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mimitatis_buecherkiste
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Krefeld

Bewertungen

Insgesamt 567 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Diese Geschichte handelt von Reza, er selbst fungiert als Ich-Erzähler und nimmt die Leserschaft mit zurück in seine Kindheit, zurück nach Bochum, als er in den 1990er Jahren mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen ist. Er berichtet darüber, wie es ist, in einem fremden Land aufzuwachsen, wo die Abschlüsse der Eltern nicht anerkannt werden, wo die Siedlung nach Armut riecht, aber auch nach Majoran und Etagenbetten. Wo das Recht des Stärkeren gilt und Wut ein Mittel zum Überleben ist.

„Rückblickend frage ich mich, wie es ist, wenn sich das Alte schließt und das Neue nicht öffnet. Wenn in der Fremde plötzlich auch Dinge nicht funktionieren, mit denen man bisher vertraut war und die immer funktioniert haben. Deren Gesetzmäßigkeiten man zu kennen glaubt. Dinge, die vielleicht nicht mal hierhergehören und selbst fremd sind.“ (Seite 28)

Selten hat mich ein Buch beim Lesen so begeistert, wie dieses hier. Ich wäre am liebsten permanent in Freudenschreie ausgebrochen, wollte auf jeder Seite eine Passage markieren oder las einen Absatz erneut, weil ich die Sätze so passend und brillant fand. Dennoch fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, was dieses Werk in mir ausgelöst hat, ich habe Angst, der Geschichte nicht gerecht zu werden, indem ich darüber schreibe, meine Gedanken und Gefühle sortiere, während ich im Kopf eigentlich noch mittendrin bin. Das ist einfach nur phänomenal!

„Wir kommen aus dem Krieg, aus dem Elend. Wenn wir Armut sagen, meinen wir nicht Sozialhilfe, sondern Cholera. Aber dass das hier nicht oben ist, ist uns schon früh klar. Unser Ruhrgebiet ist dürr, verbittert. Kauft unentwegt Müll und kann ohne Fernseher nicht einschlafen. Ohne Schminke sein Antlitz nicht ertragen.“ (Seite 111)

In klaren Worten, mal poetisch, zärtlich, aber auch straßentauglich und im Gangster-Style, führte mich das Kind, der Junge, der Teenager, der einmal Schriftsteller werden wird, durch die Erzählung. Tragik wechselte sich mit Komik ab, die jedoch mehr einem Galgenhumor glich, denn dahinter verbargen sich Schicksale, die nicht immer glimpflich ausgegangen sind. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, denn die Magie des Buches liegt darin, dass sie vom Lesenden neu entdeckt werden will. Grandios!

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.08.2024
Lieferdienst
Hillenbrand, Tom

Lieferdienst


sehr gut

Arkadi ist ein Bote, genauer gesagt ein Bringer, der auf einem Hoverboard durch die Lüfte saust und mit anderen Kurieren Waren zu Kunden bringt. Die Konkurrenz schläft nicht, es wird mit allen Mitteln gekämpft. Als ihn ein Kollege um einen Gefallen und die Übernahme seiner Lieferung bittet, ahnt Arkadi nicht, worauf er sich einlässt, muss aber kurz darauf mitansehen, wie besagter Kurier stirbt. Seltsame Aufträge folgen und bald wird es für Arkadi ungemütlich.

„Ich lasse den Blick schweifen, damit das Visor Kuriere der Konkurrenz und elektronische Counterdelivery-Maßnahmen identifizieren kann. Mithilfe des Additional Rear Scope Emulators (ARSE) schaue ich, wie es hinter mir aussieht. Laut ARSE-Cam ist die Luft rein. Also platziere ich die GameStation in dem Boxdrop.“ (Seite 22)

Das Buch hat mich gut unterhalten, es war witzig und voller Ideen, was die Zukunft angeht. Einige Hinweise auf lebende Personen und solche, die Lieferdienste und andere Unternehmen in unserer Zeit betreffen, entlockten mir wiederholt ein Lachen. Arkadis Abenteuer waren mitreißend, auch wenn die Geschichte nicht übermäßig spannend war. Dennoch fieberte ich zusammen mit Arkadi dem Ausgang entgegen, war neugierig, in welchen Schlamassel er da hineingeraten ist und wie er da wieder rauskommt.

Die Mischung aus Dystopie und Thriller gefiel mir gut, allerdings gibt es auch Kritik meinerseits, denn immer wieder musste ich pausieren und zum Übersetzungsprogramm wechseln, was ich irgendwann einfach nur lästig fand. Zwischen technischen Begriffen, echten und erfundenen, gab es solche in englischer, „denglischer“ und natürlich auch futuristischer Sprache. Das war mir persönlich zu viel des Guten. Natürlich klingt Counterdelivery Measures oder Recalculating cooler als Gegenlieferungsmaßnahmen oder Neuberechnung, aber die permanenten Pausen schmälerten mein Lesevergnügen erheblich, was ich schade und unnötig fand. Wen das nicht stört, wird hier allerdings rundum zufrieden sein.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.08.2024
Martha und die Ihren
Hartmann, Lukas

Martha und die Ihren


ausgezeichnet

Martha lebt mit ihren Eltern und den fünf Geschwistern in einem Dorf in der Nähe von Bern, Anfang des 20. Jahrhunderts. Als der Vater stirbt, kann die Mutter die Kinderschar nicht mehr ernähren, die sechs Kinder werden als sogenannte Verdingkinder auf verschiedene Bauernhöfe gebracht, wo sie unterschiedliche Arbeiten verrichten müssen. Martha ist die Zweitjüngste, aber die kleinste, intelligent und fleißig sowie folgsam und lieb. Mit einem eisernen Willen arbeitet sie sich kontinuierlich aus der Armut und geht ihren Weg. Der Preis, den sie dafür zahlt, ist hoch.

„Man holt sie ab, eines nach dem andern, auf freundliche Weise oder auf missmutige. Ein Mann von der Gemeinde ist jedes Mal dabei. Die Kinder müssen mitgehen, auch wenn sie die Leute nicht kennen, denn darunter sind solche aus anderen Dörfern, aber nur Männer. Die Kinder werden verdingt, auch das ist ein neues Wort für Martha. Später wird sie denken, dass das Wort ja stimmt, sie sind zu Dingen geworden.“ (Seite 17)

Lukas Hartmann hat die Geschichte seiner Familie aufgeschrieben, im Mittelpunkt steht Martha, seine Großmutter väterlicherseits. Unter Verdingung verstand man nichts anderes, als Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen zur Versorgung und Erziehung in der Schweiz. Oft wurden diese Kinder ausgenutzt und ausgebeutet, mussten schuften bis zur Erschöpfung und froh sein, wenn sie überhaupt etwas zu essen bekamen zusätzlich zum Schlafplatz. Dies darf nicht vergessen werden, dafür sorgt hoffentlich auch dieses Buch.

Das Schicksal von Martha und den Ihren lässt mich tief berührt zurück. Über drei Generationen, über viele Jahrzehnte, folgte ich ihrem Weg, aber auch dem ihrer Söhne, deren Frauen und Kindern. Die Kindheitsjahre prägten Martha und auch der Krieg, der dem Land erspart geblieben ist, hinterließ Wunden und wirkte sich auf sie, ihre Nachkommen und deren Familien aus. Dieser großartige Familienroman löste eine ganze Palette an Gefühlen bei mir aus, ließ mich hoffen und bangen, staunen und lachen, manchmal wütend werden und fluchen, aber auch weinen und traurig sein. Mit einem warmen Gefühl klappte ich das Buch zu und verabschiedete mich von Marthas Geschichte, die mich ein paar Stunden begleitete, aber für immer unvergesslich bleibt.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.08.2024
Der Feind in ihrem Haus
Marrs, John

Der Feind in ihrem Haus


ausgezeichnet

Connie zieht zurück in ihre Heimatstadt, um ihre Mutter Gwen zu pflegen, die an Demenz erkrankt ist. Als eine soziale Einrichtung den Handwerker Paul schickt, um den beiden Frauen bei Arbeiten rund ums und im Haus zu helfen, wird Connie schnell misstrauisch. Paul mischt sich in alles ein, drängt sich mit aller Macht in Gwens Leben und bald schon hat er sie auf seine Seite gezogen, weil diese ihn für ihren verstorbenen Mann Bill hält. Welcher Plan dahinter steckt, ahnt Connie allerdings nicht im geringsten.

„Aber ich kenne sein Motiv immer noch nicht. Denn soweit ich sehe, hat er damit nur erreicht, dass eine ohnehin schon verwirrte Frau noch unsicherer wurde. Ihre Stimmungen schwanken wie ein Pendel, seit er nicht mehr vorbeikommt.“ (Seite 101)

Connie fungiert als Ich-Erzählerin, daneben lässt John Marrs aber noch einige andere Personen zu Wort kommen. Bereits früh spüre ich unterschwellig eine negative Stimmung, die zwischen Connie und Paul entsteht, allerdings gibt es keine Beweise für ein Fehlverhalten, außer dem Wort von Connie, was vermutlich Absicht ist. Nach und nach passieren Dinge, die ich fast amüsant finde, weil ich nicht die Adressatin der entsprechenden Aktionen bin. Nach einem für alle Beteiligten unangenehmen Vorfall fange ich an, alles zu hinterfragen und merke, dass etwas seltsam ist. Benennen könnte ich es nicht, aber eine vage Ahnung befällt mich, die mich die Dinge plötzlich mit anderen Augen sehen lässt. Zuerst einmal lässt der Autor aber eine solche Bombe platzen, dass ich es nicht fassen kann. Habe ich mich geirrt und es war doch ganz anders? Gespannt lese ich weiter und werde von der kommenden Wendung komplett überrascht. Ungläubig lasse ich den Mund offen stehen und lache fast laut. Damit habe ich nicht gerechnet und frage mich, wie mir das entgehen konnte? Das kann doch wohl nicht wahr sein, denke ich mir, und rausche weiterhin durchs Buch.

Was danach folgt, ist gleichermaßen perfide wie genial, wieder einmal fährt John Marrs schwere Geschütze auf, um uns zu unterhalten, ich kann nicht anders, als seinen Einfallsreichtum zu bewundern. Ich ertappe mich dabei, wie ich schwanke, meine Sympathiepunkte neu verteile, und ein bestimmtes Ergebnis hoffnungsvoll erwarte. Dabei ist mir mittlerweile fast egal, was falsch und was richtig ist, was mich selbst wohl am meisten erschreckt. Ich kann nicht umhin, ein wenig Bewunderung zu spüren bei den Ereignissen, die folgen. Herrlich! Unerwartete Vorfälle lassen mein Herz schneller schlagen, dramatische Szenen schließen sich an und atemlos eile ich dem Ausgang entgegen, bin gespannt darauf, wie alles enden wird. Zuvor stockt mir aber der Atem, er würde doch nicht?! Oder doch? Mit einem bangen Gefühl blättere ich um und… Den Rest müsst ihr wohl selbst erleben; lest dieses Buch!

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.08.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


ausgezeichnet

Drei Tage nach dem Verschwinden der sechzehnjährigen Lena Palmer taucht ein brutales Video im Internet auf, das sofort viral geht. Die BKA-Kommissarin Yasira Saad wird mit dem Fall betraut und sucht zusammen mit ihrem Team fieberhaft nach dem vermissten Mädchen sowie den Tätern. Währenddessen wächst in der Bevölkerung der Unmut, rechte Gruppierungen rufen zu Demonstrationen und Selbstjustiz auf, die Zeit drängt.

„Das Video hat bereits eine Welle der Empörung ausgelöst. Reaktion und Gegenreaktion sind irgendwie vorhersehbar, und trotzdem schockt es Yasira, wie extrem manche Wortmeldungen ausfallen und wie leise die Stimmen der Vernunft bleiben.“ (Seite 20)

Auf dem Buchdeckel steht ein Satz, wonach das vorliegende Buch Inhalte enthält, die manche Personen als verstörend empfinden könnten. Dies kann ich nach dem Lesen bestätigen, für sensible Leserinnen und Leser ist dieser Gegenwartsroman sicherlich nicht empfehlenswert, der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund. Ich war nach den ersten Kapiteln sicher, dass ich weiß, worauf die Geschichte hinausläuft, wurde aber eines Besseren belehrt und nicht nur das. Die Wendung in der Mitte des Buches verblüffte mich und als ich schon dachte, dass die Richtung nun klar vorgegeben ist, kam ein gänzlich anderer Ansatz hinzu, der mich staunen ließ. Es gehört schon viel Einfallsreichtum dazu, dass es dazu kommt. Das Ende erwischte mich noch einmal kalt, ich konnte nicht fassen, wie es ausgegangen ist. Insgesamt ein großartiger Thriller, der keine Wünsche offen lässt. Lesenswert!

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


ausgezeichnet

Die Schwestern Samantha und Elena leben auf einer Insel im Nordwesten der USA in ärmlichen Verhältnissen. Die Mutter der jungen Frauen ist todkrank, das Geld knapp, die Schulden wachsen, und einzig der Gedanke daran, nach dem Tod der Mutter durch den Verkauf des Hauses nebst riesigem Grundstück genug Geld zu haben, um weggehen und woanders neu anfangen zu können, gibt Sam und Elena Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Als ein Bär auf der Insel auftaucht, ahnen beide nicht, welchen Einfluss das wilde Tier auf ihr Leben haben wird.

„Das Glück würde ihr ständiger Begleiter sein und alles andere von ihnen abfallen, aber Sam würde diesen Zustand niemals unbeschadet erreichen, wenn sie nicht auf der Stelle anfing, sich die Gelassenheit ihrer Schwester anzueignen. Sie hatten einen Plan. Sie würden von hier wegziehen. Nur das zählte. Alles andere, das Schreckliche und das Wunderbare, ließ sich ertragen.“ (Seite 78)

Die zwei Schwestern hätten nicht unterschiedlicher sein können, denn obwohl nur ein wenig mehr als ein Jahr zwischen ihnen lag, kristallisierte sich ganz klar heraus, welche erwachsen und welche von ihnen in der Reife zurückgeblieben war. Die Last und Bürde der einen, war der Kopf in den Wolken der anderen. Anfangs war mir das gar nicht bewusst, aber je weiter die Erzählung vorangeschritten ist, desto mehr fühlte ich mich mit einer der Schwestern solidarisch und tat mich schwer mit Handlungen der anderen. Ich war selbst erschrocken, welche Emotionen in mir hochkochten, verstand nicht immer, wie es sein konnte, dass ich so empfand.

Diese Geschichte lässt mich tief berührt zurück. Ich habe nicht erwartet, welche Wendung sie nehmen würde, war überrascht von den Ereignissen und erstaunt, wie sich alles entwickelt hat. Was da ans Licht kam, traf nicht nur mich, die folgenden Geschehnisse wirbelten alles durcheinander, erklärten im Nachhinein einige Unklarheiten und beantworten Fragen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gab. Unausweichlich steuerten wir alle auf einen Abgrund zu, mein Magen schlug Purzelbäume und ich hielt den Atem an, war versucht, vorzublättern, um vorbereitet zu sein auf das, was da noch kam. Die Auflösung war emotional, anders als gedacht und ich schloss das Buch mit dem Gefühl, eine märchenhafte Reise beendet zu haben. Tragisch und wunderbar.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.08.2024
Ihr wollt es dunkler
King, Stephen

Ihr wollt es dunkler


sehr gut

„Ich weiß nicht einmal, warum Menschen Geschichten brauchen und warum ich - neben vielen anderen - die Notwendigkeit verspüre, welche zu schreiben. Ich weiß nur, dass die Freude daran, den gewöhnlichen Alltag zurückzulassen und eine Beziehung zu Leuten aufzubauen, die gar nicht existieren, zu beinahe jedem Leben gehört. Unsere Fantasie ist hungrig und muss gefüttert werden.“ (Seite 732)

Dieser Band beinhaltet überwiegend neue sowie die längsten darunter bisher gänzlich unveröffentlichte Geschichten des Meistererzählers Stephen King, erfreuliche zwölf Stories sind es geworden. Nicht alle davon konnten mich restlos begeistern, aber alle gut unterhalten. Die Themen sind dabei so interessant wie vielfältig; ob unerklärliche Phänomene, seltsame Zufälle, oder ein sich Antwortmann nennender Zeitgenosse, der in der Lage ist, zukünftige Ereignisse vorauszusagen, wenn die Frage richtig gestellt wird; für jeden Geschmack ist etwas dabei. Es gibt eine Fortsetzung zu Cujo, dem furchterregenden Bernhardiner, der mich vor vielen Jahren das Fürchten lehrte, aber auch die Geschichte von Danny, der auf leidvolle Weise lernen muss, dass Gutes tun nicht immer Gutes hervorruft, besonders dann nicht, wenn er sich dabei dumm anstellt. Welche davon dein Favorit wird, kannst nur du selbst entscheiden, indem du das Buch liest. Viel Spaß dabei!

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.08.2024
Frauen, die beim Lachen sterben
Stahl, Alexandra

Frauen, die beim Lachen sterben


sehr gut

Iris flieht aus Berlin auf eine griechische Insel, wo sie eine Ferienwohnung mietet von Paolo. Dort hinterfragt sie ihr Leben, ihre Freundschaft mit Ela und Katja, ihre ehemalige Beziehung mit Simon und überhaupt, wo ist in allem der Sinn? Aus einer Woche werden zwei, dann vier und schon gehen die Monate ins Land. Iris muss sich entscheiden; wo will sie eigentlich hin?

„Warum habe ich Simon nach Paris nicht verlassen? Warum nicht sogar schon in Paris? War ich eine dieser Frauen geworden, die noch ein paar Gefühle aus ihren Männern herausschütteln wollten, obwohl sie selber schon lange keine mehr hatten?“ (Seite 88)

Zu Beginn habe ich ein paar Seiten gebraucht, bis ich im Buch ankam. Dies lag ein wenig an der Schreibweise und der Sprunghaftigkeit der Protagonistin, die nie lange bei einem Thema geblieben ist. Erst allmählich gewöhnte ich mich daran, irgendwann passte es gut und ich war froh, dass ich drangeblieben bin. Iris war mir nicht sympathisch, dies vorweg, obwohl ich in vielem einer Meinung mit ihr war. Sie war so unruhig, so rastlos, dabei aber unschlüssig in vielen Dingen, gleichgültig und abweisend, sodass es schwer gewesen ist für mich, sie zu mögen. Sie erzählte fast atemlos, wollte loswerden, was geschehen ist, ließ mich aber lange im Unklaren, welchen Grund ihre Flucht aus Berlin hatte. Ihre Erzählungen waren faszinierender als sie für mich; ich hoffe, das macht jetzt irgendwie Sinn.

Gehen oder bleiben, Beziehungen, Freundschaften, der Job und Familie, alles fand hier seinen Platz. Mit feiner Ironie und schwarzem Humor trieb es die Autorin auf die Spitze, ließ ihre Figur ihr Leben sezieren und dies so unterhaltsam, dass ich oft amüsiert gewesen bin. Gerne empfehle ich den Roman weiter, weise dabei aber darauf hin, dass Grundkenntnisse der englischen Sprache erforderlich sind, will man nicht ganze Unterhaltungen durch ein Übersetzungsprogramm jagen müssen, weil diese nicht übersetzt wurden. Witzig, oft etwas skurril und lesenswert.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.07.2024
Eighteen / Die Seventeen Reihe Bd.2
Brownlow, John

Eighteen / Die Seventeen Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Nach den dramatischen Ereignissen mit Sixteen genießt Seventeen, der berüchtigtste Auftragskiller der Welt, seinen Ruhestand. Dabei behält er immer im Hinterkopf, dass ein möglicher Nachfolger keine andere Wahl hat, als ihn auszuschalten, wenn er Eighteen werden will. Eines Tages ist es soweit, ein Scharfschütze taucht auf, die Kugel aber verfehlt knapp ihr Ziel. Seventeen macht sich auf die Jagd nach dem Killer und ist verblüfft, als er ein kleines Mädchen findet, das mit einem Scharfschützengewehr im Wald ausgesetzt wurde, um ihn zu töten. Zusammen mit seiner Ex-Geliebten Kat will er überprüfen, wer das Kind geschickt hat. Was er herausfindet, erschüttert ihn mehr, als er für möglich gehalten hätte.

„Ich bin sicher, dass das Kind auf mich geschossen hat. Als ich sie aus dem Wagen zur Haustür geschleppt habe, ist mir der Korditgeruch aufgefallen. Aber eine Neunjährige schleppt kein Zehn-Kilo-Gewehr samt Zielfernrohr und Munition von der Straße den Hügel hinauf und sucht sich dort die geeignete Position für einen perfekten Schuss auf mein Fenster.“ (Seite 27)

Nachdem mich das erste Buch der Seventeen-Reihe letztes Jahr großartig unterhalten hat, wollte ich natürlich unbedingt wissen, wie es mit Seventeen weitergeht. Man muss den ersten Band nicht gelesen haben, um diesen zu verstehen, da die wichtigsten Dinge erneut erzählt und erklärt werden. Für ein besseres Verständnis der Beziehungen der Personen zueinander wäre dies zwar von Vorteil, aber die regelmäßigen Wiederholungen sind meines Erachtens vollkommen ausreichend, um alles zu verstehen. Die folgende Rezension verrät nichts, was für die vergangenen Geschehnisse von Belang wäre.

Wie bereits im vorherigen Teil der Reihe springt John Brownlow auch hier zwischen den Zeiten, lässt seinen Protagonisten in der Vergangenheit schwelgen und erklärt so die gegenwärtigen Entwicklungen. Dies trägt erheblich zur Spannung bei, zusätzlich gestattet es, Seventeen ein wenig in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Aber nur ein bisschen, denn natürlich ist ein Auftragskiller kein sympathischer Mensch. Eigentlich. Durch den eingebauten Humor wird die Geschichte aufgelockert und erneut habe ich das Gefühl, das Drehbuch zu einem Actionfilm zu lesen, das mit einem aktuellen Thema punktet. Ist es übertrieben? Ja! Ist es teilweise an den Haaren herbeigezogen? Absolut! Ist es so unrealistisch, dass manch einer die Augen verdrehen könnte? Das ist es! Und deswegen liebe ich es! Großartige Unterhaltung für Liebhaber dieses Genre und damit mehr als lesenswert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.07.2024
Alles immer wegen damals
Irmschler, Paula

Alles immer wegen damals


ausgezeichnet

Karlas Geschwister kommen auf die Idee, ihr und der gemeinsamen Mutter zu ihren Geburtstagen eine Reise nach Hamburg zu schenken inklusive einem Besuch des Musicals König der Löwen. Karla, die mittlerweile in Köln lebt, pflegt lieber ihre Ticks, nährt ihre Ängste und überhaupt hat sie so gar keinen Bock darauf, mehrere Tage mit der Mutter zu verbringen, mit der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Gerda wiederum ist einem Treffen nicht abgeneigt, hat allerdings auch so ihre Bedenken.

„Das ist sozusagen die Familie, also diejenigen, die das Wesen Familie weiter nähren, das Projekt am Laufen halten, die online sind. Karla ist noch in der Gruppe, weil rausgehen anstrengender ist als drinnenbleiben. Sie ist noch in allen Gruppenchats, zu denen sie je hinzugefügt wurde, einfach weil sie kein Fass aufmachen will, nicht für Gerede sorgen, keine Aktion bringen will, die sonst wie interpretiert werden könnte.“ (Seite 16)

Bereits nach wenigen Seiten wusste ich, dass mich ein ungewöhnliches Leseerlebnis erwartet. Mal aus dieser, mal aus der anderen Perspektive kam ich Karla und Gerda näher, die so unterschiedlich wie Tag und Nacht sind. Dabei war ich immer wieder aufs Neue begeistert vom Schreibstil der Autorin, staunte über das erzählerische Talent von Paula Irmschler, ergötzte mich an ihrer Fähigkeit, mit Worten und Sätzen zu jonglieren, dass es eine Freude war. Die Beziehung zwischen Töchtern und Müttern ist bekanntlich eine besondere und diese Besonderheiten zeigte die Geschichte auf, stellte diese jedoch nicht in den Mittelpunkt.

Der langsamen und zaghaften Annäherung der beiden Frauen habe ich gerne beigewohnt, war dabei erstaunt über Gerdas Fähigkeit, die zuweilen sehr komplizierte Tochter nicht nur zu ertragen, sondern auch auf diese zuzugehen, ohne dass es aufdringlich oder peinlich geworden ist. Nur an einer Stelle wurde es mir persönlich zu viel, Karla war mir kurz zu anstrengend, ich musste pausieren und befürchtete schon, dass es das gewesen ist, aber zum Glück half eine kleine Auszeit, meinen Kopf freizupusten, danach passte es wieder und ich versank im Buch. Insgesamt ein tolles, bisweilen sehr amüsantes Werk, das ich gerne weiterempfehlen möchte.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.