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LichtundSchatten

Bewertungen

Insgesamt 241 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2024
Erfahrungen für die Zukunft
Erhard, Ludwig

Erfahrungen für die Zukunft


ausgezeichnet

Ludwig Erhard war von 1949 bis 1963 Bundesminister für Wirtschaft und von 1963 bis 1966 der zweite Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Ganz wesentlich ist also das Wirtschaftswunder zurecht auf ihn zurückzuführen.

Dieser Satz hat sich bei mir eingeprägt: „Die CDU/CSU hat 20 Jahre lang in der Bundesrepublik Deutschland regiert, die SPD/FDP hat von 1969 an Macht ausgeübt.“ Sein Blick zurück vermittelt vor allem auch die Strategie der SPD, deren ausschweifende Macht in diesen Tagen wohl zu Ende geht.
Ludwig Erhard vermittelt in dieser Biografie eine Vorstellung von der Ablösung der Regierung Adenauer zu seiner Art, ein Land zu führen. Erhard unterstellt Adenauer für die Verwirklichung seiner Ideen (nicht für ihre demokratische Legitimation) Wertmaßstäbe, die zwischen Pragmatismus und Machiavellismus zu orten waren. Ein OB-Schlitzohr also aus Köln, mit allen politischen Raffinessen und Wassern gewaschen.

Man kann sich vorstellen, wie es zwischen diesen beiden Erfolgsmenschen knirschte, und doch scheint Adenauer klug genug gewesen zu sein, seinem Wirtschaftsminister freie Hand zu lassen. Erhard setzte Entscheidungen geräuschloser durch, „ohne dafür den ganzen Pomp einer aufgeblasenen Propaganda zu bemühen.“ Unter Erhard hatte das Kanzleramt 191 Beamte und Angestellte, mit Brandt und Schmidt wuchs diese Zahl um das Doppelte. Heute beschäftigt das Kanzleramt 900 Mitarbeiter, seit 2012 ist die Zahl der Mitarbeiter in der Regierung, also allen Ministerien, seit 2012 um 84 % gestiegen: Mehr als 30.000 Angestellte und Beamte arbeiten derzeit in den Bundesministerien und im Kanzleramt. 

Die Kritik von Erhard an Adenauer ist leise und muss vor diesem Hintergrund gesehen werden: man unterstellte Erhard damals, dass er die Macht eines Kanzlers nicht voll ausgenutzt hätte. Erhard aber sieht sich als Regierenden, nicht als Machtmenschen, vielmehr als jemand, der kluge Kompromisse sucht, um der Wirtschaft das zu ermöglichen, was sie benötigt: Freiheit in Eigenverantwortung.

„Am 15. Juli 1949 verabschiedete die CDU ihre Düsseldorfer Leitsätze, die in ihren wesentlichen Zügen das von mir vertretene Programm der Sozialen Marktwirtschaft umfassten.“ Erhard kappt hier sämtliche noch vorhandenen Bezüge zum Sozialismus, obwohl die Sozialpolitiker innerhalb der CDU hier später immer wieder Widerspruch anmeldeten.

Erhard war anfänglich parteilos und wurde von der Bevölkerung zu Beginn höher als Adenauer geschätzt. Die CDU warb zu Beginn mit dem Slogan: „Wenn Prof. Erhard der CDU sein Vertrauen schenkt, können auch Sie das tun.“

Die Ära Adenauer war auch eine Ära Erhard, sagte Strauß später und er hat völlig recht. Adenauer hatte damals allerdings nicht die Größe, den Könner Erhard ganz anzuerkennen. Er wollte ihn mit Macht als Nachfolger verhindern. Erhard sagt dazu in dieser Biografie über die Einstellung von Adenauer: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“

Die Sätze Erhards zielen bis in unsere heutige Zeit: „Die Sozialisten in SPD und FDP, bestärkt durch wirklichkeitsfremde Rigoristen, verfassungsfeindliche Radikale und anpasserische Mitläufer, haben mit ihrer massiven Anitautoritäts-Propaganda eine Bewegung in Gang gesetzt, der am Ende nur noch mit härtesten Machtmitteln gesteuert werden könnte.“

Es lohnt sich wirklich, Erhard in seinen eigenen Worten aufzulesen: klug, nicht wettschweifend, auf Lösungen konzentriert, leise, effektiv.

Bewertung vom 14.08.2024
Im Gespräch
Knipp, Kersten

Im Gespräch


gut

Gespräche, Wortwechsel, Austausch, Informationen … wir alle sprechen mit anderen, geben etwas und ziehen Gewinn aus Gesprächen. Mir gefallen monothematische philosophische Betrachtungen und mit diesem Buch bin ich tief eingetaucht in Gedanken, die wirklich bewegen, die in mir Selbst- und Streitgespräche ausgelöst haben. Mehr kann ein Buch nicht erreichen.

Welche Gespräche bei mir sind geblieben/bleiben und warum versanden die meisten in einer einseitigen Erzählweise? Menschen scheinen heute wenig Austausch zu haben, bei einer Begegnung erfährt man oft leider nur die andere Seite, monologisierend, mit unzähligen Wiederholungen gespickt. Mit der Frage, warum das so ist, bin ich an diesen Buch herangetreten bzw. haben eine Antwort erhofft.

„Die meisten Dialoge sind von eher überschaubarer Bedeutung, es muss nichts Bedeutsames aus ihnen erwachsen.“ Mit diesem Hinweis ist man beim Lesen zunächst einigermaßen beruhigt. Vielleicht auch enttäuscht, weil Dialogen wenig allgemeingültige Wirkkraft zugetraut wird.

Leben heißt Sprechen und Austauschen, immer wieder die Entdeckung, dass der andere Dinge ganz anders und aus Perspektiven sieht, die einem fremd bleiben. Und wie einfach Sprache die Adressaten durch Wiederholung verändert und totalitäre Denkweisen auf andere übergehen, auch Hass - es wird im Kapitel Das Schweigen zum Tode deutlich. Der unvermeidliche Kafka und das Dritte Reich werden angeführt.

Sprache besteht nicht nur aus Worten, sondern mündet z.B. in der Liebe zu Wortküssen, Gesten und Andeutungen, die Worte begleiten, verstärken und stimmungsvoll verändern, ein Konglomerat der Vieldeutigkeiten und Annäherungen, erlebbar vor allem in der Jugendzeit.

In Gesprächen abseits der Liebe, wenn es ums Urteilen geht, sollte man einiges aushalten lernen und Knigge hat noch immer völlig recht: „Lerne Widerspruch ertragen…sei nicht kindisch eingenommen von Deinen Meinungen.“ Alles wirkliche Leben ist Begegnung, sagte Buber und diese Begegnungen können auch in Büchern stattfinden, im einsamen Auf-lesen der Gedanken eines anderen. Dieser Aspekt hat mir gefehlt in diesem Buch, ebenso die eingangs geäußerte Hoffnung, eine Erklärung dafür zu bekommen, warum Gespräche meist Monologe bleiben. Zudem auch bei intelligentesten Personen die immer wieder feststellbare Tendenz, alles immer und immer wieder zu wiederholen, mir/uns immer das Gleiche zu erzählen.

Sich durch den Klang einer Sprache zu einem ganzen Studium bringen zu lassen, wie der Autor (Romanisch, Arabisch), es ist mir völlig fremd, sich so motivieren zu wollen. Deutsch ist die ausdrucksfähigste Sprache und das davon abgeleitete Englisch reicht mir schon, um zu erkennen, dass ich eine andere Sprache niemals verstehen werde, ein Leben reicht dafür nicht aus. „Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich auf Deutschland leider beschränkt.“ Bismarck hat auch heute noch völlig recht und gefährlich wird es, wenn aus dem Oberkommando Weltmoral die Trompeten der Klischees, jene der selbstlosen Zudringlichkeit erklingen.

Das Buch war für mich eher ein Geplapper zwischen eingefügten Zitaten berühmter Menschen, bin nach dem erstmaligen Lesen eher enttäuscht. Werde es aber in einem Jahr nochmals lesen.

"Ein Gespräch ist: kein Dauervortrag, keine Endloserzählung, nicht einseitig, nicht ermüdend. – Ein Gespräch hat Seltenheitswert." (Else Pannek) Meine besten Gespräche hatte ich mit Büchern. Warum nur sind gewinnbringende Gespräche mit anderen Menschen so selten? "Gehe nie aus einem Gespräch, ohne dem anderen die Gelegenheit zu geben, mit Dankbarkeit an dieses Gespräch zurückzudenken." (Knigge) Vermutlich sollte ich den Knigge wiederlesen!

Bewertung vom 14.08.2024
Elternjahre
Sprenger, Reinhard K.

Elternjahre


ausgezeichnet

Eines der klügsten Bücher zu diesem Thema überhaupt. Viele Kinder klagen heute ihre Eltern an und werden dazu auch von Therapeuten und der Öffentlichkeit ermuntert.

Leider stimmt diese Aussage im Zeitalter der Helikopter Eltern: Früher führten Eltern ihre Kinder zum Verstand, heute bringen Kinder ihre Eltern oft um diesen.

Wer davon betroffen ist und seine Kinder auch mental endlich ins Erwachsenen-Dasein entlassen möchte, liegt mit diesem Buch genau richtig.

Reinhard Sprenger spricht auf seine unnachahmliche Weise die drängenden Probleme an und löst sie auf. Ganz ohne psychtherapeutischen Krimskrams, gut verständlich.

Für jedes Kind ebenso empfehlenswert, denn auch Kinder werden demnächst Eltern und werden die Leiden von Erziehung erleben, die funktionieren kann, aber nicht muss.

Wenn sich Kinder in die Sackgassen von Opferrollen entwickeln, hilft auch dieses Buch weiter: "Böse Väter - kalte Mütter."

Bewertung vom 06.08.2024
Eine
Häußermann, Nikolai

Eine "solide Basis" für den islamischen Staat (eBook, PDF)


schlecht

Selten habe ich ein unverständlicheres Satz-Konvolut gelesen. Bis zum Ende verstehe ich nicht, was mir der Autor sagen will.

Ein Beispiel: "Die Aufgabe besteht nach wie vor und nun noch viel mehr darin, der "anderen Seite", d.h. der Umwelt des Menschen, einen Raum der Freiheit einzuräumen und zugleich diesen Raum der körperlichen und psychischen Befindlichkeiten kommunikativ einzuhegen - ohne mit dieser Einhegung zu exkludieren."

Immerhin, der Autor setzt auf die Zeit, wenn es wohl um den Islam geht und bezieht sich dabei auf Nathan den Weisen. Dass er seine Herkulesaufgabe der Toleranz irgendwann schafft und Abstand nimmt vom Alleinvertretungsanspruch seiner Ideologie? Wer weiß schon, was der Autor mit solchen Sätzen meint: "Abstrakter formuliert: eine Oszilation zwischen den unterschiedlichen Seiten auf der Basis einer (mystischen) Temporalisierung der Entscheidung für eine Identität."

Ein wichtiger Hinweis von Karl Popper ist hier relevant: "Jeder Intellektuelle hat eine ganz besondere Verantwortung. Er hatte das Privileg und die Gelegenheit zu studieren; dafür schuldet er seinen Mitmenschen, die Ergebnisse seiner Studien in der einfachsten und klarsten und verständlichsten Form darzustellen. Das Schlimmste – die Sünde wider den Heiligen Geist – ist, wenn die Intellektuellen versuchen, sich ihren Mitmenschen als große Propheten aufzuspielen und sie mit Orakeln der Philosophie zu beeindrucken. Wer es nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er es klar kann."

Bewertung vom 06.08.2024
Leben im Hotel
Löhndorf, Marion

Leben im Hotel


ausgezeichnet

Vor kurzem habe die Eigentümer-Darstellung vom Hotel Waldhaus Sils gelesen, 111 Jahre Geschichte und Geschichten zu einem unvernünftigem Familientraum, 344 Seiten, in edlem Leineneinband, der locker 111 Jahre und noch mehr aushält. Ein spannendes Buch, das ich zur Vertiefung dieses lesenswerten Essays von Frau Löhndorf empfehle. In dem Waldhaus Buch sehen wir die Mühen und Opfer, die Hoteleigentümer meist auf sich nehmen, um dem Gast ein kleines Paradies zu schaffen.

Gleichzeitig sehen wir in ihm ein sogenanntes Heritage Hotel, eines mit Geschichte also, ein Haus mit ererbter oder fortgeführter Vergangenheit. „Die Prognosen für die Zukunft (der Heritage Hotels) sind günstig. Die Reisenden wollen etwas über deren Innenleben wissen, das Personal, den Standort.“ Historische Orte also, die man bewohnen und Teil der bisherigen Heritage. „Ein altes Hotel ist eine Zeitmaschine.“

Wir begeben uns mit dem Buch von Marion Löhndorf von dieser Unternehmer- Mikro-Ebene des Waldhauses auf alle denkbaren Hotels und ihren Ausprägungen, weltweit gesehen, eine Analyse der Möglichkeiten, Chancen und Probleme vom Leben im Hotel, alles eher vom Gast aus gesehen, obwohl auch Hotelbauer gestreift werden, z.B. der Theaterdirektor in London, der sein Theater auch in das Hotel einfließen ließ, das Savoy in London. Insgesamt spannend und überraschend zu lesen, facettenreich und witzig, die Schichten der unterschiedlichen Besuchs-Motivationen offen legend.

Tatsächlich dachte ich auch wie Frau Löhndorf, das Hotel sei tot. Das genaue Gegenteil aber ist der Fall und hier erfahren wir warum. Das künstliche Stück Heimat ist harte Arbeit, von der Küche bis zum Zimmerservice, von der Rezeption bis zum Kofferträger. Alles soll mühelos erscheinen, erfrischend, urlaubsgemäß, ein kleiner Traum, eine Entspannungsstätte im Alltag, die man sich hart erarbeitet hat. Das Hotel ist ein Möglichkeitsraum, ein kuratierter Traum und oft ist man nicht sicher, ob die eigene Stimmung eincheckt oder die des Hotels in den Gast. Es wird wechselseitig sein und anders als man vermutet.

Wer heute in sogenannte Luxusherbergen wie z.B. im Schlosshotel Elmau eincheckt, erhält bei höchsten Preisen oft den Service auf Praktikantenebene, man sehnt sich nach dem eigenen Domizil und die engen Zimmer in Vals 7132 ohne Schränke sind eine einzige Zumutung. Wie wunderbar dagegen die wirklich persönliche Ansprache im Hotel Waldhaus in Sils Maria, im Engadin. Adorno war auch dort und hat nach Aussagen der Eigentümer das tägliche Konzert der hauseigenen Kurkapelle regelmäßig besucht.

Hotels sind für mich dann gut, wenn sie eine Bibliothek haben und mich mit ihrer Architektur oder dem Design nicht belästigen, sondern eine Harmonie mit der umgebenden Landschaft herstellen. Wenig auf dieser Erde ist schöner als das Fextal in Sils Maria, direkt hinter dem Waldhaus. Wenn ich mir vorstelle, dass Stuckrad Barre und Döpfner dort gewandert sind, wie im Buch „Noch wach“ beschrieben, verliert der Ort aber leider seinen Zauber.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.08.2024
Good News Tagesabreißkalender 2025 - Jeden Tag eine gute Nachricht
Kasper, Arnim

Good News Tagesabreißkalender 2025 - Jeden Tag eine gute Nachricht


ausgezeichnet

Nur schlechte Nachrichten sind in unserer Welt anscheinend gute Nachrichten. Der tägliche Blick in Fernsehen, Funk und Zeitungen, in soziale Medien bietet überwiegend Schlechtes, Negatives, Beleidigungen und Streit. Dagegen arbeitet dieser sinnvolle Kalender, um das Positive, die Errungenschaften der westlichen Welt zu erkennen und wieder zum Optimismus zurückzufinden.

3 Beispiele:
Es gibt kein Bienensterben, sondern einen Zuwachs von 47% bei den Bienenvölkern seit 1994.

Kaffeetrinker leben länger, drei bis fünf Tassen helfen gegen Krankheiten und die Risiken auf Schlaganfall und Herzinfarkt verringern sich.

Die Rentenhöhe in Österreich beträgt 89,8 % des früheren Einkommens. Deutschland zum Vergleich: 51,9%

Bewertung vom 05.08.2024
Die Moralapostel
Söllner, Fritz

Die Moralapostel


ausgezeichnet

Moral ist eine Sammlung positiver Erzählungen von Menschenliebe und Gerechtigkeit. Die kann man leuchtend vor anderen jonglieren und Politiker kennen die ganze Klaviatur möglicher Tränendrüsensekrete. Man kann sie in den Sonntagspredigten den Leuten aufs Auge drücken, bis alle heulen und zum Klingelbeutel greifen. Dieser Beutel sind auch jene Kreuze, die Menschen auf Wahlzetteln machen, um ihr schlechtes Gewissen zu entlasten.

Fritz Söllner fächert sie alle auf, jene Erzählungen und Werte, die nichts sagen, aber gut ankommen. Alle wissen, dass es eine sozialistische, sogar eine stalinistische Moral gab und heute reden sie z.B. von einer missionierenden, feministischen Außenpolitik, der Klimaaußenpolitik, Wirtschaftswaffen etc. „Das Hauptkennzeichen der moralistischen Außenpolitik ist ihre Erfolglosigkeit“, fasst Fritz Söllner zusammen und erklärt, warum die Moralisierungsspirale trotz des Versagens aller Maßnahmen weiter gedreht wird, sogar noch schneller. Niemand darf die zugrunde liegenden Ziele in Frage stellen, Zweifel sind nicht erlaubt. Die Spirale erweitert sich permanent und fliegt immer höheren Zielen zu.

Der politische Moralismus setzt sich meist unrealistische Ziele und agiert nach diesem Plan: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Moral wird heute vor allem für die Sicherung von Natur und Umwelt eingesetzt, damit scheinen nahezu alle Maßnahmen durchsetzbar. „Am unmittelbar bedrohlichsten für die deutsche Volkswirtschaft ist die einseitige, gesinnungsethisch motivierte und betriebene Klima- und Energiepolitik.“ Mit diesem Paradepferd des politischen Moralismus ist die Moralspirale auf schnelldrehend gestellt worden, um auf der anderen Seite die Abwärtsspirale ebenso rasant nach unten zu drehen. Bürokratie, Dirigismus, Preissetzungsmechanismen und ordnungsrechtliche Vorgaben nehmen überhand und würgen unternehmerisches Tun ab.

Eine Ende wird wohl erst dann erreicht, wenn der Bürger den Bankrott schwarz auf weiß ausbaden muss, wenn er eine Rückkehr zu Vernunft und Verantwortung einfordert und dies in den Wahlen artikuliert, Moral und Vernunft müssen wieder zum Ausgleich gebracht werden. Das Motto: "Einst waren wir schlechter, heute sind wir besser als alle anderen" kann keine Maxime der Zukunft mehr sein.

Bewertung vom 05.08.2024
Witzirin Tagesabreißkalender 2025 - Diese Packung enthält: die lustigsten Witze für die tägliche Dosis Humor

Witzirin Tagesabreißkalender 2025 - Diese Packung enthält: die lustigsten Witze für die tägliche Dosis Humor


ausgezeichnet

Er gehört inzwischen zu unseren Standardkalendern und auch dieses Jahr haben die ersten Witze schon jene Lockerungen und Leichtigkeiten erzielt, die gute, absurde Ideen auslösen können. Wenigstens einmal am Tag sollte man herzhaft lachen und den Alltag auf die Schippe nehmen.

Zum Beispiel damit:

Zwei Mücken treffen sich an der Drehtür des Finanzamtes. Die eine ist gerade rausgekommen, die andere will hinein. "Den Weg kannst Du dir sparen, sagt die erste, die saugen selbst."

Bewertung vom 05.08.2024
Ungarn verstehen
Patzelt, Werner

Ungarn verstehen


ausgezeichnet

Es gibt viele Wege, sich Ungarn anzunähern, einer der besten ist es, die sog. Knabenlese zu verstehen bzw. die osmanische Besatzung und die daraus folgende Einstellung zum Islam zu begreifen. Islam und Kommunismus, Habsburger und viele anderen Herrscher sind in diesem Land durchgezogen und haben ihren Geschmack hinterlassen.

Ungarn ist heute mit diesen leidvollen Erlebnissen ein selbstständiges Land mit Sinn für das Eigene, die Kultur und Heimat. Wer das begreift und vom deutschen Wahn nach Wiedergutmachung absieht, entdeckt in diesem Buch jene Grundlagen, die wirklich relevant sind.

Prof. Patzelt eröffnet mit Vorstellungsbildern über Ungarn aus unterschiedlichsten Perspektiven. Aus dem 19. Jahrhundert stammt das: „Immer wieder von Barbaren überfallen, auch selbst von barbarischer Herkunft, pflege jenes Ungarnvolk ungeschliffene Sitten und eine bäurische, gehobenen Konversationsansprüchen nicht genügende Sprache.“ Bis heute wirkt dies fort und geht über in die bekannten EU-Streitigkeiten, die Ungarn zu einem Sonderfall machen.

Das Buch entwickelt die Geschichte, das Regierungssystem und die politische Ausrichtung des Orban-Landes in spannender, wenig professoraler, gut verständlicher Sprache, ein echter Erkenntnis- und Lese-Gewinn. Professor Patzelt ist ein ganz seltener Fall von Verständlichkeit, die sich verbal ebenso treffend äußert wie schriftlich.

Die Osmanen haben in Ungarn wenig kulturelle Spuren hinterlassen. „Den Osmanen kann es nämlich vor allem auf gesicherte Machtausübung und wirtschaftliche Ausbeutung an, nicht auf eine geistige Hegemonie oder religiöse Missionierung.“ Nur wenige Ungarn konvertierten zum Islam. Trotzdem wurden Knaben von osmanischen Herrschern entführt und in die Armee überführt bzw. zu fanatischen Kriegern erzogen.

Die Revolution 1848 und ein Gedicht von Sandor Petöfi (1823-1849) fasst die Grundlage auch des heutigen Ungarn gut zusammen, es vermittelt den Umgang mit allen Partnern oder Institutionen:

„Auf die Heimat ruft, Magyaren!
Zeit Ist’s, Euch zum Kampf zu scharen,
Wollt ihr frei sein oder Knechte?
Wählt! Es geht um Ehr und Rechte!
Schwören wir beim Gott der Ahnen:
Nimmermehr
Beugen wir uns den Tyrannen!
Nimmermehr!“

Sachlich alle Punkte ansprechend bringt das Buch am Ende acht Deutungsschlüssel, ohne jedoch eine Sichtweise zu prägen - ein Urteil soll sich der Leser selber bilden. Ich dachte mir, in welchem deutschen Bundesland heute die meisten Menschen leben wollen? Es ist jenes, in dem ein Ministerpräsident vor dem bunt geschmückten Narrenschiff warnte, das heute in Berlin regiert. Oft wurde es von linken Medien als CSU-Halbdiktatur oder simulierte Demokratie bezeichnet. Ein Vergleich mit Berlin liegt nahe lässt die Schwierigkeiten einer Bewertung erkennen.

Bewertung vom 13.06.2024
Nimm das Leben, wie es ist. Aber lass es nicht so.
Müntefering, Franz

Nimm das Leben, wie es ist. Aber lass es nicht so.


weniger gut

Nicht vergessen habe ich eine Diskussion bei Lanz um 2011, die Müntefering mit Prof. Udo Reiter, dem ehemaligen Intendanten des MDR, führte und ihm erklärte, dass ein Recht auf Sterben unmoralisch bzw. unchristlich sei. Udo Reiter hat sich kurz danach auf seiner Terrasse erschossen. Nicht wegen dieser Diskussion, sondern weil er ein Leben im Rollstuhl über so lange Jahre nicht weiter ertragen wollte.

Kommt Müntefering, der schneidend selbstbewusste Diskutierer, in seinem Buch über populistische Leerformeln hinaus, kann ich mir jetzt einen Reim auf seine Erkenntnisse machen, gar Hilfestellungen erwarten?

Hier einige seiner sogenannten Reime:

„Die Gedanken sind frei. Aber sie lösen keine Probleme. Das müssen wir Menschen selbst tun. Zusammen mit anderen. Dann kann Demokratie gelingen. Das kann in der Demokratie gelingen.“

„Wie es mit den Menschen weitergeht entscheiden faktisch Menschen"

„Nimm das Leben, wie es ist. Aber lass es nicht so.“

Müntefering postuliert als Ausgangspunkt sozialdemokratischen Denkens die Gleichwertigkeit aller Menschen, einer der maximal aufgeblasenen, nichtssagenden Wortballons. Er hätte meines Erachtens diese Gedanken von Enzensberger Ernst nehmen sollen, der die heutigen Probleme der SPD schon 1994 treffend beschrieben hat: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Die SPD scheint insgesamt nur noch aus Worthülsen zu bestehen, auf die man sich keinen richtigen Reim mehr machen kann. Immerhin, tief angelegte Beleidigungen konnte ich in diesem Buch nicht entdecken. Müntefering konnte schon immer Sprüche: "Milch und Honig werden nicht fließen. Gesundes Brot und ordentlicher Aufstrich werden aber da sein." Ich habe bei diesem Buch den Eindruck, es gibt auch wenig nahrhaftes, leicht verschimmeltes Brot.

Habe alle Bücher eines großen Politikers gelesen, die er in seinem Gartenhäuschen in Rhöndorf geschrieben hat. Statt Müntefering Konrad Adenauer, das kann ich nach diesem Werk nur jedem empfehlen. Konrad Adenauer hat immerhin selbst ein Brot entwickelt, das seine Kölner über den ersten Weltkrieg brachte.

"Ach die Gedanken!
Reime sind da,
aber die Gedanken,
die Gedanken!"
Christian Dietrich Grabbe,(1801 - 1836), deutscher Dramatiker

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