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Benutzername: 
Luisabella
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 187 Bewertungen
Bewertung vom 12.05.2024
Happy Hour
Granados, Marlowe

Happy Hour


schlecht

Die Storyline von »HAPPY HOUR« von der Autorin, Filmemacherin, Podcasthost & bildender Künstlerin Marlowe Granados (übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Ochel) klingt großartig: Isa Epley ist einundzwanzig Jahre alt und weise genug, um zu wissen, dass der Sinn des Lebens im Vergnügen liegt. CHEERS🍸🗽 Gemeinsam mit ihrer Bestie Gala verdient sie sich gerade so viel Geld, dass sie auf der Upper East Side in die Welt der Reichen & Schönen teilhaben können und sich einladen zu lassen. Was kostet es, Teil dieser Partywelt zu sein und was ist Isa bereit zu zahlen?

Was eine großartige Klassismus- und Gesellschaftskritik sowie ein NY-City Coming-Of-Age Roman hätte sein können, bleibt mir leider zu oberflächlich und erreicht mich emotional überhaupt nicht. Sehr schade, hatte ich mir von der Storyline und dem Cover so viel mehr erhofft. Leider hat das mit dem Roman und mir nicht gepasst.

Bewertung vom 12.05.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

»Leifs Mundwinkel zucken, und in diesem Moment will ich nichts lieber, als ihn ganz zum Lachen zu bringen.« (S. 100) 🥹

Hand auf’s Herz: Wer hat das Debüt »22 Bahnen« von Caroline Wahl letztes Jahr nicht verschlungen und sich krass in Tilda & Ida und wahrscheinlich auch ein klitzekleines bisschen 🤏🏼 in Viktor verliebt? 🥵 Eben. 🤝🏼 Folgerichtig hat mein Herz einen kurzen Aussetzer gemacht, als ich den neuen Roman von Caro in der Vorschau entdeckt habe. And here we are falling in love again: Diesmal steht Ida - Tildas jüngere Schwester - im Zentrum der Erzählung. Die kleine Ida ist erwachsen, geblieben ist die Wut in ihr.

»Manchmal denke ich, dass Schreien einfach das Einzige ist, das wirklich hilft. Alternative wäre Armabhacken, nicht metaphorisch gemeint. Wo soll der ganze Scheiß denn sonst hin?« (S. 43)

Nach dem Tod der alkoholkranken Mutter droht Tilda in einer Depression zu ertrinken. Tilda — inzwischen promovierte Mathematikerin und Mutter von fünfjährigen Zwillingen — lädt ihre jüngere Schwester zu sich nach Hamburg ein. Ida steigt in Hamburg nicht aus, sondern fährt mit dem Zug bis zur Endstation Stralsund und strandet auf Rügen.

Dort sitzt Ida nach ein paar Umwegen am Frühstückstisch des Ehepaares Marianna und Knut und isst gemeinsam mit diesen Brötchen mit Eszet-Schnitten (Kindheitsnostalgie pur 🤌🏼). Diese beiden Norddeutschen nehmen Ida - typisch nordisch eben 🤍 - ohne viele Fragen zu stellen auf und ganz langsam lernt Ida, das Leben wieder zu schätzen. Und während Ida sich mit ihrer Wut, Trauer, Verlust, Vertrauen, Fürsorge, Schreibblockade und vielen alten und neuen Gedanken und Erlebnissen auseinandersetzen muss, isst sie Botinchen, Eszet-Brötchen oder Käsekuchen mit Marianne, wirft sich in die Ostsee und kämpft gegen die Wellen und vor allem sich selbst an 🌊, spielt Elfer-Raus & Phase10 & UNO mit Leif und Marianne und verliebt sich.

»Marianne: Ida, du bist so eine schlechte Verliererin. Das ist nur ein Spiel.
Ich: Ich bin keine schlechte Verliererin.
Ich bin eine schlechte Verliererin.« (S. 81)

Mit ihrem neuen Roman »WINDSTÄRKE 17« macht die Autorin Caroline Wahl genau da weiter, wo sie mit ihrem Debütroman »22 BAHNEN« letztes Jahr aufgehört hat (und zahlreiche Preise für dieses krasse Debüt erhalten hat). Steile These von mir: Egal, was Caro mit ihrem unverwechselbaren Sound aus wahnsinnig feiner Beobachtungs(-wieder-)gabe, Humor, Ironie, Ehrlichkeit und Stil schreibt, ich werde es lesen und lieben. ❤️‍🔥

»Wir schwimmen ins offene Meer, ich tauche so tief, bis es wehtut, und meine, beim tiefsten Punkt kurz seine Hand über mein Bein streichen zu spüren, ärgere mich über meinen Körper, der umgehend eine neue Berührung will, die nicht kommt, und begreife irgendwie, dass es wahrscheinlich immer so sein wird mit ihm. Dass ich mich nie darauf werde verlassen können, dass eine neue Berührung kommt. Dass immer was dazwischenkommen kann und dass er wahrscheinlich nicht so sehr eine Berührung will von mir wie ich von ihm.« (S. 121)

Es sind diese feinen Sätze, diese ehrlichen Beschreibungen von Gefühlen, zwischenmenschliche Beziehungen, Identitätssuche, Alltäglichem, die Empathie erzeugen, Erinnerungen wecken, Gefühle hervorrufen und damit jede*n von ganz woanders abholen und vermutlich auf eine andere Weise berühren. Und das ergibt einfach ein wahnsinnig gutes Buch.

»Es riecht nach Herbst, obwohl es noch nicht Herbst ist, und es weht eine schwache Brise, drei Windstärken schätze ich. Mindestens 17 Windstärken in mir, als wir durch das Tor gehen.« (S. 252) 🌊


In Short auf Norddeutsch (aka Northern German humbleness): Der Roman ist schon ziemlich OK.

Nochmal für alle: Caro did it again 🔥 und hat ein großartigen Roman rausgehauen. Große Liebe hier 🩵 Lest es & liebt es 🌊💙

[CN: Depression, Verlust, Trauer, Tod]

P.S.: Und die kurzen Einblicke auf Tilda’s & Viktor’s Leben made my heart ful. Exakt der richtige Mix aus Rückbezügen auf das Debüt. 🥹

Bewertung vom 12.05.2024
Sorry not sorry
Landsteiner, Anika

Sorry not sorry


sehr gut

»Wer sich von Scham befreien will, muss sich ihr stellen.« (S. 17)

& genau dieses sich-der-eigenen-Scham-stellen ist in den allermeisten Fällen einfacher gesagt als getan. Aber das, was wir dadurch erreichen können, ist so wertvoll: Selbstermächtigung und einen andere Hoheit auf unsere Schamgefühle und die auslösenden Situationen / Gedanken / Geschichten.

Anhand ihrer eigenen Empfindungen von Körperscham, Identitätsscham und Statusscham setzt sich die Autorin & Journalistin Anika Landsteiner mit Scham in einer ‚persönlichen und gesellschaftlichen Spurensuche‘ (S. 17) auseinander. In 10 Essays diskutiert sie, überdenkt sie, reflektiert sie, zerlegt sie die Scham in ihre Einzelteile und schafft ein neues Ganzes: Eine empowernde, inspirierende und feministische Perspektive auf Scham. 💥

»Mich zu schämen, hat mich in meinem Leben immer wieder ausgebremst. Verunsichert. Beleidigt. Verletzt. Entblößt. Erst indem ich über die Emotion geschrieben und sie nicht nur als lästig empfunden habe, kann ich sie als einen Schlüssel zur Selbstreflexion nutzen. […] Sie schärft meinen Bullshit-Radar.« (S. 241)

Yes, I am Anika-Fan-Girl 💘 (#sorrynotsorry) und ich liebe, wie sie schreibt. Da macht das Genre keinen Unterschied: Ihre Romane (»Nachts erzähle ich dir alles« 🥐 & »So wie du mich kennst« 🗽) habe ich sehr geliebt 🥹, aber auch auf ihre regelmäßigen Newsletter 💌 freue ich mich immer in meiner Inbox. Dementsprechend MUSSTE ich ihr erstes populärwissenschaftliche Sachbuch lesen: »SORRY NOT SORRY — über weibliche Scham« von Anika Landsteiner 💜💚 ist im Verlag Rowohlt Polaris erschienen.

Ich bewundere sehr, wie mutig und persönlich Anika über diese wichtige, feministischen und gesellschaftskritischen Themen schreibt. Aber ich hätte mir bei den Essays mehr Tiefgang, mehr wissenschaftliche Bezüge und einen stärkeren Fokus auf Schamgefühle und die gesellschaftliche, soziologische, feministische, differenzierte Auseinandersetzung damit gewünscht. Für Personen, die sich viel mit Feminismus auseinandersetzen, sind Anikas persönliche Erlebnisse und ihre Reflektion zu den verschiedenen Themengebieten neu. Daneben werden sehr viele ‚feministische Basics‘ aufgegriffen, das passiert mit guten Rückbezügen, aber hätte es für mich in diesem Kontext nicht gebraucht. Das ich daher von dem Buch enttäuscht bin, liegt sicherlich zum einen an meinen Erwartungen und zum anderen an meinem Vorwissen. Alle Personen, die sich bislang wenig mit Feminismus auseinander gesetzt haben, werden hier viel lernen können.

All in all: Eine sehr persönliche, feministische Auseinandersetzung mit weiblicher Scham, die mich inspiriert und meine eigene Reflektion bereichert hat. 💜 Schlussendlich empfehle ich allen Anikas Schreiben -- egal welches Buch, daher auch 4 (anstatt nur 3.5 / 5 Sternen, und #sorrynotsorry).

Bewertung vom 10.05.2024
Hallo, du Schöne
Napolitano, Ann

Hallo, du Schöne


gut

»Sylvie fing wieder an, Romane zu lesen, und genoss das trunkene Vergnügen, in fiktionale Welten einzutauchen. Sie war dankbar, mit beiden Beinen fest genug auf der Erde zu stehen, um das tun zu können.« (S. 157) 📖

Diese schöne Beobachtung einer der Protagonist*innen aus »HALLO DU SCHÖNE« über das Lesen fühle ich sehr. 🤝🏼 Mensch braucht dafür die nötige innere Ausgeglichenheit. 💭

In ihrem neuen Roman »HALLO DU SCHÖNE« schreibt Dozentin und Autorin Ann Napolitano, übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Werner Löcher-Lawrence, über vier sehr unterschiedliche und miteinander verbundene Schwestern Julia, Sylvie, Cecelia & Emelie und deren Leben.

»William dachte, dass seine Verlobte [Julia] mit dem Taktstock eines Dirigenten durch die Welt ging, während Sylvie ein Buch mit sich trug und Cecelia einen Pinsel. Emeline dagegen hatte die Hände frei, um helfen oder das Kind einer Nachbarin nehmen und trösten zu können.« (S. 69)

Julia verliebt sich auf dem College in den Basketballer William 🏀 und so entwickelt sich eine Lovestory, die nicht für alle Zeit gemacht war. Und manchmal ist das Leben eben so, weil sich daraus andere Chancen ergeben. 🚀

Ann Napolitano schreibt davon, was es heißt, ein Teil einer tollen ‚Schwesterngirlande‘ 👯‍♀️👯‍♀️ zu sein; seine Träume aus den Augen zu verlieren, um sie mit umso größerer Entschlossenheit wieder aufzunehmen; vom Finden, Scheitern und Neu-Finden der Liebe; über den Preis und die Kraft der Liebe; über Zusammenhalt und Familie.

Es werden viele Themen (Depression, Suizidversuch, Familienbande, Krebs, Queerness, Pflegeelternschaft und und und) in diesem dicken Roman untergebracht, bei denen mir einige zu kurz kamen (trotz des Romanumfangs von 500 Seiten). Auch die Idealisierung von Schwesternschaft (ich habe selbst 3 jüngere Schwestern, die ich sehr liebe) war mir stellenweise too much. Dennoch ging mir das Ende dann doch - auch trotz einiger Längen - etwas zu schnell. Aber vielleicht erzählt die Autorin die Geschichte aus Alice Sicht noch einmal weiter, wer weiß? Toll fand ich die verschiedenen Erzählperspektiven, wodurch dieser Roman nicht wertet, was mir sehr gut gefällt. 🫰🏼

Ein Roman, den ich gerne gelesen habe und allen empfehlen kann, die in eine schöne Geschichte eintauchen wollen. 💜

P. S.: Und das Cover ist einfach so schön.

[3.5/5 ☆ ]

Bewertung vom 22.04.2024
Yellowface
Kuang, R. F.

Yellowface


gut

Mit »YELLOWFACE« schafft Rebecca F. Kuang - übersetzt aus dem US-Amerikanischen von Jasmin Hamburg - genauso wie auch mit ihrem ersten Roman »BABEL« erneut einen absoluten 💥 B o o k s t a g r a m H y p e 💥 Ich meine, wessen Feed war Ende Februar nicht gelb geflutet? 🤝🏼



Is it worth the hype?
Meine 2 Cents gibt’s hier, unterschieden in YES 💛 & NO 🟡 Argumente:



💛 Wie auch in »BABEL« schreibt Rebecca F. Kuang kritisch über die Literaturbranche. War es in »BABEL« das Thema Übersetzung das in der Dark-Fanatasie eingebettet war, bekommt im neuen Roman »YELLOWFACE« die Verlagsbranche ihr ‚Fett weg‘. Es ist ein Mix aus Blick hinter die Kulissen und Kritik an der Entstehung / Entwicklung von Manuskripten zu Büchern von Agentur über Lektorat, bis zu Marketing & Social Media Macht.

💛 Moderne, aktuelle Gesellschaftskritik meets Satire 💥 Die Autorin rechnet satirisch-kritisch am Beispiel ihrer Protagonistin und der gestohlenen Romane mit unserer Gesellschaft ab: (Anti- Asiatischem-) Rassismus, Own Voice, Cancel Culture, kulturelle Aneignung, Kapitalismus, Power of Marketing, Social-Media-Himmel-Hölle 😈

🟡 Überzeichneter, unterhaltsamer, aber relativ leicht vorhersehbarer Plot mit Thriller-Vibes 🥞

🟡 Die Kritik ist vor allem durch den Kontext eindeutig und könnte noch komplexer herausgestellt werden. Letztlich ist von der Storyline »YELLOWFACE« auch das Werk von June, erzählt es die Ereignisse aus ihrer Sicht. Somit ist der wahre Plottwist an »YELLOWFACE« die Tatsache, dass es genau das Gegenteil eines Shitstorms auslöst. (Meta-Meta-Ebene …) Have you thought about it? 💭

🟡 Das Buch ist sehr schwarz-weiß und will polarisieren. Dadurch wird die moralisch sehr fragwürdig handelnde Protagonistin June (aka Juniper Hayward, 27 Jahre) nicht nur klischeehaft und überspitzt dargestellt, sondern ihre selbstgerechte Art und Denkweise wird nicht reflektiert, sie entwickelt sich nicht und gerade eine tiefgehendere Auseinandersetzung (und aus meiner Sicht gespickt mit einem Lernen aus den eigenen Fehlern (wenn man dies schon nicht aus fremden Beispielen gelernt hat)) wäre gerade das Interessante gewesen.

🖤 Zwischen all dieser Kritik gab es auch schöne Liebeserklärungen 💘 an das Schreiben und die Macht von Literatur:

»Wenn wir lesen, sehen wir die Welt durch die Augen anderer. Literatur baut Brücken; sie macht unsere Welt größer, nicht kleiner.« (S. 129) 🖤

»Nichts ist so nah an echter Magie wie das Schreiben. Schreiben heißt, etwas aus dem Nichts zu erschaffen, Türen zu anderen Welten zu öffnen. Schreiben gibt dir die Kraft, dein eigenes Reich zu formen, wenn die Realität zu sehr schmerzt.« (S. 267)

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SO ALL IN ALL: Mir persönlich war die Geschichte zu überzeichnet, oberflächlich, vorhersehbar und platt. Ja, es ist ein unterhaltsamer Roman (aus meiner Sicht mit einigen Längen), der sich gut lesen lässt. Dem großen Hype kann ich mich nicht anschließen, und für mich ist es kein inhaltliches Highlight. Aber ich schätze, dass der Roman einfach sehr polarisiert, wie auch schon der Vorgänger-Roman »BABEL«. Vor allem zeigt der Hype um dieses Buch sehr gut, wie viel Auswirkung richtig gutes Marketing haben kann. 🤝🏼


Are you fan 💛 or did the hype make you read it💥?

Bewertung vom 18.04.2024
Das glückliche Paar
Dolan, Naoise

Das glückliche Paar


sehr gut

»Bei jedem anderen Paar wäre «Der Bräutigam hat die Braut wahrscheinlich vor ein paar Jahren mit der Brautjungfer betrogen» schon die Megakatastrophe. Aber für dieses glückliche Paar an diesem glücklichen Tag lief das total unter business as usual.« (S. 246)

In ihrem neuen Roman »Das glückliche Paar« 🦢 (übersetzt aus dem Englischen von Anke Caroline Burger) entlarvt Autorin Naoise Dolan messerscharf unsere Lügen, die wir uns selbst und anderen erzählen und seziert die Beziehungen von Celine & Luke & Archie & Maria & Phoebe & Vivian, wobei sie uns eigentlich einen Spiegel vorhält. G R O S S A R T I G 🤝🏼🧡🩷

Die erfolgreiche Pianistin Celine und der Marketingexperte Luke sind ein seit einigen Jahren ein Paar, das eben einfach beschließt, zu heiraten. Aus fünf verschiedenen Perspektiven wird die Beziehung, die Verlobungsfeier und das Leben reflektiert, während die Zeit unweigerlich auf die Hochzeit zu steuert. Das Ménage à trois zwischen Celine, Luke und Archie wird dabei genauso analysiert, wie die queeren Ex-Beziehungen der beiden als auch die Einflüsse des Patrichariat.

»Das Leben winkte einem nur selten mit eindeutigen red fags. Meistens sah man nur kleine, rote Stofffetzen. Die konnten ein Muster bilden. Oder sie waren einfach nur rote Punkte.« (S. 58) 🚩🎈

Pointiert, intelligent, scharfsinnig, humorvoll, reflektierend und sarkastisch schreibt die Autorin eine moderne Lovestory 🦢💘 . Wie man so gut, Charaktere so stimmig beschreiben kann, hat mir extrem gut gefallen. 😮‍💨 Naoise ist damit eine extrem gute Charakterstudie gelungen 👀 Im Verlauf des Romans werden bestimmte Szenen wieder aufgegriffen und Lesende erhalten so mehrere Perspektiven auf Situationen und Gespräche, die es einem ermöglichen alle Figuren gleichermaßen dafür zu feiern / lieben / hassen / sympathisch zu finden oder eben nicht — das obliegt den Lesenden selbst. Wer kennt sie nicht?!: Die Person, die einfach keine Entscheidung treffen kann? Die Person, die trotz deutlicher Signale wegsehen will? Die Person, die einfach nicht loslassen kann?

»«Ich weiß, dass du [Luke] sie [Celine] liebst», fügte Vivian hinzu. «Wahrscheinlich liebt sie dich auch. Aber man kann sich lieben, ohne dass man deswegen auf lange Sicht für eine gute Partnerschaft geeignet ist. […]« (S. 224)

Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich mich extrem gut unterhalten, abgeholt und unsere modernen Beziehungen analysiert fühle. 🥵 Ein Banger 💥, den ich kaum aus der Hand legen konnte, und sehr empfehlen kann. 🦢🩷❤️🧡

Bewertung vom 14.04.2024
Der Sommer, in dem alles begann
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


gut

»Wieso zieht uns, wo ein friedliches Glück uns einladend die Hand hinstreckt, so oft das Abgründige, Seltsame, Schwierige an?« Hélène 💭💔 (S. 102)

»Der Sommer, in dem alles begann« von Claire Léost, übersetzt aus dem Französischen von Stefanie Jacobs & Jan Schönherr, ist ein Roman über das Leben in der Bretagne und das Schicksal von drei Frauen: Odette, Marguerite und Hélène.

Die früh verwitwete Odette betreibt in dem kleinen Ort in der Bretagne einen Krämerladen und hat die junge Hélène aufwachsen sehen. Als die junge Schülerin 1994 eine neue Lehrerin aus der Hauptstadt bekommt, wird durch diese das Interesse von Hélène an Literatur unterstützt. Diese Lehrerin wiederum — die Pariserin Marguerite — sucht an diesem kleinen Ort nicht nur nach dem gemeinsamen Familienglück mit ihrem Schriftsteller Ehemann und Adoptivtochter Lilly, sondern vor allem nach Spuren ihrer unbekannten Mutter.

»Hélène spürt, wie der Riss zwischen ihnen zur Kluft wird. Er hat überhaupt kein Interesse daran, die Welt zu entdecken. Trotz des Unterrichts bei Marguerite, trotz all der Bücher und der Philosophie, wird er die Apotheke übernehmen, und sein Leben wird unbeirrbar in seiner Bahn bleiben wie der Rivière d'Argent in seinem Flussbett. Sie denkt an ihren Vater, der oft sagt: »Geh unbedingt arbeiten, verdiene deine Brötchen selbst, wie deine Großmutter und deine Mutter, und mach dich vor allem nie abhängig von einem Mann.«« (S. 100)

In einer sehr nüchternen, zeitweise schönen, melancholischen Sprache erzählt der Roman auf verschiedenen Zeitebenen von den drei Protagonistinnen, die alle ihr eigenes Päckchen im Leben zu tragen haben. Trotz schönen Stils, der geschichtlichen Hintergründe und der authentischen Beschreibung der Bretagne der 1990er Jahre springt für mich der französische Vibe nicht über und der Roman erreicht mich emotional leider nicht. Es werden wirklich einige und auch wichtige Themen (u. a. Vergewaltigung, Fremdenfeindlichkeit, Paris - Bretagne - Unterschiede, Bretonische Kultur & Druiden, Hirntumor, Tod, Lokalpatriotismus und und und) in diesem Roman aufgegriffen, aber aus meiner Perspektive viel zu oberflächlich behandelt. Gerade dies hätte dem Roman viel Tiefe und Einfühlungsvermögen geben können, aber dieses Potential konnte aus meiner Sicht leider nicht genutzt werden. Alles in allem ein interessante Lektüre, die wichtige Themen streift, aber zu oberflächlich bleibt.

Wer sich mit diesen wichtigen, aber sicherlich nicht einfachen Themen vor dem Setting der schönen Bretagne auseinandersetzen möchte, für diese Personen wird dies sehr passend sein.

[2.5 / 5 ☆ ]

Bewertung vom 07.04.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


gut

»LEUCHTFEUER« ist der Debütroman der Dozentin, PodcastHost und Autorin Dani Shapiro, aus dem US-Amerikanischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Der Roman erzählt auf verschiedenen Zeitebenen auszugsweise die Leben von der jüdischen Familie Wilf: Dad Ben, Mom Mimi und den beiden Kindern Sarah & Theo — und der jüdischen Familie Shenkman: Dad Shenkmann & Mom Alice mit Sohn Waldo.

»Aber das sind nur ein paar mögliche Bahnen eines Lebens, eine Handvoll Sternschnuppen am Nachthimmel. Änderst du ein Element, ändert sich alles. Eine Erschütterung hier verursacht ein Erdbeben dort. Eine Bruchlinie vertieft sich. Ein Schalter wird umgelegt.« (S. 9)

Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Eine falsche Entscheidung kann nicht nur das eigene Leben für immer verändern. So geschehen den bislang unzertrennlichen Geschwistern Sarah und Theo, als sie mit einer Highschoolfreundin Misty eine Spritztour unternehmen, die ein schreckliches Ende nimmt und für Misty mit einem tödlichen Unfall endet. Der Unfall ereignet sich direkt vor dem elterlichen Haus im NY Vorort Avalon und der Vater — ein erfolgreicher Arzt — stürzt aus dem Haus, um erste Hilfe zu leisten. Die Familie wird nie gemeinsam über diese erschütternde Ereignis sprechen und am Beispiel der vier Familienmitglieder wird deutlich, was Schuldgefühle und Sprachlosigkeit auslösen können. Parallel dazu wird die Geschichte von der Nachbarsfamilie Shenkman erzählt, die ihre ganz eigenen Probleme bewältigen müssen. Die Geschichte der beiden Familien ist nicht nur über die gemeinsame Nachbarschaft verwoben, wie sich im Laufe der Geschichte zeigen wird.

Ein Roman, der gleichzeitig von sehr rational denkenden & handelnden Personen (Astrophysiker, Arzt, Juristin, Produzentin, Koch, …) und der Verbundenheit zwischen allem - von Sternen und Weltall aber auch Mystik erzählen kann. Ein Roman, der zeigt, wie fragil unser aller Glück sein kann und wie sich innerhalb von Sekunden unser Leben wenden kann. Ein Roman, der die Außergewöhnlichen feiert. Etwas Tröstendes bleibt in jedem Fall: Vom Weltraum aus betrachtet, sind wir alle nur winzig klein — und unsere Probleme und Sorgen auch.

»Die Sterne schienen nicht mehr fern und unnachgiebig, sondern wirkten eher wie Leuchtfeuer in der Dunkelheit, geheimnisvolle Reisegefährten, die einen Weg erhellen. Hunderttausend Millionen funkelnde Begleiter, Welten entfernt. Sie winkten: Sieh uns. Wir sind hier. Wir waren immer hier. Wir werden immer hier sein.« (S. 165)

Bewertung vom 07.04.2024
Unlearn Patriarchy 2
Amojo, Ireti;Borcak, Melina;Boussaoud, Yassamin-Sophia

Unlearn Patriarchy 2


sehr gut

Die neue feministische Anthologie »Unlearn Patriarchy #2« diesmal herausgegeben von Emilia Roig, Alexandra Zykunov und Silvie Horch macht genau da weiter, wo die erste Anhologie »Unlearn Patriarchy« aufgehört hat: Patriarchatskritik at its best und zwar in den verschiedenen Bereichen, aus diversen Perspektiven und mit inspirierenden Möglichkeiten, die patriarchalischen Prägungen unserer Gesellschaft zu reflektieren, neu zu denken und zu verlernen.

»Und vor allem will ich wissen: Wer ist schuld an all dem? Die leichte Antwort wäre: das Patriarchat. Die komplexe Antwort: Puh, wo fängt man da bloß an?« (S. 140)

Alle Essays — mit Ausnahme von »unlearn kirche«, das ich wirklich sehr unsachlich, unkritisch, undifferenziert und subjektiv empfunden habe — finde ich die Beiträge wahnsinnig gut, feministisch, neue Perspektiven aufzeigend und den Finger in unsere blinden Patriarchatswunden legend ☝🏼. Das Literaturverzeichnis und die Anregungen für weiterführende Literatur finde ich großartig.

Besonders herausragend sind für mich die folgenden Essays:
· unlearn architektur - Karin Hartmann
· unlearn sport - Ireti Amojo
· unlearn krieg und genozid - Melina Borčak

So all in all: GROSSE Empfehlung 💜 für diese als auch die erste Ausgabe von »Unlearn Patriarchy« 💜🧡🔥

BTW: Ich bin sehr gespannt auf die nächste Anthologie, die im Ullstein Verlag im August erscheinen wird: »Unlearn CO2« 🔥

Bewertung vom 03.04.2024
Ein schönes Ausländerkind
Toxische Pommes

Ein schönes Ausländerkind


ausgezeichnet

💚 🐍 🍟 H I G H L I G H T 🍟 🐍 💚

»Ich habe meinen Namen in Österreich zum ersten Mal korrekt ausgesprochen, als mir mein Doktortitel verliehen wurde. Ich denke, dass ich mir meine richtige Anrede erst in diesem Moment zugestanden habe. Nun weiß ich nicht, ob es mehr wehtut, aus seinen Wurzeln gerissen zu werden oder niemals Wurzeln geschlagen zu haben.« 🎓🇦🇹 (S. 64)

In ihrem Debütroman »Ein schönes Ausländerkind« schreibt TikTok Kabarettistin, Juristin und Autorin Irina aka Toxische Pommes 🍟🐍💚 über ihre Kindheit, ihre Eltern und Familie, die Flucht vor dem drohenden Krieg in Kroatien und Migration nach Österreich ihrer Eltern mit ihr als Zweijährige. Aufgenommen bei einer Familie als günstige Arbeiter*innen, kann die junge Familie in Wiener Neustadt nach der Flucht aus Kroatien ein neues Leben aufbauen. Wie schwer es ist, als studierte Fachkräfte einen Job zu erhalten und die Anerkennung des Studiums, wird schnell klar und am Beispiel von ihren Eltern auch die finanziellen, menschlichen und familiären Konsequenzen deutlich. Auch wenn ihr Vater so Irinas bester Freund und Spielkamerad werden konnte, sich als Hausmann (wider Willen) kümmerte, und als quasi Profi-Schnäppchenjäger u. a. einen großartigen Barbie-Deal klar machte, zeigt sich gerade im Kontrast der Urlaube in der Heimat deutlich, was die Sprachlosigkeit, die fehlende Arbeitserlaubnis und die Migration bedeuten kann. Wie sehr Bildung im Allgemeinen und im Besonderen vor dem Streben nach der gewünschten Staatsbürgerschaft das Leben der Familie prägen, wird ebenfalls extrem gut dargestellt:

»Frau Professor Pichler war unsere Deutschlehrerin, und aus irgendeinem Grund schien sie mich leiden zu können. Egal, wie sehr ich mich im Unterricht anstrengte, gab sie mir immer nur einen »guten Zweier«. Nun war ein »Gut« natürlich eine gute Note, aber solange es noch eine bessere Note gab, war ein »Gut« eben nicht gut genug. Niemand wurde Staatsbürger, weil er »gut« war. Ich musste »sehr gut« sein. Da mein restliches Zeugnis nur aus Einsern bestand, störte mich ihre Beurteilung zudem aus rein ästhetischen Gründen.« (S. 124) 🚀

Liebevoll, ehrlich, witzig, selbst-ironisch, traurig und charmant analysiert Irina ihre Kindheit, ihre Familie, die Rollen ihrer Eltern, die Auswirkungen von Arbeitsmigration und die Opfer, die Menschen für ein sichereres Leben erbringen und ertragen.

Ich habe gelacht, wütend die Luft angehalten (Ausbeutung at it’s best 😮‍💨 & Migrationsgesetzte at it’s worst 🥵 — Deutschland ist hier kein bisschen besser…), habe mitgefühlt 🥺 und vor allem ein großartiges Debüt 💚 gelesen, das mich sehr gefesselt hat (btw wie toll ist der Schreibstil ?! 🥹) und lange nachhallt. Ganz ganz große Herzensempfehlung.

»Was hat uns Österreich gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich? Meinen Vater.« 💔 (S.202)