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Ingrid von buchsichten.de
Wohnort: 
Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 329 Bewertungen
Bewertung vom 18.05.2020
Pandatage
Gould-Bourn, James

Pandatage


sehr gut

Im Roman „Pandatage“ schildert der Engländer James Gould-Bourn die besondere Beziehung von Danny Maloony zu seinem 11-Jährigen Sohn Will, die aufgrund einer Familientragödie entstanden ist. Um der prekären Situation zu entkommen, in der er sich gerade befindet, hat Danny eine Idee. Er kauft ein Pandakostüm für sich, um damit öffentlich aufzutreten. Aber statt damit eine Lösung seiner bisherigen Probleme zu erreichen, warten ganz neue auf ihn. „Pandatage“ in der Maskerade verändern Danny nach außen hin zwar im Aussehen, doch seine Gefühle hält er für andere verborgen.

Will saß bei dem tragischen Verkehrsunfall vor einem Jahr, bei dem seine Mutter Liz starb, mit im Auto. Seitdem spricht er mit niemandem mehr. In der Schule wird er von den anderen Schülern gemoppt, nur sein bester Freund Mo steht ihm zur Seite. Sein Vater ist als ungelernter Arbeiter auf dem Bau beschäftigt. Es ist nicht leicht für Danny, seinen Job, den Haushalt und die Betreuung seines Kindes unter einen Hut zu bringen. Von den Schwierigkeiten seines Sohns in der Schule bekommt er wenig mit. Aufgrund seines mehrfachen Zuspätkommens verliert er seine Arbeit, die Rechnungen häufen sich und sein Vermieter droht ihm drastische Maßnahmen bei Mietverzug an. Als Tanzbär Geld zu verdienen, hat er sich leichter vorgestellt, denn im Gegensatz zu Liz hat er überhaupt kein Talent zum Tanzen und bisher auch kein Interesse daran gezeigt. Nur Tanzunterricht könnte ihm jetzt weiterhelfen. Vor Will möchte er unbedingt sein neues Engagement geheim halten.

Danny ist ein liebenswerter Charakter. Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Von seinen Schwiegereltern fühlt er sich aufgrund seiner beruflichen Stellung nicht akzeptiert. Doch die Liebe zwischen Liz und ihm hat schon einige Klippen umschifft. Er hat sich immer wenig Sorgen um seine Zukunft gemacht. Aber nachdem er alle Kosten nur noch von seinem Gehalt bezahlen kann, sind seine finanziellen Belastungen hoch. Er ist davon ausgegangen, dass auf dem Arbeitsmarkt immer Arbeitswillige gesucht werden und steht plötzlich nach seiner Entlassung vor den Scherben seiner Existenz.

James Gould-Bourn entlockte mir trotz dramatischer Szenen immer wieder ein Lächeln durch geschickt gesetzten Wortwitz mancher Figuren. Auch wenn er teilweise zu Übertreibungen greift, die unglaubwürdig sind, so verteidigt er doch diese Linie mit dem engen Band zwischen Liz und Danny, das den Tod überdauert und an dem sein Protagonist festhält. Danny verliert nach dem Unfall aufgrund seiner eigenen tiefen Empfindungen, die er gegenüber Will geschickt überspielt, den Kummer seines Sohns aus den Augen und widmet sich ganz seiner Arbeit auf dem Bau, bei der er Abstand von Zuhause gewinnen kann. Der Arbeitsplatzverlust entzieht ihm die Möglichkeit sein Gedankenkarussell auszuschalten.

„Pandatage“ von James Gould-Bourn sorgt immer wieder für heitere Szenen trotz traurigem Hintergrund aus mehrfachem Anlass durch abwechslungsreich gezeichnete, eigenwillige Figuren mit manch schrägen Sprüchen und überspitzten Beschreibungen von Situationen. Er stellt dar, dass es verschiedene Wege zu trauern gibt. Für das Wohl eines Kindes reicht eine nur physische Anwesenheit nicht aus, sondern es ist notwendig auch dessen Vertrauen zu erhalten und ihm im Gegenzug seines zu schenken. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für den Roman.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.05.2020
Wild Game
Brodeur, Adrienne

Wild Game


sehr gut

Das Buch „Wild Game“ der US-Amerikanerin Adrienne Brodeur ist die wahre Geschichte der Beziehung zwischen der Autorin und ihrer Mutter Malabar. Der Untertitel „Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich“ stellt die Brisanz der Erzählung heraus, denn Adrienne Brodeur wurde unwillentlich zur Mitwisserin der langjährigen Affäre Malabars. Der Titel nimmt Bezug auf das Schreiben eines Kochbuchs über Wildgerichte, denn das Projekt bildet den Grund für Treffen zwischen den Liebenden ohne das ihre Liaison auffällt.

Ende der 1970er Jahre ist Adrienne, kurz Rennie gerufen, 14 Jahre alt. Jedes Jahr verbringt die Familie ihre Ferien im eigenen Ferienhaus auf Cape Code. Freunde sind hier herzlich willkommen, besonders häufig sind Ben, ein langjähriger Freund von Rennies Stiefvater Charles, und seine Frau Lily zu Gast. Nach einem feuchtfröhlichen Abend mit den Freunden wird Rennie mitten in der Nacht von ihrer Mutter geweckt, die ihr mitteilt, dass Ben sie geküsst hat. Anders als die Ich-Erzählerin erwartet, hat Malabar sich sehr über den Kuss gefreut. Es ist der Beginn eines leidenschaftlichen Liebesverhältnisses in dem Adrienne eine immer aktivere Rolle einnimmt, um ablenkende Situationen zu schaffen.

Anders als bei einem Roman steht die Realitätsnähe hier nicht in Frage. In einleitenden Worten informiert die Autorin darüber, dass die Geschichte ihre Ansicht der Ereignisse darstellt, die sie nicht nur aufgrund ihrer Erinnerungen, sondern auch anhand von Fotos, Aufzeichnungen und weiterer Fakten geschrieben hat. Sie schildert die heiteren Tage ihrer Mutter am Meer, die unterbrochen sind von den trüben Tagen im Alltag. Nicht nur Malabars Name ist ungewöhnlich, sondern auch ihre Vergangenheit. Rennies Mutter steht gern im Mittelpunkt. Ihre glänzenden Kochkünste geben ihr immer wieder kleine Erfolgserlebnisse, doch sowohl Malabar wie auch Ben sind an Ehepartner gebunden, die von Krankheit gezeichnet sind. Ihr Aktionsradius ist daher eingeschränkt, denn sie fühlt sich Charles verpflichtet. Gerne würde sie, die in Indien geborene und in ihrer Kindheit weit Gereiste, Abenteuer erleben und die Welt kennenlernen.

Die noch junge Adrienne hat widerstreitende Gefühle, wenn sie über die Affäre nachdenkt. Einerseits fühlt sie sich durch die Mitteilung des Geheimnisses geschmeichelt und hofft, dass sich dadurch eine besondere Nähe zu ihrer Mutter einstellt, andererseits sieht sie den Seitensprung als verwerflich an, weil ihr bewusst ist, dass das Bekanntwerden beide Ehen zerstören könnte. Sie nimmt die Einschränkungen wahr, die ihre Mutter hinnimmt und sie entscheidet sich dafür, ihr dabei zu helfen, Freiräume zu schaffen, damit Malabar ihre Gefühle ausleben kann. Doch je länger die geheime Beziehung anhält, desto deutlicher werden für Rennie die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben durch ihre ständige Bereitschaft zur Organisation von Ablenkungsmanövern. Besonders schwierig wird die Frage, wie sie die Angelegenheit in ihre eigenen Partnerschaften einfließen lassen soll.

„Wild Games“ von Adrienne Brodeur ist die sehr persönliche Coming-of-Age-Geschichte der Autorin. Sie thematisiert nicht nur ihre besondere Beziehung zu ihrer egozentrischen Mutter, sondern vor allem deren jahrelang dauernde Liebesaffäre zum besten Freund des Stiefvaters, die nicht nur einen breiten Raum in ihrem eigenen Leben eingenommen, sondern es auch tiefgreifend beeinflusst hat. Zwar ist die Erzählung nicht einzigartig, zeigt aber auf vielfache Weise und bewegend auf, welche Abhängigkeiten und Einflüsse in einem Familienkonstrukt zum Tragen kommen können. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.05.2020
Die Herren der Zeit / Inspector Ayala ermittelt Bd.3
Garcia Saenz, Eva;Garcia Saenz, Eva

Die Herren der Zeit / Inspector Ayala ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Der Thriller „Die Herren der Zeit“ von Eva García Sáenz ist der dritte und abschließende Teil der Serie „Trilogie der Weißen Stadt“. Der Titel der Reihe bezieht sich auf den Haupthandlungsort Vitoria im Baskenland. Hier wohnt der Protagonist und Ich-Erzähler des Buchs Inspector Unai López de Ayala, den seine Freunde wegen seiner langen Arme von Jugendtagen an „Kraken“ rufen, und hier ist er bei der Kriminalpolizei als Spezialist für Täteranalysen angestellt. Bei den Fallermittlungen ist auch diesmal wieder seine Kollegin Estíbaliz Ruiz de Gauna an seiner Seite, die ihn als Spezialistin für Opferanalysen unterstützt und arbeitsmäßig ergänzt. Der dritte Band kann ohne die Kenntnis der beiden ersten Teile gelesen werden, was aber sehr schade wäre, weil man dadurch viele spannende Einzelheiten der bisherigen Ermittlungen verpassen würde.

Die Handlung setzt ungefähr 2 ½ Jahre nach dem Zeitpunkt der Ereignisse im Buch „Das Ritual des Wassers“ ein. In Vitoria findet eine Lesung zum historischen Roman „Die Herren der Zeit“ statt, die mit Spannung erwartet wird, weil sich der Autor bisher noch nicht in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Unai und seine Famile sowie Estibaliz nehmen daran teil. Der Autor erscheint nicht, stattdessen wird in den Toilettenanlagen ein Mann gefunden, der vergiftet wurde. Es ist der Beginn einer Serie von Verbrechen, die Unai in Verbindung mit dem Roman sieht, weil sie denjenigen ähneln, die dort beschrieben werden. Die Begebenheiten im Buch spielen im Mittelalter und basieren auf dem für den vorliegenden Thriller geschichtlichen, tatsächlich aber fiktivem Hintergrund der Stadt Vitoria. Sie stehen im Zusammenhang mit den alten Familiengeschlechtern, die die Stadt bevölkerten und deren Nachfahren heute noch, wie beispielsweise Unai, vor Ort leben.

Eva García Sáenz baut von Beginn an Spannung auf. Unai ist ein Ermittler, der sich voll und ganz der Aufklärung seiner Fälle widmet und trotzdem versucht, sein Familienleben damit in Einklang zu bringen. Zum Glück haben seine Verwandten, Freunde und Bekannten Verständnis dafür. Manchmal sind sie sogar selbst darin involviert, was Unai durchaus bewusst ist. Diesmal sorgt er sich vor allem um seine kleine Tochter und dennoch vermag er es nicht, all diejenigen zu schützen, die ihm am Herzen liegen.

Die Autorin erzählt abwechslungsreich und vielschichtig. Die Kapitel werden immer wieder unterbrochen mit dem Inhalt des fiktiven Romans, der dem Thriller seinen Titel gibt. Dadurch konnte ich die Parallelen zwischen den aktuellen Taten und den beschriebenen Delikten im grausamen Mittelalter sehen, die Unai im Rahmen der Ermittlungen sehr beunruhigten. Vor allem war dem Inspector aufgrund des gelesenen Buchs bewusst, dass weitere Verbrechen entsprechend der Erzählung folgen könnten. Geschickt legt Eva García Sáenz wieder Fährten zu mehreren potentiellen Tätern.

Wie in jedem Band der Serie vermittelte mir die Autorin auch diesmal interessante geschichtliche und kulturelle Details rund um Vitoria, den Sehenswürdigkeiten, den Bewohnern und der Umgebung, woraus ihre Liebe zur Heimat spricht. Ich begegnete vielen aus den vorigen Teilen bekannten Figuren wieder. Der Ich-Erzähler Unai ist ein sympathischer Charakter gerade wegen einiger Macken und Marotten. Interessiert habe ich die Entwicklung seines Privatlebens über die Teile hinweg verfolgt. Er setzt sich genauso wie weitere Familienmitglieder für einen starken Zusammenhalt ein, für den er bereit ist, Kompromisse einzugehen.

Mit dem Buch „Die Herren der Zeit“ hat Eva García Sáenz wieder einen fesselnden, durchgehend spannenden Thriller geschrieben zu dem ihre Kenntnisse historischer Begebenheiten und eine sehr gute Handlungskonstruktion beitragen. Leider schließt der dritte Band die Serie ab, ich hätte mir eine weitere Fortsetzung gewünscht. Aufgrund meiner Begeisterung für alle drei Teile vergebe ich eine große Leseempfehlung an alle Thrillerfans.

Bewertung vom 27.04.2020
Die Wahrheit ist
Nevo, Eshkol

Die Wahrheit ist


sehr gut

Seinen Roman „Die Wahrheit ist“ hat der israelische Autor Eshkol Nevo auf eine besondere Weise gestaltet. Er setzt sich zusammen aus den Antworten, die ein Alter Ego des Schriftstellers als fiktiver Ich-Erzähler auf über hundert Fragen gibt, die ein Onlineredakteur aus einer Reihe von Fragen der User ausgewählt hat. Der Ich-Erzähler vermutet, dass es sein letztes Interview sein wird, denn er rechnet mit einem Herzinfarkt in den nächsten zwei Jahren, wobei seine Befürchtung auf seinen familiären Erfahrungen beruht.

Momentan schreibt er an keinem neuen Roman, weil es noch kein Jahr her ist, dass sein letztes Buch erschienen ist und er in der Zeit nach der Veröffentlichung immer besonders offen dafür ist, sich neu zu verlieben. Bereits nach dieser Aussage auf einer der ersten Seiten, stellte ich in Frage, ob der Erzähler sich tatsächlich an sein Versprechen dem Leser gegenüber hält, die Antworten der Wahrheit entsprechend zu geben, so wie es auch der Buchtitel andeutet, doch dazu weiter unten mehr. Im Cover drückt sich aus, dass sich Teile eines Ganzen, wie hier zum Beispiel die Wahrheit, in Ihrer Gestaltung verschieben lassen und dadurch ein neuer Eindruck entsteht.

Der Roman hat keine durchgehende Handlung und setzt sich aus vielen kurzen Geschichten als jeweilige Erwiderung zusammen. Lediglich zwei bis drei Fragen beantwortet der Protagonist täglich, so dass der Handlungsspielraum sich über einen längeren Zeitraum zieht. Aus den Antworten ergibt sich immer mehr das Bild eines Schriftstellers, der sich seine Wahrheiten zurechtbiegt entsprechend seiner Wünsche und Vorstellungen vom Leben. Die Schilderungen sind teils wie Vexierbilder doppeldeutig. Den Wahrheitsgehalt zu finden ist schwierig. Beispielsweise gibt er sich gerne als Liebhaber, obwohl er seit vielen Jahren verheiratet ist. Später nimmt er seine Aussagen zurück, auch weil seine Ehe darunter leidet.

Problematisch ist ebenfalls, dass er eigene Erfahrungen in seine Romanhandlungen einfließen lässt. Seine älteste Tochter hat dafür kein Verständnis und ihre Konsequenzen daraus gezogen. Auch in anderer Hinsicht hat er Sorgen, denn aufgrund eines lukrativen Auftrags hat er sich zur Unterstützung einer Meinung entschlossen, die nicht seine ist. Als er weitere Tätigkeiten dieser Art ablehnt, wird er vom Auftraggeber unter Druck gesetzt. Es wird deutlich, dass er auf ein positives Bild von sich in der Öffentlichkeit bedacht ist.

Die vorgenannten Gründe haben sicher auch dazu beigetragen, dass er unter einer ständigen Missstimmung leidet und vermutlich auch zu seiner momentanen Schreibblockade führten. Die Interviewfragen sind meist typisch für solche, die Schriftstellern gestellt werden und beziehen sich auf alles rund ums Schreiben, selten kommt es vor, dass Fragen zum familiären Hintergrund gestellt werden. Sie stehen in keiner Reihenfolge und führen zu Antworten, in die eine permanente zeitliche gegenwärtige Entwicklung einfließt, jedoch gehen die Gedanken des Ich-Erzählers häufig zurück zu Erinnerungen, die nicht immer positiver Art sind. Die örtlichen und zeitlichen Wechsel störten immer wieder meinen Lesefluss.

In seinem Roman „Die Wahrheit ist“ schreibt Eshkol Nevo über einen Autor, dem er seinen eigenen Namen gibt. Unweigerlich habe ich beim Lesen begonnen nach Parallelen zwischen Verfasser und fiktivem Schriftsteller zu suchen. Ähnlichkeiten zu sehen ist jedoch müßig, weil der Ich-Erzähler nach eigener Aussage die Schilderungen seinen Erwartungen an ein schönes Leben anpasst. Es ist unmöglich, die Wahrheit herauszufiltern, was den Roman überaus faszinierend macht. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2020
Mathilda oder Irgendwer stirbt immer
Heldt, Dora

Mathilda oder Irgendwer stirbt immer


sehr gut

Die Titelfigur „Mathilda“ im gleichnamigen Roman von Dora Heldt nimmt im Prolog der Geschichte Rückblick auf die vergangenen turbulenten Monate und verrät dabei einiges, was in dieser Zeit geschehen ist. Ein wenig lässt auch der Untertitel des Buchs „Irgendwer stirbt immer“ vermuten, dass die Dorfidylle von Dettebüll, dem Ort, in dem Mathilda nun schon über 60 Jahre lebt, durch unerwartete Ereignisse gestört wurde. Noch vor Aufblättern der ersten Seiten führt das Cover mit einer beschaulichen Szene des Landlebens stimmungsvoll in die Erzählung ein.

Gemeinsam mit ihrem Mann Gunnar, der inzwischen in Rente ist, wohnt Mathilda in einer Haushälfte, die ihrer Mutter Ilse gehört. Sie hat zwei erwachsene Kinder, die nicht mehr vor Ort leben. Obwohl sie gern im Dorf lebt, muss sie sich mit einigen Dingen, die ihr weniger oder gar nicht gefallen, arrangieren. Dazu gehört zum Beispiel ihre in der anderen Hälfte des Hauses wohnende Mutter, der sie zwar Respekt zollt, die sich aber auf ihre eigene Weise in sämtliche Belange einmischt, ihre Meinung kundtut und dabei immer auf der Suche nach einer wenig konstruktiven Auseinandersetzung zu sein scheint. Mathilda liebt Frieden und ist immer bereit, einzulenken und Streit beizulegen. Und eines Tages geschieht ein Unfall, der für Ilse nicht gut endet, aber für Mathilda vieles verändert. In der Zwischenzeit kehrt ihr Bruder Pit, ein Kneipenwirt in Hamburg, ohne ihr Wissen in besonderer Mission in sein Heimatdorf zurück. Er ahnt nicht, dass er selbst seinen Teil dazu beitragen wird, dass ungewöhnliche Ereignisse im Dorf geschehen, mit denen niemand gerechnet hat.

Mathilda ist ein sympathischer Charakter. Liebevoll kümmert sie sich sowohl um die ihr anvertrauten Menschen wie auch die ihr übertragenen Aufgaben. Viele Erledigungen sind für sie Routine und werden selten von ihr hinterfragt. Die Beziehungen innerhalb der Dorfgemeinschaft haben sich über Jahre herausgebildet, Freundschaften werden gepflegt, Widersacher gemieden. In Dettebüll kennt jeder jeden und weil so wenig geschieht, tragen sich Neuigkeiten schnell weiter, denn alle freuen sich über neue Gesprächsthemen. Dora Heldt schafft Figuren, denen sie einen eigenwilligen, nicht immer liebenswerten, manchmal überspitzt dargestellten Charakter verleiht, der sich aber im Laufe der Ereignisse auch ändern kann. Die Absichten einiger Personen sind schwierig vorherzusehen und tragen zu den ereignisreichen Begebenheiten bei. Mit der Zeit erhält die Handlung einige kriminelle Elemente. Über allem liegt ein durchgehend amüsanter Unterton, auch durch die Verknüpfung von Handlungen, die über den Zufall hinausgehen. Allerdings führte der gekonnt konstruierte Handlungsablauf mit immer neuen Verwicklungen zum Ende hin zu wenigen Längen.

In ihrem Roman „Mathilda“ schildert Dora Heldt zwar ein lauschiges Landleben, doch demgegenüber stellt sie auch die Vorteile des Wohnens in einer Stadt. Sie vermischt eine vergnügliche Geschichte mit kriminellen Handlungen, die sie aber passend zur Story als unerheblich erscheinen lässt. Gerne empfehle ich das Buch an Leser, die nach einer Erzählung für unterhaltsame Stunden suchen.

Bewertung vom 13.04.2020
1000 Serpentinen Angst
Wenzel, Olivia

1000 Serpentinen Angst


ausgezeichnet

Mit „1000 Serpentinen Angst“ hat die in Berlin lebende Autorin Olivia Wenzel ihren ersten Roman vorgelegt. Wie schon der Titel andeutet, leidet ihre unbenannte Protagonistin, eine junge Frau im Alter von Mitte 30 und Projektmanagerin im E-Commerce, unter einer Angststörung. Sie hat Flugangst, Angst vor Terror in allen Abstufungen und schließlich Angst vor der Angst. Aber sie ist aufgeschlossen, wissbegierig und vor allem reiselustig. Sie beobachtet genau und speichert die Szenen ab, um sie jederzeit wieder abrufen zu können. Leider sind ihre Erinnerungen nicht immer positiver Art.

Die Autorin lässt in ihre Geschichte durchgehend symbolisch einen Snackautomaten als Herz der jungen Frau einfließen. Sie steht immer wieder an einem Bahnsteig vor einem solchen Kasten. Die Orte, an denen sie sich dabei aufhält, sind wechselnd über die ganze Welt verstreut, Der Inhalt des Automaten ist vielfältig, so bunt wie das Leben. Als Kind hat sie für ihr Taschengeld Kaugummi mit Goodie gezogen, aber was sie sich gewünscht hat, ist selten erschienen. Heute kann sie direkt wählen, doch die große Auswahl macht es ihr nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen. Später ist der Automat kleiner und damit unauffälliger geworden. Um die Sicht auf den Inhalt zu erhalten, muss die Protagonistin sich bücken, sich selbst klein machen und sich biegen, aber die Auswahl ist vorhanden und es tut gut, sich seinen Wunsch zu erfüllen.

Geboren ist die junge Frau im Osten Deutschlands als Tochter einer alleinerziehenden Mutter und eines angolanischen Vaters, der in die Heimat zurückgekehrt ist. Bei ihrer Großmutter, dem Sozialismus verbunden, ist sie gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder eine Weile aufgewachsen. Ihre Mutter hat sich als Jugendliche zum Punk gewandelt und auf diese Art gegen das System rebelliert. Im Teenageralter hat die Protagonistin einen großen Verlust hinnehmen müssen. Aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe fiel sie oft ungewollt auf.

Für die junge Frau ist es nicht einfach, ihren eigenen Weg zu finden und gesellschaftspolitisch eine eigene Meinung zu bilden. Sie lehnt jede Art von Gewalt ab genauso wie jede Form der Diskriminierung.

Olivia Wenzel findet eine ganz eigene Erzählweise. Ihr Roman ist in drei Teile geteilt. Der erste und letzte Teil ist vorwiegend im Frage-Antwort-Stil geschrieben. Die Fragen sind durchgehend in Großbuchstaben geschrieben und dementsprechend fordernd. Die fragende Person bleibt unbenannt. Das Stil erinnerte mich teils an Pressekonferenzen, bei denen die Interviewer vorbereitete Fragen stellen, auch wenn sie nicht zur Situation passen, weil es Fragen sind, die zu ihnen gehören und die sie immer in ihrem Repertoire haben. Die junge Frau antwortet, bleibt gelassen, rückversichert sich und lässt manchmal durch die Fragen angeregt ihre Gedanken schweifen. Während des dritten Teils ändert sich die fragende Person und schlüpft in die Rolle der jungen Frau, die nun aus zwei Perspektiven spricht.

Die Mitte des Romans besteht zu einem großen Teil aus der Betrachtung von Fotos, die für das Leben der jungen Frau von Bedeutung sind. Rückblicke auf Kindheit und Jugend stehen neben Reisen in die USA und nach Vietnam, der Heimat einer ihrer Freundinnen, während sie ebenso ihren Alltag in Berlin meistert.

Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“ ist vielschichtig. Er vermittelt Lebensfreude ebenso wie Ängste, von denen man sich aber nicht entmutigen lassen sollte. Liebe in allen Schattierungen und die Frage danach, wo man sich Zuhause fühlt sind weitere Themen. Während des Lesens fragte ich mich häufiger, wie viel Selbsterlebtes die Autorin in ihre Geschichte einfließen ließ, vor allem weil sie eine große Empathie für ihre Figuren und deren Handlungen zeigt. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

Bewertung vom 02.04.2020
Das Beste kommt noch
Roper, Richard

Das Beste kommt noch


ausgezeichnet

In seinem Debütroman „Das Beste kommt noch“ thematisiert der Engländer Richard Roper die Einsamkeit im Alter, oft verbunden mit Altersarmut, auf eine besondere Art und Weise. Dazu nutzt er die Figur seines Protagonisten Andrew Smith, der Nachlassverwalter bei der Stadtverwaltung in London ist. Damit verbunden hat er eine Geschichte über die weitreichenden Folgen einer Flunkerei von Andrew.

Andrew ist 42 Jahre alt und Single. Er wohnt schon sehr lange allein in einer kleinen Wohnung. Alle drei Monate ruft seine ältere Schwester an, das ist sein einziger Bezug zur Familie. Nachdem seine letzte Arbeitsstelle wegrationalisiert wurde hat er sich bei der Stadtverwaltung im Nachlassamt beworben. Leider ist ihm dabei ein Missgeschick unterlaufen und durch eine Fügung hat er seinem Chef von einer Ehefrau, zwei Kindern und einem Haus, das die Familie bewohnt, erzählt. Nie war der richtige Zeitpunkt gekommen, um das richtig zu stellen. Jetzt plant sein Chef eine neue teambildende Maßnahme, bei der nacheinander jeder seine Kollegen nach Hause zu einem Essen einladen soll. Bald schon wird Andrew an der Reihe sein. Doch inzwischen wird das Team durch eine neue Kollegin, mit einer Frisur wie sie auf dem Cover abgebildet ist, ergänzt und er versteht sich von Beginn an bestens mit ich. Es entwickelt sich zwischen ihnen mehr wie eine berufliche Beziehung. Aber beide sind nach eigenen Angaben glücklich verheiratet …

Zu Andrews Aufgaben gehört es, die Wohnung der Verstorbenen nach Hinweisen auf Bezugspersonen und finanzielle Mittel zur Begleichung der Beerdigungskosten zu suchen. Er versieht seine Arbeit mit viel Respekt für die Toten und erscheint daher auch zu deren Begräbnis, zu dem sonst meist nur der Pfarrer anwesend ist. Die Einsamkeit, in der die Gestorbenen lebten, kann er aufgrund seiner eigenen Lebensweise gut nachvollziehen und fühlt sich ihnen dadurch auf gewisse Art verbunden. Der Gedanke, dass er sich irgendwann in einer ähnlichen Situation befinden wird, ist ihm nah. Damit er in Kontakt mit anderen die richtigen Gesten und Worte findet, beobachtet er andere sehr genau, versucht sich in die Betrachteten einzufühlen und merkt sich deren Verhalten, so dass er meist ein angenehmer Gesprächspartner ist.

Richard Roper schreibt ohne Sentimentalität über einen Umstand unserer heutigen Gesellschaft, bei der viele Senioren sehr zurückgezogen leben und ihr Tod lange Zeit unbemerkt bleibt. Die Geschichte ist bewegend, die dabei aufkommende Traurigkeit wird aber von den teils amüsanten Schilderungen der Begebenheiten rund um Andrew übertönt, die vor allem dadurch entstehen, dass er so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit über sein Privatleben reden möchte.

Schon nach kurzer Zeit wurde mir als Leser deutlich, dass etwas in der Vergangenheit von Andrew geschehen sein muss, dass auf ihn verstörend gewesen ist. Die seltenen Anrufe seiner Schwester und seine fehlende Initiative, selbst anzurufen oder sie zu treffen, warfen Fragen auf, genauso wie seine Reaktion auf einen ganz bestimmten Song. Erst im Laufe der Zeit entstand das Bild eines Menschen, der mehrfach in seinem Leben beängstigende Erlebnisse hatte und nun versucht weitere Verletzungen seiner Gefühle zu vermeiden. Schließlich erklärte sich dadurch auch seine Lüge beim Vorstellungsgespräch. Als sich zwischen Peggy und ihm eine starke Zuneigung entwickelt, begann ich Mitleid mit ihm zu haben und hoffte für ihn auf eine Lösung für sein Dilemma.

Richard Roper erzählt mit viel Einfühlungsvermögen in seinem Roman „Das Beste kommt noch“ von einer folgenschweren Schwindelei und der Schwierigkeit sie richtig zu stellen. Dabei verknüpft er den Beruf seines Protagonisten Andrews mit einem Blick auf das Alleinsein im Alter und stimmt dadurch nachdenklich. Aufgrund einiger aufheiternder Szenengestaltungen ist die Erzählung berührend, aber nicht bedrückend. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 29.03.2020
Der tote Carabiniere / Marco Pellegrini Bd.2
Minardi, Dino

Der tote Carabiniere / Marco Pellegrini Bd.2


ausgezeichnet

„Der tote Carabiniere“ ist der zweite Fall für Marco Pellegrini von der Polizia di Stato von Como in Italien im gleichnamigen Kriminalroman des deutschen Autors Dino Minardi. Er spielt etwa fünf Monate nach den Ereignissen des ersten Teils, dessen Kenntnis man für das Lesen nicht unbedingt benötigt, es allerdings das Lesevergnügen steigert. Einen Blick über den Comer See und die schöne Landschaft, in der die Handlung angesiedelt ist, bietet das Cover. Der Titel deutet bereits auf das geschehene und aufzuklärende Verbrechen hin. Doch Pellegrini ist nicht mit den Ermittlungen beauftragt.

Marco Pellegrini wohnt in Brunate, einem Ort unweit von Como entfernt, auf einer Anhöhe gelegen. Um zu seinem Dienstsitz zu gelangen, nimmt er fast immer die Funiculare, die Standseilbahn, die eines morgens abrupt stoppt. Ursache dafür ist der Körper eines Toten, der die Gleise blockiert. Pellegrini kennt den Verstorbenen, es ist ein örtlicher Carabiniere mit dem er bisher regelmäßig einen Kaffee getrunken hat. In Italien gibt es zwei Polizeiorgane, daher ergibt es sich, dass Pellegrini nicht mit den Ermittlungen betraut wird, sondern die Aufklärung des Falls von den Carabinieri übernommen wird. Aber es kann ihm keiner verbieten, mit den Einheimischen über den Fall zu reden und dabei auf Hinweise zu achten.

Pellegrini ist als Sohn eines örtlichen Hoteliers im Dorf bekannt, beliebt und in die Dorfgemeinschaft integriert. Man vertraut einander und hilft sich auch mal gegenseitig. Daher ist es umso unfassbarer, dass einer von ihnen unter so tragischen Umständen ums Leben gekommen ist. Dino Minardi verbirgt den Täter geschickt und legt mehrere Fährten aus zu Tatverdächtigen, so dass der Krimi bis zum Ende spannend bleibt.

Der Autor führte mich an sehenswerte Orte in und um Como und ließ mich seine eigene Begeisterung für diese Gegend spüren. Gerne hätte ich mich manchmal mit den Figuren zu Tisch gesetzt und die angebotenen Speisen gekostet. Die Handlungen seiner Charaktere beschreibt er authentisch, so dass ich mir die Szenarien gut vorstellen konnte. Auch das Privatleben von Pellegrini kommt nicht zu kurz. Gerade weil er diesmal nicht selbst ermittelt, erlebte ich ihn umso häufiger in privaten Kontakten. Zwar verhält er sich nicht immer vorbildlich, doch das macht ihn umso sympathischer.

„Der tote Carabiniere“ von Dino Minardi hält durchgehend seine Spannungskurve. Es hat mir insgesamt noch etwas besser gefallen als der erste Fall. Gerne empfehle ich das Buch daher an alle weiter, die gerne Krimis lesen.

Bewertung vom 27.03.2020
Hin und nicht weg
Keil, Lisa

Hin und nicht weg


ausgezeichnet

Der Roman „Hin und nicht weg“ von Lisa Keil ist die Fortsetzung ihres Debüts „Bleib doch, wo ich bin“. Zum Lesen benötigt man aber keine Vorkenntnisse des ersten Teils, bei dem Kaya und Lasse im Mittelpunkt standen. Diesmal fokussiert die Erzählung auf Rob, Kayas bestem Freund von Kindertagen an und Anabel, einer Cousine von Lasse. Wieder spielt die Geschichte im fiktiven Neuberg, ländlich gelegen und etwa zwei Stunden von Köln entfernt.

Rob und Anabel lernen sich auf der Hochzeit von Kaya und Lasse kennen. Rob ist Tierarzt und hat vor einigen Jahren die Praxis seines verstorbenen Vaters übernommen. In Berlin hat Anabel einige Zeit in einer Wohngemeinschaft gelebt und als Kellnerin gejobt. Davon kann sie allerdings nicht leben und es reicht auch nicht aus, um ihre Schulden beim Vater zurückzuzahlen. Es kommt ihr daher gerade recht, vertretungsweise als Praxishilfe bei Rob einzuspringen. Immer wieder müssen die beiden beruflich neue Situationen meistern und kommen sich dabei näher. Aber vielleicht bildet Anabel, die im kleinen Neuberg mit ihren lila gefärbten Haaren, ihrem Piercing und ihren bunten Tattoos auffällt, sich das nur ein und Rob wird auf ewig seiner verflossenen Liebe Kaya nachhängen …

Mit Anabel und Rob hat Lisa Keil zwei gegensätzliche Charaktere geschaffen. Während Anabel nicht nur äußerlich auffällt, sondern auch selbstbewusst wirkt, punktet Rob mit seinem guten Aussehen und seiner liebenswerten Art. Er ist in Neuberg bekannt für seine Hilfs- und seiner beinahe ständigen Einsatzbereitschaft. Die lebenslustige Anabel verdeutlicht ihm, dass er zu wenig an seine eigenen Bedürfnisse denkt. Anabel weiß, wovon sie spricht, denn in dieser Hinsicht hat sie selbst eigene Erfahrungen gemacht. Beiden gemeinsam sind ihre Probleme zu den Eltern beziehungsweise zur Mutter, zu denen man im Laufe der Zeit mehr erfährt.

Lisa Keil gelingt eine realistische Ausgestaltung ihres Romans. Ihre Charaktere sind wandelbar. Man spürt ihre Freude am Schreiben vor allem in den Situationen, in denen sie aus dem Alltag des Tierarztes erzählt, in denen sie ihre eigenen Erfahrungen aus diesem Beruf einfließen lässt. Auch ihre Begeisterung für das ländliche Leben spiegelt sich in ihrer Erzählung. Der Grundton der Geschichte ist heiter, aber dennoch geraten die beiden Protagonisten in manch heikle Verwicklungen, die auch mich als Leser berührten. Die Kapitel wechseln mit einer Ausnahme zwischen Rob und Anabel als Ich-Erzähler, so dass ich ihre Gedankengänge sehr gut nachvollziehen konnte. Durch einige unvorhersehbaren Ereignissen ist der Roman abwechslungsreich gestaltet.

Die wirklichkeitsnahe Gestaltung der Figuren und Handlungen, angereichert mit Witz und Drama trägt dazu bei, dass die romantische Liebeskomödie „Hin und nicht weg“ von Lisa Keil für unterhaltsame Lesestunden sorgt. Gerne vergebe ich daher eine Leseempfehlung und freue mich auf die Fortsetzung im nächsten Jahr.