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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 386 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2024
Tiefsee-Monster
Ralphs, Matt

Tiefsee-Monster


ausgezeichnet

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass mein Mann mir seit ein paar Wochen die Vorlesezeit mit meinem Sohn „stiehlt“? Ich würde ihm auch gerne mal wieder etwas vorlesen, aber die beiden sind ganz in das neue Buch verliebt und vertieft – und irgendwie kann ich das sehr gut verstehen.

TIEFSEE-MONSTER
Matt Ralphs


Man könnte meinen, dass in unserem Zeitalter bereits jedes Land und jedes Gewässer erforscht ist. Schließlich gibt es Kameras, Unterwasserseeboote und diverse technische Hilfsmittel – doch das ist falsch.

Es gibt einen Ort, von dem wir Menschen nicht viel wissen. Dieser liegt im Ozean, unterhalb der Sonnenlichtzone, dem Epipelagial – der oberen, lichtdurchfluteten, von der Sonne erwärmten Schicht, die bis zu 200 Meter in die Tiefe reicht. Darunter geht es 10.000 Meter hinab, und wir teilen diese Tiefe in verschiedene Zonen ein. Hier begegnen wir den ungewöhnlichsten Meeresbewohnern.

Die Zwielichtzone liegt zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe und bietet vielen wunderlichen Lebewesen ein Zuhause, unberührt von Wellengang und Wind. Viele dieser Meeresbewohner leuchten, haben große Fangzähne, riesige Augen und wirken ziemlich gruselig. Die japanische Riesenkrabbe zum Beispiel erreicht eine Spannweite von bis zu 4 Metern, und der Laternenfisch lockt seine Beute mit seinem strahlenden blauen oder grünen Licht an.

In der Mitternachtszone, die sich 1000 bis 4000 Meter unterhalb der Sonnenlichtzone erstreckt, lebt der Fächerflosser. Er hat eine der ungewöhnlichsten Fortpflanzungsmethoden überhaupt: Das deutlich kleinere Männchen beißt sich am Körper des Weibchens fest und verwächst allmählich mit ihm. Es verliert Augen, Kiefer, Flossen und fast alle Organe, bis es nur noch ein Fleischklumpen ist und das Weibchen mit Samen versorgt.

In 4000 bis 6000 Metern Tiefe befindet sich die nächste Zone, das Abyssal. Das völlige Fehlen von Licht bewirkt, dass hier kein pflanzliches Leben gedeihen kann. Nur Meeresbewohner, die sich dem enormen Druck, der Dunkelheit und der Eiskälte angepasst haben, können hier überleben – wie etwa die kolossale Spinne, die die meisten ihrer Organe in den Beinen trägt.

Aber natürlich gibt es in dem Buch noch viel mehr zu entdecken. Wenn ihr wissen wollt, wer noch in den Tiefen schwimmt und welche Meeresbewohner im Graben zwischen 6000 und 11.000 Metern leben, dann lest einfach das Buch.

Was für ein tolles Buch! Nicht nur die Gestaltung mit dem wundervoll geprägten Cover und den liebevollen Illustrationen von Kaley McKean überzeugt auf den ersten Blick, sondern auch alle Fakten lassen die Herzen kleiner Meeresforscher höher schlagen.

Meine Familie kann das Buch kaum mehr aus der Hand legen, und deshalb empfehle ich es für alle Kinder ab 8 Jahren – und für alle, die das spannende, unbekannte Unterwasserreich kennenlernen möchten.
5/5

Bewertung vom 28.10.2024
A wie Ada
Güngör, Dilek

A wie Ada


sehr gut

A WIE ADA
Dilek Güngör

In kurzen, knappen, prägnanten und ungeordneten Kapiteln lernen wir Ada kennen, unsere Protagonistin, die nach Akzeptanz und Anerkennung strebt und dabei versucht, den komplizierten Balanceakt zwischen Angepasstheit und ihrer eigenen Identität zu bewältigen.
Immer wieder fühlt sie sich fremd und unwohl in ihrer Haut, stets setzt sie sich unter Druck, um nicht aufzufallen.
Wir erfahren in minutiösen Sequenzen aus dem Leben Adas: aus der Schulzeit, im Studium, lernen sie als Mutter kennen und erleben sie liebevoll, traurig, zärtlich und verletzt.

„Wer nicht fremd ist, weiß, wie etwas gemacht wird. Es wird so gemacht, wie es gemacht wird, darum weiß ja jeder, was zu tun ist.
Wer nicht fremd ist, weiß schon und kennt schon. Wie der Igel ist er immer schon da, wenn Ada kommt, und sie hat sich so beeilt. Der Igel ist schon da und hat schon und kennt schon und weiß, da gibt es nichts mehr aufzuholen.“ (S. 62)
Dilek Güngör hat hier ein poetisches Porträt geschaffen, das einem literarischen Kaleidoskop gleicht. Es ist ein komplexes biografisches Gewebe einer stolzen Frau.
Wer einen stringenten Handlungsstrang sucht, ist hier falsch, aber ich kann euch das kleine Büchlein mit dem facettenreichen Leben Adas sehr empfehlen.
4/ 5

Bewertung vom 20.10.2024
Ava liebt noch
Zischke, Vera

Ava liebt noch


ausgezeichnet

AVA LIEBT NOCH
Vera Zischke

Die 43-jährige Ava lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem schönen Haus. Ihr Mann betrachtet sich als den „Versorger“ und denkt nicht einmal im Entferntesten daran, Ava bei der Hausarbeit oder der Kindererziehung zu unterstützen. Er lehnt Besuche der anstehenden Kindergarten- und Elternabende ebenso ab wie das Eingehen auf die Probleme seiner pubertierenden Töchter.
Auf der Strecke bleibt dabei vor allem Ava. Sie ist überfordert, müde und hat ihre Grenzen längst erreicht.

„Ich schließe die Augen vor Hilflosigkeit. Ich müsste einfach Ja sagen. Ja, ich finde es hart. Ja, ich schaffe es nicht. Ja, ich will manchmal alles hinwerfen und gehen. Ja, es überwältigt mich. Aber von allen Menschen auf der Welt gehört er zu den vieren, die das niemals verstehen werden.“ (S.195)

Avas Leben verändert sich, als sie den 19 Jahre jüngeren Kieran kennenlernt und eine Affäre mit ihm beginnt. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlt sie sich wieder als Frau, kann ihre eigenen Bedürfnisse ausleben und erlebt Momente des Glücks.

„Zum ersten Mal bekomme ich Angst vor mir selbst. Ich will etwas, was ich nicht haben kann. Und ich will es so sehr, dass ich mich vor dem fürchte, was ich bereit wäre, dafür zu opfern.“ (S.131)

Ob Ava bereit ist, ihre Kinder und ihr bisheriges Leben für diese Liebe zu opfern, müsst ihr selbst herausfinden.

Wow, was für ein Buch!
Ich konnte mich unglaublich gut in Ava hineinversetzen – ich habe mich nach Kieran gesehnt und konnte es kaum erwarten, ihm wieder zu begegnen. Ihre Schmetterlinge im Bauch wurden zu meinen eigenen … später habe ich mit ihr gelitten, ihren Herzschmerz durchlebt, und mein Herz schien fast zu zerbrechen.

Ein großartiger, feinfühliger und tiefgründiger Roman über eine Frau, der „Muttersein“ allein nicht genügt.

„Familie ist hart, Muttersein ist hart. Aber die Wahrheit ist das Härteste: Kinder sind nicht die einzige Erfüllung im Leben einer Frau.“ (S.486)

Fazit:
Für mich ein absolutes Highlight
5+/ 5

Bewertung vom 14.10.2024
Willkommen auf Tuga
Segal, Francesca

Willkommen auf Tuga


ausgezeichnet

WILLKOMMEN AUF TUGA
Francesca Segal

Charlotte Walker verlässt London nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter. Ihr Ziel: die abgelegene Insel Tuga, wo sie ihre Studie über die letzten verbliebenen Goldmünzschildkröten abschließen möchte – eine Art, die es nur dort gibt. Gleichzeitig hofft sie, ihren leiblichen Vater zu finden, einen Mann, den sie nie getroffen hat und über den ihre Mutter eisern schweigt. Charlotte vermutet, dass er auf Tuga lebt.

Charlotte hatte ihrer Mutter nie von dem Stipendium erzählt, das ihr die Reise ermöglicht. Sie wusste, dass ihre Mutter alles andere als erfreut gewesen wäre und ihr jede Unterstützung verweigert hätte – vielleicht hätte sie sogar versucht, Charlotte von der Expedition abzuhalten. Deshalb entschied sie sich, bis zum Tag ihrer Abreise zu schweigen.
Charlotte hatte zudem Glück, so schnell eine Schiffspassage zu ergattern, denn normalerweise wartet man mindestens ein Jahr auf eine Überfahrt mit einem der seltenen Frachtschiffe.

Die Reise war jedoch alles andere als angenehm. Charlotte litt wochenlang unter starker Seekrankheit. Glücklicherweise kümmerte sich ein Mitreisender namens Dan fürsorglich um sie. Dan, ein gebürtiger Tuganer, hatte als Jugendlicher die Insel verlassen, um in England Medizin zu studieren. Nun kehrt er zurück, um seinen Onkel als Inselarzt abzulösen.

Tuga ist anders. Manche würden die Insel als „hinterwäldlerisch“ bezeichnen, doch eigentlich ist hier einfach die Zeit stehen geblieben. Etwa sechzig Menschen leben auf Tuga, und Zuzüge sind äußerst selten. Die Insel ist klein – man kann sich kaum aus dem Weg gehen und läuft sich mehrmals täglich über den Weg.
Die Tuganer empfangen Charlotte freundlich, sehen sie jedoch weniger als Forscherin, sondern eher als dringend benötigte Tierärztin. Warum sich eine Frau ausgerechnet um die Schildkrötenpopulation sorgt, ist ihnen ein Rätsel – schließlich gibt es Schildkröten, um sie zu essen, und sie schmecken bekanntlich gut.

Es ist eine fesselnde Geschichte!
Im Verlauf des Buches trifft Charlotte auf viele unterschiedliche Inselbewohner, die ihr Leben bereichern und verändern. Francesca Segal versteht es mit ihrem bildhaften Schreibstil, jedem Charakter ein Gesicht und eine einzigartige Persönlichkeit zu verleihen. Das gesamte Setting des Buches ist so stimmig, klar und wunderschön gestaltet.
Das Buch handelt von Freundschaft, Liebe, Sorgen und Zusammenhalt. Für mich ist es ein ganz besonderes Werk, das ich mit Begeisterung gelesen habe und kaum aus der Hand legen konnte. Und das Beste: Es ist der Auftakt einer Trilogie! Ich kann es kaum erwarten, bis der zweite Band erscheint.
5/5

Bewertung vom 11.10.2024
Schuld
Schirach, Ferdinand von

Schuld


ausgezeichnet

SCHULD
Ferdinand von Schirach

Die Blaskapelle, bestehend aus neun Männern, spielte beim Volksfest der Kleinstadt. Auf der Bühne saßen sie, ihre Gesichter gepudert mit Perücken auf dem Kopf, ein Glas zu viel in der Hand, während die Sonne heiß vom Himmel brannte. Die ausgelassene Stimmung spiegelte sich in der Menge wider.
Sie wurden von einem jungen Mädchen bedient. Sie trug ein weisses T-Shirt. Als diese versehentlich Bier über ihr Shirt kippte, sahen die Männer ihre Brüste und fielen über sie her. Der Rhythmus der Tanzfläche wurde zu ihrem Rhythmus.
Ein Mitglied der Blaskapelle alarmierte die Polizei anonym. Die Notärzte retteten das Mädchen, verwischten jedoch dabei versehentlich alle Spuren, die für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Bedeutung gewesen wären. Bei einer späteren Gegenüberstellung konnte das Mädchen die Täter nicht identifizieren.

Acht Männer der Blaskapelle waren die Täter, einer ihr Retter. Alle schwiegen. Kann das Gericht alle Männer verurteilen oder muss es alle Männer freisprechen?

Die 15 Geschichten aus dem Leben des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach habe ich mit unterschiedlichsten Emotionen durchlebt. Wut und Fassungslosigkeit dominierten dabei. Im Zentrum stehen Sexualverbrechen, Missbrauch und die schwierige Frage nach Schuld oder Unschuld.
Von Schirachs präziser und nüchterner Schreibstil hat mich erneut überzeugt.
4½ / 5

Bewertung vom 09.10.2024
Tunnel
Krüger, Grit

Tunnel


sehr gut

TUNNEL
Grit Krüger
Sie haben nichts zu essen, und die Heizung ist defekt. Eine Reparatur kann Mascha sich schon lange nicht leisten. Also bauen sie sich in der Wohnung eine Höhle aus Decken und Kissen – dort ist es wenigstens warm.

Was Mascha wirklich bräuchte, ist Arbeit. Oder besser gesagt: 3000 Euro. Dann könnte sie die Heizung reparieren lassen und das Ferienlager für ihre Tochter Tinka bezahlen. Doch das Amt blockiert. „Sie müssen sich bewerben“, sagt die unfreundliche Frau mit monotoner Stimme.

Auch die 7-jährige Tinka hat ihre Sorgen: Sie hat Angst vor dem „Tröster“, der immer Mutter in ihrem „Schlafwohnzimmer“ besucht. Wenn er da ist, pinkelt sie lieber in ihren Legoeimer anstatt auf die Toilette zu gehen.. Außerdem braucht sie dringend neue Turnschuhe. Die alten drücken, doch sie traut sich nicht, ihrer Mama davon zu erzählen. Genauso wenig, wie sie noch immer das Geld für den Klassenausflug benötigt. Die Blicke der anderen Kinder treffen sie jedes Mal, wenn die Lehrerin vor allen wieder erwähnt, dass ihre Zahlung noch aussteht.

Alles könnte sich ändern, als Mascha ein Jobangebot als ungelernte Pflegekraft in einem Seniorenheim erhält. Ob das die Wende bringt, müsst ihr selbst herausfinden.

Ein ergreifendes Buch. Der ungewöhnliche, fast poetische Schreibstil bringt die prekäre Lage der kleinen Familie eindringlich zur Geltung. Die Geschichte wird aus den Perspektiven unterschiedlicher Personen erzählt – Menschen am Rande der Gesellschaft, mit ihren ganz eigenen Sorgen und Nöten.

Was mir weniger zusagte, war die Geschichte des Tunnels. Ich konnte diesen lediglich als Metapher deuten – ein Symbol dafür, dass Mascha und Tomsonov ihrem jetzigen Leben entfliehen wollen.

Fazit:
Ein gelungenes Debüt, das ich mit Interesse gelesen habe.
4/ 5

Bewertung vom 07.10.2024
Der Tanzende
Jestin, Victor

Der Tanzende


ausgezeichnet

DER TANZENDE
Victor Jestin

Ein feinfühliger Coming-of-Age-Roman, in dem Arthur, unser Protagonist, im Mittelpunkt steht:

Schon als Kind war er ein Außenseiter. Nie wurde er zu Geburtstagsfeiern eingeladen, und Freunde hatte er keine. Er dachte, er könne nicht sprechen – zumindest fühlte es sich so für ihn an. Ihm fehlte einfach die Fähigkeit, sinnvolle Sätze zu formen und Fragen zu stellen. Zwar konnte er andere fragen, wie es ihnen geht, aber danach verlor er das Gespür dafür, wie ein richtiges Gespräch zu führen ist.
Diese Unsicherheit begleitete ihn durch sein gesamtes Leben. Mit 25 Jahren hatte er noch immer kein Mädchen geküsst.

Eines Tages besuchte er zum ersten Mal einen Club namens „La Plage“. Anfangs traute er sich nicht, auf die Tanzfläche zu gehen – sein Taktgefühl war genauso wenig ausgeprägt wie seine Small-Talk-Kompetenzen. Doch ein Bekannter, namens Wassim, zeigte ihm, wie er sich bewegen sollte.
Arthur begann zu tanzen und fühlte sich zum ersten Mal im Leben einer Gruppe zugehörig. Menschen nahmen ihn wahr, und sein Selbstbewusstsein wuchs. Von da an besuchte er täglich das „La Plage“. Jahre vergingen und er merkte nicht, wie das Tanzen allmählich sein ganzes Leben bestimmte und das Interesse für andere Dinge schwand.



Ups, da bin ich wieder! Ich war gerade für ein paar Stunden tanzen im Club „La Plage“ – zumindest fühlte es sich so an.

Victor Jestin beschreibt Arthurs Welt so lebendig und eindringlich, dass ich völlig in die Geschichte eintauchen konnte.


Der Autor schickte mich durch ein Wechselbad der Gefühle: Während ich mich zu Beginn noch für Arthur freuen konnte, entwickelte ich im Verlauf des Buches ein gewisses Unverständnis für sein Verhalten und seine Lebenssituation. Vielleicht war es auch mein Mutterinstinkt, der Arthur am liebsten wachrütteln und beschützen wollte.

Ein stimmiges Buch von Anfang bis Ende, das ich euch gerne empfehlen möchte.
4½/ 5

Bewertung vom 02.10.2024
Blue Sisters
Mellors, Coco

Blue Sisters


ausgezeichnet

BLUE SISTERS
Coco Mellors
Unterschiedlicher könnten sie nicht sein, die vier Blue Sisters: Avery, die Vernünftige, Bonnie, die Stoische, Nicky, die Sensible und Lucky, die Schöne.

Nach Nickys unerwartetem Tod versucht jede auf ihre eigene Weise, die Trauer zu bewältigen. Avery sucht Ablenkung, indem sie ihren Partner betrügt, Bonnie bringt sich im Boxring fast um, und Lucky greift zu Drogen, um ihre Schmerzen zu betäuben. Ihre Eltern, die nie wirklich für sie da waren – der Vater war ein Alkoholiker, die Mutter emotional abwesend – spielen keine Rolle in ihrem Trauerprozess. Avery, die älteste Schwester, hatte sich stets um die Jüngeren gekümmert, und jetzt muss sie erneut versuchen, die Familie zusammenzuhalten.

Coco Mellors beschreibt in ihrem Roman auf eindrucksvolle Weise die inneren Kämpfe und die Bindungen zwischen den Schwestern. Sie zeigt, wie Trauer und Vergangenheit sie auseinanderreißen, aber gleichzeitig auch die Stärke ihrer Beziehungen zum Vorschein bringen. Die große Frage bleibt: Können sie sich gegenseitig unterstützen und einen Weg zurück ins Leben finden?

Als großer Fan von Mellors' erstem Roman, Cleopatra & Frankenstein, war ich natürlich gespannt auf ihr neues Buch. Auch wenn der Einstieg etwas holprig war und nicht alle Charaktere sofort bei mir ankamen, hat mich Blue Sisters letztlich gefesselt. Mellors hat die Fähigkeit, lebendige Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen, die auch nach dem Lesen noch nachwirken. Die emotionale Tiefe und die scharfsinnige Beobachtung von familiären Beziehungen machen dieses Buch zu einer bewegenden Lektüre, die man nicht so leicht vergisst.
4½/5

Bewertung vom 25.09.2024
Earhart
Kuhlmann, Torben

Earhart


ausgezeichnet

EARHART - Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus
Torben Kuhlmann
Die kleine Wühlmaus stößt zufällig auf eine Briefmarke mit einem Tierkopf. Zuerst denkt sie, es sei eine riesige Katze, doch der Schrotthändler Humphrey klärt sie auf, dass es sich um einen Löwen handelt.
Eine Großkatze wie diese hat die Wühlmaus noch nie gesehen! Schnell erfährt sie, dass Löwen in Afrika leben. Afrika! Aber wie kommt man dorthin? Kann man sich bis nach Afrika durchwühlen?
Diese Fragen lassen der Wühlmaus keine Ruhe, und so begibt sie sich auf den Weg zum Schrottplatz, in der Hoffnung, dort Antworten auf ihre Fragen zu finden. Doch die Reise ist gefährlich, denn auf dem Weg lauern Gefahren und hungrige Katzen könnten sie erwischen.
Am Ziel angekommen, steht ihr sofort ein riesiger Waschbär gegenüber.
Der Waschbär ist bereit, der Wühlmaus einige Fragen zu beantworten, jedoch nur unter einer Bedingung: Er will sie danach verspeisen...
Ob es die kleine Wühlmaus tatsächlich bis nach Afrika und um die Welt schafft, oder ob sie vorher gefressen wird, das solltet ihr selbst herausfinden!

Was für ein bezauberndes Buch! Die Geschichte und die wunderschönen Illustrationen haben mich absolut verzaubert.

Wer kennt sie nicht – die Bücher von Torben Kuhlmann? Ob Einstein, Edison, Armstrong oder Lindbergh – Kinder lieben seine Werke und verschlingen sie förmlich.
Als ich dieses Buch sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich musste die Geschichte der kleinen Wühlmaus lesen, die einen großen Traum hat und Freunde, die ihr bei der Verwirklichung helfen.

Eine absolute Leseempfehlung für Kinder ab 6 Jahren! Ich bin mir sicher, dass auch Erwachsene dieses Buch lieben werden.
5+/ 5

Bewertung vom 25.09.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

SING, WILDER VOGEL SING
Jacqueline O’Mahony

Doolough, Irland 1849:
Honora war von Geburt an an das Gefühl des Ausgeschlossenseins gewöhnt. Ihr Leben begann unter einem düsteren Vorzeichen – ein Rotkehlchen flog in das Zimmer ihrer Mutter, ein Zeichen des Unglücks. Tragischerweise folgte das Unheil sogleich: Ihre Mutter verstarb bei ihrer Geburt. Von ihrem Vater abgelehnt, wuchs Honora in einer Welt auf, die sie nicht willkommen hieß, von den anderen Kindern übersehen und verachtet.

Später heiratete sie William, doch auch diese Verbindung stand unter keinem glücklichen Stern. Die Hütte, die sie bewohnten, mussten sie aufgeben. Zu dieser Zeit wurde Irland von England verwaltet, und wiederkehrende Missernten führten zu der schlimmsten Hungersnot, die Irland je erlebt hatte.

Ende März sollten britische Beamte in Louisburg mit den betroffenen Iren zusammentreffen, um Hilfe zu leisten. Doch die Bewohner von Honoras Dorf machten sich wegen des starken Regens zu spät auf den langen Weg dorthin. Für die Alten und die bereits ausgehungerten Kinder war die Reise, auf der es stürmte und schneite, unerträglich. Als sie schließlich in Louisburg ankamen, erfuhren sie, dass sich die Beamten bereits ins zehn Meilen entfernte Jagdschloss zurückgezogen hatten. Um die erhoffte Unterstützung zu erhalten, mussten die Dorfleute die beschwerliche Nachtwanderung antreten. Doch die ersehnte Hilfe blieb aus. Fast das gesamte Dorf – 400 Menschen – starb. Keiner von ihnen kehrte je zurück.

Honora überlebte als Einzige. Um vor dem Hungertod zu fliehen, beschloss sie auszuwandern und die gefährliche Reise nach Amerika anzutreten, in der Hoffnung, dort Nahrung und Freiheit zu finden. Doch auch in New York war das Schicksal ihr nicht gnädig. Als Dienstmädchen ausgebeutet und nicht bezahlt, träumte sie von einem Neuanfang im Westen, in der weiten Prärie. Ob sie jedoch den Fluch des Rotkehlchens abschütteln kann, müsst ihr selber herausfinden.

Eindrucksvoll und tiefgründig verwebt O'Mahony die historische Tragödie von Doolough mit der fiktiven, aber kraftvollen Figur der Honora. Ihre Darstellung des großen Hungers, der Irland in jener Zeit heimsuchte, ist erschütternd und authentisch. Besonders beeindruckend ist die Verbindung zur Geschichte der indigenen Völker Amerikas:

Ein Dialog zwischen Joseph, einem indigenen Amerikaner, und der irischen Honora:
„Warum habt ihr nichts zu essen in eurem Land?“„Es kamen fremde Menschen aus einem anderen Land, sie nahmen uns das gute Land weg, und der Rest war kein gutes Land. Es gab Missernten, es gab nichts zu essen, und dann hungerten wir.“ Die Dinge hörten sich so leicht an, wenn man sie in Worte fasste. Joseph wandte den Blick von ihr ab in die dunkle Nacht. „Diese Menschen behaupten, wir seien Tiere, Wilde, nicht einmal Menschen, fuhr sie fort. (S. 327)
Im letzten Drittel der Geschichte gab es für mich eine kleine Länge, und der Plot konnte mich nicht vollends überzeugen. Dennoch schmälert dies nicht die Bedeutung und Dringlichkeit der Erzählung. Die Tragödie von Doolough muss erzählt werden, alleine schon, weil die britischen Beamten für ihre Inkompetenz nie zur Verantwortung gezogen wurden.

Fazit:
Ein großartiges, tiefgründiges Buch, das ich euch gerne empfehlen möchte.
4/½ / 5