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Miro76
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Österreich

Bewertungen

Insgesamt 142 Bewertungen
Bewertung vom 08.06.2024
Seltsame Sally Diamond
Nugent, Liz

Seltsame Sally Diamond


ausgezeichnet

Sally Diamond lebt mit ihrem Vater extrem abgeschieden, quasi am Ende der Welt oder ein bisschen darüber hinaus. Wenn sie ins Dorf muss zum Einkaufen oder auf die Post, stellt sie sich taubstumm, damit sie mit niemandem reden muss.

Doch dann stirbt ihr Vater und Sally, die immer alles wörtlich nimmt, versucht ihn in der Feuertonne zu kremieren.

Es kommt, wie es kommen musste und die ganze Sache fliegt auf und landet sogar in den Medien. Dies wird für Sally zum Anstoß wieder Teil zu haben am Leben und wir erfahren ein gut gehütetes Geheimnis über Sallys Vergangenheit. Dieses Geheimnis darf hier natürlich nicht preisgegeben werden, denn es sollten auch alle anderen Leser*innen so überrascht werden wie ich. Nur noch so viel: Mit so einer Geschichte hatte ich hier definitiv nicht gerechnet!

Liz Nugent versteht es Verwirrung zu stiften und Spannung aufzubauen. Sie geht behutsam mit ihrer seltsamen Protagonistin um und lässt uns teilhaben an ihrem schwierigen Weg ins gesellschaftliche Leben. Es hat mir sehr gut gefallen, Sally zu beobachten, wie sie beginnt sich zu öffnen. Sie zeigt uns auch andere Menschen am Rand der Gesellschaft und stößt uns mit der Nase drauf, seltsames Verhalten nicht immer gleich abzuurteilen. Schließlich wissen wir meist nicht, was dahinter steckt. Sie zeigt aber auch auf, wie wichtig es ist, genau hinzuschauen und falls nötig auch mal einzuschreiten, aber immer mit Toleranz!

Diese Buch war für mich ein echtes Highlight! Leider ist es mir nicht möglich, das in meiner Bewertung ausreichend zum Ausdruck zu bringen, ohne zu viel über den Inhalt zu verraten. Jedes Wort kann hier schnell zu viel sein.

Für mich war das Buch ein echter Pageturner und ich freue nun mich auf die anderen Werke von Liz Nugent.

Bewertung vom 24.05.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

17 Beaufort ist die maximale Windstärke und so fühlt sich der Orkan an, der immer wieder in Idas Brust tobt und sie laufen und brüllen lässt. Irgendwie muss vieles raus, aber irgendwie scheint nichts zu wirken.

Ida ist mittlerweile erwachsen, hat das Abitur hinter sich gebracht und ein Studium begonnen. Sie ist ebenfalls eine gute Schwimmerin und sie schreibt. Doch nichts kann die Bilder auslöschen, die immer wieder ihr Gedächtnis stürmen. Als sie ihre tote Mutter fand, oder als sie ihr im Zorn riet, es endlich hinter sich zu bringen. Sie kämpft mit Schuldgefühlen, weil sie der Mutter nicht ausreichend geholfen hat. Sie ist destruktiv, kümmert sich nicht gut um sich selbst und weiß nicht wohin. Sie möchte nicht zu ihrer Schwester Tilda, die mit Viktor und zwei Kindern in Hamburg lebt. Also fährt sie mit ihrem Flex-Ticket so weit weg wie möglich und landet auf Rügen, wo der Sturm auch außen manchmal ziemlich tobt.

Und endlich hat Ida mal Glück. Sie findet einen Job in einer Bar und die Besitzer, ein älteres Ehepaar nehmen sie auf und päppeln sie auf. Außerdem lernt sie einen Jungen kennen, den ebenfalls eine dunkle Aura umgibt.

Als das Buch erschienen ist, war ich sehr überrascht, dass sich Caroline Wahl zu einer Fortsetzung entschlossen hat. Als ich dann merkte, dass wir nun Ida besser kennenlernen und erfahren, wie es ihr dann alleine mit der Mutter ergangen ist, habe ich mich sehr darüber gefreut. Ida hat noch mehr von dieser ganzen Tragödie abbekommen als Tilda, denn man kann sich vorstellen, dass es mit der Mutter weiter bergab ging und dementsprechend größer ist hier auch das Leid. Doch das Mädchen versinkt nicht darin. Sie kämpft mit allem was sie hat und versucht, den Mut nicht zu verlieren. Es ist schön zu lesen, dass ihr auch mal was Gutes passiert, auch wenn sie das selbst kaum glauben kann. Ihr Weg aus dem Auge des Sturm ist nicht einfach und verläuft auch nicht linear und das macht die Geschichte auch glaubwürdig.

Ich habe diesen Folgeband als noch stärker empfunden als 22 Bahnen, vergebe begeisterte 5 Sterne und freue mich sehr auf das nächste Buch von Caroline Wahl!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.05.2024
In den Augen meiner Mutter
Leevers, Jo

In den Augen meiner Mutter


gut

Georgie ist hochschwanger und allein zuhause, als sie zufällig ein Bild ihrer Mutter auf Social Media entdeckt. Sie hat sie seit 20 Jahren nicht gesehen und macht sich sofort auf den Weg. Gemeinsam mit ihrem Bruder Dan, den sie auch seit einigen Jahren nicht mehr gesprochen hat, reist sie nach Schottland, um endlich ein paar Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.

Warum hat Nancy ihre Kinder verlassen und nur ein einziges Mal eine Postkarte geschickt?

Warum haben sich Dan und Georgie zerstritten, obwohl sie als Kinder so fest zusammenhalten haben?

Und welches Trauma steckt hinter Georgie's Angst vor Brücken?

Jo Leevers erzählt uns Nancys Geschichte nicht linear. Immer wieder lesen wir in Rückblenden, wie Nancy aufgewachsen ist, wie sie ihren Mann Frank kennenlernte und was in ihrem Leben alles schief gelaufen ist, sodass sie als Einsiedlerin in einer Hütte im Wald gestrandet ist und sich verfolgt fühlt.

Als ich die Lektüre begonnen habe, hatte ich einen ganz anderen Roman erwartet. Ich hatte erwartet, dass die Familiengeheimnisse etwas subtiler an den Grundfesten des Familienkonstruktes nagen. Dass wir es mit einer komplett zerrütteten Familie zu tun haben, hat mich doch überrascht.

Als die Reise beginnt, ist schnell klar, dass Georgie und Dan eine Weg finden werden, ihre Differenzen zu überbrücken. Sie haben sich immerhin gemeinsam auf den Weg gemacht. Was allerdings zu diesen Zerwürfnissen geführt hat, bleibt lange im Unklaren. Die Auflösungen sind auch nicht immer befriedigend. Gar zu viele Zufälle spielen den beiden in die Hände und lassen die Geschichte dann doch sehr konstruiert wirken. Die Autorin verliert im Verlauf immer mehr ihre Glaubwürdigkeit. Die Bedeutung der Themen verliert dadurch an Gewichtigkeit und der Roman wird zu einer unterhaltsamen Sommerlektüre, ohne großen Mehrwert.

Das Buch liest sich einfach, ist spannend und wen es nicht stört, dass nicht alles ganz glaubwürdig ist, dem ist es tatsächlich zu empfehlen. Mich hat es gut unterhalten, es wird mir allerdings auch nicht all zu lange in Erinnerung blieben. Daher vergebe ich 3 Sterne für diesen Roman mit Geheimnissen und einem versöhnlichen Ende.

Bewertung vom 20.04.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


ausgezeichnet

Odile lebt in einem Tal, umgeben von Bergen und von einem Zaun. Denn hinter den Bergen befindet sich auf der einen Seite das selbe Tal nur 20 Jahre früher und auf der anderen Seite 20 Jahre später. Die Grenze ist streng bewacht. Zu groß ist das Risiko, dass jemand in den Lauf der Zeit eingreift und so die Geschichte ändert.

Die Gesellschaftsstrukturen im Tal wirken repressiv und totalitär. Die Menschen folgen ihrer Bestimmung, scheinen nichts zu hinterfragen und fügen sich in ihre gesellschaftliche Stellung. Das Conseil ist die höchste Behörde und diese regelt die Grenzgänge. Denn manchmal wird einem Gesuch stattgegeben und jemand darf einen verstorbenen Angehörigen noch einmal beobachten oder ein zukünftiges Kind einmal sehen.

Diese Besuch werden anonymisiert durchgeführt, unter Bewachung und Einhaltung strengster Regeln. Eine kleine Abweichung veranlasst den sofortigen Abbruch, denn das Risiko, dass dadurch die Geschichte verändert wird ist zu hoch. Es droht die Auslöschung.

Odile ist eine schüchterne Außenseiterin in ihrer Schule. Sie wird kaum wahrgenommen und wenn doch, dann meistens gehänselt. Sie ist ein dankbares Opfer, denn sie wehrt sich nie. Doch eines Tages setzen sich zwei Jungs für sie ein, verteidigen sie und ändern dadurch alles. Odile beginnt zaghaft Freundschaft zu knüpfen, traut sich plötzlich etwas zu und strebt sogar einem hohen Posten entgegen, nur um dann doch wieder abzustürzen.

Doch der ganz große Absturz steht ihr erst noch bevor und Odile, die nie eine aktive Person war, versucht mit ihren Mitteln dieses Schicksal abzuwenden. Sie versucht kleine Entscheidungen anders zu treffen, fühlt sich bereits in Sicherheit und landet schlussendlich doch wieder dort, wo sie sich im Zukunftstal gesehen hatte.

Es scheint fast so, als würde die Zeit kleine Aufmüpfigkeiten einfach ausbügeln, als wären die Menschen ihrem Schicksal hoffnungslos ergeben, egal was sie machen oder zu entscheiden glauben. Vielleicht war das Eingreifen der Jungs auf dem Schulhof bereits ein Versuch, eine Zukunft abzuwenden, vielleicht war das Eingreifen aber auch erst der Auslöser für die große Tragödie? An diesen Fragen kann man sich tatsächlich das Hirn verrenken. Die Zeit wird zu einer Schleife, oder Spirale oder sonstwas. Man darf hier wirklich nicht alles logisch hinterfragen und sollte versuchen sich einfach dem sog der Geschichte hinzugeben. Denn einen Sog hat sie allemal. Ich habe mitgelitten mit Odile, die strampelnd versucht ihrer Abwärtsspirale zu entkommen. Sie muss wirklich ziemlich viel erleiden, bis sie endlich den Mut für den ganz großen Coup findet und ob der gelingt und was dann aus allem wird, wird hier natürlich nicht verraten.

Ich fand die Entwicklung Odiles sehr interessant und ich mochte dieses stille Mädchen auch, obwohl ich ihr manchmal am liebsten in den Hintern getreten hätte, damit sie in die Gänge kommt. Es braucht schon einen mächtigen Schubser, damit diese treibende Person für sich selbst einsteht.

Manche sehen in diesem Buch einen dystopischen Coming-of-Age Roman, aber das kann ich nicht unterschreiben. Das Buch thematisiert nicht das Erwachsenwerden von Odile, sondern zeichnet ein Konstrukt von Möglichkeiten und Folgen. Es ist ein Gedankenexperiment das einen stundenlang beschäftigen kann. Definitiv ein Buch das nachhallt!

Bewertung vom 18.04.2024
Die Auszeit
Rudolf, Emily

Die Auszeit


sehr gut

Mit diesem versteckten Luxus-Retreat in den Bergen hat sich Pierre Karthee einen Traum erfüllt. Oder besser gesagt, den Traum seines Vaters, denn auch dieser wollte immer erfolgreich ein Hotel führen. Jetzt hängt er einsam an der Flasche und schafft nicht einmal mehr seine Einkäufe selbst.

Doch Pierre ist nicht sein Vater und hat alle Eventualitäten im Griff. Nichts wird schief gehen, wenn die große Victoria Kaplan mit ihren Freunden für ein Wochenende kommt, um die 1 Million Follower zu feiern. Dieser Besuch wird die Feuerprobe des Retreats. Gefällt es ihr, gibt das großartige Publicity, wenn nicht, ist alles aus, bevor es richtig begonnen hat.

Und obwohl Pierre und sein Team sich mächtig ins Zeug legen, dass alles so läuft wie es soll, scheint doch irgendwie alles schief zu gehen. Erst verspätet sich die Gruppe, wegen eines verpassten Flugs und bringt dann eine eigenartig unangenehme Stimmung mit. Die Dynamik in der Gruppe ist nicht von freundschaftlicher Liebe geprägt. Vielleicht war sie das früher mal, aber jetzt scheint etwas anderes vorzuherrschen, dem mit Yoga und Meditation nicht beizukommen ist. Es beginnt eine Abwärtsspirale, die während des Unwetters in der zweiten Nacht mit dem Mord ihren Peak erreicht.

Daher sind die Kapitel auch als Countdown übertitelt und wir starten 37 Stunden vor der Tat und die Autorin lässt die einzelnen Mitglieder der Gruppe, sowie den Hotelchef zu Wort kommen. Außerdem sind zwischendrin Jetzt-Kapitel eingeschoben, die nach dem Mord spielen und uns ganz schön lange rätseln lassen, wer denn nun tot ist. Das hat die Autorin sehr spannend hinbekommen.

Auch das Spiel mit den wechselnden Tatverdächtigen klappt gut. Irgendwie scheinen auf einmal alle ein Motiv zu haben und jede Person sich der Tat verdächtig zu machen. Der Aufbau des Buches ist wirklich gut gelungen. Die wechselnden Perspektiven, die zwei Zeitebenen und die Einschübe der Instagram-Beiträge lockern auf und sorgen für wachsende Spannung.

Das Setting ist ebenfalls toll. Ein Retreat in den Bergen, umgeben von Wald, völlig in der Einöde, weit und breit keine Nachbarn die etwas mitkriegen könnten - geruhsam und gleichzeitig gruselig. Je nach dem, wie es gerade beschrieben wird. Die Grenze ist da wackelig, was am Tage heimelig wirkt, kann bei Nacht leicht verstören.

Was mir nicht gefallen hat, war die Dynamik unter den Pseudofreunden, die Oberflächlichkeit ihrer Gespräche und die Unfähigkeit sich mal fallen zu lassen und zu genießen. Ich weiß ja, warum diese Sein & Schein Welt nichts für mich ist!

So schwanke ich in meiner Bewertung zwischen 3 und 4 Sternen und runde deshalb einfach auf, denn gut unterhalten hat mich das Buch allemal.

Bewertung vom 07.04.2024
Die Zeit im Sommerlicht
Laestadius, Ann-Helén

Die Zeit im Sommerlicht


ausgezeichnet

Jon-Ante, Else-Maj, Anne-Risten, Marge und viele andere samische Kinder mussten schon mit sieben Jahren ihr Elternhaus verlassen. Sie wurden ins Internat der Nomadenschule gezwungen, wo sie nicht mehr samisch reden durften und schwedische Namen verpasst bekamen. Und wo Hausmutter ein überstrenges Regiment geführt hat. Schläge gehörten zur Tagesordnung genauso wie seelische Gewalt. Einziger Lichtblick für die Kinder war bei Betreuerin Anna, die tröstende Worte und Umarmungen in aller Heimlichkeit für sie hatte.

Ann-Helén Laestadius hat eine traurige Beziehung zu diesem Roman, denn auch ihre Mutter musste diese Schule besuchen. Nach ihren Erlebnissen ist dieser Roman entstanden.

Die Autorin erzählt diese Geschichte aus der Sicht der verschiedenen Kinder und lässt uns gleichzeitig teilhaben, an ihrem Erwachsenenleben. Wir lesen parallel von ihren Traumata in der Schule und wie diese ihren Alltag später beeinflussten. Wir lesen vom Versuch, das Erlebte zu Verdrängen, im Alkohol zu ertränken oder mit Schmerztabletten zu betäuben. Nur reden wollen sie alle nicht darüber, dann das würde die Dinge zu sehr aufrühren.

Manche der Kinder tragen ein lebenslanges Zeichen mit sich. Die Narben am Körper verschwinden nicht und erinnern für immer an die Gewalt. Dennoch schaffen es die meisten ein gutes Leben zu führen, ihren Kindern gute Eltern zu sein und zu lieben, auch wenn manche von ihnen länger dafür brauchen.

Beim Begräbnis von Anna kommen sie alle wieder zusammen und erste Mauern beginnen zu bröckeln. Die erwachsenen Schüler und Schülerinnen der Nomadenschule beginnen in Worte zu fassen, was ihre Leben so lange beschwert hat. Somit ist das Buch auch eine Ode an die Resilienz!

Ich fand dieses Buch hervorragend erzählt. Die wechselnden Perspektiven halten die Geschichte abwechslungsreich und spannend und es hat mich beeindruckt, wie viel manche Menschen tragen können. Über das traurige Schicksal der samischen Bevölkerung habe ich schon öfter gelesen und immer wieder macht es mich traurig, wie viel dieses beeindruckende Volk zu erleiden hatte. Leider begegnen sie wohl noch immer Rassismus und Ablehnung, dabei sollten wir von den Traditionen dieses naturverbundenen Volkes lernen.

Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung für dieses Buch, dass auch irgendwie die Geschichte der Mutter der Autorin erzählt und die bestimmt viel Mut brauchte, um ihre Tochter in ihre Erlebnisse einzuweihen!

Bewertung vom 02.04.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


gut

Marlene hat endlich ihr Studium beendet und weiß nicht wirklich wohin mit sich. Um sich abzulenken und Geld zu verdienen bewirbt sie sich für einen Job auf der Insel Strand. Fast die ganze Insel ist ein einziger Freizeitpark mit geschichtsträchtigem Handwerk und Läden aus längst vergangenen Zeiten. Für die Mitarbeiter*innen gilt die Kostümgrenze. Auch an freien Tagen dürfen sie das Dorf nicht in Jeans durchqueren, denn die Rolle muss für die Tourist*innen aufrecht gehalten werden.

Die Ankunft Marlenes auf der Insel und ihre Begegnungen mit lauter neuen Leuten fand ich interessant zu lesen. Es war auch schön, die aufkeimende Liebe zu Janne zu begleiten und tiefer in die Geschichte der Insel einzutauchen. Nur das angekündigte Geheimnis lässt ziemlich lange auf sich warten. Erst wenn man es kennt, erkennt man auch die Andeutungen, die sich wohl durch die Geschichte ziehen. Leider bauen diese kleinen Hinweise nicht wirklich Spannung auf und man muss sich fast bis zuletzt gedulden, um dem Ganzen auf die Spur zu kommen. Dann weiß man auch, was mit den "Leuten von früher" wirklich gemeint ist.

Mich hat das Buch ganz gut unterhalten. Die Geschichte plätschert unaufgeregt dahin, ist mal mehr und mal weniger interessant, aber immer nett zu lesen. Stilistisch ist es recht einfach gehalten und es bietet insgesamt keinen großen Mehrwert. Es ist ein Buch, dass man lesen kann, aber definitiv nicht muss. Als Sommer- oder Strandlektüre unterhält es auf jeden Fall!

Bewertung vom 27.03.2024
Mühlensommer
Bogdahn, Martina

Mühlensommer


ausgezeichnet

Maria muss ihren Urlaub abbrechen, denn die Mutter ruft um Hilfe. Der Vater ist im Wald verunfallt und man weiß noch nichts Genaueres. Der Bruder und die Schwägerin sind nicht erreichbar und die Tiere müssen versorgt werden.

Kurzhand lässt Maria ihre Töchter bei Freunden und eilt in ihr Heimatdorf, um auf dem Bauernhof nach dem Rechten zu sehen. Die demente Oma muss beschäftigt werden und die Schweine versorgt. Um die Kühe hat sich die Mutter noch gekümmert. Maria ist mit der Arbeit aufgewachsen und so geht ihr alles noch leicht von der Hand, obwohl sie nie, wirklich nie Bäuerin werden wollte.

Aus dem Wochenende im Elternhaus werden Wochen und Maria beginnt sich zu erinnern. Sie erzählt von ihrer Kindheit, der engen Beziehung zu ihrem Bruder, die irgendwann auf der Strecke geblieben ist und wie es war, ständig arbeiten zu müssen, während andere auf Urlaub fuhren, oder ihre Ferien im Freibad verbrachten.

Für mich war es eine große Freude, dieses Buch zu lesen, denn ich bin ebenfalls auf einem mittelständischen Bauernhof aufgewachsen. Auch wir mussten mit anpacken und ich habe mir oft gewünscht, nach der Schule einfach mal sofort die Hausübung machen zu können und auch ich wollte mehr Zeit im Freibad verbringen. Aber die Kühe melken sich nicht von selbst und der Vater war im Sommer immer auf den Feldern unterwegs.

Doch Maria erzählt uns nicht nur von den Widrigkeiten des bäuerlichen Lebens. Sie erzählt uns auch von der Freiheit im Spiel der Kinder, die auch wir genossen haben. Und sie erzählt von dem arbeitsreichen, aber naturverbunden Leben der Eltern, die immer fleissig ihre eigenen Bedürfnisse hintangestellt haben. Was Martina Bogdan über Marias Vater schreibt, wirkt auf mich, als hätte sie meinen Vater beschrieben.

Einzig den Erbstreit mit dem Bruder konnte ich nicht ganz nachvollziehen, denn Maria wollte den Hof nicht führen. Somit hat mir die Versöhnung und die Möglichkeit einer Zukunft am Ende sehr gut gefallen.

Insgesamt war das Buch eine berührende Leseerfahrung für mich und ich wünsche dem Buch viele Leser*innen. Ich empfehle es den Landkindern, weil sie sich wiederfinden und den Stadtkinder, weil es ihnen die Illusionen nimmt und aufzeigt, wie schwierig das Leben am Land ist und wie wertvoll unsere Lebensmittel sind!

Bewertung vom 20.03.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Aufgrund des Klappentextes habe ich eine Weile überlegt, ob ich mich an dieses Buch wegen möchte und ich kann sagen, ich bereue es nicht. Dieses Buch ist definitiv ein Highlight in diesem Lesejahr. Es ist ein schriftstellerisches Meisterwerk!

Gaea Schoeters entführt uns nach Afrika an die Seite von Hunter White - Spekulant, Immobilienmagnat und Hobbyjäger. Endlich kann er sich seinen Traum erfüllen und die Big Five vollmachen. Er hat eine Lizenz erstanden und kann ein Spitzmaulnashorn schießen. Die Trophäe will er seiner Frau zum Hochzeitstag überreichen.

Doch alles kommt anders als gewünscht. Wilderer schnappen ihm sein Tier vor der Nase weg und die Erregung der begonnenen Jagd lässt einen schalen, unbefriedigten Beigeschmack zurück. Überraschend bietet ihm sein Freund und Jagdveranstalter Van Heeren eine ganz spezielle Trophäe an. Er stellt ihm die Big Six vor.

Sehr geschickt geht die Autorin an dieses Dilemma heran. Van Heeren und Hunter sind knallharte Geschäftsleute. Sie sind skrupellos und äußerst manipulativ. In ihren Argumenten spielt die Autorin so gekonnt mit den Facetten der Wahrheit, dass man als Leser*in fast bereit ist, sämtliche Werte über Bord zu werfen. Ich fühlte mich beinahe manipuliert bei der Lektüre und kann mir gut vorstellen, wie eine Diskussion mit Hunter verlaufen würde. Er schafft es wirklich alles schön zu reden; wohl auch ein bisschen für sein Gewissen. Er ist sich ja sicher, einer von den Guten zu sein.

So verliert sich Hunter in einer Jagd, bei der er eigentlich nicht gewinnen kann. Heimgesucht wird er dabei von Erinnerungen an seinen Großvater, der ihn schon früh in die Jagd und deren Grausamkeiten eingeführt hat. So erfahren wir, wie aus Hunter der Mann wurde, der schließlich in Afrika jagt.

Beeindruckend fand ich auch, dass mir dieser Jäger nicht von Grund auf unsympathisch war. Er hat durchaus brauchbare Ansichten, zeigt Respekt vor der Natur und der Tierwelt und weiß zu schätzen, was ihm da geschenkt wird bzw. was er nehmen darf. Doch schlußendlich nützt ihm das alles nichts. Er überschreitet eine Grenze, die er besser nicht überschritten hätte. Doch diese Erkenntnis kommt zu spät.

Dieser Roman ist eine schriftstellerische Meisterleistung. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das so geschickt mit den Grauschattierungen von Gut und Böse spielt, so gekonnte die Wahrheit verdreht und unsere koloniale Denkweise so behände in die Irre führt. Großer Applaus von meiner Seite! Ich empfehle, sich den Abgründen dieses Romans unbedingt zu stellen!

Bewertung vom 18.03.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

Percival Everett wagt sich mutig an den Stoff von Huckleberry Finn. Doch diese Geschichte erzählt uns der Sklave Jim, der vor dem Verkauf flieht, um später seine Familie freizukaufen.

Jim ist ein schlauer Bursche und so lernen wir mit ihm die Sklavensprache kennen, denn die Weißen müssen sich unbedingt überlegen fühlen. Sie dürfen nicht wissen, dass die Sklaven einwandfreies Englisch sprechen. Da wollen sie sich lieber ein bisschen bemühen, das Genuschel zu verstehen, dass den Ohren der Weißen vorbehalten ist.

Jim kann außerdem lesen und schreiben, was auf keinen Fall jemand merken darf. Damit würde er sein Leben riskieren.

Auf seiner Flucht begleitet ihn der junge Huck, der ebenfalls geflohen ist. Er hat seinen Tod vorgetäuscht, um seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Das bringt den geflohenen Jim nur noch mehr in Gefahr, denn wer könnte verdächtiger sein, als ein entflohener Sklave.

Während bei Mark Twain die Reise auf dem Mississippi ein einziges großes Abenteuer ist, ist sie hier geprägt von Todesangst, Verstecken und Flucht. Mal spielt ihnen das Schicksal in die Hände, mal legt es ihnen Steine in den Weg.

Heftig fand ich, mit welcher Selbstverständlichkeit Weiße Besitzansprüche an einen Schwarzen stellen, der nur mit einem Jungen unterwegs ist. Und ebenfalls, wie selbstverständlich alle Weißen davon ausgehen, dass die Schwarzen dumm, schmutzig und nicht wertvoller als Vieh sind. Die Schrecken der Sklaverei werden hier eindringlich dargestellt und hallen lange nach. Vor allem die Zuchtfarm am Ende, gab mir schwer zu denken. Die Grausamkeit der Aufseher und Besitzer ist wirklich schwer zu ertragen und leider gibt es immer noch viele Menschen, die sich erhabener fühlen, weil ihre Haut heller ist, als die anderer Leute.

Mutig hat sich der Autor an diesen klassischen Stoff gewagt und hat einen modernen historischen Roman daraus gemacht. Es ist gleichsam ein Entwicklungsroman, denn aus dem Sklaven Jim, der immer schon etwas schlauer war, wird ein selbstbestimmter zorniger Mann namens James, der sich nicht mehr unterjochen lässt und von nun an seinen Weg beschreitet. Mir hat das Buch hervorragend gefallen und somit gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung!