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Benutzername: 
violetta1961
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 27.01.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


gut

Hans' Rückzug auf die Insel
Dirk Gieselmann kann sehr gut schreiben. Sein Stil ist angenehm zu lesen; rhythmische Wiederholungen erinnern an den Chor antiker Dramen. So empfinde ich den Roman als zeitlos. Es gibt kaum Indizien, ihn zeitlich einzuordnen, aber das macht auch seinen Reiz aus, gibt ihm etwas Sagenhaftes. Während ich den Protagonisten Hans einfühlsam beschrieben finde und mir gut vorstellen kann, sind mir leider die Eltern Roleder zu blass beschrieben. Mir ist nie klar geworden, warum die Eltern ihr einziges Kind so distanziert und lieblos behandeln. Ebenso fehlt mir ein Anhaltspunkt, warum die Familie auf die Insel zieht. Aus Armut? Werden sie aus der Gesellschaft ausgegrenzt? In diesem Roman gibt es poetische, fast philosophisch geschriebene Gedanken neben harten Lebenswirklichkeiten. Der Grundton der Geschichte ist melancholisch bis düster. Ich hätte mir als Ergänzung dazu noch mehr über die Freiheit und Naturliebe des Eremitenlebens auf der Insel gewünscht.

Bewertung vom 16.01.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Geheimnisse stärken das Lebensgefühl
Das ist das erste Buch, das ich von Arno Geiger gelesen habe. Ich bin begeistert. Um sein Geheimnis herum, das viele Jahre lang seinen Alltag begleitet hat, von den noch erfolglosen Anfängen bis zum jetzigen Status eines bekannten Schriftstellers, beschreibt er unterhaltsam und lehrreich sein Leben. Darin berührt er nicht nur seinen Werdegang als Schriftsteller, der 2005 mit dem Erhalt des Deutschen Buchpreises enormen Auftrieb bekam, sondern auch seine Beziehungen zu Partnerinnen, seiner Ehefrau, seiner Familie und Freunden, sowie dem Betrieb in Verlag und Buchwesen. Besonders gefallen haben mir einerseits seine anschauliche, stilsichere und humorvolle Art des Schreibens sowie die Lebensbetrachtungen. Diese zieht er zum einen aus den Erfahrungen, die aus seiner geheimnisvollen Tätigkeit resultieren, zum anderen aus Vergleichen verschiedener Phasen in seinem Leben. Dieser autobiografische Roman hat mir so gut gefallen, dass ich jetzt weitere Bücher von ihm lesen werde.

Bewertung vom 07.12.2022
Ein Leben für das Recht auf Liebe / Die Hafenärztin Bd.3
Engel, Henrike

Ein Leben für das Recht auf Liebe / Die Hafenärztin Bd.3


sehr gut

Ein großes Lesevergnügen
Das lesenswerte Buch ist eine gelungene Mischung zwischen historischem Roman und Krimi. Die Hauptfiguren sind lebendig beschrieben und man verfolgt einerseits das private Schicksal von Anne, Helene und Berthold, andererseits den Kriminalfall im Hamburger Hafen. Die Geschichte spielt im Jahr 1911 und ist gut recherchiert. Nicht nur die Methoden der Poilzei waren eine völlig andere verglichen mit heutigen technischen Möglichkeiten, auch die moralischen Maßstäbe, an denen unabhängige Frauen gemessen wurden. Besonders die damalige recht abhängige Situation der Frauen und mutige Vertreterinnen, die die Lage der Frauen verbessern wollen, liegen der Autorin am Herzen. Ihr Stil ist süffig, das Buch lässt sich schnell lesen. An der einen oder anderen Stelle hätte ich mir vielleicht etwas weniger Umgangssprache gewünscht. Ansonsten aber ein tolles Buch, auf dessen Fortsetzung ich gespannt warte.

Bewertung vom 29.11.2022
Connemara
Mathieu, Nicolas

Connemara


ausgezeichnet

Karriere und Liebe in der französischen Provinz
Der gelungene Roman von Nicolas Mathieu spielt 2017 im Department Grand Est. Die Hauptcharaktere sind Hélène und Christophe, beide in ihren 40ern. Hélène ist dort aufgewachsen und kann ihrer provinziellen Herkunft durch Bildung entfliehen. Nach einem aufregenden Leben in Paris und einem Burnout kehrt sie mit Mann und Kindern nach Nancy zurück. Sie empfindet sich als Pariserin, integriert sich aber im Verlauf des Romans immer mehr in die Heimat ihrer Kindheit und Jugend. Sie beginnt eine intensive Affäre mit Christophe, der seine Heimat nie verlassen hat. Als ehemaliger Eishockeyspieler und Schwarm aller Mädchen vertritt er heute eine Firma, die Tierfutter verkauft, während Hélène einen höheren Posten in einer Consulting-Firma innehat. Im Vordergrund stehen einerseits das gnadenlose, erschöpfende Wirtschaftsleben der jeweiligen Firmen, andererseits die heftige Affäre der beiden, von der ungewiss ist, ob sie eine Zukunft hat. In vielen Rückblenden werden Erinnerungen der Kindheit und Jugend erlebbar geschildert. Wer in der Provinz aufgewachsen ist, kann dies sehr gut nachempfinden. Mathieu beschreibt die Charaktere wunderbar und auch das Leben in der östlichen Provinz Frankreichs wird mit der typischen Melancholie, wie sie auch französische Filme des Genres aufweisen, geschildert. Ein wunderbares Lesevergnügen.

Bewertung vom 13.11.2022
Alle_Zeit
Bücker, Teresa

Alle_Zeit


sehr gut

Zeitungerechtigkeit in unserer Gesellschaft und Lösungsansätze
Selten habe ich so viel Neues durch ein Buch gelernt. Teresa Bücker schreibt sehr gut recherchiert über Zeitungerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Dabei geht es sehr viel um Arbeitszeit und vor allem auch um die Care-Zeit, die wir für Menschen, die sie brauchen, geben. In sechs Kapiteln wird der Leser auf den allerneuesten Stand der Diskussion gebracht, welchen Faktoren unsere heutige Zeitkultur unterliegt. Dabei gibt es neben erwartbaren Themen wie dem Gender-Gap auch neue Themen wie die Zeitstruktur von Kindern und Jugendlichen oder die Care-Zeit bei queeren Menschen. Besonders motivierend fand ich die Gedanken zu politischen Mitwirkungsmöglichkeiten, die die Autorin erfrischend weit fasst und damit ermutigt, selbst aktiv zu werden. Das Buch ist sehr anspruchsvoll geschrieben, so dass ich zwischendurch Pausen zum Verarbeiten einlegen musste. Ein kleiner Kritikpunkt sind die gegen Ende des Buchs häufig auftretenden Wiederholungen der Argumente. Insgesamt ein Buch, das die Möglichkeiten einer veränderten Gesellschaft positiv aufführt, Mut macht und unbedingt lesenwert ist.

Bewertung vom 21.09.2022
Ein Kind namens Hoffnung
Sand, Marie

Ein Kind namens Hoffnung


gut

Geschichte einer Suche in der (Nach)kriegszeit- Ausgangspunkt dieser Geschichte, wie sie wohl in Wirklichkeit auch stattgefunden haben mag, ist das Jahr 1938: Elly Berger, Tochter einer Pfarrersfamilie, arbeitet als Köchin bei der jüdischen Familie Sternberg.
Bei der Verhaftung der Eltern des kleinen Leon gibt sie sich geistesgegenwärtig als seine Mutter aus. Fortan steht ihr Leben unter dem Versprechen, dass sie eines Tages den Sohn seinen Eltern zurückgeben wird. In den folgenden Kriegs- und Nachkriegsjahren schafft Elly es immer wieder, sich und Leon durchzubringen; auf einem Bauernhof in der Eifel, in Berlin. Die Zeitumstände sind authentisch beschrieben und auch der Stil ist unterhaltsam und schnell zu lesen, mit vielen Dialogen. Leider hat es mir der teilweise melodramatische Unterton im hinteren Teil des Buches schwer gemacht, eine Beziehung besonders zur Figur Elly herzustellen. Sowohl eine grotesk anmutende Szene auf einem Friedhof, als auch die im letzten Teil des Buches pausenlos auftretende Formulierung "ihr Sohn" haben das bei mir ausgelöst. Ebenso finde ich, das der Figur der Mathilda noch viele Eigenschaften fehlen. So fragt man sich, ob Elly nicht einmal ihre eigene Tochter lieben kann.... Insgesamt aber ein lesenswertes Buch.

Bewertung vom 07.09.2022
Anleitung ein anderer zu werden
Louis, Édouard

Anleitung ein anderer zu werden


gut

Das Cover zeigt Kopf und Nacken eines jungen Mannes. Zusammen mit dem Titel ergibt sich die Assoziation, dass dieser Mann sich von etwas abwendet. Der Autor, der über seine eigene Lebensgeschichte schreibt, wendet sich von seiner Kindheit im Arbeitermilieu ab, um sich neu zu erfinden.
Rasant erzählt, kann er seine Leser in den Bann ziehen. In wenigen Seiten des Prologs nimmt Édouard Louis die Stationen seiner Flucht aus dem Herkunftsmilieu bis zum heutigen Tage vorweg. Leider nimmt er mir damit einiges an Spannung, da ich das Wichtigste somit schon weiß. Er zeigt sich von einer seltenen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, indem er sich z.B. fragt, ob er Menschen, die ihm auf seinem Weg halfen, nur als Station ansah und hinter sich ließ. In dem prämierten Vorgängerbuch "Das Ende von Eddy" beschreibt er das alltägliche Leben in seiner Familie. Im vorliegenden Buch geht es hauptsächlich um seine Selbstwahrnehmung. So spricht er z.B. gedanklich mit sich, so, als ob er mit seinem Spiegelbild spräche. Ich hätte gern mehr echte Dialoge vorgefunden. Zwar lässt die Sprunghaftigkeit seiner Gedanken auch den enormen Willen erkennen, sich schnell zu verändern und zu entwickeln, doch hätte ich mir vom Inhalt mehr fundiertes Wissen über seine Situation erhofft. Er hat in kurzer Zeit sehr viele Bücher gelesen. Dennoch werden Interpretationen von anderen Autoren nur sehr vage angedeutet. Da hätte ich mir einfach genauere Zitate gewünscht.
Insgesamt ein lesenwertes Buch für Menschen, die sich dafür interessieren, wie jemand, der ganz anders als seine Familie ist, es schaffen kann, ein neues Leben zu starten.

Bewertung vom 28.08.2022
Die Passage nach Maskat
Rademacher, Cay

Die Passage nach Maskat


ausgezeichnet

Wie schon das gelungene Cover des Buches andeutet, spielt die Geschichte des Kriminalromans 1929 auf einem Ozeanliner. Die Hauptfigur Theodor Jung begleitet seine Frau und Schwiegerfamilie auf der 14tägigen Fahrt von Marseille nach Maskat. Da seine Schwiegerfamilie, wohlhabende Inhaber einer Gewürzfirma, ihn nicht dabei haben möchte, fährt er unabhängig als Fotoreporter der Zeitung, für die er arbeitet, mit. Von Anfang an gibt es emotionale Spannungen.
Auf dieser Reise kommt es zu Un- und auch Todesfällen, die alle im Zusammenhang mit seiner verschwundenen Frau Dora stehen. Jung reift nach und nach zu einem Mann heran, der hinter die Intrigen blickt.
Das Buch ist flüssig und sehr spannend geschrieben. Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich selbst auch angefangen, zu überlegen, wer wohl für welche Taten verantwortlich ist. Die Figuren in der 1. Klasse, die hier hauptsächlich beschrieben werden, sind gut getroffen und äußerst unterhaltsam beschrieben. Ein tolles Buch!

Bewertung vom 22.08.2022
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


sehr gut

Gut recherchierter Roman über eine Schriftstellerliebe:
Bettina Storks hat ihren Roman sehr gut recherchiert. Die ungewöhnliche Liebesgeschichte von Ingeborg Bachmann und Max Frisch beginnt in Paris, der Stadt der Liebe. Schon bei der ersten Begegnung spürt man die Einzigartigkeit, die leidenschaftliche, aber auch nicht einfache Beziehung der beiden berühmten Schriftsteller. Es treten bald große menschliche und künstlerische Unterschiede zu Tage. Die Autorin beschreibt die Personen authentisch und nachvollziehbar. Ihr Stil ist flüssig und sehr gut zu lesen. Ich finde beide Personen sehr gut beschrieben. Mir hat auch die informative Schilderung des Literaturbetriebs dieser Zeit gefallen: im Großen und Ganzen eine männliche Domäne. Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit Ingeborg oder Max betitelt, was eine tiefe Einsicht in die Denk- und Fühlweise der beiden ermöglicht. Das Scheitern der Beziehung wird so ohne Schuldzuweisung verständlich. Ein sensibler schöner Roman.

Bewertung vom 02.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


sehr gut

Der neue fiktive Roman von Lauren Groff spielt im 12. Jahrhundert und nimmt sich als historisches Vorbild Marie de France.
Marie ist das Kind einer Vergewaltigung und kommt als Waise an den Hof von Eleonore von Aquitanien, mit der sie verwandt ist. Aufgewachsen unter großen kämpferischen Frauen, ist sie selbst auch sehr groß und leider nicht hübsch. So sieht die Königin keine Möglichkeit, sie zu verheiraten und schickt sie als Priorin in ein völlig verarmtes Kloster in einer Moorlandschaft.
Marie, die mit 17 Jahren wenig fromm ist, gewöhnt sich allmählich an das einsame Leben im Kloster. Mit ihren Führungsqualitäten schafft sie es bald, das Kloster aufblühen zu lassen. Kenntnisreich werden Intrigen, verbotene Lust und das Leben in der religiösen Gemeinschaft sowie das Verhältnis zur Außenwelt beschrieben. Die ungewöhnliche Protagonistin Marie hat mir sehr gut gefallen. Das Leben und das Schicksal von vielen Frauen im Kloster, die aus welchen Gründen auch immer, nicht heiraten wollten oder konnten, hat mich berührt. Ein sehr lesenswertes Buch.