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alina_liest07

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 15.02.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


ausgezeichnet

Einzigartiges Familienporträt
Ein großes Anwesen am See, ohne Männer aber dafür mit umso mehr Geheimnissen, steht im Zentrum dieses Romanes - oder viel mehr die Frauen, die in ihm leben oder gelebt haben. Als die Großmutter stirbt, „Patriarchin“ dieser Familie, scheint ein Kartenhaus an Geheimnissen einzubrechen.

„Männer sterben bei uns nicht“ wird auf verschiedenen zeitlichen Ebenen und aus Sicht der Enkelin und angehenden Erbin des Familienvermögens samt Anwesen, Luise, erzählt.
So erfahren wir in Rückblenden von Luise Kindheit, von Lenis Verschwinden und von den toten Frauen im See. Zum anderen bringt der Tod der Großmutter in der Gegenwart lang behütete Geheimnisse hervor und so ergibt sich uns durch Luises Augen ein Puzzle aus Geheimnissen, Missgunst und Sehnsucht nach echter Nähe, Versöhnung und Verbundenheit.

Annika Reich hat es geschafft eine mysteriöse, dunkle und dennoch höchst faszinierende Stimmung zu erschaffen und die subtile Spannung bis zum Ende aufrecht zu erhalten. So bin ich, trotz durchaus herausfordernde Erzählweise, innerhalb kürzester Zeit nur so durch die Seiten geflogen.
„Männer sterben bei uns nicht“ zeichnet sich auch durch seine faszinierenden Figuren voller Ambivalenzen und den tollen Schreibstil aus. In den schwierigen und komplexen Beziehungen und Geheimnisse dieser Frauen spiegeln sich Neid und Manipulation, Verrat und Leid, aber es finden sich auch kleine Hoffnungsschimmer der Solidarität und des Mitgefühls. Und über allem liegt, im Schweigen vergraben, die Zeit des Krieges und die Fragen nach der Rolle der Familie in dieser Zeit.

In diesem Roman bleibt zwischen Gesagtem und Ungesagtem vieles unklar und im Dunkeln verborgen und regt dadurch zum Nachdenken an. Ich kann verstehen, dass der Erzählstil nicht jedem oder jeder zusagt, aber mich hat „Männer sterben bei uns nicht“ sehr berührt und fasziniert und ich kann diesen einzigartigen Roman nur empfehlen.

Bewertung vom 15.01.2023
Ohne mich
Schüttpelz, Esther

Ohne mich


ausgezeichnet

Tolles Debüt voller Humor und Tiefgang

Esther Schüttpelz nimmt uns in ihrem humorvollen und berührenden Debütroman „Ohne mich“ mit durch das chaotische Trennungsjahr der namenlosen Protagonistin. Noch mitten im Referendariat und Studium haben sie und ihr Ehemann sich nach nur kurzer Ehe und Beziehung getrennt.
Während ihre Freunde Auslandsaufenthalte absolvieren oder nach Berlin ziehen, versucht sie in Münster, nun alleine, in der ehemaligen Ehe-Wohnung wieder in die Spur zu kommen und ihre Examen zu beenden.

Esther Schüttpelz hat einen wirklich tollen, flotten und dichten Schreibstil, voller Humor und Ironie, der ganz viel Spaß macht und mich durch den recht schmalen Roman regelrecht hat fliegen lassen.
Aus der Ich-Sicht erzählt, sind die Gedankengänge der Hauptfigur sowohl herrlich komisch, als auch authentisch und berührend. Und obwohl die Protagonistin eine gewisse Distanz wahrt, so erfahren wir beispielsweise nie ihren Namen, so ist es eine sehr sympathischen Hauptfigur, der ich wahnsinnig gerne durch ihr Jahr zwischen Trennung, Referendariat, Examen, Musik und Partyexzessen gefolgt bin.

Die Autorin hat es für mich in "Ohne mich“ geschafft ein ganz bestimmtes Gefühl einzufangen: Irgendwas und irgendwo zwischen Verloren sein, Selbstfindung und Weitermachen. Dieses Gefühl ist gewiss nicht auf die Mitt-Zwanziger beschränkt, wird hier aber durch das Ende des Studiums, die Trennung und sich in die Welt verteilende Freundeskreise sehr schön eingefangen.

Mich hat Esther Schüttpelz mit ihrem schmalen, aber humor- und gefühlvollen Debüt voll überzeugt und ich bin jetzt schon neugierig auf ihre weiteren Werke. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 30.12.2022
Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?
Weber, Sara

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?


ausgezeichnet

Ein hochaktuelles, pointiertes und, trotz allem, mutmachendes Sachbuch

In ihrem ersten Buch zeigt Sara Weber die Probleme unserer heutigen (Arbeits-)Welt in Zeiten von anhaltenden Krisen und sich verändernden Gesellschaften und Bedürfnissen auf. Burnout, Quite Quitting und Fachkräftemangel - im ersten Teil legt die Autorin die strukturellen Problemen unsere Arbeitswelt dar und zeigt auf, wie Ungerechtigkeit und Ungleichheit dadurch weiter wachsen. Im zweiten Teil stellt (und beantwortet) Sara Weber verschiedene „Was wäre wenn..“-Fragen in Bezug auf unsere Art zu arbeiten.

Die Autorin bietet uns ein breites Spektrum an Beispielen von prekären, unter- oder unbezahlten Jobs und schlechten Arbeitsbedingungen: Von Essenlieferant*Innen und Pflegekräften, zu Lehrer*Innen, Erzieher*Innen und unbezahlter Care Arbeit.
Aber auch der allgegenwärtige Fachkräftemangel und die Macht, die Arbeiter*Innen damit zuteil wird, sind hier Thema. Wichtig und richtig ist es hier die Bedeutung von Gewerkschaften und Arbeiterbewegungen als Treiber für positiven Wandel zu nennen - wie die Autorin unter anderem an jüngsten Beispielen aus den USA darlegt.
Auch bleibt Weber nicht ausschließlich bei sogenannten Bürojobs, wo Remote Work und flexible Arbeitszeiten teilweise schon länger Fuß fassen konnten, stehen. Vielmehr erinnert sie daran, dass wir gerade systemrelevante und physische Arbeit unbedingt mitdenken müssen. Und sie ruft uns ins Gedächtnis, wie sehr strukturelle Diskriminierung, Rassismus und mangelnde Inklusion unsere heutige Arbeitswelt weiterhin prägen.

Die meisten Themen und Gedanken sind mit Sicherheit nicht neu, aber man kann sie nicht oft genug hören bzw. lesen - vor allem wenn auf so flotte, leicht verständliche und mit einer Prise Humor gespickten Art geschrieben wird. Neben Problembeschreibung- und Analyse liefert die Autorin auch viele Lösungsvorschläge, spannende Denkansätze und Forschungsergebnisse für eine bessere (Arbeits-) Zukunft.

Alles in allem eine klare Leseempfehlung. Wer sich schon mit dem Thema beschäftigt hat, dem wird einiges bekannt vorkommen - allerdings wurde es bisher selten in eine so kompakte, pointierte aber auch mutmachendende Form gepackt.

Bewertung vom 17.12.2022
Liebewesen
Schmitt, Caroline

Liebewesen


ausgezeichnet

Intensives Leseerlebnis

Lio hat nach einer teils traumatischen Kindheit und Erfahrungen lange Zeit Schwierigkeiten damit, Intimität und Nähe in Beziehungen mit anderen Menschen zuzulassen. Als sie schließlich Max kennenlernt, beginnt eine turbulente Beziehung mit vielen Auf und Abs - bis Lio bemerkt, dass sie schwanger ist. Unfähig es Max zu erzählen, verfolgen sie sowohl ihre Kindheitserinnerungen als auch wichtige (Zukunfts-)Fragen.

„Liebewesen“, der Debütroman von Caroline Schmitt ist ein intensives, erfrischendes und berührendes Leseereignis. Das Erzählte und Erlebte ist teilweise sehr bedrückend und ich musste das ein oder andere Mal schlucken. In der Kombination mit einer Prise Humor und sehr genauen, realistischen Beobachtungen ist der Autorin hier eine echte Meisterleistung gelungen. Caroline Schmitt’s Schreibstil war für mich zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, ich habe mich aber ganz schnell darin verliebt.

Lio ist eine wirklich tolle und mutige Hauptfigur - die Autorin bringt ihre Ängste, Gefühle und Gedanken auf realistische und berührende Art und Weise zu Papier ohne jemals kitschig zu sein. Neben ihrer komplexen Beziehung zu Max sind auch Lio’s Beziehungen zur ihren Eltern und ihrer besten Freundin Mariam toll beschrieben. Vor allem Letztere, die Freundschaft zwischen Lio und Mariam, ist eines meiner Highlights und hätte meiner Meinung nach gerne noch mehr Raum einnehmen dürfen.

Trauma, sexueller Missbrauch, Intimität und Sexualität, Abtreibung und komplexe menschliche Beziehungen sind alles Themen, die hier auf eine frische, ehrliche und berührende Art und Weise behandelt werden. Dieser Roman wird vielleicht nicht jeden oder jede ansprechen, wer Interesse an den genannten Themen oder einfach guter Literatur hat, findet hier aber eine wirklich mitreißende und moderne Lektüre von einer tollen neuen Autorin.
„Liebewesen“ hat jetzt schon eines der besten Cover und Titel des neuen Jahres und auch inhaltlich ist es ein grandioser Einstieg und einer der ersten Empfehlungen in der neuen Lesesaison.

Bewertung vom 15.10.2022
Alle_Zeit
Bücker, Teresa

Alle_Zeit


ausgezeichnet

Alles eine Frage der Zeit?

Die Redewendung „Zeit ist Geld“ ist wohl vielen ebenso geläufig wie das Gefühl der Zeitknappheit - und dennoch scheint Zeit bisher kaum ein politisches Thema zu sein. Die Journalistin und Autorin Teresa Bücker widmet sich diesem omnipräsenten und doch viel zu wenig diskutiertem Thema. Wem gehört eigentlich unsere Zeit, was bedeutet zu wenig Zeit zu haben und wie können wir sie besser und gerechter gestalten?
Anhand von gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen beschreibt sie die Bedeutung der Zeit in unserer Gesellschaft. Unterteilt in sechs Kapitel, plus Vorwort und Ausblick, beleuchtet die Autorin die Zeit bzw. ihr Mangel in verschiedenen Bereichen wie Arbeit, Fürsorge, Freizeit und Politik.

Wie Bücker eindrücklich zeigt sind fehlende Zeit und Stress ist eben nicht nur gesundheitsschädlich, sondern schränken auch unsere persönliche Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten enorm ein. Somit ist Zeit und ihre Verteilung eben auch eng mit sozialer Gerechtigkeit, Macht und demokratischer Teilhabe verknüpft. Und so ist Alle_Zeit ein gesellschaftskritisches Plädoyer für kürzere (Erwerbs-)Arbeitszeiten und mehr Zeit für Fürsorge, gesellschaftspolitisches Engagement und echter Freizeit (im Gegensatz zum sogenannten „Zeitkonfetti“).

Nicht alle Gedankengänge und Gesellschaftskritik mögen neu sein, aber Bücker
liefert viele interessante und eindringliche Denkanstöße und Perspektiven.
Ihr Sprachstil bleibt dabei, trotz vieler Bezüge auf soziologische Theorien sowie Forschungs- und Studienergebnisse, erstaunlich leicht und flüssig. Auch persönliche Erfahrungen und Anekdoten der Autorin fließen mit ein.

Alle_Zeit ist ein wichtiger, aktueller Beitrag und leidenschaftlicher Appell für neue gesellschaftspolitische (Zeit-)Debatten. Ein tolles Sachbuch in dem sich sehr viele Menschen in ganz verschiedenen Lebensphasen wiederfinden können und das uns hoffentlich weiter dazu bringt den Stress und Zeitdruck unseres Alltagsleben zu hinterfragen und als strukturelles, politisches Problem zu begreifen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.10.2022
Miss Kim weiß Bescheid
Cho, Nam-joo

Miss Kim weiß Bescheid


sehr gut

Ein bunter Strauß an feministischer Gesellschaftskritik

Nach ihrem beeindruckendem Bestseller „Kim Jiyoung, geboren 1982“, nimmt uns Cho Nam-Joo erneut mit in den Alltag von Frauen in Südkorea - und zeigt erneut wie universell ihre Erzählungen und Kämpfe doch sind!
Anders als in ihrem Vorgänger handelt es sich hierbei um acht Kurzgeschichten, welche alle aus der Ich-Perspektive einer Frau erzählt werden.

Und so tauchen wir ein in einen bunten Strauß feministischer und gesellschaftskritischer Erzählungen: die Last der Pflege- und Care Arbeit, die (Un-)Vereinbarkeit von Karriere und Familie im vermeintlich modernem Südkorea, manipulative Beziehungen und sexuelle Belästigung in der Schule sind nur einige der Themen, die Nam-Joo uns bietet.
Eine der Geschichten, hat auch Bezüge zur Autorin selbst und ihren plötzlichen Ruhm, ihrer Stellung als feministisches Idol und den damit einhergehenden Hass und Neid.

Eigentlich bin kein großer Fan von Kurzgeschichten, allerdings schafft es die Autorin einen so unvermittelt in ihre Erzählungen und Figuren zu „schmeißen“, sodass mich dieses Buch und seine Figuren sehr gefesselt hat. Dabei ist Nam-Joo Sprachstil nüchtern und klar, und dafür umso treffender in der Art wie sie die stille Last, und häufig auch Verzweiflung, der Frauen über alle Altersklassen hinweg zu Papier bringt.

Die große Kraft von "Miss Kim weiß Bescheid" liegt einmal mehr in der Alltäglichkeit und Universalität ihrer Geschichten - die Themen ihrer Erzählungen scheinen uns nur all zu bekannt und lassen sich problemlos auf unsere Gesellschaft und patriarchale Strukturen übertragen. Ich könnte keine einzelne Lieblingsgeschichte nennen: Auch wenn nicht alle in gleichem Maße mit einem sprechen, scheinen sie doch fast fließend ineinander überzugehen und in vielen von ihnen konnte ich mich wiederfinden.
Alles in allem, kann ich „Miss Kim weiß Bescheid“ nur empfehlen, vor allem wenn man das Vorgängerwerk kennt und schätzt!

Bewertung vom 25.09.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


ausgezeichnet

Eindringlich - eine Dystopie, die keine ist

Nach schweren wirtschaftlichen Krisen und Unruhen, findet sich die USA der nahen Zukunft wieder in einer scheinbaren Stabilität. Diese allerdings beruht auf neuen Gesetzen und Systemen, angeblich zur Wahrung der „amerikanischen Kultur“: Bücher werden entfernt, Internetzugang und Meinungsfreiheit sind stark zensiert, die Diskriminierung von Asiaten bleibt ungestraft und die Kinder von Menschen, die als unpatriotisch gelten, werden von ihren Familien getrennt.
Seit dem seine Mutter Margaret, eine chinesisch-amerikanische Schriftstellerin, die Familie verließ als Bird neun Jahre alt war, lebt der nun 12-Jährige zusammen mit seinem Vater ein weitgehend ruhiges Leben. Doch als ein Brief seiner Mutter bei ihm eintrifft beginnt er (gefährliche) Fragen zu stellen…

„Unsre verschwundenen Herzen“ ist ein dystopischer Roman, aber er fühlt sich so nah an unserem Hier und Jetzt und enthält so viele aktuelle Bezüge, dass das Wort Dystopie ihm fasst nicht gerecht wird.
„Birds und Margarets Welt entspricht nicht unbedingt der unsrigen, aber irgendwie tut sie es doch.“
Gleichzeitig zeichnet die Autorin wunderbare Symbole der Hoffnung: der (künstlerische) Widerstand, der Zusammenhalt und die Liebe, die zwischen den Figuren herrscht und nicht zuletzt die Bücher und Bibliotheken als Orte der Zuflucht.
Der Roman ist auch eine Hymne an die Bedeutung der Bücher, Bibliotheken und Worte dieser Welt - den wie ihre Zensur immer wieder zeigt, fürchten autoritäre Regime und Tyrannen ihre Macht überall. Dieser Roman zeigt eindringlich, was ein einzelner Mensch und seine Geschichten und Wörter bewirken kann, aber auch um welchen persönlichen Preis.

Wie schon bei ihren beiden Vorgängern gelingt Celeste Ng der perfekte Spagat zwischen Spannung, komplexen Beziehungsdynamiken und stark gezeichneten Charakteren, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben. Ngs Schreibstil ist dabei so ruhig und berührend und sie schafft es die Hilflosigkeit und Angst, ebenso wie die Hoffnung und Liebe glaubhaft einzufangen.

Ich finde man kann „Unsre verschwundenen Herzen“ durchaus als einen „klassischen“ Ng bezeichnen - ein tief bewegender, eindringlicher, hoch aktuell und zwischen Dystopie und Hoffnung schwankender Roman, der eine klare Leseempfehlung verdient!

Bewertung vom 21.08.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Eine magische, zu Herzen gehende Geschichte

Familie Mohn versucht den Tod ihrer Mutter bzw. Frau klar zu kommen. Während die Familienmitglieder ganz unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehen, schalten sich Nachbarn und Traueramt ein und immer mehr skurrile Charaktere treten in das Leben der Familienmitglieder.

In einer einzigartigen, märchenhaften Sprache zeichnet die Autorin berührende Bilder und fängt die Trauer und den Verlust, aber auch die Liebe in all ihrem Facetten zwischen den Zeilen ein und spielt mit unserer Wahrnehmung. Die wunderbar getroffenen Figuren versuchen in einer zwischen surreal und märchenhaft wechselnden Umgebung, ihre Trauer zu verarbeiten: Die Familie isst wortwörtlich die Tagebücher der verstorbene Mutter, Linne prügelt sich ihre Trauer heraus, Steve sieht Gesichter…Ganz nebenbei treten Bille, Marlene, Brassert und der Trauerbeamte Ginster in das Leben der Familie.

Es sind vor allem die vielseitigen Charaktere und ihre Wunden und Narben, aber auch ihre Stärken, die mich berührt haben.
Um es mit Ginsters Worten zu sagen: „Sind nicht alle zu hassen, die unbeschadet durch diese Welt kommen?“
Ein eigenartiges Buch, welches das Thema Trauer auf seine ganz eigene Art behandelt - ein Trost spendendes Buch, was uns hoffentlich dazu ermutigt in der Trauer, aber auch in anderen Bereichen, unseren eigenen Weg zu gehen und nicht von gesellschaftlichen Erwartungen und Zeitschienen bestimmen lassen. In einer Welt in der es immer schnell weitergehen soll, lädt dieser Roman uns ein innezuhalten und unser Herz einzuschalten.

„Schlangen im Garten“ ist kein Buch, durch dass ich durchgeflogen bin - immer wieder musste ich innehalte um die surrealen und berührenden Szenen wirken zu lassen.
Der Erzählstil wird sicherlich nicht alle ansprechen und mitreißen, aber für alle die sich darauf einlassen wollen, ist dieser Roman eine Herzensempfehlung!

Bewertung vom 17.08.2022
Auf See
Enzensberger, Theresia

Auf See


ausgezeichnet

Fesselnde und erschreckend realistische Zukunftsvision

Eine vor der Ostsee schwimmende, mehr oder weniger autarke Stadt und Sonderwirtschaftszone ist das Zuhause von Yada, Tochter des Gründers eben jener Stadt. An ihre vor Jahren verstorbene Mutter hat sie kaum noch Erinnerungen und das Leben in der schwimmenden Stadt hat schon lange an Glanz verloren. Gefangen in den Routinen und Kontrollen ihres Lebens, beginnt die 17-Jährige Yada auf eigene Faust Nachforschungen zu dem Projekt ihres Vaters anzustellen. Gleichzeitig begleiten wir Helena, eine auf dem Festland lebende Künstlerin, die dort mit ihren ganz eigenen Probleme zu kämpfen hat. Wie hängt das Leben dieser Frauen zusammen?

Theresia Enzensberger zeichnet in „Auf See“ ein spannendes und sehr realistisches Zukunftsszenario. Erzählt wird abwechselnd aus Yada’s und Helena’s Perspektive, wodurch sich auch die Unterschiede zwischen den beiden Lebenswelten wunderbar herausstellen. Gespickt wird die Erzählung mit Archiv Einträgen, die uns helfen Teile der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Entwicklungen und Hintergründe besser nachzuvollziehen.

Nicht jeder Beweggrund oder jede Entscheidung der Protagonistinnen wird bis aufs letzte Detail erklärt oder erschien mir immer sofort nachvollziehbar - und dennoch hat mich „Auf See“ in kürzester Zeit in seinen Bann gezogen und begeistert. Enzensberger schafft es die Spannung fortwährend hochzuhalten und ihre ganz eigene Mischung auf Dystopie und Gesellschaftskritik zu finden. Dabei bedient sie sich neoliberaler und libertäre Theorien und Strukturen ebenso wie Utopieerzählungen, Sekten und ihren gefährlichen Dynamiken und zeichnet aus ihnen eine glaubhafte, wenn auch wenig erstrebenswerte Zukunftsvision.
Die Welt in „Auf See“ ist eine andere wie heute und dennoch scheint sie schon übermorgen möglich.

Für mich war „Auf See“ sowohl fesselnde Unterhaltung, die ich in einem Rutsch verschlungen habe, als auch eine wichtige Abrechnung mit libertären Theorien, die auch in der heutigen (Tech-) Start Up Szene leider wieder großen Anklang finden. Ein Buch was vor allem im Nachgang in mir weiterarbeitet hat - von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 14.08.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


sehr gut

Emotionales Kammerspiel

„Sanfte Einführung ins Chaos“ nimmt uns fast eine Woche lang durch das Leben und die Gedanken von Marta und Dani. Das in Barcelona lebende, kreative Paar wird durch Marta’s ungewollte Schwangerschaft auf eine Achterbahn der Gefühle geschickt. Denn während Marta Dani mitteilt das Kind nicht bekommen zu wollen, hadert dieser mit durchaus mit der Entscheidung.

Erzählt aus den unterschiedlichen Perspektiven von Dani und Marta und unterteilt in einzelne Tage baut Marta Oriols einen intensiven, emotionalen Spannungsbogen auf. Marta Oriols’ Schreibstil und ihre eher nüchterne Sprache war für mich durchaus gewöhnungsbedürftig, dafür aber umso authentischer, spiegelt er auf eine Art und Weise das Chaos in dem die beiden Protagonistin sich befinden. Die Stärke und Einzigartigkeit des Romans liegt für mich vor allem in den Gesprächen und Auseinandersetzungen zwischen dem Paar, aber auch ihre unausgesprochenen Gedanken sind faszinierend und treffend beschrieben.

Vor allem Marta’s Gedanken und Gefühle konnte ich sehr gut nachvollziehen, beide Charaktere machen im Laufe des Romans aber eine spürbare und glaubwürdige Entwicklung durch. Dabei werden aktuelle Herausforderungen vieler junger Großstädter beschrieben, seien es prekäre Jobs und beengte Wohnsituationen oder (desillusionierte) Zukunftsträume - Dani und Marta sind in vieler Hinsicht Abbild einer Generation.

Ein wichtiger, spannender und vor allem authentischer Roman, der es schafft
die unterschiedlichen Zweifel und Hoffnungen, die Abwägungen und Träume seiner Protagonistin einzufangen und uns an ihrer Gefühlswelt teilhaben zu lassen.
Von mir gibts eine Leseempfehlung, vor allem für Freunde von leisen, emotionalen Kammerspielen und starker Figurenentwicklung!