Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Dajobama

Bewertungen

Insgesamt 132 Bewertungen
Bewertung vom 27.05.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Trophäe – Gaea Schoeters
Eigentlich wollte ich diesen Roman gar nicht lesen: Ein mittelalter weißer Mann, der mithilfe von einheimischen Führern im afrikanischen Busch seinen Jagdfantasien nachgeht – nein danke! Doch dann häuften sich die 5-Sterne-Bewertungen und ich wurde doch neugierig.
Sprachlich ist diese Geschichte ganz wunderbar erzählt. Obwohl ich mich für Safari-Jagden etc. überhaupt nicht interessiere, konnte ich hier gut mitfiebern. Der Schreibstil ist detailreich und fesselnd. Angesichts des Inhalts fällt die Sprache allerdings bald gar nicht mehr ins Gewicht.
Unser weißer Jäger Hunter White (haha) ist nun eben dabei seine Big Five (musste ich ebenfalls erst googeln) vollzumachen. Das Nashorn fehlt ihm noch. So weit so gut. Es ist spannend erzählt, Hunter ist ein Unsympath wie er im Buche steht und eine latente Abneigung gegen das Abschlachten von Tieren zum Spaß (auch wenn diverse Vorteile genannt werden, allem voran die Finanzspritze aus der Ersten Welt), begleitet mich.
Knapp vor der Hälfte des Romans nimmt die Handlung eine radikale Wendung, auf die ich nicht eingehen kann, ohne zu spoilern. Mit so etwas hatte ich auf keinen Fall gerechnet; es liegt jenseits der Vorstellungskraft eines normalen Menschen. Diese Wendung provoziert und hebt die Handlung auf eine gänzlich neue Ebene. Buchstäblich atemlos und starr vor Entsetzen konnte ich diesen Roman nicht mehr zur Seite legen, bis zum bitteren Ende.
Also handwerklich ist das ziemlich gut gemacht. Man könnte allerdings schon fast befürchten, traumatisiert aus dieser Lektüre herauszugehen. Vergessen wird man einige Szenen wohl kaum mehr.
Grandiose Leistung, wenn auch extrem unangenehme Leseerfahrung.
5 Sterne.

Bewertung vom 21.05.2024
Und alle so still
Fallwickl, Mareike

Und alle so still


gut

Und alle so still – Mareike Fallwickl
Was würde denn eigentlich passieren, wenn die Frauen einfach all ihre Arbeit niederlegen würden? Sich einfach wortlos auf den Boden legen würden und nicht mehr verfügbar wären. Wer würde all die Care-Arbeit übernehmen – zuhause oder auch im Krankenhaus? All die schlecht bezahlten, typischen „Frauenberufe“ – was würde geschehen?
Das Grundthema dieses Romans ist die fehlende Wertschätzung der überwiegend von Frauen ausgeübten Tätigkeiten und die anhaltende Erschöpfung vieler Frauen.
Wieder ein wütendes, feministisches Werk von der österreichischen Autorin. Während „Die Wut, die bleibt“ einen Ist-Zustand dokumentierte, spielt „Und alle so still“ mit der Möglichkeit eines Protests, eines kollektiven Burn-outs.
Erzählt wird diese Geschichte in drei Handlungssträngen. Da ist einmal Elin, eine junge Influencerin, die Gewalt erfahren hat und sich in ihrem Leben nicht mehr wohl fühlt. Nuri ist ein junger Mann mit Migrationshintergrund, Schulabbrecher, der keinen Fuß auf den Boden bekommt und zusätzlich mit einem toxischen Männlichkeitsbild kämpft. Und dann ist da noch Ruth, eine Pflegefachkraft in ihren Fünfzigern, die im Krankenhaus arbeitet und ihre Belastungsgrenze eigentlich längst erreicht hat. Diese drei Figuren geraten nun in diese stummen Proteste der Frauen.
Mit Ruth konnte ich mich noch am besten identifizieren. Der Pflegenotstand, der eskaliert – ein wichtiges, spannendes Thema. Elin blieb für mich leider relativ blass. Und Nuri ist eigentlich eine sympathische Figur, allerdings ist er im gesamten, durchgehend Männer bashenden Roman, der einzige vernünftige Vertreter seiner Gattung. Dass dies ausgerechnet ein junger Mann mit Migrationshintergrund vom Rande der Gesellschaft sein musste, passt für mich nicht so richtig.
Meiner Meinung nach hat sich die Autorin hier ein wenig übernommen mit dem Versuch, die Themen für drei Romane in einen einzigen zu quetschen. Ich finde, das Pflege-Thema hätte ein eigenes Buch verdient gehabt, ohne durch andere, nur halb ausgearbeitete Themen überlagert zu werden. Das ist schade, denn Fallwickl hat einen wunderbaren Schreibstil. Dennoch hat sie mich hier nicht so sehr fesseln können, wie in ihrem Vorgänger.
3 Sterne

Bewertung vom 17.05.2024
Yellowface
Kuang, R. F.

Yellowface


sehr gut

Yellowface – Rebecca F. Kuang
Ein fesselnder Roman mit tiefen Einblicken in den Literaturbetrieb und das Verlagsgeschäft.
June Hayward und Athena Liu haben sind beides ambitionierte junge Autorinnen. Während die Werke der asiatisch stämmigen Athena gehypt werden, interessiert sich für Junes Debüt kaum jemand. Als Athena unerwartet stirbt, nimmt die schockierte anwesende June im Affekt deren Manuskript an sich. Sie veröffentlicht es als Juniper Song unter dem Titel „Die letzte Front“ und muss fortan alles dafür geben, ihr Geheimnis zu bewahren.
Zuerst einmal war ich überrascht, wie fesselnd und eingängig diese Geschichte geschrieben ist. Ich war sofort in der Handlung angekommen und habe mich keine Sekunde gelangweilt.
Im Prinzip handelt es sich hierbei um eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb. Rassismus, gegenseitiger Neid und Missgunst, ein Wirrwarr aus Agenten, Lektoren und Verlegern machen den Erfolg eines Romans zu einem Spiel in der Lotterie. Tatsächliches Talent rückt in den Hintergrund, es zählt nur, was sich vermarkten lässt. Wobei man der Autorin zugute halten muss, dass sie die Umstände in ihrer Geschichte in vielen Schattierungen präsentiert; es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Im Gegenteil, die Grenzen verschwimmen. Oftmals ist es eine eher moralische Frage, was ist hier Recht oder Unrecht. Wobei durchaus das Wesen des Urheberrechts eine Rolle spielt.
Kuang hat selbst einen asiatischen Hintergrund. Ihre Ich-Erzählerin in diesem Roman ist weiß und fühlt sich gerade dadurch benachteiligt. Eine spannende Perspektive. Rassismus wird hier aus vielen verschiedenen Blickwinkeln thematisiert.
Ebenfalls eine sehr große Rolle spielen die Schnelllebigkeit in der Buchbranche sowie die Schattenseiten der Sozialen Medien.
Somit ist dies ein Werk, das mich bestens unterhalten hat.
4 Sterne

Bewertung vom 06.05.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


ausgezeichnet

Das andere Tal – Scott Alexander Howard
Was für ein grandioser Plot!
Das fantastische Setting besteht aus einer Reihe identischer Täler, die jeweils um zwanzig Jahre zeitversetzt existieren. Geht man nach Westen, reist man 20 Jahre in die Vergangenheit. Richtung Osten, geht es 20 Jahre in die Zukunft. Die Sache mit dem Reisen ist natürlich nicht so einfach, schließlich darf der Lauf der Dinge nicht einfach durcheinander gebracht werden. Und genau hier setzt der philosophische Kerngedanke dieses Romans an: Was passiert, wenn man in die Vergangenheit oder in die Zukunft eingreift? Welche Auswirkungen hätte dies auf einen selbst, auf Freunde und Familie? Und gibt es nicht doch Härtefälle, die ein Eingreifen rechtfertigen könnten?
Anfangs begleiten wir die Schülerin Odile, ein schüchternes Mädchen, eine Einzelgängerin mit erfolgversprechenden Zukunftsaussichten. Als sie zufällig erkennt, dass ihr Mitschüler Edme bald sterben wird, hat sie ein großes Geheimnis zu bewahren. 20 Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Als Gendarmin schreitet sie tagaus tagein die Grenzen zwischen den Tälern ab und scheint sich mit ihrem eintönigen Los abgefunden zu haben. Oder?
Gerade der erste Teil dieses unglaublichen Debüts trägt einige Elemente eines Jugendromans. Die Geschichte ist extrem spannend und süffig geschrieben. Mühelos gleitet man durch die Seiten. Doch der Schein trügt. Spätestens beim ersten Wechsel in ein anderes Tal wird klar, wie komplex, verwirrend und tiefgründig das dahinterliegende Dilemma ist. Jeder Besuch eines anderen Tals, jedes Eingreifen in Geschichte bzw. Zukunft hat weitreichende Folgen. Dabei ist ebendieser Wunsch einzugreifen so unglaublich natürlich und menschlich.
Ein Roman, der nachdenklich macht und dennoch fesselt. Das ist für mich ganz große Literatur. Der Autor hält sich nicht mit hochtrabender Sprache auf, sondern stößt seine Leser auf direktem Wege auf die ganz großen Fragen der Philosophie und der Menschlichkeit.
Ich bin begeistert. 5 Sterne.

Bewertung vom 26.04.2024
Demon Copperhead
Kingsolver, Barbara

Demon Copperhead


ausgezeichnet

Demon Copperhead – Barbara Kingsolver
Im Nachwort schreibt die Autorin selbst, dass sie diesen Roman als Adaption von Charles Dickens‘ „David Copperfield“ geschrieben hat. Und das ist ihr ganz hervorragend gelungen! Zwar hat sie die Handlung von London in die Wälder Virginias verlegt und vom 19. Jahrhundert in die aktuelle Zeit transportiert. Das verstärkt jedoch die Wirkung bloß noch: Denn damals wie heute, hier wie dort, sind die Sorgen und Nöte eines (Halb-)Waisenkindes fast identisch.
In einem hinterwäldlerischen Trailerpark kommt Demon als Kind einer drogenabhängigen Teenie-Mutter zur Welt, der Vater bereits vor seiner Geburt verstorben. Vom ersten Moment an scheint das Leben gegen Demon zu sein. Nichts ist selbstverständlich, laufend wirft es ihm weitere Knüppel zwischen die Beine. Diverse Pflegefamilien, Armut und Drogensucht sind nur einige der „Widrigkeiten“, die ihn die nächsten Jahre begleiten werden.
Oftmals ist Demons Schicksal hart zu lesen. Allerdings hat man den kämpferischen rothaarigen Jungen schnell ins Herz geschlossen. Beinahe unbekümmert und mit kindlicher Naivität lässt er die Leser an seiner Geschichte teilhaben. Seine Kämpfernatur und sein Überlebenswille sind bewundernswert.
Thematisch würde ich den Roman ein wenig in zwei Teile einordnen. Demons Kindheit ist geprägt von verschiedensten Pflegefamilien und sonstiger Unterbringung durch staatliche Stellen. An diesen wird kaum ein gutes Haar gelassen. Demon fühlt sich unverstanden und abgeschoben. Später kommt ein weiteres ganz großes Thema dazu: der Opioidkrise durch verschreibungspflichtige Medikamente. Wichtig und spannend.
Es ist macht betroffen und berührt, Demon und seinen Wegbegleitern zu folgen. Die Startschwierigkeiten von Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen sind auch heute noch und überall auf der Welt immens. Diese Tatsache führt dieser Roman deutlich vor Augen.
Dieser moderne David Copperfield strotzt wie das Original, nur so vor Sozialkritik und ist dabei absolut fesselnd und unterhaltsam zu lesen. Mit Demon hat Barbara Kingsolver einen jungen Protagonisten geschaffen, der mir vermutlich für immer im Gedächtnis bleiben wird. Ganz große Klasse! Natürlich 5 Sterne.

Bewertung vom 15.04.2024
Astrids Vermächtnis
Mytting, Lars

Astrids Vermächtnis


ausgezeichnet

Astrids Vermächtnis – Lars Mytting
Dies ist der wunderbare Abschluss der Trilogie um die Schwester-Glocken im norwegischen Butangen. Unglaublich spannend und atmosphärisch erschafft Mytting eine Saga, die Jahrhunderte umfasst. Er erzählt vom einfachen Leben zwischen Aberglauben und überlieferten Sagen, von vielen starken Frauenfiguren, die ihrer Zeit weit voraus waren, der Übermacht der Natur und immer wieder von den beiden Schwester-Glocken.
Zweifellos ist dies ein grandioses Leseerlebnis. Allerdings sollte man die Bücher in der richtigen Reihenfolge lesen, um das Erzählte richtig einordnen zu können.
Das norwegische Tal ist weiterhin ganz langsam auf dem Weg in die Moderne, als es zwischen den Jahren 1936 bis 1945 durch den Krieg ausgebremst wird. Eine der beiden Glocken hängt in der alten Stabkirche in Dresden; die Deutschen haben es auf das zweite Exemplar abgesehen, wohingegen die Familie Hekne sowie der Pfarrer Butangens auf eine Heimkehr der Glocke hoffen.
Der Autor Lars Mytting hat ein unglaubliches Erzähltalent. Ich bin vollkommen begeistert von seinem Werk! Er schildert Lebensumstände, Sorgen und Nöte dieser einfachen Leute so eindringlich und dabei so literarisch brillant. Dabei hält er immer eine gewisse Distanz zu seinen Figuren und wird niemals kitschig – eher im Gegenteil. Gerade der Dorfpfarrer ist eine zentrale Figur, die schon vom ersten Teil an durchgehend dabei ist und alles zusammenhält. Ein „Zugezogener“, der sich den Respekt seiner Schäfchen erst verdienen musste. Er hat einen ganz besonderen Blick auf alles, was so vor sich geht. So begleitet er das Dorf auf seinem Weg zwischen Traditionen und (Aber-)glaube und langsamen Fortschritt. Dann noch die Geschichte um die Schwesterglocken und den Wandteppich der Hekne-Schwestern macht diese Trilogie zu einem sehr dichten, tiefgründigen, geradezu monumentalen Werk. Fesselnd und berührend, einfach grandios!
Ganz klare 5 Sterne! Hoffentlich kommt von diesem Autor noch mehr!

Bewertung vom 19.03.2024
Wir werden jung sein
Leo, Maxim

Wir werden jung sein


sehr gut

Wir werden jung sein – Maxim Leo
Vier Probanden einer medizinischen Studie, die völlig aus dem Ruder läuft, ein versehentliches wissenschaftliches Experiment und ein spannender Blick in eine mögliche Zukunft. Auf jeden Fall wirft dieser erfrischende Roman etliche ethische, philosophische und gesellschaftliche Fragen auf.
Die unvorhersehbaren Folgen einer medizinischen Studie basieren auf einer Verjüngung der Probanden um gleich mehrere Jahre. Der Teenager, der plötzlich die Lust auf seine Freundin verliert, die kinderlose Frau, die unversehens doch noch schwanger wird, die ehemalige Leistungssportlerin, die nach Jahren alle Rekorde bricht, der alte Immobilienmogul, der mit dem Leben abgeschlossen hatte und nun über neue Kräfte verfügt.
Es sind spannende Entwicklungen, die völlig neue Sichtweisen eröffnen. Ich finde, das wurde auch ganz gut vermittelt. Jede Menge Probleme und Gedankenspiele tauchen auf: Wie wird das sein, wenn der Mensch ewig jung und gesund bleiben wird, jetzt da diese Möglichkeit in greifbare Nähe rückt.
Sprachlich und stilistisch ist dieser Roman leicht zugänglich und eher auf eine breite Zielgruppe zugeschnitten. Ich persönlich finde, dieses Werk hätte gut und gerne ein paar Seiten mehr vertragen, um sich noch besser auf die einzelnen Figuren einlassen zu können. Auch waren es mir ein paar zu viele wilde Entwicklungen. Ich fand es teilweise ein wenig übertrieben, effektheischend, aber wer weiß, vielleicht wäre gerade das ja realistisch.
Insgesamt ein spannendes Leseerlebnis. 4 Sterne.

Bewertung vom 07.03.2024
Der ehrliche Finder
Spit, Lize

Der ehrliche Finder


sehr gut

Der ehrliche Finder – Lize Spit
Für mich ist dieser neue Roman der Autorin Lize Spit ein wenig kurz geraten mit gerade mal 125 Seiten. Davon abgesehen ist ihr wieder eine berührende Geschichte gelungen.
Jimmy ist ein Einzelgänger und freut sich als er mit dem Flüchtlingskind Tristan aus dem Kosovo endlich einen Freund findet. Er hilft ihm und unterstützt ihn und seine große Familie. Es ist jedoch eine etwas seltsame Freundschaft, die da entsteht. Es fehlt die Augenhöhe und irgendwo auch das Verständnis Jimmys gegenüber dem von Krieg und Flucht traumatisierten Tristan – allerdings kann man das von einem Kind auch nicht erwarten. Die Geschichte behandelt also aktuelle und wichtige Themen wie eben Flucht und Krieg, leben in der Fremde und Asyl – mehr oder weniger aus der Sicht von Kindern. Da sind berührende und beklemmende Situationen dabei, die Jimmy im Prinzip gar nicht einordnen kann – der Leser aber schon. Und wie das bei Lize Spit immer so ist, spürt man irgendwann, dass sich im Hintergrund ein Unheil zusammenbraut, das einschlägt wie eine Bombe.
Sprachlich ist die Autorin betont klar und deutlich. Da gibt es nichts misszuverstehen. Außerdem passt das zu den kindlichen Protagonisten.
So ist dies eine packende Geschichte, die ich mir nur etwas länger gewünscht hätte um die Figuren besser kennenzulernen, beispielsweise auch Jimmys Familie, die sehr im Dunkeln bleibt. Trotz der Kürze und der eher schlichten Sprache entwickelt sich doch eine feine psychologische Tiefe. Sehr interessant.
4 Sterne.

Bewertung vom 23.02.2024
Notizen zu einer Hinrichtung
Kukafka, Danya

Notizen zu einer Hinrichtung


ausgezeichnet

Notizen zu einer Hinrichtung – Danya Kukafka
Welche Auswirkungen können die eigenen Lebensentscheidungen auf andere Menschen und deren Leben haben – noch Jahrzehnte später? Eine möglicherweise etwas abstrakte Fragestellung. Jedoch nicht mehr nach der Lektüre dieses Romans. Denn es geht hier nicht nur um die nahende Hinrichtung des Serienmörders Ansel, sondern mindestens ebenso um seine Mutter Lavender, die sein Leben maßgeblich beeinflusst hat und um mehrere andere Frauen, deren Leben wiederum Ansel beeinflusst oder gar beendet hat. Ansel ist weniger Hauptfigur, denn vielmehr tragisches verbindendes Element.
Dies ist ein wahnsinnig beeindruckender Roman, der mich die letzten Tage stark beschäftigt hat. Danya Kukafka hat einen fantastischen Schreibstil. So klar und pointiert erzählt sie diese Geschichte und blättert nach und nach ein ganzes Leben auf. Da steckt soviel Empathie für alle Figuren drin – ja auch für Ansel, den Mörder, ohne jemals kitschig zu werden. Man kommt diesen zu allermeist sozial schwachen, sich ohnehin am Rande der Gesellschaft bewegenden Menschen fast unerträglich nah. Die Einen schaffen es, ihrer Herkunft zu entfliehen, Andere nicht. Obwohl so klar ist, dass Ansel zu Recht verurteilt wurde und hingerichtet wird (wobei die Todesstrafe an sich durchaus kritisch beurteilt wird), weckt seine traumatische Kindheit einfach nur Mitleid. Auch wenn sich das angesichts seiner Taten immer wieder relativiert. Wirklich ein schwieriges Thema.
Ein extrem berührendes und beklemmendes Werk, vielschichtig und tiefgründig. Ich bin sehr beeindruckt von der Geschichte und von dem wunderbaren Erzählstil.
5 Sterne – ein Highlight!

Bewertung vom 11.02.2024
Hallo, du Schöne
Napolitano, Ann

Hallo, du Schöne


gut

Hallo du Schöne – Ann Napolitano
Dies ist die Geschichte der vier Padavano-Schwestern, die seit ihrer Kindheit ein extrem inniges, vertrauensvolles Verhältnis zueinander haben. Als Julia den unglücklichen Basketballspieler William Waters kennen- und lieben lernt, passieren in kurzem zeitlichen Abstand gleich mehrere Schicksalsschläge, die die enge Bindung der Schwestern zueinander auf eine ernsthafte Probe stellen.
Dieser Roman deckt viele, viele Jahre im Leben der vier Frauen ab und geht noch bis ins Jugendalter der nächsten Generation – eine Familiensaga, was zur Folge hat, dass es immer wieder krasse Zeitsprünge gibt.
Ann Napolitano hat einen sehr süffigen, gefälligen Schreibstil, der den Leser über so manche Länge trägt. Als literarisch würde ich ihn aber nicht bezeichnen. Im Gegenteil finde ich, muss man dieses Buch als die Unterhaltungslektüre nehmen, die es für mich auch ist. Eigentlich ist es nämlich eine oft eher zähe Handlung mit vielen Wiederholungen. Gestört hat mich außerdem die „Holzhammer-Methode“ mit der dem Leser Parallelen oder ähnliches aufgezeigt werden sollten. Überhaupt braucht sich der Leser nicht weiter abzumühen. Jede Entwicklung wird solange und von so vielen Seiten beleuchtet, dass es sicherlich jeder mitbekommt.
Gerade das erste Drittel fand ich nicht so prickelnd. Interessant wird es erst später. Man braucht also schon mal ein wenig Geduld, bis überhaupt mal etwas passiert. Es wird ewig auf dem wunderbaren Zusammenhalt und der tollen Kindheit der Mädchen herumgeritten. Dass der Vater der Mutter keine Hilfe war und diese bei der ersten Gelegenheit einfach verschwindet, mag da schon nicht so recht passen. Aber gut. Es geht hier viel um die Zukunftsvorstellungen der Schwestern, die ungefähr so aussieht, dass sie zwar einen guten Schulabschluss wollen, ansonsten aber ihr Glück in einer guten Partie (Ehe) suchen. Und hier kommt William ins Spiel. Er lässt sich von Julia herumkommandieren, übernimmt ihre Wünsche, heiratet und schwängert sie. Nur um dann festzustellen, dass er das alles gar nicht wollte.
Hier wird es nun interessant. Es geht um psychische Erkrankungen, um Sportsverletzungen, Freundschaft, Teenie-Schwangerschaft und vieles mehr. Es gibt wirklich spannende Abschnitte und die Seiten fliegen nur so dahin. Die Geschichten werden immer aus unterschiedlichen Perspektiven der Mädchen erzählt. Manchmal kam es mir vor wie eine Daily Soap. Eine Katastrophe jagt die nächste und die Schwestern treffen nicht immer die besten Entscheidungen.
Im Prinzip ist es so, dass die Mädels allesamt furchtbar stur und in ihren eigenen Vorstellungen gefangen sind und sich dadurch das Leben selbst schwer machen. Etliche der sogenannten „Schicksalsschläge“ wären nämlich mit ein wenig Toleranz und Zusammenhalt gemeinsam aus der Welt zu schaffen gewesen. Wirft doch einmal eine ihre Prinzipien über Bord, dann wird das auch entsprechend ausgeschlachtet und sie will dafür gefeiert werden. Eine wirkliche Persönlichkeitsentwicklung findet eher nicht statt. Es wird zwar die ganze Zeit nachgedacht und reflektiert, aber das bewegt sich alles auf einem recht altmodischen Niveau.
Die großen Vorbilder der Mädchen sind seit ihrer Kindheit die Schwestern aus „Little Women“ von Louisa Mary Alcott. Hier werden immer wieder Parallelen gezogen. Auch wenn ich mir nicht vorstellen, dass sie diesen das Wasser reichen können, ist das Werk auf meine Merkliste gewandert.
Insgesamt eine entspannte, locker leichte, manchmal aber etwas langweilige Lektüre, die ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein scheint.
Kann man lesen, muss man aber nicht. 3 Sterne.