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Benutzername: 
Jo
Wohnort: 
Hagen

Bewertungen

Insgesamt 49 Bewertungen
Bewertung vom 18.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Fesselnd

Das Buch von Helga Bürster führt uns zurück in die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg. In einem kleinen, armen Moordorf in Ostfriesland sind viele Männer nicht aus dem Krieg heimgekehrt, die Frauen versuchen ihren Familien das Überleben zu sichern, oft mehr schlecht als recht. Edith und Annie sind zwei dieser Frauen und sie helfen einander, wo es nur geht. Ediths Tochter Betty kümmert sich um Annies behinderten Sohn Willi, der einen Geburtsschaden erlitten hat und nicht sprechen kann.
Als fünf Jahre nach Kriegsende Annies Mann Josef aus der Gefangenschaft zurückkehrt, treibt das einen Keil zwischen die beiden Frauen, denn Josef ist heimlich in Edith verliebt. Fritz, der habgierige Spökenkieker und ehemalige Aufseher im nahen KZ, redet Annie ein, dass Edith eine Hexe ist und beschwört damit einen alten Aberglauben wieder herauf.
Mich hat das Buch so fasziniert, dass ich es an zwei Abenden durchgelesen habe und kaum aufhören konnte. Die Mischung aus Nachkriegserlebnissen, der Manipulation eines ganzen Dorfes und alten Geschichten aus dem Moor hat mich gefesselt und fasziniert. Dazu kam der sehr gut lesbare Schreibstil von Helga Bürster.
"Unsere schöne Zivilisation, die ist nur Staub. Wenn der Wind kommt, bläst er alles weg und darunter ist das Tier." sagt die alte, weise Guste auf Seite 257. Wie recht sie leider noch immer - oder schon wieder - hat!
Für dieses Buch mit dem schönen Titelbild (der Hahn als altes Sinnbild der Wachsamkeit?) gibt es eine unbedingte Leseempfehlung.

Bewertung vom 10.09.2023
Verlogen / Mörderisches Island Bd.2
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlogen / Mörderisches Island Bd.2


gut

Langatmig

Als die Leiche einer jungen Frau in einer Höhle im isländischen Lavafeld gefunden wird, stellt sich heraus, dass die Frau ermordet worden war. Als sie vor Monaten verschwand, vermutete man einen Selbstmord, da sie eine Abschiedsnachricht bei ihrer Tochter hinterlassen hatte.
Die Ermittlungen gestalten sich langwierig, denn nicht alle Zeugen sagen die Wahrheit. Parallel zu der Mördersuche wird die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter erzählt, die ihr Kind nicht lieben kann, weil es so gar nicht "schön" aussieht. Erst langsam kann die Mutter eine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und erst spät stellt sich heraus, um wen es sich bei der Frau und ihrem Kind handelt.
Ich lese gern isländische Krimis, aber dieser hat mir nicht gefallen. In den ersten hundert Seiten kommt gar keine Spannung auf und auch später hält sich die Aufregung in engen Grenzen. Auch werden nicht alle Fragen zum Fall am Ende des Buches geklärt, es bleibt zu viel offen.
Schade, denn der Ansatz war eigentlich gut. Aber man hätte mehr aus dem Fall machen können!

Bewertung vom 24.08.2023
Sekunden der Gnade
Lehane, Dennis

Sekunden der Gnade


ausgezeichnet

Liebe und Hass

Im Jahr 1974 soll durch das "Busing" eine Mischung von weißen und schwarzen Schülern in Boston hergestellt werden, doch vor allem die weiße Bevölkerung wehrt sich gegen dieses Vorhaben. Vor diesem Hintergrund spielt dieses Buch.
Mary Pat Fennessy ist eine starke Frau. Sie hat zwei Männer verloren, ihr Sohn starb an Drogen und das alles hat sie irgendwie überstanden. An die Grenze ihrer Kraft kommt sie aber, als ihre geliebte Tochter, die siebzehnjährige Jules, eines nachts nicht nach Hause kommt. Mary Pat macht sich auf die Suche und findet bald die Verbindung zum Tod eines schwarzen Jugendlichen und zu der Gang, die ihr Wohnviertel beherrscht.
Lehane beschreibt das alles in einer kraftvollen Sprache, die unter die Haut geht. Man könnte bei all dem Hass und der Brutalität den Glauben an das Gute im Menschen verlieren, wäre da nicht der Polizist Bobby, der Mary Pat hilft.
Der Rassismus, der auf allen Seiten herrscht, ist heute so aktuell wie vor fünfzig Jahren und hat seine Wurzeln in viel älteren Verhaltensmustern. "...Hauptsache, ihnen wird ein Teil ihres Menschseins entzogen, wenn wir so an sie denken. Wenn uns dann gelingt, können wir Kinder dazu bringen, Meere zu überqueren, um andere Kinder zu töten, oder auch daheim zu bleiben und es an Ort und Stelle zu tun." (Seite 157). Daran hat sich nichts geändert und das ist erschreckend.
Ein beeindruckendes Buch, das heute aktueller ist denn je, auch wenn wir an Deutschland denken, wo Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Co wieder auf dem Vormarsch sind.

Bewertung vom 17.08.2023
Die Akte Madrid / Lennard Lomberg Bd.2
Storm, Andreas

Die Akte Madrid / Lennard Lomberg Bd.2


gut

Unübersichtlich

Während mir der erste Band über den Kunstexperten Dr. Lennard Lomberg sehr gut gefallen hat, war ich von diesem Buch enttäuscht.
Im August 2016 führen ihn Ermittlungen zu einem Gemälde nach Spanien. In Granada wurde ein Bild gestohlen, das lange als verschollen galt. Das Gebäude, aus dem es verschwand, liegt auf dem Gelände der Alhambra und es gehörte dem Vater des deutschen Verteidigungsministers. Nun wird dieser erpresst, denn die Vergangenheit von Dr. Julius Ritter ist unklar und er war wohl in die Verbrechen der Franco-Diktatur verwickelt. Lomberg und seine Freundin Sina Röhm von Interpol müssen tief in der Vergangenheit graben und machen erschreckende Entdeckungen.
Wieder ist das Buch auf mehreren Zeitebenen geschrieben, die deutlich voneinander getrennt sind. Allerdings ist die Fülle von Fakten und Entwicklungen sehr groß und verwirrend. Die Klarheit des ersten Bandes wird in diesem Buch nicht erreicht. Immer wieder tauchen neue Personen auf, bringen neue Aspekte in den Fall und am Ende bleibt man verwirrt zurück. Da hat es der Autor eindeutig zu gut gemeint und den Fehler gemacht, den er im ersten Band vermieden hat, nämlich alles in das Buch zu packen, was irgendwie möglich war. Das macht das Buch unübersichtlich und schwer zu lesen.
Schade, denn eigentlich sind die Geschichten mit Lomberg gut, aber in diesem Buch hat Storm das Maß verloren.

Bewertung vom 13.07.2023
Elternhaus
Mank, Ute

Elternhaus


ausgezeichnet

Sehr realistisch

Selten fand ich ein Buch so realistisch wie dieses.
Die Eltern von Sanne, Petra und Gitti werden alt und das schmale Haus, das der Vater gebaut hat, wird zu unpraktisch. Deshalb sucht Sanne für die Eltern eine barrierefreie Wohnung und sie ziehen um. Gitti findet das unnötig und Petra, die kaum noch Kontakt zu der Familie hat, ist nicht involviert. Als sie vom Umzug erfährt, ist es schon zu spät und das Elternhaus soll verkauft werden.
Solche Konflikte spielen sich in vielen Familien ab. Es wird zu wenig miteinander geredet, wer sich kümmert macht immer etwas falsch (in den Augen der anderen Geschwister) und alle sind unzufrieden. In dieser Hinsicht ist das Buch sehr realistisch.
Allerdings eskaliert die Situation bei Sanne, als ihr Mann sie verlässt und sie sich nicht mehr um das Elternhaus kümmert. Sie beginnt zu trinken und wird "komisch". Der Umzug der Eltern hat sie nicht entlastet, sondern die allgemeine Unzufriedenheit mit ihrem Leben geschürt. Petra dagegen findet so etwas wie Glück, auch wenn sie sich für bindungsunfähig hält. Allein Gitti führt ein ausgeglichenes Leben.
Welche Rolle spielt das Elternhaus im Leben von Erwachsenen? Welche Erinnerungen und Gefühle sind damit verknüpft? Wo ist Heimat? Alle diese Fragen spielen eine Rolle.
Ich fand das Buch ganz hervorragend in der Beschreibung der Geschwister-Eltern-Konstellation. Ute Mank bringt die Beziehungen ganz hervorragend auf den Punkt und viele Frauen können sich bestimmt darin wiedererkennen. Dazu ist das Buch sehr gut lesbar und spannend bis zum Schluss.
Eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.07.2023
Die Spur der Aale / Ein Fall für Greta Vogelsang Bd.1
Wacker, Florian

Die Spur der Aale / Ein Fall für Greta Vogelsang Bd.1


gut

Ungewöhnlicher Fall

Diese neue Krimireihe interessierte mich, weil es in erster Linie nicht um Mord und Totschlag, sondern um Umweltdelikte geht. Staatsanwältin Greta Vogelsang ermittelt in Sachen Umweltdelikte, sie wird von den Kollegen nicht wirklich ernst genommen. Aber sie ist hartnäckig, als ein Kollege vom Zoll tot aufgefunden wird, der beim Schmuggel von Glasaalen ermittelte. Eine Spur führt zu einem chinesischen Restaurant, wo die angestellten wie Sklaven behandelt werden und für den Boss die Fische nach Hongkong bringen müssen.
Das Buch ist noch nicht ganz stimmig, es gibt einfach zu viele Handlungsstränge, aber der Ansatz ist gut und lesenswert. Auch die Personen gefallen mir gut, denn sie sind sehr lebensnah.
Dass man Drogen oder seltene Tiere schmuggelt war mir ja bekannt, aber vom Schmuggel der Glasaalen hate ich noch nie gehört. Wieder was gelernt!
Ich bin gespannt, wie sich Vogelsang weiter entwickelt, denn es gibt viele Entwicklungsmöglichkeiten.

Bewertung vom 15.06.2023
Wo du mich findest
Barns, Anne

Wo du mich findest


sehr gut

Sensibler Frauenroman

Zuerst fiel mir bei dem Buch die zur Zeit so sehr beliebte Gestaltung des Covers mit einer Frau im Badeanzug auf. Das scheint DAS Motiv des Lesesommers zu sein.
Der Inhalt war dann aber tiefgründiger, als das Cover erwarten ließ.
Sophie hat ihren Vater und ihre beste Freundin kurz nach einander verloren und trauert sehr um sie. Eine Reise nach Rügen soll sie ablenken, doch sie merkt bald, dass ihre Ehe mit Thomas nur noch auf dem Papier besteht. Eine flüchtige Begegnung mit einem Mann in einem Café dagegen hinterlässt tiefe Spuren. Nach der Trennung von Thomas kehrt Sophie nach Rügen zurück, um jenen Mann zu suchen...
Sehr gut hat mir die genaue Beobachtungsgabe von Anne Barns gefallen. Sie beschreibt Begegnungen, Beobachtungen und Gefühle sehr sensibel und präzise. Man lebt und fühlt mit Sophie und kann sehr gut nachvollziehen, was sie antreibt. Gegen Ende des Buches erschließt sich auch, was es mit dem Badeanzug auf dem Cover auf sich hat.
Das Buch ist eher ruhig geschrieben und man kann sich ganz hineinfallen lassen.
Eine wunderschöne Urlaubslektüre, wenn auch ohne echtes Happyend!

Bewertung vom 28.05.2023
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


sehr gut

Tolle Frau!

Marie Benedict schreibt Bücher in Romanform über starke Frauen und in diesem widmet sie sich Hedy Lamarr, einer früher sehr bekannte Schauspielerin, die in Hollywood große Erfolge feiern konnte. Sie wurde als Hedwig Kiesler in Wien geboren, war Jüdin und konnte vor dem Holocaust nach Amerika fliehen. Um ihre Familie zu schützen, heiratet sie den reichen Waffenhändler Fritz Mandl. Die Ehe ist sehr unglücklich, denn Mandl ist ein kontrollsüchtiger Gewalttäter. Hedwig kann entkommen und gelangt über Paris nach London und mit Hilfe von Freunden nach Hollywood, wo sie zum Superstar aufsteigt. Sie ist aber nicht nur Schauspielerin, sondern entwickelt mit George Antheil ein neuartiges Torpedosystem, das aber aus Frauenfeindlichkeit nicht zum Einsatz bei der amerikanischen Marine kommt. Erst heute wird ihre Arbeit wirklich bekannt, sie ist eine von unzähligen "Hidden figures", die großartige Arbeit in der Entwicklung technischer Geräte geleistet haben, aber nie anerkannt wurden.
Das Buch ist in der Ich-Form erzählt und macht Hedwig sehr nahbar. Man verfolgt voller Spannung ihre Entwicklung von der 18jährigen Sissi-Darstellerin zur angeblich schönsten Frau der Welt und zur besessenen Erfinderin.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich sehe Hedy Lamarr nun mit anderen Augen.

Bewertung vom 28.05.2023
Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)
Boyle, T. C.

Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)


ausgezeichnet

Zwischen Panik und Gleichgültigkeit

T.C. Boyle gehört zu den wenigen Autoren, deren Bücher ich immer gleich lesen muss. Seit der grandiosen "Wassermusik" bin ich ein Fan. Manche seiner Bücher fand ich herausragend, bei einigen war ich eher enttäuscht. Aber so ist das nun einmal.
Das neue Werk "Blue Skies" gehört auf jeden Fall zum ersten Art.
Schon das Titelbild mit den Flammen und der Palme im Stil eines Comics fand ich sehenswert und ungewöhnlich für die heute eher nüchterne Bildsprache auf vielen Covern.
Das Buch erzählt die Geschichte einer ganz normalen amerikanischen Familie unter dem Einfluss der Klimakatastrophe.
Während die Mutter Ottilie im Kleinen versucht umweltbewusst zu leben und statt Fleisch Grillen und Mehlwürmer auf den Tisch bringt, ist ihre Tochter Catherine vollkommen gleichgültig gegenüber allen Umweltsünden. Sie kauft sich eine selten Schlange als Haustier, was zu einer familiären Katastrophe führt, und nimmt ziemlich gleichmütig alles hin und lebt ihr Leben. Ihr Bruder Cooper ist dagegen Entomologe und Umweltaktivist, handelt aber letztendlich ebenso verantwortungslos wie seine Mitmenschen. Trotz Hitze und Bränden in Kalifornien und Überschwemmungen im "Sunshine State" Florida werden weiterhin alle Umweltsünden begangen, die man seit Langem kennt, aber was kann ich allein schon tun??
Boyle bringt das alles in seiner typisch lakonischen und manchmal auch sarkastischen Art auf den Punkt. Das Buch hat mich die ganzen 400 Seiten lang gefesselt und es war nie langweilig.
Wir Menschen wissen seit vielen Jahren um die Gefahren des viel zu hohen CO2-Ausstoßes in den hochtechnisierten Staaten, aber wir wissen auch, dass man allein mit Mülltrennung und Bienenhotels nicht die Welt retten kann. Dafür müssten wir unseren Lebensstil radikal ändern, doch dazu ist kaum jemand bereit. Boyle zeigt hier beispielhaft diese Gleichgültigkeit und die Gewöhnung an die große Zahl von Naturkatastrophen. Jede/r versucht seinen Kopf zu retten und irgendwie seinen Lebensstil beibehalten zu können, aber das geht auf Dauer nicht gut.
Ein einziger Kritikpunkt ist der Schluss des Buches. Müssen wir nur lange genug durchhalten und alles wird gut?

Bewertung vom 26.04.2023
Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3
Seeburg, Uta

Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3


sehr gut

Gemächliche Zeitreise ins 19. Jahrhundert

Der Kriminalroman führt uns in die Jahre 1896 und 1916 und abwechselnd werden beide Zeitebenen beschrieben.
Der eigentliche Kriminalfall fällt in das Jahr 1896, als in München ein französischer Diplomat spurlos verschwindet. Eine knifflige Situation für den Ermittler Wilhelm von Gryszinski, denn es sind schwierige Verwicklungen zu befürchten, wenn man den Mann nicht findet. Doch dann ergibt sich eine Spur zu einem Erfinder, der eine Art "Fake-News-Maschine" entwickelt hat, die in Kriegszeiten eine wichtige Rolle spielen könnte. Zwanzig Jahre später ist der Fall noch immer nicht gelöst, als Wilhelms Sohn Fritz in den Wirren des 1. Weltkriegs eine neue Spur in dem Fall findet. Er macht sich heimlich auf den Weg ins Feindesland nach Paris.
Der Krimi ist sehr gemächlich geschrieben, erst nach etwa 100 Seiten geschieht ein Mord. Vorher wird oft gekocht, diniert und Kaffee oder Cognac getrunken. Man muss sich auf diese Langsamkeit einlassen. Wer das heutige Tempo gewohnt ist, wird zuerst Probleme haben.
Insgesamt ist aber das Flair der "guten, alten Zeit" geschickt eingefangen und die gesellschaftlichen Hintergründe dieser Epoche sind gut beleuchtet. Besonders gut gelingt das in dem Teil des Buches, der in der "Belle Epoque" spielt, der Kriegsteil bleibt dagegen etwas blass.
Mir hat diese Zeitreise gut gefallen, auch wenn ich mich zuerst daran gewöhnen musste, dass alles wie in Zeitlupe geschieht.