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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 08.12.2020
Bonnie Propeller
Maron, Monika

Bonnie Propeller


schlecht

„Bonnie Propeller“ ist, anders, als der Name eventuell vermuten lassen könnte, kein Flugzeug, sondern ein Hund und der Name einer Erzählung. Bonnie ist ein ungarischer Adoptivhund, der den verstorbenen Rüden der Autorin Monika Maron ersetzen soll. Und da liegt auch schon der Hund begraben und des Pudels Kern, jetzt aber genug mit schlechten Wortspielen. Die Autorin möchte mit einem neuen Hund den verstorbenen Gefährten ersetzen, wie sie es vorher schon einmal gemacht hat. Auf Bruno folgte Momo und auf Momo nun Propeller. Der Name missfiel ihr von Anfang an und mit Bonnie war schnell ein neuer gefunden.
Allerdings missfällt ihr der Hund eigentlich auch. Sehr oberflächlich kritisiert sie anfangs ständig, im Verlauf des Buchs dann seltener das Aussehen des Vierbeiners und sie vergleicht Bonnie ständig mit ihren Vorgängern, die einer anderen Rasse angehörten und noch dazu Rüden waren – man kann sie also nicht wirklich miteinander vergleichen. Tatsächlich weint sie sogar mehrfach, weil der Hund so gar nicht ihren Vorstellungen entspricht („Die Fahrerin des Hundetaxis übergab mir dieses kleine struppige Etwas, das in meinen Augen die Bezeichnung Hund nicht verdiente“). Und damit übersieht sie lange, was für ein toller und intelligenter Hund sich hinter dem „unschönen Tier“ mit den krummen Beinen, dem fehlenden Hals und den ausladenden Hüften verbirgt. Erst nach und nach kann das Tier ihr Herz erobern und die beiden rücken zusammen.
Obwohl die Autorin von Anfang an sicherlich gut zu Bonnie war, tat die Hündin mir leid. Sie war wegen ihres Äußeren ungeliebt und ungewollt, weil die Autorin sich einen anderen Hund gewünscht hatte. Die Oberflächlichkeit, mit der sie Bonnie betrachtete, tat mir beim Lesen weh, ebenfalls die Prioritäten, die gesetzt wurden („Drei Tage saß ich neben Bonnie und streichelte sie, während meine Enttäuschung sich allmählich zur Verzweiflung steigerte“.). Zwar betont die Autorin, „Zwischen dem Hund und mir geht es nur um das Elementare, um die Nahrung, die Gemeinsamkeit und um Liebe. Es ist das Bündnis von zwei Kreaturen mit dem einzigen Zweck, einander Freude und Beistand zu sein.“, aber irgendwie scheint der Hund für sie doch eher eine Art Einrichtungsgegenstand oder Teil einer Zweckgemeinschaft zu sein („Und abgesehen von diesem ideellen Aspekt des Zusammenlebens gab es auch noch den ganz profanen, die vom Hund bestimmte Ordnung eines Tages.“)
So war die Erzählung für mich nicht mehr und nicht weniger als eine ganz nette kleine Geschichte über einen kleinen Hund, deren Sinn und Zweck sich mir nicht ganz erschließt. Ein bisschen Corona-Maßnahmen-Kritik, ein bisschen Einsamkeit im Alter und der Rest ist ein Lamenti darauf, wie hässlich der Hund ist. Obwohl die beiden schlussendlich zueinander finden und die Autorin ihre Tierliebe beweist, konnte ich dem Buch wenig Positives abgewinnen. Wer eine rührende Tiergeschichte (eventuell auch zu Weihnachten) sucht, ist meiner Meinung nach mit dem Buch nicht wirklich gut bedient. Von mir 1 Stern.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.12.2020
Mutter
Breznik, Melitta

Mutter


ausgezeichnet

Chronik des Sterbens. Melitta Breznik hat als Ärztin eine eher professionelle Einstellung zum Tod. Aber als es um das Sterben ihrer eigenen Mutter geht, kommt sie psychisch und physisch an ihre Grenzen. Ihre Erfahrungen mit dem Leiden und Sterben hat sie in ihrem Buch „Mutter. Chronik eines Abschieds“ aufgeschrieben und damit ein unglaublich emotionales und zutiefst berührendes Werk geschaffen.
Schon Jahre zuvor hatte sie in einem Gespräch mit ihrer Mutter klargemacht, dass sie Sterbehilfe ablehnt. Daher weiß die 90-Jährige, als sie die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium erhält, dass sie ihren Weg bis zum Ende gehen muss. Allerdings hatte sie sich den Weg leichter vorgestellt, als er dann im Endeffekt wird. Mit ihrer Tochter an ihrer Seite und dem Sohn in der Nähe kämpft die alte Dame sich mit bewundernswerter Kraft durch die ihr verbliebene Zeit. Sie kann keine Nahrung mehr bei sich behalten, nur noch wenig Flüssigkeit aufnehmen und nach und nach nehmen auch die Schmerzen zu. Melitta Breznik übernimmt zunehmend die Mutter-Rolle für ihre Mutter, wäscht, pflegt und versorgt sie liebevoll.
Und auch für sie beginnt ein Weg. Sie muss sich mit sich selbst und ihrem Leben auseinandersetzen, nicht zuletzt stellt sie fest, dass sie nach dem Tod der Mutter nicht mehr „Kind“ von jemandem ist, und muss sich (nach dem Tod des Vaters erneut) der Tatsache stellen, dass auch ihr Leben endlich ist. Und es beginnt eine Zeit, in der sie sich intensiv um ihre Mutter kümmert und sich mit ihr und deren Leben auseinandersetzt, eine Zeit des Annäherns, des Verstehens und Verzeihens.
So erfährt der Leser, dass die Mutter den Nachzügler eigentlich nicht wollte, schließlich war sie bei der Geburt ihrer Tochter schon 41, ergraute kurz danach und wurde oft für die Großmutter gehalten. Der älteste Sohn der Familie verstarb mit 18 Jahren, die Ehe der Eltern zerbrach unter anderem am Alkoholismus des Vaters (Quartalstrinker), die beiden versöhnten sich aber kurz vor seinem Tod. Und auch das vermutlich dunkelste Kapitel der Mutter-Tochter-Beziehung kommt zur Sprache: die Mutter zwang die damals 17jährige Melitta zu einer Abtreibung. Sie bedauerte das wohl später, weil sie es ja doch vermutlich irgendwie geschafft hätten mit dem Kind, aber die Entschuldigung, die Melitta Breznik so dringend von ihrer Mutter hätte hören wollen, bleibt aus, dennoch kann sie sich mit ihr aussöhnen.
Sprachlich fand ich das Buch trotz des eher nüchternen und distanzierten Schreibstils, sehr sensibel geschrieben. Die Autorin schafft einen Spagat zwischen Melancholie und Traurigkeit und der Beschreibung eines gewissen inneren Friedens, was mich zutiefst berührte, ebenso wie der persönliche Zwiespalt, in dem sie sich als Tochter und Ärztin befand. Nur zu gern hätte sie ihrer Mutter vermutlich alle Schmerzen genommen, entschied sich aber dagegen, weil sie sonst auch ihr Wesen „wegsediert“ hätte.
Der Abschied und seine Endgültigkeit schweben über allem, sind aber nie zu bedrückend. Dafür teilen die beiden Frauen bis kurz vor dem Ende schöne Erlebnisse und gemeinsame Erinnerungen an solche. So traurig das Thema an sich ist, so schön fand ich, dass die beiden Frauen die ihnen verbleibende gemeinsame Zeit zur Aussöhnung nutzen konnten, dass es der Mutter möglich war, bis zuletzt zu Hause zu bleiben und dass zwischen ihnen zum Schluss wohl alles Wichtige gesagt war. Trotz der Krankheit und der Schmerzen war der Tod von Melitta Brezniks Mutter menschenwürdig und das würde ich jedem Menschen, nicht zuletzt mir selbst wünschen. Für mich eines der bewegendsten Bücher des Jahres und eine klare Lese-Empfehlung. 5 Sterne.

Bewertung vom 04.12.2020
Wenn das Licht gefriert
Klementovic, Roman

Wenn das Licht gefriert


sehr gut

Im September 1997 verschwindet die 17 jährige Anna Venz am Tag vor ihrem 18. Geburtstag. Zwei Tage später wird ihre Leiche nackt im Moor gefunden. 22 Jahre später greift eine Fernsehsendung diesen Cold Case auf und reißt alte, bei weitem nicht verheilte Wunden wieder auf. Mittendrin ist Elisabeth, die Mutter von Valerie, die vor 22 Jahren die beste Freundin des Opfers war. Sie beschleicht ein schrecklicher Verdacht: könnte ihr an Alzheimer erkrankter Ehemann Friedrich der „Moormörder“ sein? Aus ihrer Sicht wird die Geschichte erzählt, sie versucht selbst, den Mörder zu finden, um für sich selbst die Gewissheit zu haben. Mehr möchte ich zum Inhalt von Roman Klementovics Krimi „Wenn das Licht gefriert“ gar nicht sagen. Denn die Geschichte ist so voller Misstrauen, (falschem) Verdacht, Angst, Trauer und Wut, dass man nicht viel mehr darüber sagen kann, ohne zu spoilern.
Verdächtig sind im Laufe des Buchs fast alle Charaktere irgendwann mal, jeder hat irgendwie eine Leiche im Keller, die Stimmung wird zunehmend gedrückter und unheimlicher, und das Misstrauen wächst. Elisabeth, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, weiß in etwa so viel wie der Leser. Für mich war das Buch wie ein Puzzle, das sich selbst zusammenbaut. Mit jeder Seite bekommt der Leser Informationen zu Gegenwart und Vergangenheit. Jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger und die Geschichte fliegt wie eine Flipperkugel zwischen Charakteren und Schauplätzen hin und her, was ihr zusätzliches Tempo verleiht.
Neben der Krimi-Handlung fand ich den Einblick in die fortschreitende Alzheimer-Erkrankung von Elisabeths Ehemann Friedrich sehr interessant. Der Krimi ist gut konstruiert und das Ende kam für mich nach den vielen Verdächtigen und falschen Fährten völlig überraschend. Alles in allem ist in dem Buch nur sehr wenig so, wie es auf den ersten Blick scheint. Sprachlich fand ich das Buch gut und flüssig zu lesen, die Spannungskurve ist nicht konstant aber in der Hauptsache fand ich den Krimi spannend, teilweise sogar sehr packend, ab und zu hat er aber eher langweilige Passagen, die man getrost überblättern kann. Die Charaktere fand ich allerdings eher blass und belanglos, da wäre mehr Ausarbeitung schön gewesen. Für mich war es ein solider Krimi, aber kein Thriller. Für die spannende Unterhaltung von mir aber solide 4 Sterne.

Bewertung vom 04.12.2020
»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen« (eBook, ePUB)
Schörle, Martin

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen« (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ ist der Titel des ersten Theaterstücks von Martin Schörle aus dem gleichnamigen Buch
Hans Fredenbek ist Beamter, einer „wie er überall vorkommen kann“. Ende 40, verheiratet (hauptsächlich mit seinem Beruf, aber auch mit Mary), Hektiker, Chaot und alles in allem schlicht ein sehr anstrengender Zeitgenosse. Und etwas anstrengend fand ich auch den Einstieg in das Theaterstück, das dann aber sehr schnell sehr packend wird. Über den Inhalt möchte ich mich gar nicht auslassen, denn der ist – wie Fredenbek selbst – chaotisch, durcheinander und kommt von Hölzchen auf Stöckchen und rauscht mehrfach mit der Kirche ums Dorf.
Fredenbek bespielt das Stück fast vollständig allein, andere Charaktere kommen höchstens am Rand vor, manche werden auch nur erwähnt. Sein innerer Monolog samt Regieanweisungen machen das Stück praktisch aus. Er kommt mir wie eine wilde Mischung aus Monk, Forest Gump und der Hauptfigur aus Stefan Zweigs „Schachnovelle“ vor – pedantisch, aber nicht so genial. Sympathisch ist mir Fredenbek nicht
So dröge das Thema auf den ersten Blick scheinen mag, so fesselnd wird das Stück nach und nach. Kompositorisch erinnerte es mich ein bisschen an ein Musikstück. Es fängt ganz gemächlich (adagio) an, nimmt dann „andantemäßig“ Fahrt auf, gipfelt in einem Presto, das so schnell ist, dass man fast nicht hinterherkommt und endet mit einem kräftigen Paukenschlag und 5 Sternen von mir.

In „Einladung zum Klassentreffen“ spielen, anders als im ersten Stück mehrere Personen mit, die „Handlung“ passiert in dialogischer Form. Carsten (er) möchte Marina (sie) zum Klassentreffen anlässlich ihres 20jährigen Abiturjubiläums einladen. Man schwelgt am Telefon in Erinnerungen, es kochen alte Freund- und Feindschaften hoch und Klassenkameraden werden auch nach all der Zeit noch mit den alten, abwertenden Klischees wie „Der Komische“, „Diese menstruell überreizte Krawallnudel“ beschrieben. Solche Mitschüler hatte vermutlich jeder der Leser/Zuschauer zu Schulzeiten.
Carsten sieht die gemeinsame Vergangenheit allerdings deutlich verklärter als Marina. „Wir waren authentisch“ – mit diesen Worten beschreibt er eine duchrzechte und durchkiffte Nacht, an die Marina ganz andere Erinnerungen hat. „Erinnerungen müssen Erinnerungen bleiben“, damit zeigt Marina deutlich, dass sie mit dem Thema abgeschlossen hat. Allerdings breitet sie nach und nach ihr komplettes Leben vor Carsten aus. Und vor den Mitreisenden im Zug. Ein Hoch auf die Dame im Nebenabteil, die sich ab und zu ins Gespräch einmischt.
Wie auch im ersten Stück sind die Charaktere speziell. Natürlich legen sie Eigenheiten an den Tag, die man verwerflich nennen kann. Marinas ex-Mann Holger nennt sie „Kleines“, was durchaus als Sexismus zu betrachten ist. Auch die Beschreibungen der ehemaligen Klassenkameraden sind nicht nett. Allerdings ist das leider Alltag für viele und daher ist der Autor keineswegs zu verurteilen, weil er es beschreibt. Toxische Männlichkeit und Mobbing verschwinden nicht, wenn sie in keinem Buch/Theaterstück vorkommen. Da beweist der Autor eine feine Antenne, indem er dies klar herausgearbeitet beschreibt, für mich ist das schlicht authentisch. Mord, Totschlag und andere Verbrechen würde es auch weiterhin geben, auch wenn es keine Krimis und Thriller mehr gäbe und die Autoren sind auch keine heimlichen (Massen)Mörder.
Im zweiten Stück ist die Sprache alltagsnah. Ein gewisser Witz ist vorhanden, aber auch einige Dinge, über die ich den Kopf geschüttelt habe, zum Beispiel, wie Carsten an Marinas Telefonnummer gekommen ist (über die Schulsekretärin und einen Klassenkameraden beim Meldeamt), da haben sich mir angesichts der DSGVO die Nackenhaare gesträubt. Ein paar Stellen sind witzig-skurril im Ausdruck, und auch das zweite Stück hat mich sehr gut unterhalten. Daher auch dafür von mir beide Daumen hoch.
Für mich sind auf jeden Fall beide Stücke etwas, das das Leben schreiben könnte. und ich würde sie gerne auf der Bühn

Bewertung vom 30.11.2020
Das Palais muss brennen
Spannagel, Mercedes

Das Palais muss brennen


weniger gut

„Ich hatte früh eine Abscheu in mir. Ich hatte früh Revolution in mir. Ich war antiautoritär verwahrlost. Ich war verwöhnt. Ich war schwierig, von Anfang an.“ – diese Sätze sind für mich die Quintessenz aus Mercedes Spannagels Erstlingswerk „Das Palais muss brennen“. Ihre Protagonistin Luise, Tochter der österreichischen Bundespräsidentin, kann man nämlich meiner Meinung nach mit Fug und Recht als „wohlstandsverwahrlost“ bezeichnen. Aus dem Plattenbau ins „Palais“ gezogen, sucht Lu ihren Weg und sich selbst und vor allem eine Möglichkeit, sich von ihrer Mutter und ihrer politischen Ausrichtung (sie ist Spitzenpolitikerin „einer superrechten Partei“) zu emanzipieren.
Aber statt ihren oder überhaupt einen Weg zu gehen, scheint sie sich dabei eher zu verlaufen. Ihr Jurastudium scheint sie nicht wirklich ernst zu nehmen, viel wichtiger ist für sie der Kampf gegen ihre Mutter und deren Vorstellungen und gegen alle möglichen Konventionen. Der Mutter-Tochter-Konflikt beherrscht das Buch von der ersten Seite an. Für Luise ist es ein Kampf „Gut gegen Böse“. Allerdings kämpft sie eher weniger. Sie verbringt ihre Tage hauptsächlich mit Kiffen, Feiern und Sex mit wechselnden Partnern, was noch nicht einmal eine Form passiver Revolution ist, sondern pubertär-unreifes Verhalten einer verzogenen Göre, die mir mit jeder Seite mehr auf die Nerven ging.
Die „rebellische Brut“ habe ich in dem Buch vergeblich gesucht, Luises Rebellion beschränkt sich überwiegend darauf, Konventionen zu brechen, sich dabei aber trotzdem von der verachteten Mutter aushalten zu lassen und Pläne für die Rebellion zu schmieden. Aber Leben ist das, was passiert, während man eifrig dabei ist, andere Pläne zu machen, das wusste schon John Lennon. Aber Lu belässt es meistens bei den Plänen und bei allem, was sie tut, scheint das Wichtigste zu sein, dass es ihre Mutter ärgert.
Sympathisch war mir in der Erzählung außer den Windhunden der Frau Bundespräsidentin niemand und auch sprachlich fand ich das Buch eher anstrengend als frisch und bis auf wenige spritzige Dialoge auch nicht wirklich witzig. Alles in allem fehlt mir in dem Buch auch eine wirkliche Handlung, alles plätschert irgendwie vor sich hin, dazwischen wird gekifft und miteinander geschlafen und dann ist das Buch zu Ende und ich musste überlegen, worum es überhaupt ging. Das Buch ist kein wirklicher Coming-of-Age-Roman, kein Familienroman, kein Psychogramm und keine Novelle. Irgendwie scheint die Autorin in einem Genre genauso wenig Fuß fassen zu können, wie ihre Protagonistin in ihrem Leben.
Alles in allem fand ich das Buch eher enttäuschend, denn nur an ein paar Stellen blitzt wirklich Rebellion durch, rückt der Mutter-Tochter-Konflikt oder auch der (innerfamiliäre) Zwist zwischen politisch Rechten und Linken und das Problem rechter Strömungen in den Regierungen in den Vordergrund. Vielleicht bin ich inzwischen auch zu alt für diese Art der Lektüre, allerdings dachte ich, da ich selbst aus einer ähnlich schwierigen Mutter-Kind-Beziehung stamme, könnte ich aus dem Buch etwas mitnehmen. Aber da lag ich falsch. Daher vergebe ich für die wenigen guten Passagen, in denen das Buch das erfüllt, was der Klappentext verspricht, 2 Sterne.

Bewertung vom 24.11.2020
Enna Andersen und die Tote im Mai
Johannsen, Anna

Enna Andersen und die Tote im Mai


ausgezeichnet

„Enna Andersen und die Tote im Mai“ ist Anna Johannsens neuer Krimi aus der „Enna-Andersen-Reihe“. Es ist zwar schon der zweite Teil der Serie, aber man kann ihn problemlos auch ohne Vorkenntnisse lesen.
Hauptkommissarin Enna Andersen kehrt nach dem Tod ihres Mannes in den Beruf zurück und ermittelt mit ihren beiden Kollegen in einem sogenannten „Cold Case“, einem Fall, der 20 Jahre zurückliegt. Damals ist eine junge Studentin verschwunden, Monate später wurde ihre Leiche gefunden. Die Ermittlungen erweisen sich als schwierig, denn es gibt viele Verdächtige, noch mehr Zeugen und noch viel mehr Gedächtnislücken. Und dann gibt es eine weitere Leiche und Enna und ihren Kollegen läuft die Zeit davon.
Das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt und bis zum Schluss (der sehr stimmig ist) nicht losgelassen. Die angenehme Mischung aus Ermittlungsarbeit, Nachforschungen und Ennas Privatleben samt Söhnchen Elias und dem neuen polnischen Au-pair, machte das Buch sehr flüssig lesbar, die alltagsnahe Sprache tat ein Übriges.
Die Geschichte ist gekonnt konstruiert, schlüssig und wird stimmig aufgeklärt. Sie bietet Spannung und Unterhaltung, wie man es von einem soliden Krimi erwartet. Ein juristischer Fehler (oder vielleicht ist es einfach nur zu schwammig ausgedrückt): „»Drei Jahre auf Bewährung«, brummte Paulsen.“ – in Deutschland werden Freiheitsstrafen nur bis zu zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit kann allerdings bis zu fünf Jahre betragen, wie gesagt, vielleicht nur unglücklich ausgedrückt. Sonst fand ich den Krimi allerdings topp, von mir daher eine klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 23.11.2020
Die Hornisse / Tom Babylon Bd.3
Raabe, Marc

Die Hornisse / Tom Babylon Bd.3


ausgezeichnet

Nach „Schlüssel 17“ und „Zimmer 19“ hat Marc Raabe mit „Die Hornisse“ den dritten Teil seiner Serie um Kommissar Tom Babylon nachgelegt. Leider finde ich den Titel ungünstig gewählt, da Patricia Cornwells Thriller „A hornet’s nest“ ebenfalls mit „Die Hornisse“ übersetzt wurde. Aber das nur am Rande, denn für mich stand Marc Raabes neues Werk in puncto Spannung dem von Patricia Cornwell in nichts nach.
Aus den beiden ersten Teilen kennt man Tom Babylon und seine Geschichte schon etwas (aufgewachsen in der DDR, seine Schwester verschwand als Kind und wurde nie gefunden, jetzt ist er mit Anne verheiratet und sie haben einen Sohn namens Phil), ich hätte nach „Zimmer 19“ nicht gedacht, dass es für den Ermittler noch persönlicher werden könnte. Weit gefehlt. Und auch seine Kollegin Sita Johanns vom LKA ist neben anderen Bekannten wie Bene und Gisell aus den ersten beiden Teilen wieder mit von der Partie. Natürlich kann man das Buch auch lesen und verstehen, ohne die beiden Vorgänger zu kennen, ich würde es aber jedem empfehlen, sie ebenfalls zu lesen, nicht zuletzt, da ich sie auch sehr gut fand.
Ein ausgerechnet im Gästehaus der Polizei brutal ermordeter Rockstar, eine unbekannte Frau, viele Verdächtige, weitere Tote und zahlreiche Überfälle – die Geschichte ist vielschichtig und spannend und dennoch führen immer wieder alle möglichen Spuren zu Tom Babylon und seiner Familie und sogar er selbst gerät in Verdacht, ein Mörder zu sein. Näher möchte ich darauf gar nicht eingehen, könnte ich auch nicht, ohne zu spoilern.
Die Geschichte ist, wie die beiden Vorgänger, flott, fesselnd und alltagsnah geschrieben, rasant spannend und mit nur wenigen Möglichkeiten zum Luftholen. Ich habe das Buch in einer Tour durchgelesen, bis zum stimmigen Schluss mit dem gewohnten Chliffhanger, der auf einen weiteren Teil hoffen lässt. Mich hat die Geschichte so gepackt, dass ich das Buch schlicht nicht aus der Hand legen konnte. Auffallend waren die vielen englischen Sätze. Nicht, dass ich sie nicht lesen konnte (ich spreche Englisch auf Muttersprachler-Niveau), sie passen auch dramaturgisch in die Geschichte, da der tote Rockstar ursprünglich aus Irland stammt und seine Managerin Amerikanerin ist. Aber weniger anglophile Leser könnte diese Tatsache eventuell stören.
Der Thriller ist gekonnt konstruiert und die Wechsel von Perspektiven und Zeitebenen fand ich stilistisch interessant. Insgesamt ist es ein rasant spannender Krimi um ein unbequemes aber nicht unsympathisches Ermittlerteam, ein Buch, das auf jeden Fall wieder Spaß und Lust auf mehr gemacht hat. Daher von mir 5 Sterne und eine ganz klare Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 23.11.2020
Die Erfindung der Null
Wildenhain, Michael

Die Erfindung der Null


gut

Für mich war das Buch leider eher eine Nullnummer.
„Die Erfindung der Null“ von Michael Wildenhain hatte mich wegen des unüblichen Themas interessiert, denn, wann steht schon einmal ein promovierter Mathematiker im Mittelpunkt eines Romans? So dreht sich dieses Buch um Dr. Martin Gödeler, hochbegabt, analytisch-kluger Kopf und dennoch (oder deswegen) ein sozial eher inkompatibler Charakter, schrullig und etwas, das man gemeinhin als „gescheiterte Existenz“ bezeichnen könnte.
Er liebt die Mathematik, hat Probleme mit sich, der Gesellschaft und Normen. Sauberkeit und Körperhygiene sind ebenso unwichtig für ihn wie Überblick über Finanzen oder persönliche Beziehungen. Seine Doktorarbeit schafft er, seine Habilitationsschrift hat er begonnen und sie wieder verworfen. Neben der Mathematik spielen in seinem Leben drei Frauen eine Rolle: seine Kommilitonin Gunde, Mutter seiner Tochter Sophie, Susanne Melforsch, die in stalkt und zuletzt die Mathematikerin Dr. Elisabeth Lucile Trouvé.
Das Buch ist ohne Frage sprachlich hervorragend geschrieben. Der Autor bedient sich einer bildhaften Sprache mit teils erlesener Wortwahl. Das Thema ist exzellent gewählt, die Thematik (Nüchternheit der Mathematik, Liebesbeziehungen und Stalking, das allgemeine Scheitern durch Nonkonformiatät und Inkompatibilität mit den Normen und die Krimi-Komponente) bietet Brisanz und inhärente Spannung. Und dennoch konnte mich das Buch leider zu keiner Zeit wirklich fesseln oder gar begeistern. Einzig der Schluss war für mich überraschend und da war ich dann froh, mich durch die vorherigen Kapitel durchgekämpft zu haben.
Vielleicht aber auch, weil ich teilweise Menschen aus meinem Umfeld zu sehr in Dr. Gödelers Eigenarten wiederfinden konnte? Oder weil mehr zwischen den Zeilen steht, als darin? Denn eines ist klar: der Roman ist sehr anspruchsvoll und man muss sich auf ihn einlassen (können). Er ist kompliziert, ungewöhnlich und unbequem. Philosophisch und durchgeistigt, mir schlicht zu hoch. Etwas, was das Werk nicht zu einem schlechten Buch macht, es war nur schlicht nichts für mich. Daher von mir der Mittelwert mit drei Sternen.

Bewertung vom 23.11.2020
Wir müssen über Rassismus sprechen
DiAngelo, Robin J.

Wir müssen über Rassismus sprechen


sehr gut

„Wir müssen über Rassismus sprechen“ von Robin J. DiAngelo ist ein Buch zu einem unfassbar wichtigen und aktuellen Thema, das den Leser mehr oder weniger direkt angreift und aufrütteln möchte. Die Autorin ist Soziologin und hat sich daher wissenschaftlich mit Rassismus beschäftigt und daraus ein Sachbuch gemacht, das sich auch aufgrund der vielen Fußnoten, nicht unbedingt flüssig lesen lässt.
Aber natürlich macht es das nicht zu einem schlechten Buch. Es ist halt kein Roman, der sich so einfach mal nebenher lesen lässt, sondern ein Buch, das man mit Bedacht und Verstand lesen muss, die aufgestellten Thesen sacken lassen und weiter drüber nachdenken muss. In vielen gehe ich mit der Autorin nicht konform, aber das liegt mehr an meiner persönlichen Herkunft und Lebensgeschichte, und nicht an ihren Thesen und dem Buch.
Fakt ist: auf Menschen bezogen gibt es keine Rassen. Punkt. Hautfarbe, Herkunft und Abstammung kann sich keiner aussuchen – ein Rassist zu sein dagegen ist die Wahl jedes einzelnen. Sich selbst und seine Worte und Taten zu hinterfragen, eventuell rassistisches oder diskriminierendes Verhalten abzulegen, ist eine Frage von Anstand und Intelligenz, darauf geht die Autorin speziell in den letzten Kapiteln ein. Sie schreibt über weltweiten Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile und grenzt jeden der Begriffe klar gegen die anderen ab. Sie beschreibt und erklärt „white supremacy“ und „white fragility“. Soweit, so gut.
Denn, vermutlich steckt tatsächlich, wie die Autorin konstatiert, in jedem Weißen irgendwo eine (wenn auch unterschiedlich große) Portion Rassismus („white guilt“), die es gilt abzulegen, was im Endeffekt sowohl dringend nötig, als auch an der Zeit wäre. Beim Rassismus muss sich also jeder an die eigene Nase fassen und vor der eigenen Tür kehren, was man als Leser aus dem Buch mitnimmt, ist daher völlig typabhängig. Aber der große „alle-Weißen-sind-Rassisten-Topf“, in den die Autorin uns Leser wirft, ist eine Form der Kollektivschuld, die sicher nicht bei jedem Leser gleich gut ankommt, denn für sie ist schlicht jeder Weiße ein Rassist, Bemühungen, keiner zu sein, werden meiner Meinung nach von ihr abgetan und keinesfalls honoriert. Von mir wegen der zum Teil sehr wissenschaftlichen Formulierungen und der teilweise gewöhnungsbedürftigen (da nicht alltäglichen) Nomenklatur 4 Sterne und eine Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 18.11.2020
#Me Too
Kantor, Jodi;Twohey, Megan

#Me Too


ausgezeichnet

Inzwischen ist es etwas ruhiger um die #Me too-Bewegung geworden, dennoch hat sich dieser Hashtag sicher vielen Menschen unauslöschlich ins Gedächtnis gegraben und für viele hat er nichts an Aktualität verloren. Mit ihrem Buch „#Me too“ haben Megan Twohey und Jodi Kantor einen umfassenden Überblick über die Recherchen zum Thema veröffentlicht. Die beiden Journalistinnen hatten mit ihren Recherchen speziell zum amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein und seinem zweifelhaften Umgang mit Frauen recherchiert. Das Buch ist überaus schockierend und (trotz der sachlichen und journalistischen Form) flüssig zu lesen, teils sogar Krimi-artig spannend.

Ein unglaubliches Buch in mehrerlei Hinsicht. Natürlich ist da einerseits das Thema, das schwierig und unbequem ist, vielleicht auch triggernd (für alle Betroffenen hier von mir die Empfehlung, vorsichtig an das Buch heranzugehen, da es vieles wirklich unverblümt schildert und die Autorinnen auch bei der Wortwahl nicht zimperlich sind). Andererseits aber geben die Autorinnen dem Leser die Möglichkeit zum Einblick in lang andauernde unglaublich gründliche Recherche, die im Endeffekt zu einer lawinenartigen Bewegung geführt hat.

So schreiben sie über Harvey Weinsteins, aber auch Donald Trumps Rolle bei dem, was später unter dem Hashtag „Me too“ bekannt wurde: die systematische Ausnutzung einer Machtstellung gegenüber Frauen, um sie vor allem zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Und natürlich fehlen auch Brett Kavanaugh und Christine Blasey Ford nicht. Etwas, das seine Kreise in Kunst und Kultur, aber auch in Politik und Finanzwelt zog. Und auch die juristischen Vertreter der Beschuldigten haben sich ganz sicher nicht mit Ruhm bekleckert, indem sie ihre Mandanten vertreten haben. Natürlich ist das ihre Aufgabe, ein Opfer beklagte allerdings später: „Für mich bestand das weitaus größere Trauma in dem, was bei den Anwälten ablief“.

So zeigt das Buch das, was genau hinter der „Me too“- Bewegung steckt, was den Stein ins Rollen brachte, was daraus wurde und wie es dazu kommen konnte, dass so viele Täter ungeschoren (oder mit verhältnismäßig billigen Vergleichen) mit ihren Taten davonkamen. Parallel dazu habe ich Ronan Farrows Buch „Catch and Kill“ gelesen, was zwar völlig anders geschrieben, aber eine hervorragende weiterführende Lektüre ist. „#Me too“ ist trotz aller Sachlichkeit sensibel geschrieben, die Autorinnen gehen mit den Opfern im Zuge ihrer Recherche mit viel Feingefühl und Menschlichkeit um, und haben mit ihrer Arbeit ein Stück Zeitgeschichte geschaffen und trotz aller Widrigkeiten viel bewegt. Ein beeindruckendes, bedrückendes und nachdenklich machendes Buch über Druck, Macht, Manipulation, Verunsicherung und Scham, aber auch über ganz viel Mut, den die Opfer aufbringen mussten, um von ihren Qualen und den Übergriffen zu berichten. Ich lege dieses Buch jedem ans Herz, der sich für das Thema interessiert und sich eine fundierte Meinung bilden möchte.