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Benutzername: 
Julia
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Kassel

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 15.01.2022
1000 Jahre Freud und Leid
Ai Weiwei

1000 Jahre Freud und Leid


ausgezeichnet

Weit mehr als eine Biografie!

Ohne die Dokumenta XII wüsste ich heute nicht, wer Ai Weiwei ist. Nämlich einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler, außerdem Aktivist für Menschenrechte, Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung. Seine Werke haben eine starke Aussagekraft, sie erschüttern, prangern an.

Die Biografie mit dem Untertitel "Erinnerungen" erzählt zum einen von seinem bisherigen Leben, "1000 Jahre Freud und Leid" eröffnet einem darüber hinaus aber vor allem den Blick auf die Geschichte der heutigen Volksrepublik China und die Familiengeschichte der Familie Ai. Der Künstler, der Mensch Ai Weiwei hat umfassendes Wissen über beides und beschreibt auf 400 Seiten Unglaubliches.
Bereits als kleiner Junge kommt er als Sohn des politisch engagierten Dichters Ai Qing mit dem totalitären Regime Chinas in Kontakt, als dieser mehrere Jahre in einer Strafkolonie "umerzogen" werden soll. Die Erniedrigung und Demütigung seines Vaters haben sein Weltbild massiv geprägt und ein Unrechtsbewusstsein in ihm verankert, dass ihm irgendwann keine Ruhe mehr ließ. Als Rechtsverweigerer und Unruhestifter lebt der talentierte Künstler heute im Exil. Es ist eine bewegende, aufrüttelnde Geschichte über erschreckende Erlebnisse innerhalb eines Überwachungsstaates.

Chinesische Geschichte wird an deutschen Schulen sträflich vernachlässigt, somit war diese Lektüre zwar augenöffnend und horizonterweiternd interessant, aber auch sehr fordernd. Wo ich sonst abends mal 150 Seiten vor mich hin lese, waren es hier 30. Als ob das Buch Zeit aufsaugen würde, als würde auf einer Seite mehr stehen, als es in anderen Büchern der Fall ist. Und ich habe es so gern gelesen, es ist großartig! Ein Ausnahmebuch eines Ausnahmekünstlers. Ich empfinde eine tiefe Sympathie für den Künstler, den Autor, den Mensch Ai Weiwei.

Bewertung vom 13.01.2022
Wenn du einen Traum hast
Kast, Bas

Wenn du einen Traum hast


ausgezeichnet

Traumhaft

"Schönes Buch" sagt die Zweitklässlerin.
"Welches Buch?" frage ich aus der Küche.
"Hier liegt so ein Buch auf der Couch, das hab ich grade mal gelesen."

(Wenn ich neue Bücher habe, lege ich sie gerne auf die Couch um zu schauen, ob sie das Interesse eines Familienmitgliedes wecken)

"Was passiert denn in dem Buch, ich hab's mir noch gar nicht angeschaut.."
"Also da ist ein Mädchen, das trifft einen Fuchs der sein zu Hause verloren hat. Und die werden dann Freunde. Das Mädchen hat einen ganz verrückten Wunsch, sie träumt von einem Luftschloss und fliegenden Fischen. Und zusammen finden sie das dann zum Schluss."
"Und das hast du jetzt alles eben gelesen?"
"Da sind ganz viele Bilder, auf denen man die Geschichte sehen kann und auf jeder Seite steht nur ein Satz."
"Und was will denn das Buch sagen, was meinst du?"
"Da steht, wenn du einen Traum hast, sollst du einfach losgehen, auch wenn man mal verzweifelt, irgendwann schafft man es."

Wie ihr seht, ist nicht viel zu lesen an dem Buch. Sogar eine Siebenjährige ist im Stande, den Inhalt zu verstehen und zu reflektieren.
Doch können es auch Erwachsene verstehen?

Ein tolles, warmes, liebes Buch, ganz hübsch illustriert und Bas Kast bringt mit wenigen Worten einen schönen Sinn zur Geltung.

Bewertung vom 10.01.2022
Das Weltall
Gallerani, Simona;Orofino, Maria C.;Pezzulli, Edwige

Das Weltall


ausgezeichnet

Wissenshunger ist ein Grundbedürfnis

"Das Weltall - Ein Spaziergang durch die Geheimnisse des Universums" ist Wissensvermittlung für junge Menschen ab 10 Jahren auf hohem Niveau. Ohne ein Kind einzuschüchtern oder zu entmutigen, wenn mal etwas "zu hoch" ist, kann sich die planetenbegeisterte Leserschaft das heraussuchen, was grade interessant ist und aufgenommen werden kann. Man kann sich der Sternenkunde hier auf verschiedene Arten nähern, über das Lesen der Texte, die anschaulichen Illustrationen und die wunderbaren und einfachen Experimente. Die internationalen Autorinnen sind Wissenschaftlerinnen, geballte Frauenpower also. Am Ende des Buches stellen sie sich in Kurzbiografien vor, auf eine sehr nahbare Weise, und erzählen, was sie persönlich als Kind an der Weltraumforschung fasziniert hat.
Ein Buch, aus dem ein Kind nicht so schnell "herauswächst". Es bietet für meine drei Kinder zwischen 7 und 15 Jahren gleichermaßen etwas. Es gibt einfach so viel rund um den Weltraum zu lernen, und dieser Faszination kann auch ich als Erwachsene mich nicht entziehen und staune ebenfalls.
Einziger Minuspunkt ist für mich der Einband. Ich mag diese stumpfe Beschichtung nicht und halte sie für ein Kinderbuch für ungeeignet, da die Ecken schnell speckig und abgerieben aussehen. Man sieht jeden Fingerabdruck.
Um meinen Kindern zu verdeutlichen, welche Möglichkeiten sie in ihrer Zukunft erwarten, sage ich gerne mal "Du kannst alles werden, was du möchtest, sogar Astronaut" um etwas ganz Unvorstellbares zu nennen. Kinder sollten nach den Sternen greifen. Und zu solch hochwertigen Büchern.
Sehr zu empfehlen!

Bewertung vom 06.12.2021
Jeder Mensch
Schirach, Ferdinand von

Jeder Mensch


ausgezeichnet

Grundrechte in Zeiten der Digitalisierung

Ferdinand von Schirach ist immer wieder Lesezeit wert, auch wenn es diesmal nur 20 Minuten waren, aber er liefert Denkanstöße, sich mit ethischen Fragen auseinander zu setzen und - wie hier geschehen - die heutigen Gesetze unter die Lupe zu nehmen.

Woher kommt unser Grundgesetz, wie war das damals alles mit den Gründervätern und der Unabhängigkeitserklärung... Kurz und prägnant wird ein kleiner Geschichtskurs zu diesem Thema gegeben. Von Schirach stellt im Anschluss an diese Erläuterungen die These auf, dass die heutigen Grundgesetze einer Ergänzung bedürfen, da damals ganz andere Voraussetzungen vorlagen. Vor allem in Bezug auf Digitalisierung sieht er Nachholbedarf. Und stellt auch direkt die neuen Gesetze vor.

Dieses Büchlein ist eigentlich vielmehr ein Aufsatz oder Essay, es umfasst lediglich 30 Seiten und es ist faszinierend, wie effektiv dieser Mann auf den Punkt kommt, Spannung erzeugt und Interesse an verschiedensten Themen bei mir hervorruft.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 04.12.2021
Weihnachten auf der Lindwurmfeste
Moers, Walter

Weihnachten auf der Lindwurmfeste


ausgezeichnet

Fröhliches Hamoulimepp!

Hildegunst von Mythenmetz schreibt seinem lieben und geschätzten Freund Hachmed Ben Kibitzer einen Brief, in dem er sich über das unsägliche Getue rund um DAS Fest der Lindwürmer auslässt. Statt Weihnachten feiert man dort Hamoulimepp, ein überflüssiger Mummenschanz, von dem keiner mehr genau weiß, wozu es mal gedacht war.
Auf gewohnt verblümte Art rechnet Walter Moers dabei mit Traditionen ab und zieht religiöse Feste aller Art durch den Kakao, das tut er aber sehr liebenswert.
Über dieses Buch habe ich zuvor viel Negatives gelesen. Ich fand die Geschichte sehr unterhaltsam, abstrus wie immer, ich würde die Briefform, in der die Geschichte verfasst ist, nicht als ungewöhnlich bezeichnen, da bin ich anderes vom Autor gewohnt. Es eignet sich bestimmt aber nicht, es als erstes zu lesen, ohne sich schon ein wenig in Zamonien auszukennen. Es ist das kürzeste in der zamonischen Literatur, aber das am aufwendigsten gestaltete.

Ich für mich muss sagen, Walter Moers ist für mich unantastbar, ich würde mir nie anmaßen, eins seiner Bücher zu kritisieren, sie sind Kunst. Sie sind sein Ausdruck, seine Weltsicht, seine Phantasie, er ist seine Bücher, seine Bücher sind er. Jedes seiner Bücher sind ein Geschenk für mich, eine Reise in fremde Welten. Hier zeigen sich die Grenzen des E-Books und des Hörbuchs, das, womit dieser begnadete Schriftsteller und Illustrator des Lesers Herz erfreut muss als ECHTES BUCH erlebt werden.

Wer Lust hat, eine etwas andere Weihnachtsgeschichte zu lesen, oder wissen möchte, was es - unter anderem - mit der Lindwurmfesteschneckenpoesie auf sich hat, dem kann ich dieses Buch sehr ans Herz legen!

Bewertung vom 22.11.2021
Wein und Haschisch
Baudelaire, Charles

Wein und Haschisch


ausgezeichnet

Eigentlich war der 1821 geborene Franzose Charles Baudelaire Lyriker. Vielen ist "Les Fleurs du mal" (Die Blumen des Bösen) viel eher ein Begriff, ich bin jedoch durch die Optik des kleinen in Samt gewandeten Büchleins und dem illustren Titel auf ihn aufmerksam geworden.

Auf knapp 200 Seiten kommt 2017 erstmals diese Zusammenstellung Essays in Neuübersetzung zum Thema Genuss und Ästhetik heraus. Und Baudelaire versteht etwas vom Genießen und davon, was trügerisch ablenkt - vom Schreiben wie vom Leben überhaupt. Neben Wein und Haschisch werden die Oper und andere Künste genannt, gute und schlechte Literatur kommt zur Sprache, wie mit Gläubigern und Misserfolgen umzugehen ist.

Charles Baudelaire schreibt auf hohem Niveau und dabei mit so leichter Hand und unterhaltsam, dass dieses Buch eine große Freude war. Teils mag er überheblich klingen, doch seine Nüchternheit und Sprachgewandtheit (und sicher auch die hervorragende Übersetzung von Melanie Walz) lässt auch Spitzen gegen Kollegen nie bösartig, sondern stets amüsant klingen.
"Wein und Haschisch" lässt sich nicht wirklich flüssig lesen, es hat einen roten Faden, die Essays sind jedoch ohne Übergang aufeinanderfolgend, es endet somit ohne abschließende Erkenntnis, die ganze Textsammlung ist vielmehr sehr erhellend.

Wie von den kleinen Klassikern des Manesseverlages gewohnt sind auch hier Ergänzungen zum Text und zur Übersetzung im Anhang, sowie ein Portrait mit wissenswerten Hintergründen zum diesem interessanten Schriftsteller.

Absolut zu empfehlen, eine Praline unter meinen Büchern!

Bewertung vom 06.11.2021
Farm der Tiere
Orwell, George

Farm der Tiere


ausgezeichnet

Must-Read

1945 veröffentlichte George Orwell seine Fabel "Farm der Tiere". Erzählt wird die Geschichte von Tieren eines Bauernhofes, die sich ihres Landwirtes entledigen, der sie schlecht behandelt. In Eigenverantwortung führen sie den Hof weiter, doch bereits nach kurzer Zeit bildet sich eine Elite mitsamt Anführer heraus, statt Freiheit finden sich die Tiere in einer neuen Schreckensherrschaft wieder, ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden.

Mir ist vom ersten Lesen dieses Buches (vor ca 25 Jahren und auf englisch) noch erstaunlich viel in Erinnerung geblieben. Animal Farm, George Orwell, das Schulbuch schlechthin. Es hat mir um einiges besser gefallen als "1984", welches verstörender und beklemmender ist. Das fabel-hafte, also Tiere als Hauptfiguren zu wählen, schafft eine Distanz, die es mir ermöglicht, in verschiedene Richtungen zu interpretieren.
Orwells "Farm der Tiere" wird als Parabel auf die Geschichte der jungen Sowjetunion gesehen, vieles lässt sich eins zu eins übertragen. Doch auch ohne das Buch in geschichtlichem und politischem Zusammenhang zu sehen, bietet es gedanklich viel Spielraum.
Die Bedeutung von Rhetorik und Propaganda wird auf nur 140 Seiten sehr gut deutlich. Manche Menschen sind dumme Schafe, folgen den Schweinen blind und sprechen Parolen nach. Kommt mir bekannt vor, leider nicht bloß aus dem Geschichtsunterricht, sondern aus der Tagesschau.
Auch über die Bedeutung von Bildung kann man in diesem Zusammenhang sprechen, nicht alle Tiere können lesen, sie glauben was sie hören.
Die Schweine sind der Auffassung, dass diejenigen, die "Kopfarbeit" leisten, den wichtigsten Job haben, ihnen gebührt daher das beste Futter. Sie sehen sich zu Recht über den anderen, und letztendlich gibt es statt der anfänglichen animalistischen Gesetze nur noch eins zu beachten: Alle sind gleich - aber manche sind gleicher. Und lediglich Worte sind nötig als Überzeugungsarbeit, wenn gut zureden nicht hilft wird ein klares Feindbild definiert und ein Schuldiger gesucht und gefunden. Kommt mir ebenfalls bekannt vor, Hass und Hetze.

Bedrückend ist das Buch allemal. Der Traum von einer besseren Welt, einem besseren Leben, zerplatzt unter der Ungerechtigkeit und der Erhebung einer Rasse über die Restlichen unter dem Vorwand, dies sei für alle das Beste ist leider weniger dystopisch als es mir lieb ist. Ein bedeutendes Buch, für mich ein Klassiker der Weltliteratur.

Der Anacondaverlag bietet große Literatur zum kleinen Preis. Mit der Übersetzung war ich sehr zufrieden und habe auch an der Qualität des Papiers und des Einbandes nichts auszusetzen. So ist anspruchsvolle Literatur auch bei kleinem Geldbeutel erschwinglich!

Bewertung vom 25.10.2021
Wie Salz auf der Zunge
Runcie, Charlotte

Wie Salz auf der Zunge


sehr gut

Frauen und das Meer

Zu beschreiben, worum es in diesem Buch geht, ist nicht ganz einfach. Ich wusste auch nicht richtig, was mich erwartet, ich fand einfach Titel und Optik so ansprechend. Es ist kein Roman, ich kann eigentlich gar nicht genau sagen, was es ist.
Es wird erzählt von Frauen und vom Meer. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Charlotte Runcie hat ein sehr weibliches und sehr persönliches Buch geschrieben, sie erzählt von ihrer Heimat, ihrer Familie und von ihrer Schwangerschaft. Rundherum um die fast nicht vorhandene Handlung ist das Meer, da sind Lieder und Bücher, die vom Meer erzählen, wir hören Gedichte, Sagen und Legenden. Flora und Fauna werden ebenso beschrieben.
Es ist alles ein bisschen konfus, es ist wie eine Reise, das Buch treibt einen hierhin und dorthin, Landschaftsbeschreibungen lassen uns Küsten vor unserem geistigen Auge erscheinen, dass man die Koffer packen möchte.
Das Meer ist ein Sehnsuchtsort und dieses Buch ist ein Sehnsuchtsbuch. Schon der Titel ist sinnlich, "Wie Salz auf der Zunge", und so wie das Meer mit all seinen Geschichten ein Wunder ist sind es auch wir Frauen. Charlotte Runcie hat Frau-Sein und Mutter-Werden metaphorisch aufgearbeitet, hat versucht zu verstehen, was mit dem Körper und der Seele passiert - und mir dabei aus der Seele gesprochen.
Geschichten haben eine große Macht, einmal erzählt entwickeln sie sich manchmal zum Mythos, können Aberglaube erzeugen und zur Religion und Lebensweisheit werden. Die Autorin hat hier einiges zusammengetragen und wundervoll verpackt. Ihre Sprache ist feinsinnig, nachdenklich und poetisch, mit einem Hauch Melancholie. Jedes Kapitel ist wie eine Perle, eine Muschel, ein Schneckenhäuschen an einem feinen Sandstrand. Es auf mich eine stark entschleunigende Wirkung.
Was mich leider geärgert hat ist die an zwei Stellen mangelhafte Übersetzung mit wirklich groben Fehlern.

Zum Schluss muss ich noch etwas anmerken. Ich rate selten bestimmten Menschen, einen Bogen um ein Buch zu machen, doch die Autorin schreibt so explizit über Mutterschaft und die Natur der Frau nach ihrem Verständnis, dass ich bei unerfülltem Kinderwunsch oder Identitätskrisen, die die eigene Rolle als Frau angehen, davon abraten würde es zu lesen. Dies ist für mich selbst kein Kritikpunkt, denn ich habe mich darin wiedergefunden, aber mir ist bewusst, dass andere Frauen sich dadurch schmerzlich ausgeschlossen fühlen könnten.

Bewertung vom 12.10.2021
Althea Gibson - Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin
Schoenfeld, Bruce

Althea Gibson - Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin


sehr gut

Vergessene Heldin

Mir war der Name Althea Gibson völlig unbekannt. Hand aufs Herz, wem ist die erste Afroamerikanerin, die einen Grand-Slam-Titel gewann, die erste, die auf dem Cover der "Sports Illustrated" und der "Time" abgebildet war, ein Begriff? Sie hat den Weg für mir bekanntere Tennisspielerinnen wie Venus und Serena Williams geebnet, denn als Althea als Talent entdeckt wurde, herrschte strikte "Rassentrennung" auf dem Platz, zu Turnieren wurde sie absichtlich oder "versehentlich" nicht zugelassen.
Dieses Buch erzählt ihre Geschichte, wie sie aufwuchs, ihre Karriere - und ihr bedauernswertes Ende.

Es handelt sich hierbei weniger um eine Biografie als um eine Dokumentation, ich finde es auch in Hinblick darauf schade, dass der Originaltitel "The Match" geändert wurde, besonders der Untertitel, so dass lediglich Althea im Focus steht. Es geht nämlich um ein Zusammenspiel der beiden Freundinnen Althea Gibson und Angela Buxton. Wie sie GEMEINSAM gegen alle Widerstände kämpften und Sportgeschichte schrieben, als sie in Paris und Wimbledon das Damendoppel gewannen. Lange Zeit danach sorgte Angela mit zwei Spendenaktionen dafür, die durch teure Arzt- und Behandlungskosten finanziell ruinierte Freundin vom Selbstmord abzuhalten. Althea Gibson starb 2003 nach mehreren Schlaganfällen, Angela Buxton 2020.

Die Erstveröffentlichung erschien im bereits vor 7 Jahren, nun wurde das Buch erstmals ins Deutsche übersetzt.
Ich muss leider sagen, es lässt sich nicht gut lesen. Es weist zwischendrin erhebliche Längen auf, trotz, dass es sich um spannende Persönlichkeiten handelt und alles durchaus interessant ist, jedoch machte mir der Stil zu schaffen. Der Aufbau wirkt fahrig, teils wie eine Urfassung, als sprudelt alles ungefiltert aus dem Autor heraus. Er springt in Zeit und Ort hin und her und nimmt Informationen vorweg, was keinen strukturierten Eindruck macht. Ich rate zukünftigen Lesern, den Prolog einfach wegzulassen, ich habe mich echt geärgert. Es werden einem ganz viele wissenswerte Details in Nebensätzen zusammenhanglos vorgeworfen, dafür erscheint es einem dann während der 400 Seiten zunehmend langweilig.
Schade ist auch, dass Bruce Schoenfeld wenig herzlich über Gibson schreibt, stattdessen hebt er vielmehr negative Seiten hervor. Ich hätte mir den Autor einer solchen Geschichte etwas eingenommener von seiner Hauptfigur gewünscht.
Trotzdem - die Geschichte dieser vergessenen Heldin(nen) verdient allemal Beachtung!

Bewertung vom 26.09.2021
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Die Inhaltsangabe von "Junge mit schwarzem Hahn" hört sich wenig spektakulär an, doch in Verbindung mit dem Titel war mein Interesse sofort geweckt.
Die Geschichte um den elfjährigen Martin ist vom Gefühl im späten Mittelalter einzuordnen. Der besonders kluge und sensible Junge, der nie ohne einen schwarzen Hahn anzutreffen ist, ist der einzige Überlebende einer Familientragödie. Doch statt zu verzweifeln trägt er Sanftmut und Empathie in sich, sehr zum Leidwesen seiner zumeist grausamen Mitmenschen. Gemeinsam mit seinem treuen gefiederten Freund verlässt er sein Heimatdorf, um sich einer schicksalhaften Aufgabe zu stellen.

Es ist ein gesellschaftskritischer Roman. Hier bezieht sich die Autorin gezielt auf in sich abgeschlossene Gruppen und ihre Dynamik. Keiner will wissen, was er eigentlich genau weiß, und keiner will den anderen an Fehler erinnern, oder an Verantwortung, man muss sich somit auch selbst keine unbequemen Fragen stellen. Martin jedoch bringt mit seiner Art die Gemeinschaft dazu, dass eigene Handeln zu reflektieren. Dabei kommt man vor sich selbst nicht gut weg und ein Gewissen ist eine unerquickliche Sache, weshalb das Kind gemieden wird.

Der Schreibstil ist bildhaft und erlebbar, die Figuren werden einem so liebevoll ans Herz gelegt, wenig Äußerlichkeiten beschreibt die Autorin, sie vermittelt vielmehr ein Gefühl, die Ausstrahlung der Personen und lässt dabei eine Zärtlichkeit und Anmut spüren, dass man die Hoffnung in den dunklen Momenten der Geschichte nicht aufgibt, man geht beruhigt mit Martin und dem Hahn den Weg ihres Schicksals, man muss mit ihnen gehen. Man vertraut sich der Hauptfigur an.

Vielfach habe ich die Bezeichnung "Märchen" in Bezug auf dieses Buch gelesen, das geht mir vom Gefühl doch zu weit. Wenn auch manches nicht realistisch sein mag, von Fantasy würde ich nun wirklich nicht sprechen. Es ist vielmehr ein Roman mit mythischen Elementen, der sehr viel Platz für Interpretationen bietet.

Es hüpft einem das Herz bei diesem Witz und Einfallsreichtum, ein großartiges Debüt ist Stefanie vor Schulte da gelungen. Es kam mir länger vor als 200 Seiten, hier allerdings im positiven Sinne! Es ist so detailliert ist und ausgeleuchtet, es beendet alle kleinen Feinheiten, Anfang und Ende begegnen sich. Nach dem letzten Satz ist es für mich vollständig.
Als Jahreshighlight ist es mir jedoch zu grausam, ich mag es etwas verklärter und... naja lieblicher, wenn es auch wirklich keine deprimierende Geschichte ist,so lässt sich die Tragik nicht schönreden.
Es war ein großes Vergnügen, diese herrlichen Sätze zu lesen, Sätze wie Gemälde, wie Musik, kleine Kunstwerke.