurs und Schriftstellers Michael Wallner (60) nicht unbedingt als anspruchsvolle Lektüre. Tatsächlich entwickelt sich auch erst im zweiten Teil eine gewisse Spannung, die in den Kriegswirren von 1914/1915 ihren Höhepunkt findet. Gemessen an Wallners Bestseller „April in Paris“ (2006), der immerhin in über 20 Sprachen übersetzt wurde, ist sein neuer Roman enttäuschend.
Wallner beginnt seine „Korff-Saga“ im Vorkriegsjahr 1912. Die Wiener Oberschicht ist in ihrem operettenhaft erscheinenden Alltag erstarrt. Abendgesellschaften, Sommerpartys und geistloser Smalltalk bestimmen ihr Leben. Ebenso oberflächlich erschöpft sich darin leider auch der Roman, obwohl der Autor einige für die damalige Zeit wichtige Punkte anreißt: Da gibt es die jüdische Bankiersfamilie Hahn, die trotz ihres Reichtums im katholisch-konservativen Kaiserreich angesichts des latent vorhandenen Antisemitismus' um gesellschaftliche Anerkennung buhlen muss. Die inzwischen mit einem Katholiken verheiratete Tochter Lydia durfte als junge Frau trotz ihrer Begabung nicht an einer Universität studieren. Ihr Ehemann Maxim Korff ist der Prototyp des neureichen Geldadels, der wiederum vom alten Adel nicht als ebenbürtig anerkannt wird.
So historisch interessant diese und andere Stichpunkte sind, bleiben sie leider nur Randbemerkungen, weshalb es dem Roman sehr an Tiefe fehlt. Stattdessen arbeitet der Autor mit altbekannten Klischees: Der macht- und geltungshungrige Industrielle Maxim Korff hat eine Affäre mit der Ehefrau seines Kompagnons und bändelt später mit seiner Hausdame an. Ehefrau Lydia wiederum flieht in die Arme eines mittelmäßigen Tenors. Einen Familienskandal gibt es natürlich auch, als sich Korff-Sohn Philipp in seine Hahn-Cousine Alexandra verliebt. Doch diese Affären und Skandale dürfen den Kreis der Familie nicht verlassen, weshalb nach außen „heile Welt“ vorgegaukelt wird.
Plätschert Michael Wallners Roman über viele Seiten locker dahin, gewinnt er erst mit dem Attentat in Sarajevo und dem Kriegsbeginn 1914 etwas an Dramatik. Die Österreicher sehnen diesen Krieg als reinigenden Gewitterregen herbei, der ihr Kaiserreich aus seiner politischen und gesellschaftlichen Erstarrung zu lösen verspricht. Doch schon bald zeigt sich das wahre Bild des Krieges, als die einst freudetaumelnden Soldaten in Särgen oder schwerverwundet nach Wien zurückkehren. Das Operetten-Österreich beginnt, sich aufzulösen.
Michael Wallners erster Band seiner Korff-Saga bleibt trotz einiger historisch interessanter Aspekte leider nur ein leichter Unterhaltungsroman ohne Tiefgang. Im Februar 2019 soll der zweite Band „Als die Hoffnung uns gehörte“ folgen. Dann werden wir Junior Philipp Korff im New York des Jahres 1923 erleben.

Bewertung vom 02.05.2018
Der Reisende / Flovent & Thorson Bd.1
Indridason, Arnaldur

Der Reisende / Flovent & Thorson Bd.1


gut

Historische Krimis, vor allem solche aus jüngster europäischer Geschichte und Weltkriegszeiten, erfreuen sich seit wenigen Jahren steigender Beliebtheit. Vielleicht deshalb ging auch Islands Bestseller-Autor Arnaldur Indriðason (57), seit 1995 bekannt durch seine Krimireihe um Kommissar Erlandur, in seiner neuen Serie um die beiden Ermittler Flóvent und Thorson um sieben Jahrzehnte zurück. Diese auch für Island politisch und gesellschaftlich umwälzenden Kriegszeiten scheint Indriðason jetzt aufarbeiten zu wollen und beginnt in seinem ersten Band „Der Reisende“ im Jahr 1941, als die britischen Besatzungstruppen von den amerikanischen abgelöst wurden.
In der Wohnung des deutschen Staatsbürgers Felix Lunden in Islands Hauptstadt Reykjavík wurde ein Mann durch einen gezielten Kopfschuss aus einem amerikanischen Colt hingerichtet. Dem ermittelnden Kommissar Flóvent wird, da man wegen des Colts den Täter unter den Amerikanern vermutet, der vor Jahren aus Island nach Kanada ausgewanderte, in der Ermittlung von Kriminalfällen unerfahrene britische Militärpolizist Thorson zur Unterstützung zugeteilt. Schon bald steht fest, dass das Mordopfer gar nicht Felix Lunden, sondern ein isländischer Handelsreisender und früherer Schulkamerad Lundens ist. Schnell weiten sich die Ermittlungen in verschiedene Richtungen aus: War es Mord aus Habsucht oder Eifersucht oder etwa die Folge einer Erpressung? Oder handelt es sich gar um die Abrechnung unter Spionen? Immerhin ist der Deutsche Felix Lunden, der vielleicht das eigentliche Mordopfer sein sollte, ein überzeugter Nazi. Flóvent und Thorson müssen schnell Ergebnisse vorweisen, da der US-Militärgeheimdienst schon droht, der isländischen Polizei diesen Fall zu entziehen.
Trotz des Zeitdrucks und der Brisanz des Mordfalles gehen beide Polizisten ihren Ermittlungen scheinbar in aller Ruhe nach. Dieser Eindruck wird noch durch den ruhigen, manchmal auch langatmigen Erzählstil betont. Häufige Wiederholungen bremsen zudem die Spannung aus, wenn Flóvent und Thorson unverständlicherweise den Zeugen oder Verdächtigen bei Befragungen ihre Ermittlungsergebnisse offenbaren. Behalten erfahrene Ermittler diese nicht für sich? Oder will der Autor seine beiden Protagonisten tatsächlich als derart unerfahren hinstellen, um sie in nachfolgenden Krimis weiter aufbauen zu können? Beide Männer bleiben in ihrer Charakterisierung ziemlich unscharf. Bei Thorson wird nur kurz eine mögliche Homosexualität angedeutet, aber das war's auch schon.
Bis zum Schluss weiß man nicht, worauf Autor Arnaldur Indriðason in seinem Roman eigentlich hinaus will. Ist „Der Reisende“ nun ein Krimi oder ein Spionageroman? Die Handlung plätschert gemächlich dahin. Bei diesem Buch ließ mich nur die Neugier bis zum Ende durchhalten. Und selbst der Schluss war enttäuschend: Nicht die beiden Ermittler entlarven den Täter nach akribischer Ermittlungsarbeit, sondern dieser gibt sich völlig unerwartet selbst zu erkennen, als habe der Autor jetzt die vom Verlag geforderte Seitenzahl erreicht. Dieser neue Krimi von „Islands meistverkauftem Kriminalschriftsteller“ ist enttäuschend, vielleicht aber auch nur ein mühsamer Auftakt zur neuen Krimireihe. Hoffen wir also, dass Arnaldur Indriðason seinem Image gerecht wird und in den Folgebänden die Spannung und Dramatik noch steigert.

Bewertung vom 27.04.2018
Die Tyrannei des Schmetterlings
Schätzing, Frank

Die Tyrannei des Schmetterlings


sehr gut

Erinnerungen an Supercomputer HAL aus dem Film „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) und an das Tor in andere Welten im Film „Stargate“ (1994) werden wach beim Lesen des gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Thrillers „Die Tyrannei des Schmetterlings“ von Bestseller-Autor Frank Schätzung (60). Sein spannender Wissenschaftsroman behandelt die Nutzung künstlicher Intelligenz, aktuell eines der bedeutendsten, zugleich umstrittensten Themen unserer Gesellschaft. Während Forschung und Industrie in deren Entwicklung unschätzbare Möglichkeiten zum Wohl der Menschheit sehen, wächst bei Kritikern die Angst vor möglichem Kontrollverlust.
Schätzing schildert auf 736 Seiten die existente Vielfalt nutzbringender Anwendungen zur Lösung vieler Menschheitsprobleme – um Umweltprobleme, Armut und Krankheit, vielleicht sogar den Tod zu überwinden. Was aber geschieht, wenn der von Menschenhand gebaute, anfangs mit Menschenwissen gefütterte, dann selbst lernende Supercomputer sich am Ende verselbständigt, gleich einem Schmetterling aus der Gefangenschaft seines Kokons schlüpft, vom Menschen nicht mehr aufzuhalten ist? Werden wir dann Opfer eines uns tyrannisierenden Elektronengehirns? Frank Schätzing nutzt in seinem Thriller diese diffuse Angst vor Kontrollverlust. „Ich habe Spaß am Spiel mit dem Grauen. Die Desaster-Variante ist mir immer die liebste“, sagte er erst kürzlich im Interview.
Der Roman spielt in tiefster Provinz der kalifornischen Sierra Nevada. Als Undersheriff Luther Opoku bei seinen Ermittlungen zu einem Mordfall eine in den Bergen gelegene, von der Öffentlichkeit unbeachtete Forschungseinrichtung aufsucht, gerät er bei der Verfolgung eines Verdächtigen in das tief in die Erde gebaute Rechenzentrum. Nach unbemerktem Übertritt einer sphärischen Grenze findet er sich plötzlich in einem Paralleluniversum wieder, ohne sich dessen bewusst zu sein, da sein Umfeld zunächst vertraut erscheint. Erst später mehren sich die Merkwürdigkeiten und er wird sich seiner Präsenz ein einer Parallelwelt bewusst. Gemeinsam mit Deputy Sheriff Ruth Underwood aus jener anderen Welt setzt Luther seine Ermittlungen fort, erlebt Beängstigendes und entdeckt Unglaubliches.
Verschiedene Szenarien in diesen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen stehenden Parallelwelten nutzt Schätzing, um die schon heute technologisch realisierten oder in Entwicklung befindlichen Anwendungen künstlicher Intelligenz und Robotik anschaulich aufzuzeigen und zu erläutern. Seine Faszination für dieses Thema nach jahrelanger Recherche ist in der Detail-Verliebtheit der Schilderungen und philosophischer Diskurse zu spüren. Doch leider geht deren Länge so manches Mal zu Lasten der Spannung, ebenso wie manche ausufernden Landschaftsbeschreibungen, die die Handlung keinen Schritt voranbringen und zum Weiterblättern verleiten. Kürzungen hätten dem Roman gut getan.
Dennoch ist „Die Tyrannei des Schmetterlings“ für uns Leser, die wir das technologisch Machbare oder nur Phantastische kaum zu unterscheiden vermögen, nicht nur ein spannender und nachdenkenswerter Wissenschaftsthriller, sondern bietet mit zusätzlichen Elementen aus Science Fiction und Fantasy eine gute Vorlage für einen Hollywood-Blockbuster.

4 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.04.2018
Was mit dem weißen Wilden geschah
Garde, François

Was mit dem weißen Wilden geschah


ausgezeichnet

Im Herbst 1858 wird der erst 14-jährige französische Schiffsjunge Narcisse Pelletier (1844-1894) in einer Bucht der damals noch unbekannten Halbinsel Cape York im Nordosten Australiens von der Crew seines Schiffes zurückgelassen. Die nächsten 17 Jahre lebt er in einer Aborigine-Familie, nimmt deren Sitten und Gebräuche an, bis er 1875 von der Besatzung eines englischen Schiffes zufällig als „weißer Wilder“ entdeckt und nach Sidney gebracht wird. Im Herbst 1875 kommt er als 31-Jähriger nach Frankreich zurück. Als Leuchtturmwärter auf einem Außenposten bei Saint-Nazaire heiratet er 1880 eine junge Näherin. Im Alter von nur 50 Jahren stirbt er.
Diese wahre Begebenheit nutzte der französische Regierungsbeamte François Garde (59) vor sechs Jahren als Plot für seinen Debütroman „Was mit dem weißen Wilden geschah“, der noch im Erscheinungsjahr 2012 mit acht Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, darunter dem Prix Goncourt. Nach der deutschen Erstausgabe von 2014 erschien im Dezember 2017 die Taschenbuchausgabe beim dtv-Verlag.
Im Roman verwebt François Garde gekonnt Fakten und Fiktion, lässt Pelletiers Abenteuer schon 1843 beginnen, seine Wiederentdeckung im Jahr 1861, hält aber an den wichtigsten Fakten fest. Durch geschickten Wechsel zweier unterschiedlicher Stilmittel – Abenteuer- und Briefroman – lässt uns der Autor beide Zeitebenen von einander deutlich unterscheiden. Einerseits erleben wir die verzweifelte Eingewöhnungsphase des 18-jährigen Matrosen unter den Ureinwohnern, andererseits erfahren wir in den Briefen eines Amateurwissenschaftlers, des Grafen Octave de Vallombrun, an den Präsidenten der Geographischen Gesellschaft in Paris die komplizierte Wiedereingliederung des inzwischen 36-Jährigen in die französische Gesellschaft. Der Graf hatte sich während eines Aufenthalts in Sidney des „weißen Wilden“, der während der zwei Jahrzehnte im Busch jede Erinnerung an Frankreich und seine Muttersprache verloren hatte, fürsorglich angenommen, nachdem man in ihm einen Franzosen erkannt zu haben glaubte.
Die Dramatik des Romans zeigt sich in der Tatsache, dass dem jungen Narcisse Pelletier gleich zweimal seine Identität gestohlen wird: Nach dem Verlust jeglicher Verbindung in die französische Heimat hatte er sich nach Tagen der Hoffnung auf Rettung, dann der verzweifelten Todessehnsucht schließlich doch in das Leben und die Gesellschaft, in die Riten und Bräuche der urzeitlich nackt lebenden Jäger und Sammler eingewöhnt und war schließlich von ihnen aufgenommen worden. Er hatte ein neues Leben begonnen, sich eine neue Identität gegeben. Durch sein Wiederauffinden und das Bemühen anderer, ihn wieder in die französische Gesellschaft einzugliedern, nimmt man ihm nun zum zweiten Mal seine Identität, die sich Pelletier allerdings durch hartnäckiges Schweigen zu bewahren sucht: „Reden ist wie Sterben.“
François Gardes völlig zu Recht prämierter und absolut spannender Debütroman ist nicht nur historisch interessant, sondern auch soziologisch. Zumal über allem die heute wieder heiß diskutierte Frage steht, was Integration wirklich bedeutet: Gilt nur die unbedingte Einordnung oder eher das Motto „leben und leben lassen“?

Bewertung vom 15.04.2018
Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2
Lunde, Maja

Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2


gut

Nach ihrem Welterfolg „Die Geschichte der Bienen“ erschien im März mit „Die Geschichte des Wassers“ der zweite Band des auf vier Bände angelegten „Klima-Quartetts“ der norwegischen Schriftstellerin Maja Lunde (42). Ging es im ersten Band um das drohende Aussterben der Bienen, eine Voraussetzung für den Weiterbestand nicht nur menschlichen Lebens, handelt dieser zweite Band nun vom Wasser, genauer vom trinkbaren Süßwasser, ohne das wir Menschen ebenfalls zum Tode verurteilt sind.
Themen sind die Erderwärmung, die Zerstörung der Gletscher, die Natur zerstörenden Großprojekte wie Wasserkraftwerke und Staudämme, der mutwillige, profitgierige Raubbau an unserer Natur. Oft diskutierte Umweltsünden und deren mögliche Folgen verbindet die Autorin mit den Schicksalen ihrer Protagonisten, lässt dabei die Handlung kapitelweise wechselnd auf zwei Zeitebenen spielen: Die 70-jährige Umweltaktivistin Signe kämpft 2017 noch immer gegen Umweltsünden von Unternehmen und Politikern und demonstriert jetzt gegen den profitablen Abbau von Gletschereis. Mit einigen dieser in Plastikbehältern vakuumverpackten Eisstangen fährt sie im Segelboot nach Südfrankreich, um ihren für diesen Raubbau verantwortlichen einstigen Verlobten zur Rede zu stellen. Während ihrer Fahrt erfahren wir von den Anfängen ihres Umweltkampfes in früher Jugend. Schon damals sahen die Menschen nur den gegenwärtigen Wirtschaftserfolg, übersahen aber die künftigen Folgen für die Umwelt.
Der zweite Handlungsstrang um David und dessen kleine Tochter Lou spielt 2041 in einem seit Jahren von Dürre und Hitze ausgezehrten Südfrankreich. Die Menschen verlassen ihre Heimat und fliehen in den klimatisch noch erträglicheren Norden. Nicht nur Hitze und Feuersbrünste sind mörderisch in Südfrankreich, auch die Trinkwasservorräte sind erschöpft. Flüchtlinge werden kurzfristig in Lagern versorgt, bis auch dort Wasser und Lebensmittel ausgehen. Der Kampf um das letzte Süßwasser endet in Schießereien. David und Lou finden außerhalb des Lagers ein altes Segelboot an einem längst ausgetrockneten Kanal und schließlich einige im Erdboden vergrabene Plastikbehälter mit lebensrettendem Gletscherwasser. Damit verlängert sich ihr Leben um drei Monate: Wasser ist Leben!
Maja Lundes Botschaft ist einfach, doch allzu gewollt: Die von ihr beschriebene Fiktion eines ausgedörrten Frankreich in allzu naher Zukunft lässt ihre Geschichte unrealistisch erscheinen. Zudem mag der durch zunehmende Erderwärmung uns angedrohte Anstieg des Meeresspiegels durch Gletscherschmelze in Frankreich eher wahrscheinlich sein. „Die Geschichte des Wassers“ ist trotz einiger Klischees und seiner entsprechend besetzten, aber doch etwas blass gebliebenen Figuren noch ein gut lesbarer Roman, der seine Leser zum Nachdenken über unsere Welt und unser eigenes Umwelthandeln anregen mag. Aber er reicht nicht mehr an das Niveau des ersten Bandes heran. Wie mögen dann wohl die beiden noch kommenden Bände ausfallen?