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Bavvaria123

Bewertungen

Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Halt dien Muul, du oole Hex!

Auf dem Buchcover steht ein stolzer schwarz weißer Hahn. Hähne gelten im Volksglauben als Symbol für Wachsamkeit und Kampfeslust. Er erinnert die Christen daran, sich vor dem Bösen in Acht zu nehmen. So passt er hervorragend zu der Geschichte, die Helga Bürster in "Als wir an Wunder glaubten" erzählt.

Die Autorin nimmt uns mit, in das norddeutsche abgeschieden im Moor liegende Dorf Unnenmoor, in die Zeit kurz nach dem 2. Weltkrieg. Die Männer sind tot oder verschollen, die Frauen sind allein mit Haus, Hof und Kind. Von diesen Frauen lernen wir unter anderem Anni und Edith und einen Teil ihrer Geschichten kennen.

Der Roman ist ausgesprochen atmosphärisch geschrieben, man merkt, dass die Autorin das Leben auf dem norddeutschen Land kennt. Sie beschreibt die Szenen sehr bildhaft, charakterisiert die Personen deutlich. Was mir sehr gefällt, als Mädchen aus einem niedersächsischen Dorf, sind die eingestreuten plattdeutschen Dialoge.

Helga Bürster berichtet von den Kriegstraumen, Hexen, Wunderheilern, Geistern und Armut. Von Aberglaube und übler Nachrede. Man fühlt förmlich die Hoffnungslosigkeit und die Suche nach Orientierung.

Ich habe das Buch sehr gern gelesen, auch wenn es an manchen Stellen recht düster war. Es war vor allem aber auch spannend und letztlich auch Hoffnung machend. So vergebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 14.09.2023
Ich, Sperling
Hynes, James

Ich, Sperling


ausgezeichnet

Der Sohn von niemanden erzählt

Das Cover gefällt mir sehr gut, vielleicht weil ich gerade das Mosaiken für mich als Hobby gefunden habe. Ein schönes Blau, mit einem Vogel und die goldene Schrift. Und wenn man genau hinschaut, sieht man die Schlange. Will sie den Vogel fressen?

"Ich, Sperling", diesen Titel trägt das neue 598 Seiten starke Buch von James Hynes.

Der Autor nimmt uns mit in das 4. Jahrhundert nach Christi, in das spanische Carthago Nova. Und diese Reise ist eine in vielerlei Hinsicht gewaltige Reise.

Ein alter Mann, der sich Jakob nennt, erzählt von seinem Leben. Er beginnt seine Erinnerungen in einer halbdunklen, heißen Küche eines Bordells, wo er als kleiner Junge auf einer rissigen Steinplatte sitzt. Schon bei den ersten Schilderungen wird einem bewusst, dass es hart und ruppig zugehen wird in seinem Dasein.

Der eigentlich namenlose Junge steht in der Hierarchie weit unten, noch unter den männlichen und weiblichen Sklaven.

Die Geschichte ist heftig, teilweise wirklich grausam. So, wie die Menschheit teilweise grausam war und auch noch ist.
Dabei ist der Schreibstil von James Hynes klar, ausgesprochen bildhaft und in den Bann ziehend. Ich konnte das Buch kaum aus den Händen legen.

Dass der Autor viel und gut recherchiert hat, merkt man sehr schnell. Auch wenn es ein fiktiver Roman ist, so hat er die Zeit und die Personen absolut glaubhaft dargestellt.

Das Buch ist brutal, tiefsinnig, leider in einigen Aspekten auch immer noch aktuell. Ich empfehle es mit allen 5 Sternen, wenn auch mit dem Hinweis, dass es sicher nichts für schwache Nerven oder schlechte Zeiten ist.

Bewertung vom 09.08.2023
Paradise Garden
Fischer, Elena

Paradise Garden


ausgezeichnet

Ein Märchen vom Suchen und Finden

Das Cover passt. Zum einen zum Diogenes Verlag, zum anderen zu der Geschichte.

Genau so habe ich mir dann die 14jährige Protagonistin Billie, die eigentlich den Namen Erzsébet trägt, beim Lesen vorgestellt. Sie verliert früh - viel zu früh - ihre Mutter Marika durch einen schrecklichen Unfall. Nach diesem Verlust und einem nicht gewollten Zusammenleben mit ihrer ungarischen Großmutter macht Billie sich auf die Suche um ihren unbekannten Vater zu finden.

Elena Fischer hat mich schon mit den ersten Seiten in den Bann gezogen. Das Zusammenleben von Billie und Marika ist einprägsam geschrieben. Die Mutter ist ausgesprochen liebevoll, fantasiereich und bereitet ihrer Tochter auch ohne viel Geld ein schönes Leben. So können sie sich am Anfang des Monats einen Eisbecher namens "Paradise Garden" leisten, am Ende reicht es trotz zwei Jobs dann nur noch zu Nudeln mit Ketchup und viel Hingabe.

Die Schilderung der Gefühlswelt der jungen Tochter nach dem Tod ihrer Mutter kann ich bestens nachempfinden. Meine Mutter verstarb, als ich 10 Jahre jung war und die Gedanken am Sarg kommen meinen von damals sehr nah.

Als sich Billie dann auf den Weg macht, um ihren Vater zu suchen wandelt sich der Roman zu einem Märchen, was aber nicht stört, wenn man sich darauf einlassen kann.

In nicht zu langen Kapiteln erzählt Elena Fischer eine Geschichte voller Wendungen. Der Schreibstil ist dabei emotional, bildreich und umgangssprachlich.

Ich empfehle dieses Buch gerne mit allen fünf Sternen als Sommerbuch 2023, wobei es sehr viel besser ist, als das momentane Sommerwetter.

Bewertung vom 27.07.2023
Der Frühling ist in den Bäumen
Revedin, Jana

Der Frühling ist in den Bäumen


sehr gut

Den See entlang

as Cover hat mich gedanklich in meine ganz frühe Jugendzeit zurück geführt, denn dort waren solche gemalten Motive absolut gängig. Und so führt das Buch auch tatsächlich in die Vergangenheit, wenn auch noch weiter, als ich dachte.
1953 um es genau zu sagen.

Und das Buch spielt auch zu einem großen Teil nur an einem einzigen Tag, dem 01. Mai 1953. Und das ist ein sehr heftiger Tag für die Protagonistin Renina, die gerade einmal 24 Jahre jung und verheiratet mit Fred ist. Fred ist aber nicht der liebevolle Ehemann, sondern ein sexsüchtiger, gewalttätiger, drogenabhängiger Doktor der Atomphysik und Neffe von Marlene Dietrich. Klingt heftig? Ist es auch.

So heftig, dass ich nach den ersten Seiten überlegt habe, ob ich die Geschichte wirklich weiter lesen möchte.

Ehrlich gesagt haben mich vor allem die dazu ganz im Gegensatz stehenden schönen Beschreibungen von der Gegend rund um den Bodensee dann inspiriert, dem Buch eine Chance zu geben.

"Der Frühling in den Bäumen" handelt von Missbrauch, häuslicher Gewalt und Frauenfeindlichkeit und ist damit leider immer noch aktuell. Dass Jana Revedin hier die Geschichte ihrer Mutter erzählt, ist verstörend, denn so ist alles nicht fiktiv. Und auch echte Zeitzeugen, wie Adenauer, die Familie Gropius oder auch Hannah Arendt haben im Hintergrund ihre Auftritte.

Renina ist eine starke Frau und so gelingt es ihr dann auch die erste deutsche Frauenzeitung "Lady" auf den Markt zu bringen.

Die Autorin hat einen nicht klischeehaften feministischen Roman von, über und für Frauen geschrieben. Und das mit einem meist flüssigen, intensiven Schreibstil, der nur ab und an etwas holprig ist.

Das Buch ist anfänglich sehr bedrückend, wird dann aber bemerkenswert. Ich vergebe vier Sterne und empfehle es auf jeden Fall weiter, aber nicht mal zum nebenbei zur Unterhaltung zu lesen.

Bewertung vom 09.07.2023
Elternhaus
Mank, Ute

Elternhaus


ausgezeichnet

Drei Schwestern und ihre Eltern

Von bavaria123

Ute Mank ... ja, das ist für mich keine unbekannte Autorin. Vor zwei Jahren habe ich ihr Werk "Wildtriebe" gelesen und es zwischenzeitlich auch schon mehrfach verschenkt.

Nun liegt mit "Elternhaus" also ihr zweiter Roman vor. Und ich habe mich so richtig darauf gefreut.

Das Cover ist nicht so schön, wie das der "Wildtriebe", aber es passt schon recht gut zur Geschichte.

Drei Schwestern und ihre nun gebrechlicher werdenden Eltern sind die wesentlichen Figuren. Sanne, Petra und Gitti stehen sich eh schon nicht mehr sehr nah, wie wird es dann erst sein, wenn sie sich entscheiden müssen, wie es mit Vater und Mutter, aber auch mit deren Haus weiter geht?

Ute Mank hat ein zeitloses, lebensnahes Problem für dieses Buch gewählt. Sehr vielen von uns wird es eines Tages treffen.
Die Autorin beschreibt das Verhältnis der Schwestern untereinander und zu den Eltern ausgesprochen lebensnah. Keine Person wirkt konstruiert. Auch die Gefühle und die Beziehungen untereinander sind absolut realistisch dargestellt. In nicht wenigen Familien werden Dinge verdrängt, nicht angesprochen und schon gar nicht verarbeitet.

Ich bin sehr schnell, sehr tief in den Roman getaucht. Ich kenne das gebrechlicher Werden der Eltern und den Verlust von sogar zwei Elternhäuser. Und in so manch einer Szene habe ich letztendlich auch an mich und meine Schwester gedacht.

Mir hat das Buch richtig gut gefallen. Es ist sprachlich authentisch und auch liebevoll. Und wenn man sich auf diesen Roman einlassen kann, wird man mit einem tollen Leseerlebnis belohnt, das noch eine ganz Zeit nachhallt.

Ich empfehle "Elternhaus" gern mit 5 Sternen.

Bewertung vom 29.05.2023
Zwischen Himmel und Erde
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


gut

Diese Geschichte erzählt von Schwestern

Dieses Buch ist in mancherlei Hinsicht ungewöhnlich.

Ungewöhnlich schön ist das Cover. Es ist DER Hingucker im Bücherregal mit der unglaublichen Farbexplosion. Das erregt auf jeden Fall große Aufmerksamkeit.

Ungewöhnlich ist der Hinweis, dass auf den Seiten ein Lied erklingen kann und man sich dieses anhören sollte.

Ungewöhnlich ist die Aufforderung, teilweise mit den Handelnden laut mitzusprechen.

Ungewöhnlich ist der hymnenartige Prolog und auch die immer mal wieder auftauchenden Seiten mit oft nur Zweiwortsätzen.

Mich haben diese Ungewöhnlichkeiten zunächst einmal irritiert und aus dem Lesekomfort gerissen.

Die britisch-brasilianische Autorin Yara Rodrigues Fowler erzählt in diesem Buch die Geschichten der nach Liebe und Zuneigung suchenden Londonerin Melissa und der aus Brasilien stammenden Caterina, die beide zusammen eine Wohngemeinschaft im Mile End bilden.
Die in London studierende Caterina öffnet den Lesenden den Blick auf die Politik in Brasilien, dazu gehört auch eine mehrseitige Auflistung aller in Brasilien lebenden indigenen Gruppen, von A - Z. Und Melissa, die ebenfalls brasilianische Wurzeln hat, bringt zudem britische Geschichte wie die Unruhen rund um den Brexit ins Geschehen ein.

Die von der Autorin aufgegriffenen Themen finde ich durchaus spannend und fesselnd.
Allerdings sollte man vor dem Lesen sich auf jeden Fall ein wenig intensiver vor allem mit der brasilianischen Geschichte auseinander setzen.
Die Handlung ist nicht immer einfach zu verfolgen, da es so viele unterschiedliche Erzählstränge und Zeitebenen gibt. Zudem muss man sich an die diversen stilistischen Komponenten gewöhnen. Da muss man wirklich bereit sein, sich darauf einzulassen. Wenn ich im Lesefluss war, gelang mir das recht gut. Probleme gab es dann beim Wiedereinstieg nach einer Pause. Zudem bleibt für mich die Frage, wie die persönliche Entwicklung von den geschichtlichen Ereignissen der Zeit beeinflusst wird, weitestgehend unbeantwortet.

Wer sich auf ein ungewöhnliches Buch einlassen kann und will, wird sicher einen interessanten Roman in "Zwischen Himmel und Erde" finden. Wem das nicht möglich ist, dessen Buchregal ist auf jeden Fall um ein wunderschönes Cover reicher.

Bewertung vom 27.03.2023
Morgen und für immer
Meta, Ermal

Morgen und für immer


ausgezeichnet

Begegnung im Brombeerhain

Der Brombeerzweig auf dem Cover ist schlicht, aber schön und hat mich neugierig gemacht. Welche zarte oder eher dornige Geschichte mag sich dahinter verbergen?

Es ist die Geschichte von Kajan Dervishi und sie beginnt im Winter 1943 in Albanien. Dort im Bergdorf Rragam lebt Kajan bei seinem Großvater, seine Eltern sind in den Partisanenkrieg gezogen. Der deutsche Deserteur Cornelius bringt Kajan das Klavierspielen bei und dem Bauernjungen gelingt es, damit zu einem großartigen Pianisten heran zu reifen. Er verliebt sich ausgerechnet in Elizabeta, die Tochter eines Regimekritikers. Das kann Kajans Mutter Sadie nicht ertragen, und schafft es, das Paar zu trennen.
Das bedeutet für Kajan eine Flucht über die DDR, nach Westberlin und schließlich nach Amerika.

Das Buch beginnt schon traurig und zugleich aktuell, als sich Kajan mit seinem Großvater über den Krieg unterhält und dieser sagt: " Der Krieg entsteht zuerst in einigen wenigen Köpfen, dann in vielen Köpfen, von den Köpfen wandert er in die Hände und Beine und von dort in die Augen. Und dort, in den Augen bleibt er, auch nachdem er vorbei ist. Halte dich vom Krieg fern, Kajan, sieh nie hin, der Krieg ist furchtbar."

Ermal Meta, selbst 1981 in Albanien geboren, hat einen bewegenden Debütroman, der sich in sechs Teile gliedert, geschrieben. Er lässt seine Leserschaft an schönen und glücklichen Momenten teilhaben. Aber da gibt es viel mehr auch die tragischen, qualvollen und kaum zu ertragenden Szenen.
Durch den empathischen Schreibstil, der durchaus auch seiner Karriere als Musiker und Songwriter geschuldet sein darf, nimmt man direkt teil und ist tief in das Geschehen gezogen.
Die Personen sind detailreich und lebhaft. Zusammen mit Kajan habe ich gelitten und auch geweint.
Und ich habe viel gelernt über Albanien, diesen Staat auf der Balkanhalbinsel, dessen Historie mir bisher nicht so bekannt war. Aber ich wurde immer wieder dazu gebracht, manche Ereignisse nach zu recherchieren.

Mich hat das Buch sehr bewegt und es wird noch eine ganze Zeit Nachhall finden. Ich empfehle es mit allen 5 Sternen eigentlich jedem und jeder Erwachsenen.

Bewertung vom 12.03.2023
Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1
Werrelmann, Lioba

Tod in Siebenbürgen / Paul Schwartzmüller ermittelt Bd.1


sehr gut

Der Duft von Siebenbürgen

Das Cover finde ich ausgesprochen schön, leichter Frühnebel über einer hügeligen Landschaft mit einer ansprechenden Burg. Und es passt zum Titel und zur Geschichte.

"Siebenbürgen" ist mir natürlich ein Begriff, nicht nur wegen Transsilvanien und dem dann unvermeidlichen Graf Dracula, sondern aufgrund der Familie meines Mannes, die ihren Ursprung nahe von eben jenem Sibiu hat. Von Hermannstadt habe ich somit schon sehr viel gesehen, wenn auch nicht direkt vor Ort, so dann aber per vielen Fotos und Filmen. Dementsprechend neugierig war ich auf das Buch.

Die Leserschaft lernt den freischaffenden Autor Paul Schwartzmüller kennen, der als 14jähriger Junge mit seinem Vater die rumänische Heimat verlassen hat. Nach dem Tod seiner Tante Zinzi hat er in Siebenbürgen gerade einen Bauernhof geerbt, den er aber eigentlich veräußern möchte und sich so auf den Weg in seine Heimat macht. Dort trifft er nicht nur seinen Jugendfreund Sorin wieder, der als Touristenführer auf Schloss Bran arbeitet, sondern wird in eine mörderische Geschichte katapultiert.

An den Stil der Autorin Lioba Werrelmann musste ich mich zunächst ein klein wenig gewöhnen. Es wird immer mal wieder eine kursiv gedruckte Seite eingestreut, deren Sinn ich erst verstehen musste.
Ansonsten schreibt Frau Werrelmann angenehm bild- und lebhaft. Die Gegend um Hermann ist so beschrieben, dass ich sie direkt vor mir sehen kann. Die Gerüche steigen mir in die Nase und so etwas wie Palukes bzw. Mămăligă macht mir Appetit.

Die Autorin verwebt in diesem Buch die schöne Landschaft mit Aberglauben, Kindheitserinnerungen und Heimatgefühlen. Aber auch dubiose Investoren, ein Umweltskandal und natürlich auch das abgebildete Schloss von Graf Dracula darf nicht fehlen. Das wirkt aber nicht aufgesetzt oder reißend.

Die Entwicklung der Geschichte finde ich gelungen und ich finde sie schlüssig erzählt. Was mir aber nicht gefallen hat, war die große Trinkfreudigkeit der Protagonisten. Der war mir dann doch mindestens einmal zu viel "benebelt".

Ansonsten bin ich schon gespannt, was Paul Schwartzmüller in möglicherweise weiteren Bänden noch erleben wird und empfehle das Buch allen, die keine Hochzahl an Opfern brauchen und ein wenig im Kopf nach Siebenbürgen reisen möchten.

Bewertung vom 28.02.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


gut

"Fang am besten gleich damit an, es zu vergessen"

So ein wunderschönes Cover. Makellos, auf den ersten Blick zumindest. Doch dann fällt die Beschädigung an der Schüssel auf, durch die wohl auch schon der kleine Goldfisch auf dem Tisch gelandet ist. Und auch die Quitten sind ein wenig wurmbefallen.
Das Cover passt ausgesprochen gut zu der Inhaltsangabe. Ein prachtvolles Anwesen, in dem die Frauen einer Familie leben. Aber wenn die Adresse mit "Patriarchat" angegeben werden soll, so scheint auch hier nicht alles so zu sein, wie es zunächst scheint.

Wir Lesenden befinden uns recht schnell auf der Beerdigung jener Patriarchin, der Großmutter von Luise, die diese Geschichte erzählt.
Luise nimmt uns mit in Rückblicke und berichtet über die Schwestern, Mütter, Töchter und Großmütter, die ihr Leben hier zubringen oder zubrachten. Leben, voller Geheimnissen, Verrat, Schuld und Scham. Dabei ist Luise mal als Kind und mal als erwachsene Frau die Erzählerin.
Eigentlich ist das eine gute Idee, allein die Ausführung gefällt mir nicht ganz.
Der Schreibstil ist bildlich, kraftvoll und doch einfühlsam. Die Schilderung des Anwesens ist so klar und plastisch, dass ich das Gefühl habe, mich darauf auszukennen. Zudem baut die Autorin immer wieder einen Spannungsbogen auf und ich musste immer noch ein weiteres der relativ kurzen Kapitel lesen.

Was mir dann aber für ein wirkliches Lesevergnügen gefehlt hat, war ein Verknüpfen all dieser einzelnen Schicksale und Begebenheiten. Ich mag es nicht, wenn offene Enden zum Schluss eines Buches bleiben. Doch genau das ist hier der Fall. Das hat mich ein wenig ratlos zurück gelassen. Wo und wie sind die Zusammenhänge?
Schade, denn von der Idee her und vom sprachlichen ist das Buch wirklich beeindruckend.

So gebe ich drei Sterne und eine Empfehlung für die Leserschaft, die offenen Enden eher positiv gegenüber stehen.

Bewertung vom 04.02.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


sehr gut

Schto ty lowisch?

Das Cover zeigt eine Regenbogenforelle und im ersten Moment war ich mir nicht ganz sicher, was sie wohl mit der Geschichte zu tun hat. Im Verlaufe des Buches wird das aber klarer. So bedeutet dann die von mir gewählte Überschrift für diese Zeilen auch übersetzt "Was angelst du?"

Die Autorin Sabrina Janesch war mir bis zu diesem Buch unbekannt. Ihre Biografie weist darauf hin, dass sie die Geschichte ihrer Eltern in dem Buch "Sibir" verarbeitet hat. Zudem führte sie Gespräche mit weiteren Zeitzeugen, las deren Tagebücher und reiste auch nach Kirgisistan und Kasachstan . Diese aufwendige Recherche merkt man dem Buch an und macht es in dieser Hinsicht ausgesprochen authentisch. Vertreibung, Verschleppung und Flucht sind leider keine Themen der Vergangenheit sondern absolut aktuell.

In dem Buch lernen wie Josef Ambacher kennen, als Kind und als alten Mann. Er wurde als Kind mit seiner Familie nach Sibirien deportiert und verschleppt. Sie lebten in einfachen Verhältnissen und hatten mit Kälte, Hitze, Wölfen und anderen Widrigkeiten zu kämpfen. Aber neben vielen Ängsten haben auch die Freundschaft und die Familie ihren Raum.
Der zweite Erzählstrang führt in die 1990er Jahren nach Mühlheide in Niedersachsen.

Die beiden genannten Erzählstränge wechseln sich ab, aber das geschieht einige Male eher ruckelig, so dass ich dann aus dem Lesefluss heraus gerissen wurde. Den sibirischen Part fand ich sehr intensiv und lebendig geschrieben.
Die Zeit um 1990 war mir teilweise zu zäh und langatmig.
Was mich auch wirklich gestört hat, waren die fehlenden Satzzeichen bei wörtlicher Rede.

Alles in allem würde ich dem Buch 3,5 Sterne geben. Da das so nicht möglich ist, erhöhe ich auf vier Sterne für die wirklich erkennbar gute und üppige Recherche.