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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 380 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2024
Der Tanzende
Jestin, Victor

Der Tanzende


ausgezeichnet

DER TANZENDE
Victor Jestin

Ein feinfühliger Coming-of-Age-Roman, in dem Arthur, unser Protagonist, im Mittelpunkt steht:

Schon als Kind war er ein Außenseiter. Nie wurde er zu Geburtstagsfeiern eingeladen, und Freunde hatte er keine. Er dachte, er könne nicht sprechen – zumindest fühlte es sich so für ihn an. Ihm fehlte einfach die Fähigkeit, sinnvolle Sätze zu formen und Fragen zu stellen. Zwar konnte er andere fragen, wie es ihnen geht, aber danach verlor er das Gespür dafür, wie ein richtiges Gespräch zu führen ist.
Diese Unsicherheit begleitete ihn durch sein gesamtes Leben. Mit 25 Jahren hatte er noch immer kein Mädchen geküsst.

Eines Tages besuchte er zum ersten Mal einen Club namens „La Plage“. Anfangs traute er sich nicht, auf die Tanzfläche zu gehen – sein Taktgefühl war genauso wenig ausgeprägt wie seine Small-Talk-Kompetenzen. Doch ein Bekannter, namens Wassim, zeigte ihm, wie er sich bewegen sollte.
Arthur begann zu tanzen und fühlte sich zum ersten Mal im Leben einer Gruppe zugehörig. Menschen nahmen ihn wahr, und sein Selbstbewusstsein wuchs. Von da an besuchte er täglich das „La Plage“. Jahre vergingen und er merkte nicht, wie das Tanzen allmählich sein ganzes Leben bestimmte und das Interesse für andere Dinge schwand.



Ups, da bin ich wieder! Ich war gerade für ein paar Stunden tanzen im Club „La Plage“ – zumindest fühlte es sich so an.

Victor Jestin beschreibt Arthurs Welt so lebendig und eindringlich, dass ich völlig in die Geschichte eintauchen konnte.


Der Autor schickte mich durch ein Wechselbad der Gefühle: Während ich mich zu Beginn noch für Arthur freuen konnte, entwickelte ich im Verlauf des Buches ein gewisses Unverständnis für sein Verhalten und seine Lebenssituation. Vielleicht war es auch mein Mutterinstinkt, der Arthur am liebsten wachrütteln und beschützen wollte.

Ein stimmiges Buch von Anfang bis Ende, das ich euch gerne empfehlen möchte.
4½/ 5

Bewertung vom 02.10.2024
Blue Sisters
Mellors, Coco

Blue Sisters


ausgezeichnet

BLUE SISTERS
Coco Mellors
Unterschiedlicher könnten sie nicht sein, die vier Blue Sisters: Avery, die Vernünftige, Bonnie, die Stoische, Nicky, die Sensible und Lucky, die Schöne.

Nach Nickys unerwartetem Tod versucht jede auf ihre eigene Weise, die Trauer zu bewältigen. Avery sucht Ablenkung, indem sie ihren Partner betrügt, Bonnie bringt sich im Boxring fast um, und Lucky greift zu Drogen, um ihre Schmerzen zu betäuben. Ihre Eltern, die nie wirklich für sie da waren – der Vater war ein Alkoholiker, die Mutter emotional abwesend – spielen keine Rolle in ihrem Trauerprozess. Avery, die älteste Schwester, hatte sich stets um die Jüngeren gekümmert, und jetzt muss sie erneut versuchen, die Familie zusammenzuhalten.

Coco Mellors beschreibt in ihrem Roman auf eindrucksvolle Weise die inneren Kämpfe und die Bindungen zwischen den Schwestern. Sie zeigt, wie Trauer und Vergangenheit sie auseinanderreißen, aber gleichzeitig auch die Stärke ihrer Beziehungen zum Vorschein bringen. Die große Frage bleibt: Können sie sich gegenseitig unterstützen und einen Weg zurück ins Leben finden?

Als großer Fan von Mellors' erstem Roman, Cleopatra & Frankenstein, war ich natürlich gespannt auf ihr neues Buch. Auch wenn der Einstieg etwas holprig war und nicht alle Charaktere sofort bei mir ankamen, hat mich Blue Sisters letztlich gefesselt. Mellors hat die Fähigkeit, lebendige Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen, die auch nach dem Lesen noch nachwirken. Die emotionale Tiefe und die scharfsinnige Beobachtung von familiären Beziehungen machen dieses Buch zu einer bewegenden Lektüre, die man nicht so leicht vergisst.
4½/5

Bewertung vom 25.09.2024
Earhart
Kuhlmann, Torben

Earhart


ausgezeichnet

EARHART - Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus
Torben Kuhlmann
Die kleine Wühlmaus stößt zufällig auf eine Briefmarke mit einem Tierkopf. Zuerst denkt sie, es sei eine riesige Katze, doch der Schrotthändler Humphrey klärt sie auf, dass es sich um einen Löwen handelt.
Eine Großkatze wie diese hat die Wühlmaus noch nie gesehen! Schnell erfährt sie, dass Löwen in Afrika leben. Afrika! Aber wie kommt man dorthin? Kann man sich bis nach Afrika durchwühlen?
Diese Fragen lassen der Wühlmaus keine Ruhe, und so begibt sie sich auf den Weg zum Schrottplatz, in der Hoffnung, dort Antworten auf ihre Fragen zu finden. Doch die Reise ist gefährlich, denn auf dem Weg lauern Gefahren und hungrige Katzen könnten sie erwischen.
Am Ziel angekommen, steht ihr sofort ein riesiger Waschbär gegenüber.
Der Waschbär ist bereit, der Wühlmaus einige Fragen zu beantworten, jedoch nur unter einer Bedingung: Er will sie danach verspeisen...
Ob es die kleine Wühlmaus tatsächlich bis nach Afrika und um die Welt schafft, oder ob sie vorher gefressen wird, das solltet ihr selbst herausfinden!

Was für ein bezauberndes Buch! Die Geschichte und die wunderschönen Illustrationen haben mich absolut verzaubert.

Wer kennt sie nicht – die Bücher von Torben Kuhlmann? Ob Einstein, Edison, Armstrong oder Lindbergh – Kinder lieben seine Werke und verschlingen sie förmlich.
Als ich dieses Buch sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich musste die Geschichte der kleinen Wühlmaus lesen, die einen großen Traum hat und Freunde, die ihr bei der Verwirklichung helfen.

Eine absolute Leseempfehlung für Kinder ab 6 Jahren! Ich bin mir sicher, dass auch Erwachsene dieses Buch lieben werden.
5+/ 5

Bewertung vom 25.09.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

SING, WILDER VOGEL SING
Jacqueline O’Mahony

Doolough, Irland 1849:
Honora war von Geburt an an das Gefühl des Ausgeschlossenseins gewöhnt. Ihr Leben begann unter einem düsteren Vorzeichen – ein Rotkehlchen flog in das Zimmer ihrer Mutter, ein Zeichen des Unglücks. Tragischerweise folgte das Unheil sogleich: Ihre Mutter verstarb bei ihrer Geburt. Von ihrem Vater abgelehnt, wuchs Honora in einer Welt auf, die sie nicht willkommen hieß, von den anderen Kindern übersehen und verachtet.

Später heiratete sie William, doch auch diese Verbindung stand unter keinem glücklichen Stern. Die Hütte, die sie bewohnten, mussten sie aufgeben. Zu dieser Zeit wurde Irland von England verwaltet, und wiederkehrende Missernten führten zu der schlimmsten Hungersnot, die Irland je erlebt hatte.

Ende März sollten britische Beamte in Louisburg mit den betroffenen Iren zusammentreffen, um Hilfe zu leisten. Doch die Bewohner von Honoras Dorf machten sich wegen des starken Regens zu spät auf den langen Weg dorthin. Für die Alten und die bereits ausgehungerten Kinder war die Reise, auf der es stürmte und schneite, unerträglich. Als sie schließlich in Louisburg ankamen, erfuhren sie, dass sich die Beamten bereits ins zehn Meilen entfernte Jagdschloss zurückgezogen hatten. Um die erhoffte Unterstützung zu erhalten, mussten die Dorfleute die beschwerliche Nachtwanderung antreten. Doch die ersehnte Hilfe blieb aus. Fast das gesamte Dorf – 400 Menschen – starb. Keiner von ihnen kehrte je zurück.

Honora überlebte als Einzige. Um vor dem Hungertod zu fliehen, beschloss sie auszuwandern und die gefährliche Reise nach Amerika anzutreten, in der Hoffnung, dort Nahrung und Freiheit zu finden. Doch auch in New York war das Schicksal ihr nicht gnädig. Als Dienstmädchen ausgebeutet und nicht bezahlt, träumte sie von einem Neuanfang im Westen, in der weiten Prärie. Ob sie jedoch den Fluch des Rotkehlchens abschütteln kann, müsst ihr selber herausfinden.

Eindrucksvoll und tiefgründig verwebt O'Mahony die historische Tragödie von Doolough mit der fiktiven, aber kraftvollen Figur der Honora. Ihre Darstellung des großen Hungers, der Irland in jener Zeit heimsuchte, ist erschütternd und authentisch. Besonders beeindruckend ist die Verbindung zur Geschichte der indigenen Völker Amerikas:

Ein Dialog zwischen Joseph, einem indigenen Amerikaner, und der irischen Honora:
„Warum habt ihr nichts zu essen in eurem Land?“„Es kamen fremde Menschen aus einem anderen Land, sie nahmen uns das gute Land weg, und der Rest war kein gutes Land. Es gab Missernten, es gab nichts zu essen, und dann hungerten wir.“ Die Dinge hörten sich so leicht an, wenn man sie in Worte fasste. Joseph wandte den Blick von ihr ab in die dunkle Nacht. „Diese Menschen behaupten, wir seien Tiere, Wilde, nicht einmal Menschen, fuhr sie fort. (S. 327)
Im letzten Drittel der Geschichte gab es für mich eine kleine Länge, und der Plot konnte mich nicht vollends überzeugen. Dennoch schmälert dies nicht die Bedeutung und Dringlichkeit der Erzählung. Die Tragödie von Doolough muss erzählt werden, alleine schon, weil die britischen Beamten für ihre Inkompetenz nie zur Verantwortung gezogen wurden.

Fazit:
Ein großartiges, tiefgründiges Buch, das ich euch gerne empfehlen möchte.
4/½ / 5

Bewertung vom 24.09.2024
Zwei Leben
Arenz, Ewald

Zwei Leben


sehr gut

ZWEI LEBEN
Ewald Arenz

1971:

Die junge Roberta kehrt nach ihrer Ausbildung als Schneiderin zurück auf den elterlichen Hof im kleinen Dorf Salach. Eigentlich träumte sie davon, als Schneiderin zu arbeiten, doch in der Fabrik, wo täglich nur Kittel und immer gleiche Schnitte gefertigt wurden, konnte sie sich nicht weiterentwickeln. Zudem ist sie das einzige Kind ihrer Eltern und fühlt sich verpflichtet, den Hof eines Tages zu übernehmen. Dass sie überhaupt eine Lehre machen durfte, war schon ein großes Zugeständnis ihres Vaters.

Zurück auf dem Hof begegnet sie Wilhelm, dem Sohn des Pfarrers, wieder. Seit ihrer Kindheit sind sie befreundet, und gemeinsam mit Wolfgang haben sie viele Nachmittage verbracht. Doch irgendetwas hat sich verändert. Es knistert zwischen ihnen, und die Schmetterlinge in ihrem Bauch lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Schließlich verlieben sich die beiden ineinander.

Gertrud, die Frau des Pfarrers, fühlt sich schon lange fremd im Dorf Salach. Ihr Sohn steht kurz vor dem Erwachsenenalter und wird nach seinem Zivildienst studieren. Ihr Mann hatte ihr damals versprochen, nur für ein paar Jahre die Pfarrei in dem kleinen Dorf zu leiten. Danach wollten sie in die Stadt ziehen, doch aus den Jahren wurde gefühlt ein ganzes Leben. Während er in seiner eigenen Welt lebt und das Dorf genießt, bleibt ihr Unglück unbemerkt. Als sie die Chance erhält, ihren Bruder auf einer zweimonatigen Tagungsreise durch Europa zu begleiten, nutzt sie die Gelegenheit, um dem Dorf endlich zu entfliehen.

Wie diese beiden Schicksale miteinander verwoben sind und wie es weitergeht, müsst ihr allerdings selbst herausfinden.

Alle Bücher von Ewald Arenz kenne ich, und „Alte Sorten“ war für mich ein absolutes Highlight. Als ich hörte, dass auch dieses Buch wieder einen Hof als Schauplatz hat, war ich völlig begeistert. Dann wurde es mir sogar als sein bestes Werk angekündigt, und meine Erwartungen waren entsprechend hoch – vielleicht zu hoch. Denn die ersten zwei Drittel plätscherten für mich nur so dahin. Die Naturbeschreibungen sind zwar wunderschön und authentisch, aber nichts wirklich Neues. Erst das letzte Drittel konnte mich richtig fesseln. Es war so berührend, tiefgründig und intensiv, dass ich das Buch (und die Taschentücher) nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass es ein gutes Buch ist. Das Ende hat mich versöhnt, der Schreibstil ist – wie immer bei Arenz – authentisch und lebendig. Er schafft es, einem das Gefühl zu geben, einen langen, heißen Sommer inmitten der schönsten Natur erlebt zu haben. Außerdem gab es kleine Flashbacks, die mich daran erinnerten, dass die Zeit vergeht. Wer von euch erinnert sich noch an die alte Ariel-Trommel, in der man früher Dinge aufbewahrte?
4-/ 5

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.09.2024
Die kleine Strandkrabbe und der Zauber der Nacht (eBook, ePUB)
Tresp-Welte, Antje; Denno, Norbert

Die kleine Strandkrabbe und der Zauber der Nacht (eBook, ePUB)


sehr gut

warten.

Eine kleine Strandkrabbe, die sich verirrt hat und zufällig vorbeikrabbelt, staunt nicht schlecht über diese bunte Tierversammlung. Neugierig klettert sie auf einen Pfahl, um das Geschehen aus sicherer Höhe zu beobachten.

Dann beginnt Frau Nacht ihre magische Show: Mit einem Schnippen ihrer Finger hüllt sie die Welt in Dunkelheit. Zuerst versinken die Dünen im Schatten, dann verlöschen die Lichter in den Häusern, und schließlich taucht auch der Wasserturm in die tiefe Nacht. Nun liegt die ganze Insel still und dunkel da.

Die kleine Krabbe, fasziniert von diesem Spektakel, klettert hastig von ihrem Pfahl hinunter, um noch näher dran zu sein. Sie bemerkt dabei gar nicht, wie gefährlich nah sie den Tieren gekommen ist, die sie vielleicht sogar zum Fressen gern hätten.

Doch die Magie von Frau Nacht hält sie in ihrem Bann: Jetzt jongliert sie geschickt mit den Sternen am Himmel. Die Krabbe kann einfach nicht weggucken.

Wer glaubt, dass die Abenteuer mit Frau Nacht hier enden, täuscht sich – die Nacht ist lang, und wie das Spiel mit dem Mond funktioniert, müsst ihr selbst entdecken.

Eine liebevoll erzählte Geschichte für Kinder zwischen 3 und 5 Jahren, ideal für eine Gute-Nacht-Geschichte. Wunderschön illustriert von Norbert Denno.

Bewertung vom 18.09.2024
Junge aus West-Berlin / Kat Menschiks Lieblingsbücher Bd.18
Leo, Maxim;Menschik, Kat

Junge aus West-Berlin / Kat Menschiks Lieblingsbücher Bd.18


ausgezeichnet

JUNGE AUS WEST-BERLIN
Maxim Leo,
wunderschön Illustriert von Kat Menschik (Band 18 der Lieblingsbuchreihe)

Marc, ein Junge aus Süddeutschland, fühlt sich unsichtbar. Er ist ein schlaksiger Teenager, den die Mädchen weder anschauen noch wahrnehmen.
Alles änderte sich auf einer Klassenfahrt nach Ostberlin: Er verlor seine Gruppe und stand plötzlich allein auf dem belebten Alexanderplatz. Da sprach ihn ein Mädchen an und fragte, ob sie ihm helfen könne … Er konnte es kaum fassen – zum ersten Mal fühlte er sich gesehen. Und das auch noch von einem Mädchen!
Jahre später, nach dem Ende seiner Schulzeit, zieht Marc nach Westberlin und beginnt dort ein Studium. Doch seine wahre Leidenschaft entfaltet sich an den Wochenenden, wenn er nach Ostberlin reist, neue Freunde findet, auf Partys geht und das erste Mal das Gefühl hat, irgendwo wirklich dazu zu gehören. Sein abgebrochenes Studium und seinen Job als Stuhltransporteur verschweigt er jedoch. Stattdessen erfindet er eine glanzvolle Karriere in der Medienbranche und versorgt seine Freunde mit begehrten Westwaren wie Kassetten, Schallplatten und Büchern.

Als er Nele begegnet, steht sein Leben Kopf. Sie verlieben sich, streifen über die Dächer Ostberlins und verbringen magische Stunden in einem verlassenen Schloss. Doch Marc wird von der Lüge über seinen Job immer mehr eingeholt. Nele hält ihn für einen erfolgreichen Medienmogul, und der Moment, ihr die Wahrheit zu sagen, verstreicht immer weiter. Mit den wachsenden politischen Unruhen und den Demonstrationen im Sommer 1989 scheint Marc der Einzige zu sein, der den Mauerfall nicht herbeisehnt…

Was für eine großartige Geschichte! Maxim Leo und Kat Menschik, beide in Ostberlin aufgewachsen, weben hier eine Coming-of-Age-Erzählung, die zutiefst berührt. Obwohl sie damals nur wenige Straßen voneinander entfernt lebten und ihre Freundeskreise sich teils überschnitten, sind sich die beiden Autoren nie begegnet – eine faszinierende Parallele zur Handlung des Buches.

Dies ist bereits mein drittes Buch von Maxim Leo, und erneut bin ich von seinem Talent begeistert. Diese wichtige Geschichte, die mir am Ende das Herz gebrochen hat, gehört als Klassensatz in die Oberstufe und als Schmuckstück in jedes Bücherregal. Die wunderschöne Aufmachung mit dem pinken Farbschnitt macht es zu einem echten Hingucker.

Herzlichen Dank für die vielen kleinen Flashbacks.
5/5

Bewertung vom 16.09.2024
Ein letztes Geschenk
Henkel, Calla

Ein letztes Geschenk


ausgezeichnet

EIN LETZTES GESCHENK
Calla Henkel

Die Künstlerin und Buchbinderin Esther Ray könnte nicht glücklicher sein: an ihrer Seite hat sie eine wunderbare Partnerin, sie leben in einem traumhaften Haus am See mit einer umgebauten Scheune, die sie als Atelier nutzen. Gemeinsam haben sie entschieden, sich ihren Wunsch von einem Baby in einer Kinderwunschklinik zu erfüllen – und das kurzfristig.

Am Tag des Besuches einer Vernissage, begegnet sie Naomi Duncan. Diese bietet ihr an, ein umfangreiches Familienalbum als Geburtstagsgeschenk für ihren Mann zu gestalten. Esther lehnt höflich ab, doch als sie später nach Hause kommt und erfährt, dass ihr Leben nicht wie geplant verlaufen wird, sieht sie sich gezwungen, das Angebot aus finanziellen Gründen wiedererwartend anzunehmen.

Schon bald trifft eine Lieferung von über 200 Kisten bei ihr ein, gefüllt mit Fotos, Erinnerungsstücken, Quittungen und Kontoauszügen. Der Umfang des Auftrags wird ihr plötzlich bewusst. Zudem muss sie eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben und darf Naomi nur über ein spezielles Handy kontaktieren.

Als Esther mit der Arbeit beginnt und Buchseite um Buchseite klebt, fällt es ihr zunehmend schwer, Distanz zu den Duncans zu wahren. Als einige Unstimmigkeiten auftauchen, steigert sich ihre Neugier, und sie ist überzeugt, einem Geheimnis auf der Spur zu sein. Als Naomi bei einem Skiunfall tödlich verunglückt, wird Esthers Besessenheit noch größer ...

Was für ein großartiges Buch! Schon auf den ersten Seiten hat mich die lebendige Geschichte in ihren Bann gezogen. Es war so spannend, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen. Endlich mal wieder etwas völlig anderes, erfrischend und verrückt zugleich. Das Ende hatte ein paar Längen, doch das mindert keineswegs die Qualität der Story. Der Schreibstil ist locker, humorvoll und gibt der Inszenierung den letzten Schliff. Gerne empfehle ich dieses Buch weiter.
5/ 5

Bewertung vom 13.09.2024
Verlassene Nester
Hempel, Patricia

Verlassene Nester


sehr gut

VERLASSENE NESTER
Patricia Hempel
Sommer 1992, Elbe-Grenzgebiet:

Der 13-jährigen Pilly stehen lange Sommerferien bevor. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden wird sie nicht in den Urlaub fahren. Ihr Vater verbringt die Nachmittage in der Dorfkneipe – nur jeden zweiten Mittwoch kocht er für sie ein Mittagessen. Von Pillys Mutter fehlt jede Spur, vermutlich hat sie sich über die Grenze abgesetzt, um dem tristen Grau des Wohnkomplexes zwischen Kaserne und stillgelegtem Betonwerk zu entkommen.

Aus Langeweile fühlt sie sich zu zwei älteren Mädchen hingezogen, die ein altes Betonrohr auf einem Spielplatz als ihren Rückzugsort nutzen. Zunächst darf sie der „Hund“ der Mädchen sein, später wird sie hier ihre erste Zigarette rauchen.

Der einzige Halt, den Pilly erhält, kommt von ihren zwei lieben Tanten, den Schwestern ihrer Mutter. Diese versuchen jedoch gerade, auf der Welle mitzusurfen, die der Mauerfall mit sich gebracht hat, und probieren, ihre kleine Immobilie – die Fischbude am See mit der schlechten Wasserqualität – an die „gierigen“ Wessis zu verkaufen.

Und dann ist da noch Frau Klinge, die ehemalige Lehrerin ihres Vaters, die immer ein offenes Ohr für Pilly hat und gemeinsam mit ihr die Hausaufgaben macht. Dass diese ältere Dame ein Geheimnis hütet, weiß Pilly nicht.

In einer eindringlichen, leicht verwobenen und distanzierten Sprache schildert die Autorin das Leben und die Atmosphäre unmittelbar nach dem Mauerfall. Es ist eine Suche nach Identität und einer neuen Zukunft, da die Menschen nach der Wiedervereinigung in einer trostlosen Existenz ohne Arbeit und Perspektiven zurückblieben.

Berührt hat mich Pilly, die die Demütigungen der sogenannten Freundinnen über sich ergehen ließ, nur um Anschluss zu finden. Das Ende hat mir mein Herz gebrochen.
3½/ 5

Bewertung vom 11.09.2024
Leonard und Paul (MP3-Download)
Hession, Rónán

Leonard und Paul (MP3-Download)


gut

LEONARD UND PAUL
Rónán Hession

Leonards Mutter ist vor Kurzem verstorben und der Verlust lastet schwer auf ihm, da sie für ihn sowohl Familie als auch seine engste Freundin war. Bis zu ihrem Tod lebte er mit ihr zusammen, und es genügte ihm, die Abende und Wochenenden in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Leonard arbeitet tagsüber als Ghostwriter und verfasst Kinder-Enzyklopädien, doch auch bei der Arbeit hat er kaum Kontakt zu seinen Kollegen. Sein einziger Freund ist Paul, der ebenfalls noch bei seinen pensionierten Eltern lebt und von ihnen finanziell unterstützt wird. Paul arbeitet nur zweimal im Monat als Aushilfsbriefträger.

Das große Highlight der beiden Männer besteht darin, sich am Wochenende zu treffen und gemeinsam Gesellschaftsspiele zu spielen. Die langen Gesprächspausen, die dabei entstehen, stören sie nicht. Ausgehen, Partys oder Reisen sind für die beiden Männer unwichtig. Zwar sind sie dem weiblichen Geschlecht gegenüber nicht abgeneigt, doch ein Kuss oder ein intimerer Kontakt hat sich in ihrem Leben noch nie ergeben.

Ihr ruhiges Leben gerät ins Wanken, als Leonard eine Kollegin mit Kind kennenlernt und Pauls Schwester Grace ihrem Bruder kurz vor ihrer eigenen Hochzeit eindringlich ins Gewissen redet, damit er endlich Verantwortung für sein Leben übernimmt.

Ein weiterer Handlungsstrang dreht sich um die Vorbereitung von Graces Hochzeit und ihre liebevollen Eltern, Helen und Peter, die wegen ihres erwachsenen Sohnes Paul auf eigene Aktivitäten wie Reisen und Ausflüge verzichten, da sie ihn nicht allein lassen möchten.

Unsere Protagonisten sind sanftmütige ‚Nerds‘ – freundlich zu jedem und äußerst gut erzogen. Das Wort ‚sanftmütig‘ taucht in der Geschichte selbst auf, und genau so habe ich das Buch auch empfunden: sanftmütig, nett. Dem Sprecher des Hörbuchs, Florenz Schmidt, habe ich gerne zugehört, doch frage ich mich, wie Protagonisten ohne Ecken und Kanten einer Geschichte Spannung oder Pepp verleihen können?
Insgesamt war es für mich ein ruhiges, unaufgeregtes Wohlfühlbuch, das vielleicht für den einen oder anderen noch ein paar Tipps für die möglicherweise anstehende Hochzeit bereithält, denn die Hochzeitsplanung und viele andere Details wurden minutiös ausgearbeitet.

Fazit:

Eine sanftmütige Geschichte. Ein Lesetipp für alle, die mal eine Pause von den vielen toxischen Beziehungsgeschichten und traurigen Büchern brauchen.
3/ 5