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Booklove15_11

Bewertungen

Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 20.08.2021
Die Überlebenden
Schulman, Alex

Die Überlebenden


ausgezeichnet

Eine emotionale Familiengeschichte

Ein Holzhäuschen am See inmitten des Ländlichen Schwedens. Hier verbringen Brüder Benjamin, Pierre und Nils jedes Jahr ihrer Sommerferien, gehen angeln, schwimmen und streifen die durch den Wald. Von außen eine perfekte Familie, zusammen die Ferien, die Sommer und die Natur genießen. Doch die Idylle täuscht, denn die Eltern sind Alkoholabhängig, lassen ihre Söhne verwahrlosen, sind gefühlskalt und unachtsam. Die Brüder konkurrieren und schikanieren sich oft untereinander um etwas Aufmerksamkeit von den Eltern, besonders von der Mutter, zu bekommen. Bis eines Tages eine Tragödie der Familie tief im inneren verändert.

Nach zwanzig Jahren kommen die Brüder zum ersten Mal ins Sommerhaus zusammen, sitzen im Anzug und Krawatte auf den Treppen vor dem Holzhaus. Zwischen ihnen eine Urne voller Asche ihrer Mutter und viele Gefühle und Sätze die seit Jahren unausgesprochen geblieben sind.

Benjamin, der mittlere Sohn, ist der Ich-Erzähler von Schulmans Familienroman. Er ist ein stiller Beobachter, analysiert bis zum kleinsten Detail die Verhalten von seinen Familienmitglieder und weiß, wann die Stimmung zum Kippen droht. Wie Benjamin in seinen jungen Jahren alles gegeben hat, um seine Familie zusammenzuhalten, hat mich zu tiefst berührt.

Alex Schulman erzählt die Geschichte mit klaren Worten, intensiv und realitätsnah auf zwei Ebenen. Kapitelweise bin ich zwischen Vergangenheit und Gegenwart gereist, dabei wirkte mir der Roman alles andere als Sommerlich leicht. Im Gegenteil! Schon in den ersten Seiten fühlte ich eine bedrohlich aufgeladene Stimmung. Ich habe bei jedem Kapitel gespürt, da irgendwas nicht stimmte, doch Schulman hat die Handlung so grandios entworfen, bis zum Ende war ich ahnungslos. Denn wo die Gegenwartsebene Episodenhaft erzählt wird, wird die Gegenwart rückwärts erzählt, sodass ich spannungsgeladen weiterlesen musste. Und das Ende! Ein Ende der mich unerwartet mit Entsetzen ins kalte See hineingeworfen hat.

Es ist eine emotionale Familiengeschichte über Schuld und Vergebung und meisterhafter Debütroman, der mich nachdenklich zurückgelassenen hat.

Bewertung vom 03.08.2021
Auszeit
Lühmann, Hannah

Auszeit


weniger gut

War nicht so meins

Die Anfang dreißig jährige Henriette hadert mit ihrem Leben. Ihre Kommilitoninnen sind schon längst fertig mit dem Studium, haben Familien gegründet oder gutbezahlten Jobs gefunden. Nur sie steckt seit Jahren mitten in einer Dissertation über Werwölfe, mit dem sie überhaupt nicht weiter kommt. Sie weist nicht, wie sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Unzufriedenheit und Lustlosigkeit bestimmen ihre Alltag. Nach einem Schwangerschaftsabbruch bricht sie dann endgültig zusammen. Sie fährt mit ihrer beste Freundin nach Bayern um dort in einer einsamen Hütte etwas Auszeit zunehmen, doch alles kommt anders als geplant..

Eine Geschichte, die sehr stark anfängt, aber umso mehr Stärke abbaut. Am Anfang dachte ich mir: wow.. die Autorin nimmt einem gefühlvoll mit, doch schon nach paar gelesenen Seiten wurde ich selbst orientierungslos wie die Hauptfigur. Obwohl ich die unsympathische Charaktere liebe, konnte ich mit Henriette überhaupt nicht anfangen. Sicher, Abtreibung ist kein einfaches Thema aber ihre Probleme beschränken sich nicht nur damit. Sie ist einfach unglücklich mit sich selbst, sucht im Heuhaufen die Nadel damit sie sich selbst mitleiden kann. Als ob sie die Sonne im Universum ist, kreist sich nicht nur um sich herum, sondern möchte dass alle um sie kreisen. Ihre Haltlosigkeit ermüdet einem beim Lesen. Dazu kommt eine bedrückende Atmosphäre und Handlungsarmut und obwohl das Buch knapp 180 Seiten hat, am Ende brauchte ich selbst eine Auszeit.

Furchtbare Protagonistin, stellenweise sehr unrealistische Szenen und depressive Stimmung beherrscht diese Geschichte, welche die mir leider nicht gefallen hat.

Bewertung vom 01.08.2021
Das Land der Anderen
Slimani, Leïla

Das Land der Anderen


sehr gut

Leben in der Fremde

Mathilde, jung, groß, blond, Elsässerin, Christin. Eine stattliche, lebenslustige Frau. Amine Belhaj, klein, schmächtig, Marokkaner, Muslim. Ein ehemaliger Soldat, der noch die Narben des Zweiten Weltkriegs trägt. Völlig ungleiche Paar lernen sie sich 1947 in Frankreich kennen, heiraten und lassen sich in der Nähe von Meknès nieder. Die gegenseitige Erwartung ist groß doch Mathilde leidet unter Kulturschock, weißt nicht, wie sie sich verhalten soll. Wo Amine den kargen Land, den er von seinem Vater geerbt hat, versucht mit allem Kräfte fruchtbar zu machen, zieht Mathilde die gemeinsamen Kinder groß, dabei fühlt sie sich einsam und oft ist sie nicht nur traurig, auch wütend. Doch es sind nicht nur die familiäre Probleme, die das junge Paar bewältigen müssen denn in den 50'ern eine Ehe zwischen einem Marokkaner und einer Französin ist nicht vorgesehen. Dazu kommen alltägliche Rassismus, die von Männern dominierten Traditionen und Konflikte zwischen den einheimischen und Franzosen. Aber Mathilde lässt sie sich nicht klein machen und gibt nicht auf...

Basiert auf dem Leben von der eigenen Großmutter nimmt Slimani uns nach Marokko und schildert sehr bildhaft das Leben des Bewohners. Schnörkellos, sehr ehrlich und ungeschönt erzählt sie über in zwei Kulturen geteiltes Land. Einerseits die Franzosen, die in dem eigenen Stadtteil wohnen und leben wie in Vorkriegszeiten in Frankreich, anderseits die Marokkaner, die in einfachen Bedingungen, mit viel Sorge und Not den Tag überstehen. Und Frage aller Fragen „Wer sind die Anderen?“

Ein vielschichtiger, fassettenreicher, lebendiger Roman der über patriarchale Geringschätzung die Frauen, über Herkunft, Heimat, Rassismus. Es ist der empfehlenswerter erster Band von Leila Slimani's auf drei Bände geteiltes Familiensaga und ich bin sehr gespannt auf das zweite Band, in der Sie von dem Geschichte ihrer Mutter erzählen wird.

Bewertung vom 25.07.2021
Betreff: Falls ich sterbe
Setterwall, Carolina

Betreff: Falls ich sterbe


ausgezeichnet

Ein Roman, der tief berührt und nachdenklich zurücklässt.

8.Mai. 2014
Übermüdet sitzt Carolina auf der Couch und stillt ihren drei Monate alten Sohn als sie eine E-Mail mit dem Betreff: Falls ich sterbe von ihrer Lebensgefährten Aksel erhält. „Gut zu wissen, falls ich mal den Löffel abgebe“ schreibt er und leitet seinen Computerpasswörter weiter und hängt auch ein Dokument mit all seinen Passwörtern und Listen an, was in dem Fall nützlich sein konnte. Carolina versteht Aksels Vorsorge nicht. Sie versteht nicht, warum ein kerngesunder, Anfang dreißiger Mann so eine Mail schreiben kann und sie wurde wütend. Am 27. Oktober. 2014 als sie mit ihrem Sohn auf dem Arm aus dem Nebenzimmer, wo sie die Nacht verbracht hat, kam und ins Schlafzimmer geht, um Aksel zu wecken, findet sie ihn Tod im Bett...

Carolina Setterwall nimmt mit ihren autofiktionalen Roman ihre Leser*in nach Schweden und lässt sie im schwierigsten Kapitel ihres Lebens teilnehmen. Eine Geschichte über große Liebe, großes Verlust und Leid. Sie erzählt die ganze wie in ihrem Tagebuch, sehr ehrlich, schonungslos, ungeschönt. Dabei blicken wir nicht nur in der heutigen Zeit, wo sie ihre Trauer bewältigt, sondern im Wechseln erfahren wir auch wie sie Aksel kennengelernt hat und über deren Turbulenzen Zusammenleben. Die Protagonistin ist gerade nicht die Sympathieträgerin, stellenweise wirkte sie mir sogar sehr egoistisch. Sie jammert und meckert bei jeder Kleinigkeiten und man möchte sie nur noch wachrütteln, doch am Ende überraschte sie mich im positiven Sinne.

Eine Geschichte über Trauerbewältigung, Selbstzweifel und Selbstfindung von einer jungen Frau. Ein Roman, der tief berührt und nachdenklich zurücklässt.

Bewertung vom 22.07.2021
In diesen Sommern
Hecht, Janina

In diesen Sommern


ausgezeichnet

Einfühlsam und eindringlich
Ob in Italien, auf Opas Weinberg oder auf einem Bauernhof, jeden Sommer unternimmt die vierköpfige Familie was Schönes zusammen. Gehen lecker Essen, planschen im Pool, genießen die Sommerzeit. Doch diese Familienidylle täuscht. Besonders wenn der Vater etwas tief in das Glas guckt, dann brodelt es hinter den Mauern gefährlich. Unbeschwerte Momente werden schnell mit Hilflosigkeit und Angst betrübt. Eine Familie, die Alkoholkonsum und Stimmungsschwankungen des Vaters hilflos ausgeliefert ist...

„Manchmal würde ich gerne einer Version meines Vaters vertrauen. Eine Antwort haben auf die Frage, wer er war. Ich lege die Ereignisse wie Schichten aus Transparentpapier übereinander und versuche zu erkennen, was durchscheint.“

In gerade mal 170 Seiten, mal nüchtern mal mit Wucht erzählt die Janina Hecht mit ihrer einfühlsamen Sprache eine Familiengeschichte, die mich schon von der ersten Seite an seinen Bann gezogen hat. Episodenhaft hat mich die Ich-Erzählerin Teresa 20-Jahre lang mit in die Sommerferien mitgenommen. Ich war mit ihr traurig, hab sorgen gehabt und hatte Angst. Doch meistens Zeit hab ich mit ihr die Sonne und Sommer genossen, denn egal wie viele dunkle Wolken über die Familie geschwebt hatten, waren auch viele schöne Momente in ihrem Leben.

Ein Buch wie ein Puzzle. In jede Kapitel liest man viele kleine Einblicke aus Teresas Leben. Mal sind die Momentaufnahmen, mal die bedeutungsschwere Erinnerungen, welche sie tief in ihr Herz eingegraben hat. Stück für Stück setzt man die Teile zusammen und am Ende blick man auf ein Bild, der einem nachdenklich zurücklässt.

Hinter dieses idyllisches Cover verbirgt eine berührende, hoffnungsvolle Geschichte, welche ich nur weiterempfehlen kann.

Bewertung vom 18.07.2021
Raumfahrer
Rietzschel, Lukas

Raumfahrer


gut

Schwebezustand

Der Krankenpfleger Jan, der 1989 nach der Wende geboren ist, kennt die DDR-Zeiten aus dem Geschichtsunterricht, nur die Folgen sind für ihn spürbar. Auf der Einkaufstrasse stehen die Hälfte die Geschäfte leer, in damaligen Neubauwohnungen wohnt kaum jemand und bald wird es auch Jans Krankenhaus schließen. Er wohnt mit seinem Arbeitslosen Vater zusammen, wo er ihm jeden Abend mit einem warmen Feierabendbier erwartet dafür aber viel schweigt. Trostlosigkeit, Vergangenheitsbewältigung, Armut und Sprachlosigkeit bestimmen Jans Leben. Doch plötzlich taucht ein alter Mann, zeigt ihm ein Foto und macht eine Bemerkung über seine Eltern. Ob Jan will oder nicht, muss er jetzt mit der Vergangenheit konfrontieren....

„Mutter, Vater. Für Jan waren sie Raumfahrer. Schwebten in einer Zwischenwelt, ihrem Ausgangspunkt entrissen. Während sie schwebten, hatte sich die Welt schon ein Dutzendmal weitergedreht.“

Und ich war mittendrin in diesem Schwebezustand! Denn Rietzschel's Erzählstil war für mich sehr sprunghaft. Mal war ich mit Jan hier im Ort, mal reiste ich mit seinen Gedanken in seine Kindheit. Dann kommt der nächste Protagonist und erzählt von Eigenendkindheit, von Nachkriegszeit, Mauerbau, Nachwendezeit und alles im Wechsel in sehr kurzen Kapiteln. An stattdessen solche kurze bruchstückhafte Aufbau, hätte ich mir lange aber strukturierte Handlung gewünscht. Zwischen so abrupt wechselnde Themen und Zeiten sind die Figuren mir ferngeblieben.

Ein Roman der mich trotzt seiner starken Sprache nicht erreicht hat aber sicher seine Leserschaft finden wird.

Bewertung vom 15.07.2021
Sehnsucht in Aquamarin
Covi, Miriam

Sehnsucht in Aquamarin


ausgezeichnet

Ein Roman wie ein Urlaub

Zwei Schwestern, die nicht unterschiedliche sein können. Wo die Weltbummlerin Jette ihre Freiheit genießt, sich fast jeden Monat in einen neuen Mann verliebt, zieht sich ihre kleine Schwester Polly in ihre Dachgeschosswohnung in Stuttgart zurück, lässt niemanden an sich heran und übersetzt Erotikromane aus Englisch auf Deutsch. Die beiden haben ihre Mutter Eva nicht wirklich kennenlernen dürften, denn als Eva ihre Familie kopfüber verlassen hat waren die Mädchen 2 und 5 Jahre alt. Die Schwestern gehen mit der Mutterlosigkeit zwar auf eigene Art und Weise gut um, aber tief in ihre inneren tragen die Narben. Als Jette zufällig auf einem Foto ihre Mutter entdeckt, folgen die beiden der Spur bis an der Küste des Maines in Bar Harbor. Dabei ahnen die Schwestern eins nicht: Diese Reise wird die Beiden für immer ändern...

Seit vier Jahren ein Sommer ohne Miriam Covis Sommerroman gibt es für mich nicht. Mal habe ich die Bücher in den Urlaub mitgenommen, mal im Garten oder auf der Couch damit gemütlich gemacht und egal wo ich die gelesen habe, ihre Romane waren für mich Urlaub für die Sinne.

Auch diesmal hat sie mich mit ihrer leichten, Gefühl und Humorvollen Sprache auf eine Reise entführt. Bar Harbor... Ein Fleckchen auf der Welt, wo ich nie da war aber dank ihrer atmosphärischen Erzählung glasklar vor den Augen hatte. Ich habe auf ein Andirondack Stuhl gesessen, salzige Atlantikluft geatmet, auf ein Campingplatz übernachtet. Viel gestritten, lecker gegessen, ein Glas mehr getrunken und ins Meer gestürzt. Obwohl das Thema des Buches sehr ernst war, hab ich viel gelacht, geliebt und einfach genossen. Von Anfang bis zum Ende ist es eine fesselnde Story und vielschichtige, realitätsnahe Charaktere runden diesen stimmungsvollen Sommerroman hervorragend ab.

Wer auf der Suche nach Urlaubs/Sommerromanen ist, kann ich dieses wunderbare Buch nur weiterempfehlen.

Bewertung vom 12.07.2021
Von hier bis zum Anfang
Whitaker, Chris

Von hier bis zum Anfang


ausgezeichnet

Tiefgründig und spannend

„Du kannst die Luft atmen und für frisch halten, aber ich hole kein einziges Mal Luft, ohne den Stich zu spüren“

Cape Haven, Kalifornien
Duchsess ist dreizehn Jahre alt. Sie wächst Vaterlos, nicht nur in ärmlichen, sondern erbärmlichen Verhältnissen auf, die sie vorzeitig Erwachsen werden lässt. Sie hat eine Mutter, die Tod ihre Schwester seit 30 Jahren nicht überwunden scheint, depressiv, abwesend und drogenabhängig. Sie bringt nicht nur ihren 5-jährigen Bruder ins Bett, sondern auch Ihre Mutter. Blaulichter vor der Haustür ist eine Routine für sie. Doch fast täglich kommt das Polizeiauto auch ohne Blaulicht, denn der Polizist in der Ortschaft ist der alte und beste Freund von ihrer Mutter, der einziger Mensch die kleine Familie bedingungslos schützt und hilft. Als der Mörder ihrer Tante aus der Haft entlassen wurde, droht es von 13-Jährigen mühsam auf den Beinen gehaltenen Familienleben zusammenzubrechen. Denn egal wie viele Jahre die vergehen, der Vergangenheit, die Tragödie und dadurch entstandenen Schmerz folgt die Familie bis heute...

Mit seiner klaren, angenehmen und emotional vollgeladenen Sprache nimmt Whitaker seine Leser auf eine Welt, die mit Traurigkeit getränkt ist. Seine Figuren sind vielschichtig, mal authentisch mal ungewöhnlich und es ist auch gut so, denn die gesamte Geschichte ist auf den Charakteren gebaut.

Erzählt wird die Geschichte aus Duchsess' und Chief Walkers Sicht: Wo Duchess heute und jetzt fürs Überleben kämpft, ermittelt Walk einige Geschehnisse und erzählt auch aus der Vergangenheit. Dadurch hält der Autor den Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht. Doch für mich war es zwischen durch etwas zu viel Krimi.

Es ist eine atmosphärische, berührende, spannende Familiengeschichte, stellenweise unter die Haut geht.

Bewertung vom 06.07.2021
Du wirst es mir niemals sagen
Kerninon, Julia

Du wirst es mir niemals sagen


sehr gut

Eine berührende Lebensgeschichte

Liv Maria, geboren als Wunschkind, wächst sie behütet auf einer bretonischen Insel auf. Von ihrem gutherzigen norwegischen Vater lernt sie die Liebe zur Literatur, von ihrer französische Mutter zum Schweigen und ihre Onkels bringen ihr Fischen und Autofahren bei. Doch als sie gerade siebzehn war, wurde sie Opfer eines Übergriffs und muss zur ihrer Tante nach Berlin ziehen. In der 80'er Jahre Deutschland lernt sie nicht nur deutsch und englisch, sondern ihre erste große Liebe kennen. Er ist verheiratet, Familienvater, ihr Englischlehrer und erster Mann mit dem sie schläft. Ein Sommer lang erlebt sie eine leidenschaftliche Liebe. Als er zurück zur seiner Familie geht, ändert sich Liv Marias Leben abrupt. Denn egal wie viel sie durch die Welt reist, ihre Leben führt wie sie will, viel verdient und schläft, mit wem sie will, ihre erste Liebe und dadurch entstandenem Schmerz und Geheimnis wird sie immer und überall begleiten...

Sehr feinfühlig und mit leisen Tönen erzählt die französische Autorin eine Lebensgeschichte, die gleichzeitig faszinierend und verstörend ist. Denn Liv Maria hat bei mir viele verschiedene Gefühle herausgerufen. Einerseits wollte ich sie für immer beschützen, anderseits immer wieder Wachschütteln. Mal bin ich mit ihr gelitten, mal konnte ich ihre Gefühle nicht nachvollziehen. Der Roman wirkte mir wie eine Coming-Of-Age Geschichte und ich habe Liv Maria auf ihrem Lebensweg gern begleitet.

Das Buch wurde von dem französischen Buchhändler unter die fünf besten Bücher 2020 gewählt und meine Meinung nach, hat es auch in Deutschland viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Ein kleines, feines, atmosphärisches Büchlein über Leben und Liebe, welches ich sehr gern gelesen habe.

Bewertung vom 01.07.2021
Der große Wind der Zeit
Sobol, Joshua

Der große Wind der Zeit


sehr gut

Großartige Erzählung

Der israelische Dramatiker Joshua Sobol erzählt in seinem neuen Roman über vier Generationen und 100 Jahre hinweg eine humanistische und kritische Familiengeschichte. Dabei werden nicht nur aus viele Lebensgeschichten berichtet, sondern die Geschichte Israels wie auch des Nahostkonflikts gekonnt in Verbindung gebracht.

Im Mittelpunkt der aschkenasisch-jemenitische Familie Ben-Chaim stehen zwei starke Frauen. Eine davon Offizierin der israelischen Armee und Verhörspezialistin Libby. Nach einer beunruhigenden Begegnung mit einem mutmaßlichen Terroristen nimmt sie sich Auszeit und fährt zu ihrem Großvater Dave der - seit Tagen verschwunden ist - in der Kibbuz. Dort stößt sie auf die Tagebücher ihrer Urgroßmutter Eva und taucht fasziniert beim Lesen in ihr völlig unbekannte Welt ein. Eva Ben-Chaim lässt ihren Mann und Sohn in Kibbuz und reist in den frühen dreißiger nach Berlin, um Tänzerin und Choreografin aufzutreten. Dabei lernt sie viele jungen Nazis, revolutionären Theaterleute und den Dramatiker Bertolt Brecht kennen und geniest ihr Freiheit und pflegt freie Liebe. Sie erlebt, wie die Nazis an die Macht kamen und gerade rechtzeitig bringt sie sich in Sicherheit.

Der Roman ist eine gut gelungene, vor allem sehr vielschichtige israelische Familiensage. In 47 Kapitel und 520 Seiten lang habe ich die Familie Ben-Chain bei all den Höhen und Tiefen begleitet und dabei nicht nur Libby und Eva kennengelernt, sondern gesamte Großfamilie. Sobols Figuren sind lebensnah und facettenreich. Die sind wie Fingern am Hand, gehören zwar zusammen und doch zu sehr verschieden. Man feiert und leidet mit allen aber die Kopfschüttelmomente sind auch nicht wenig. Besonders seine Dialoge waren für mich ein Genuss. Man merkt schnell, dass der Autor langjährige Erfahrung als Theaterregisseur hat.

Mit seiner lebendige aber definitiv nicht einfacher Sprache hat mich Joshua Sobol nach heutigen und damaligen Israel mit genommen. Die Reise war nicht so einfach, viele detailreiche Charaktere/Nebencharaktere haben mein Weg erschwert, doch zum Glück gibt es eine Personenauflistung, die ich immer wieder nachgeschlagen hab.

„Der große Wind der Zeit“ ist ganz sicher kein Schmöker, welche in einem Rutsch lesen lässt. Doch dafür ist es eine sehr authentische, atmosphärische Werk. Wer an israelische Geschichte Interesse hat oder einfach in einer anderen Welt eintauchen möchte, kann ich dieses großartig erzähltes Buch nur ans Herz legen.

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