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Benutzername: 
Emmmbeee
Wohnort: 
Luzern CH

Bewertungen

Insgesamt 26 Bewertungen
Bewertung vom 10.07.2019
Für immer Rabbit Hayes
McPartlin, Anna

Für immer Rabbit Hayes


ausgezeichnet

Diese Story lässt keinen kalt

Mia Hayes, Nickname Rabbit, stirbt an Krebs. Ein grosser Verlust vor allem für ihre Tochter Juliet. Für Mutter und Bruder, der nun die Vaterrolle übernimmt, bestehen nun schwierigere Lebens- und Rollenverhältnisse. Der Vater tut sich mit der Trauer besonders schwer. Rabbits Schwester Grace befürchtet, ebenfalls zu erkranken und muss eine drastische Entscheidung treffen. Tochter Juliet erfährt zudem Freud und Leid der ersten Liebe.
Jeder ist in seiner eigenen Trauer gefangen, auch Rabbits beste Freundin. Doch nach und nach können sie sich öffnen und an den neu gestellten Aufgaben wachsen. Sie bewältigen die Schwierigkeiten inmitten des altgewohnten Chaos und gewinnen trotz ihrer schonungslosen Aufrichtigkeit an Charme. Ganz im Sinn von Rabbit entfacht ihr Tod die Lebensfreude neu.
Aus der Sicht der einzelnen Trauernden erfährt der Leser, wie jeder mit Rabbits Tod umgeht und wie er sich durch ihn verändert. Immer aber scheint die Verstorbene auf die Hinterbliebenen einzuwirken und ihnen in irgendeiner Weise zu helfen.
Sind die humorvollen Aspekte beim ersten Band hauptsächlich von Rabbit ausgegangen, so verringert er sich nach ihrem Ableben, logisch. Mir gefällt aber, dass er sich lediglich subtil gewandelt hat und den Text weiterhin belebt.
Wer auch "Die letzten Tage von Rabbit Hayes" gelesen hat, dem ist die Familie ohnehin bereits ans Herz gewachsen. Dieser zweite Teil ist dem ersten absolut ebenbürtig. Eine gepflegte, schöne Sprache, spannend, farbig und plastisch, kurz: ein Lesegenuss. Im Text zur Autorin heisst es, dass der Roman vieles aus Anna McPartlins eigener Geschichte enthält. Ich wünsche mir weitere Bücher der irischen Autorin. Nina Petri liest den Text sehr einfühlsam, wobei sie die gesamte Bandbreite ihrer Stimme einsetzt, um jedem der einzelnen Personen ihre individuelle Stimme zu verleihen.

Bewertung vom 07.07.2019
Harz
Riel, Ane

Harz


sehr gut

Obsession wie im Horror-Märchen

Jens Haarder ist ein liebevoller Vater, der auf übertriebene Weise sein Kind vor den Gefahren dieser Welt bewahren will. Vor allem aber will er es nicht verlieren, an was oder wen auch immer. Ein Mann mit starkem Beschützerinstinkt, der aber eben auch manisch sammelt und anhäuft. Ein paranoider Messie.
Und so wird der Radius, der Liv für ihr eigenes Leben zugestanden wird, immer eingeschränkter, bis es enger nicht mehr geht. Ihr Container hat als unmittelbare Nachbarn etliche Särge. Särge, die in früheren Jahren auch mal ausprobiert worden sind. Ein allgegenwärtiger Tod. Neben wenigen Spielsachen gehören im Harz konservierte Tiere zu Livs Zeitvertreib. Ebenso die Briefe ihrer Mutter. Tja, und da ist auch noch Carl. Wer das ist? Lesen Sie selbst, wie es zu diesen absonderlichen Lebens- und "Besitzverhältnissen" kam und wie die Vergangenheit der Familie, besonders die von Jens, zuvor ausgesehen hat.
Man kann mit fortschreitender Lektüre das Motiv zum krankhaften Tun des Vaters weitgehend verstehen. Trotzdem nagt es an der eigenen Psyche, dass man nur lesen und nicht eingreifen kann. Stellenweise ist es kaum auszuhalten, und die grösste Sympathie gilt natürlich dem Mädchen. Wobei mir scheint, dass es weniger als die Eltern unter Isolation und Angst leidet, denn der Container ist für Liv zum Alltag geworden.
Der Thriller ist unterteilt in verschieden lange Abschnitte, manchmal nur mit einem kurzen Text, aus verschiedener Sicht. Bei Liv (und natürlich in den Briefen) wurde die Ich-Form gewählt, was besonders nahegeht. Das Geschehen ist sehr plastisch und lebendig geschildert, manchmal fast schon zu intensiv. Auf mich wirkt das Buch sehr bedrückend und verfolgt mich regelrecht, nachdem ich es beiseitegelegt habe. Grimms und Hauffs Horror-Märchen sind gar nicht weit entfernt. Gleichzeitig enthält der Text, quasi Inseln zwischen all dem Schrecken, ein wohltuendes Bouquet verschiedenster Düfte. Streckenweise ist es ein Lesen "der Nase nach", ausdrucksstark und sinnlich.
Am Ende der einzelnen Abschnitte sind immer wieder raffinierte kleine Cliffhänger eingebaut. Und der Satz gleich zu Beginn ("…, als mein Vater meine Grossmutter umgebracht hat") könnte ein Klassiker für erste Sätze in der Literatur werden.
Zum Cover: Fast erwartet man klebrige Buchstaben, wenn man den harzfarbenen Titel auf dem Umschlag berührt. Harz, die Absonderung vieler Bäume (ja, auch der Lackschildlaus), welche die geschlagene Wunde wieder verschliesst und zur Heilung beiträgt. Mehr als nur doppeldeutig!

Bewertung vom 18.06.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


ausgezeichnet

Die dunkle Seite Amerikas

Im neuen Buch von Colson Whitehead handelt es sich im Grunde um einzelne Geschichten aus dem Dasein des farbigen Jungen Elwood. In Armut aufgewachsen und sehr intelligent, will er nicht mehr als dieselben Chancen wie die Weissen, einfach dazugehören und nicht immer im Abseits stehen. Schon früh war der Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King sein Vorbild. Nun hat er sich einen Collegeplatz für Schwarze erkämpft und befindet sich per Anhalter auf dem Weg dorthin. Er kann nicht ahnen, dass das Auto gestohlen ist. Im Amerika des scharfen Rassismus wird er verhaftet und nur Tage später in eine Besserungsanstalt gesperrt, ausgebeutet und schwer misshandelt.
Doch er versucht zu verzeihen, glaubt er doch auch nach den schlimmsten Schikanen noch an Güte und verzweifelt darüber, dass diese in seinem Umfeld nicht möglich ist. Unaufhaltsam und systematisch wird der Junge in der Nickel Academy zerstört. Und das Schlimmste: Jeden Tag muss Elwood in diesem grauenhaften Loch erwachen und weiss, dass stündlich weitere Katastrophen über ihn hereinbrechen können. Um es in dieser Hölle überhaupt auszuhalten, muss jeder das letzte Gute in sich abtöten.
3 Teile: Elwoods Leben vor, in und nach der Nickel Academy. Das ganze Ausmass der Zerstörung seiner Persönlichkeit wird im letzten Drittel deutlich.
Es sind Schilderungen wie aus einem KZ. Die Brutalitäten, denen die Jungen ausgesetzt sind, werden vom Autor aber keineswegs larmoyant oder anschuldigend, sondern mit Distanz geschildert. Hier sind die Menschen das Problem, und nichts lässt sich verbessern. Man darf nicht zart besaitet sein, wenn man den Roman liest, denn sein Inhalt ist nur schwer verdaulich. In einer klaren, präzisen Sprache, deren Leichtigkeit den schwierigen Inhalt leichter verdaulich macht führt uns Whitehead durch das dunkle Kapitel der Sechzigerjahre Amerikas. Wesentlich gebessert hat sich die Rassendiskriminierung in Amerika ja bis heute nicht, wenn immer noch die Cops drauflosballern dürfen, wenn sie beim geringsten Verdacht einen Schwarzen vor der Gewehrmündung haben. Drum: ein sehr notwendiges Buch!

Bewertung vom 28.05.2019
Marina, Marina
Landau, Grit

Marina, Marina


sehr gut

Gehaltvollere Lektüre als erwartet

In diesem Roman wird das Leben und Lieben mehrerer Familien an der ligurischen Küste miteinander verwoben. Es gibt mehr oder weniger geheime Herzenswirrungen noch und noch. Da sind Träume und Pläne, welche das Schicksal und nicht zuletzt auch die Liebe immer wieder umstossen.
Alle möglichen Variationen zum Thema Liebe werden behandelt, mit den Augen einzelner Bewohner gesehen. Im Zentrum bewegt sich die Figur der Marina, weshalb der Titel durchaus passend gewählt ist. Immer wieder sind Rückblicke eingestreut, die das frühere Geschehen erhellen. Aber etliche Erklärungen, welche gegen Ende des Romans nachgereicht werden, scheinen mir fast an den Haaren herbeigezogen.
Die einzelnen Geschichten innerhalb des Romans greifen wie Teile eines Puzzles ineinander. Sehr interessant, wie die einzelnen Personen auf überraschende Wendungen reagieren. Die Sympathien werden dadurch manchmal umverteilt. Die meisten Personen erhalten sie schon deshalb, weil das, was sie umtreibt und handeln lässt, im alltäglichen Leben tief verankert ist.
Die Spannung gestaltet sich sehr unterschiedlich, mal eher zäh, dann schwingt sie sich wieder zum Drama auf. An manchen Stellen hätte dem Erzählfluss etwas mehr Schub gutgetan. Ansonsten: ein Schreibstil wie sprudelnde Limo, dennoch nicht unbedingt light, sondern teils mit recht viel Tiefgang.
Die vierzehn Kapitel werden jeweils von einem bekannten Schlagertitel eröffnet, dazu Infos zum Sänger oder zum Lied. Eine originelle Idee, hat doch jedes Lied einen besonderen Bezug zum folgenden Abschnitt.
Für meinen Geschmack wurden übertrieben viele italienische Vokabeln verwendet, das wirkt unnatürlich und aufgesetzt. Das sehr ausführliche Glossar (20 Seiten) mit Übersetzungen und Begriffserklärungen ist denn auch notwendig. Bei den vielen Personen geht es ebenfalls nicht ohne ein Personenregister der beteiligten Familien.
Das ansprechende Cover, eine verblasste Fotografie aus den Sechzigern über ein aktuelles Bild von heute gelegt, weist wohl auf die Vergangenheit und die mit ihr verschmolzene Gegenwart hin.
Drei beigefügte Rezepte (Fleisch, Sugo und Sorbet) laden zum Nachkochen ein. Die Fotos im Buchdeckel untermauern das Italien-Klischee. Informativer ist die Landkarte im rückwärtigen Umschlag, an der man sich geografisch orientieren kann.
Hübsch ist der Ortsname: Amato bedeutet "der zu liebende (Ort)".

Bewertung vom 31.03.2019
Eine eigene Zukunft
Dueñas, María

Eine eigene Zukunft


sehr gut

Nichts zu verlieren, aber vieles zu gewinnen

Als der Ehemann und Vater von einem herabfallenden Gepäckstück im Hafen erschlagen wird, wissen seine Frau Remedios und die drei Töchter nicht ein noch aus. Sie sind erst vor kurzem in die USA eingewandert und sprechen kaum Englisch, kennen sich mit der Führung des schlecht gehenden Restaurants nicht aus, sitzen auf Schulden und würden am liebsten die Abfindung der Reederei annehmen und nach Spanien zurückkehren. Doch dann eröffnen sich weitere Möglichkeiten, und eine resolute Nonne trägt zur allgemeinen Unsicherheit noch zusätzlich bei.
Schlag auf Schlag prasseln die Ereignisse auf die jungen Mädchen Victoria, Mona und Luz ein. Allmählich lösen sie sich von der strengen Herrschaft ihrer Mutter und wagen Schritte, von denen sie bisher nicht einmal geträumt haben. In der Arena ihres Schicksals stellen sich die Arenas- Frauen wagemutig einem neuen Leben, in dem es nur noch aufwärts gehen kann.
Eine etwas andere Auswanderergeschichte, die der Leser mit Spannung mitverfolgt. Von Kapitel zu Kapitel treten überraschende Wendungen ein, was die Spannung immer wieder steigert. Die einzelnen Personen sind plastisch gezeichnet. Von der Übersetzerin in eine süffig farbige Sprache übertragen, ist der Roman ein wahres Lesevergnügen. Die Geschichte berührt, der Text hat Tempo, einen guten Aufbau und ist in einem angenehmen Stil geschrieben. Was will man mehr?

Bewertung vom 04.03.2019
Rückwärtswalzer
Kaiser, Vea

Rückwärtswalzer


ausgezeichnet

Skurrile Familiengeschichte

Ein neuer Roman von Vea Kaiser liegt vor, und wieder finden sich zwischen den Buchdeckeln eine Reihe irrwitziger Situationen. Die Familienstory ist in mehrere Handlungsstränge gegliedert. Hauptsächlich geht es um die illegale Überführung des toten Onkels Willi von Wien in seine Heimat Montenegro. Sein Neffe Lorenz, ein arbeitsloser Schauspieler, soll dies zusammen mit seinen Tanten in einem Kleinwagen bewerkstelligen.
Doch bis das Grüppchen am Ziel angekommen ist, geht die Autorin in zahlreichen Rückblenden auf die Vergangenheit der Familie ein. Wir werden mit Geschwistern bekanntgemacht, die miteinander durch dick und dünn gehen, und der stetige Refrain lautet: Niemand wird zurückgelassen. Da wuseln im Text viele Namen wild und wirr durcheinander, wobei die teils witzigen Titel der Abschnitte mit ihren Jahreszahlen mehr als nur notwendig sind. Lange fragt sich der Leser: Wer ist eigentlich Susi? Und was ist geschehen mit dem Zwillingsbruder Nenerl?
Es geht um Verlust und um die Schuld daran, welche sich alle drei Schwestern geben, Mirl, Wetti (die eigentlich Barbara heisst) und Hedi. Sie alle haben nicht gefunden, was sie vom Leben erwartet haben. Jede ist auf ihre Art gescheitert, hat aber nie aufgegeben. Und immer mit dabei: die Seelen der Verstorbenen, eben die Manen der Familie Prischinger.
Anfangs kommt der Roman etwas zäh in die Gänge, doch bald heizt Vea Kaiser die Spannung tüchtig an und vermag sie bis zum Schluss zu halten. Wie bei einer Zwiebel häutet sich die Story mit den Kapiteln, nach und nach kommen verdrängte Wahrheiten und immer mehr involvierte Personen ans Tageslicht.
Dazwischen streut Kaiser die jeweilige personelle Regierungsentwicklung, besonders innerhalb der SPÖ, ein. Üppiges Essen ist ein Dauerthema, und wer die ostösterreichische Küche kennt, dem läuft permanent das Wasser im Mund zusammen. Es kommt zu ein paar grotesken Szenen (muss es ja wohl bei der Sachlage), und einige Male habe ich hellauf gelacht.
Auch in Kaisers drittem Roman wird deutlich, dass eine ihrer Vorlieben der Antike gilt. Mir gefällt ihre leichtfüssige, süffige Sprache, die immer wieder Portionen von österreichischem Lebensgefühl offenlegt. Man glaubt kaum, was man liest, und doch ist alles folgerichtig und eigentlich nichts übertrieben. Halb Roadmovie, halb Retrospektive, gewinnt das Buch zunehmend an Tempo und vermag glänzend zu unterhalten.

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