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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
probelesen
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2023
Tränen, Liebe, Lebensgier
Hagen, Kimberly

Tränen, Liebe, Lebensgier


gut

Selten fand ich die Beschreibung der Trauer so kurzweilig wie in diesem Buch. Die Autorin ist Gesellschaftskolumnistin einer Münchener Zeitung und versteht es zu schreiben. Auf den unerwarteten Tod ihres Mannes nach einem Routineeingriff reagiert sie mit tiefer Trauer und verfällt in eine Depression, aus der sie sich erst langsam herausarbeitet, ohne Therapie, ohne Medikamente, ohne Drogen. Es dauert ein halbes Jahr, bis sie sich wieder in die Gesellschaft traut, die ihr bisheriges Leben bestimmt hat. Diese Entwicklung protokolliert sie sie offen mit allen Tiefen, Widersprüchen, bizarren Erlebnissen bis sie wieder offen ist für eine neue Liebe. Trotzdem eignet sich das Buch nicht als Trauerbewältigungsratgeber, auch wenn die persönliche Entwicklung der Autorin zu bewundern ist. Denn wer hat schon die Mittel, ein halbes Jahr seine Arbeit aufzugeben, wer hat eine Familie, die Tag und Nacht Unterstützung bietet, wer hat so viele Freunde, hauptsächlich Männer, die sie umwerben, die immer Zeit für sie haben. Ein sehr spezielles Buch, das einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt.
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Bewertung vom 26.09.2023
Die Wahrheiten meiner Mutter
Hjorth, Vigdis

Die Wahrheiten meiner Mutter


ausgezeichnet

Was passiert, wenn die Tochter das für sie vorgesehene Leben nicht leben will? Johanna hat ihr Familie vor 30 Jahren verlassen, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen: Kunst statt Jura, USA statt Norwegen, ein neuer Mann. Nachdem sie Witwe geworden ist, kommt sie zurück und versucht, Kontakt zu ihrer Mutter zu bekommen. Sehr berührend ist die versuchte Annäherung. Sie erinnert sich, begibt sich in die Situation der Mutter, sieht die Abhängigkeit vom Vater, bringt Verständnis auf. Das Buch ist ein Monolog, der die komplizierte Beziehung von Mutter und Tochter aufzeigt. Letztendlich scheitert der Versuch, eine Begegnung zu erzwingen, da die Mutter ein Gespräch verweigert. Aber dieser Versuch hat zu einer Klarheit der eigenen Position geführt und damit zur endgültigen Trennung von ihrer Familie.
Aber es ist ein zermürbender Kampf voller Wut und Schmerz. Packend geschrieben.

Bewertung vom 28.08.2023
Eigentum
Haas, Wolf

Eigentum


ausgezeichnet

Die Brenner-Krimis des österreichischen Autors Haas zeichnen sich sich aus durch lakonischen, aber hintergründigen Witz. Auch hier leben die ersten Kapitel des Buches von diesem Witz und lösten bei mir Heiterkeit aus. Dabei hat der Text einen ernsten Hintergrund. Es geht um das Sterben und den Tod der 95jährigen Mutter in einem Pflegheim, merkwürdigerweise in dem Gebäude, in dem sie in den 60ger Jahren ihre Kinder zur Welt brachte. Die Mutter erinnert sich und erzählt ihre Geschichte. Geboren 1923, geprägt durch Krieg und Wirtschaftskrisen, Heirat mit einen ungeliebten Mann, immer nur Armut. "Sparen, sparen, sparen" ist ihr Lebensmotto. Und trotzdem erreicht sie ihr Ziel nicht: sie erwirbt kein Eigentum. So bleibt ihr am Ende nur die 2qm Grab als Heimat. Haas schreibt in Monologen. Er selbst erinnert sich und dann wieder seine Mutter, deren Texte sind in gesprochenem Dialekt geschrieben. Dadurch entsteht ein besonderer Sprachstil der wie ein Gespräch mit dem Leser scheint. Sicher gewöhnungsbedürftig, aber ein heiterer, aber auch nachdenklicher Lesegenuss.
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Bewertung vom 20.07.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


ausgezeichnet

Es sollte eine Auszeit werden für die 35jährige Cafébesitzerin aus München, als sie im Sommer an die französische Mittelmeerküste in das lange leer stehenden Haus ihrer Großeltern fährt, um sich von der Trennung ihrer langjährigen Freundin zu erholen. Aber ihre persönlichen Probleme treten in den Hintergrund, als sie vom Tod des Mädchens erfährt, das sie zufällig am Abend ihrer Ankunft kennengelernt hatte. Der Bruder, ein erfolgreicher Journalist und Podcaster, nimmt Kontakt zu ihr auf und zusammen versuchen sie zu verstehen, warum das Mädchen nach einer versuchten Abtreibung verstarb. Ein sehr komplexes Buch, das sich Fragen zur Geschlechtergerechtigkeit, zum Verhältnis von Lieben und Begehren, zur Trauerbewältigung stellt. Gleichzeitig wird ein wunderbares Panoroma der südfranzösischen Landschaft sichtbar. Eine eindrucksvolle Ferienlektüre, eine leicht lesbare, dabei sehr anregende Liebesgeschichte.

Bewertung vom 10.07.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


ausgezeichnet

Der 30jährige Autor verbringt drei Tage mit seinen Großeltern auf Sylt, die jetzt im Alter nicht mehr im Campingbus reisen, sondern sich eine Ferienwohnung leisten. Die Unterbringung aus Sparsamkeitsgründen im gemeinsamen Zimmer auf provisorischen Matrazen ist natürlich gewöhnungsbedürftig für den jungen Mann, passt aber wunderbar in das gemeinsame Ambiente. Er beschreibt die Tage mit den Alten, schweift aber immer wieder ab in Erinnerungen an Famlienereignisse, beschreibt liebevoll die Schrullen der Erwachsenen, die Streiche der Kinder, die gewöhnungbedürftige Art seiner Großmutter, ihre Liebe durch Kochen zu zeigen, die kauzige Sparsamkeit. Sehr komisch, dabei außerordentlich einfühlsam. Auch traurige Elemente bleiben nicht ausgespart wie der frühe Tod des Onkels, von dem mit sehr viel Empathie erzählt wird. Auf heitere Art entstehen lebendige Charaktere, die man trotz aller Eigenheiten lieb gewinnen kann. Ausgesprochen flüssig geschrieben, so dass man das Buch gut im Strandkorb lesen und sich dabei köstlich amüsieren kann.

Bewertung vom 26.06.2023
Schönwald
Oehmke, Philipp

Schönwald


gut

Eigentlich hätte der Plot für einen gesellschaftskritischen Roman gereicht: die Familie , ein Ehepaar und ihre drei Kinder treffen sich, um die Einweihung der queeren Buchhandlung der Tochter zu feiern und erleben eine Katastrophe, weil nichts so ist, wie es nach außen scheint. Betrug, Vertuschen, Verheimlichen: eigentlich lebt keiner, wie er möchte. Leider beschreibt der Spiegeljournalist diese Wirklichkeit in einem Ton, der mich ratlos macht. Er überspitzt die Situationen so, dass ich nicht erkennen kann, ob er es ernst oder satirisch meint. Die Entwicklung des Sohnes als Linguistikprofessor in New York von der Kündigung wegen Vertuschung des sexuellen Übergriffs eines Kollegen bis zum Sprecher der Republikaner Trumps scheint übertrieben und unglaubwürdig, aber in seiner Logik durchaus interessant. Alles ist aber eine Spur zuviel. Überall aktuelle Themen und Namen. Vieles könnte ja als Parodie durchgehen. Dafür ist mir der Schluss aber zu ernsthaft und zu konventionell.

Bewertung vom 23.05.2023
Zwischen Himmel und Erde
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


ausgezeichnet

Ein ungewöhnliches Buch: manchmal lakonisch, manchmal rasant ohne Punkt und Komma, manchmal lyrisch. Manche Seiten sind nur mit einem Satz bedruckt, manchmal ist ein Satz mehrfach wiederholt. Der Schreibstil erfordert Aufmerksamkeit. Der Plot ist ebenfalls nicht einfach zu nachzuerzählen. Zwei junge Frauen treffen in einer Londoner WG aufeinander. Eine kommt aus Brasilien und will hier ihre Doktorarbeit beenden, die andere - ebenfalls mit brasilianischem Familienhintergrund- arbeitet als Softwarentwicklerin. Man lernt ihren Freundeskreis kennen: Die Londoner Szene mit Queeren, Drogen, Musik, politischem Engagement. Dazwischen wird die Geschichte der Familien erzählt. Viel über die politischen Verhältnisse in Brasilien, die Verfolgung während der Junta-Zeit. Die Autorin selbst ist britisch-brasilianischer Herkunft und kennt sich in der Geschichte aus. Ihr ist es offensichtlich ein Anliegen, für Verständnis zu werben. Wenn man wenig über Brasilien weiß, ist es schwierig dem Text zu folgen, zumal brasilianische Begriffe
manchmal nicht übersetzt sind. Mit einer Empfehlung tue ich mich schwer. Das Buch macht mich ein wenig ratlos.

Bewertung vom 24.03.2023
Melody
Suter, Martin

Melody


ausgezeichnet

Ein Suter, wie man ihn gerne liest. Spannend und überraschend. Der arbeitssuchende Jurist Tom wird von dem totkranken Millionär Dr.Stotz eingestellt, um seine Papiere zu ordnen. Aber sein Hauptaufgabe ist es, den Erzählungen des Sterbenden zuzuhören, seiner Geschichte einer großen Liebe. die nie Erfüllung fand, weil Melody kurz vor der Hochzeit verschwand. Stotz schafft mit seinen Schilderungen den Mythos eines Verlassenen aus unerklärlichen Gründen: Mord wegen der Familienehre, Liebe eines andern? Er baut viele Legenden auf, auf die sich Tom keinen Reim machen kann. Erst nach dem Tod macht er sich auf den Weg, Erklärungen zu finden und begreift, dass Wahrheit nicht immer eindeutig ist. Spannend wie ein Kriminalroman mit einem überraschendes Ende. Und dabei fehlt das Suter-Ambiente nicht: gutes Essen, exqiusite Getränke, ein bisschen Dekadenz. Ein großartiger Roman.

Bewertung vom 23.02.2023
Siegfried
Baum, Antonia

Siegfried


ausgezeichnet

Nach einem Streit mit ihrem Ehemann verliert die Ich-Erzählerin jegliche Orientierung und begibt sich in die Psychiatrie. Sehr einfühlsam beschreibt sie den Weg in die Krise. Siegfried, ihr Stiefvater, taucht immer wieder auf. Er trägt sie einerseits und gibt ihr Halt und Struktur, prägt aber auch mit seiner Dominanz und Emotionslosigkeit ihr weiteres Leben. Auch sein Herzinfakt löst die Krise aus. Berührend sind die Schilderungen der Kälte und stummen Gewalt, die sich durch alle Beziehungen ziehen und die weiter wirken in ihr jetziges Leben und bereits das Verhältnis zu ihrem Kind prägen. Ein sensibler Bericht über ein Leben, das nicht in den Griff zu kriegen ist. Auch die Psychiatrie scheint keine Lösung. Es bleibt ein Erschrecken über den Abgrund eines "normalen" Lebens, in dem auch das Schweigen die tiefen Verletzungen nicht zudecken kann.

Bewertung vom 03.02.2023
Gleißendes Licht
Sinan, Marc

Gleißendes Licht


ausgezeichnet

Ein schwerer Text und doch voller Poesie. Die Geschichte des türkischen Jungen Kaan aus München und seiner Familie wird rasant auf verschiedenen Zeitebenen erzählt: Kindheit und anrührende Liebesgeschichte, dann die Geschichte seiner Großeltern, sie Armenin, die den Völkermord als Kind erlebt, er Türke, der reich wird und dann doch alles verliert. Immer wieder wechselt die Erzählperspektive. Verschiedene Episoden aus dem Jahrhundert werden zu einer Komposition. Aber Grausamkeit und Gewalt bestimmen als Trauma die Familie. Erst nach dem Tod der Großmutter wird der Wunsch nach Bearbeitung geweckt, die nur gelingen kann, indem darüber geschrieben wird. So entsteht ein autobiographisch geprägtes Romandebüt wie ein Feuerwerk aus Erinnerungen, Fantasie, Rache und Versöhnung. Es bleibt die Anklage an den türkischen Präsidenten, der den Völkermord immer noch ignoriert, aber auch eine kleine Hoffnung auf Versöhnung. Ein nachdenklich machenden, ungewöhnlicher Roman.