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evaczyk
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Frankfurt

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Insgesamt 275 Bewertungen
Bewertung vom 26.01.2024
Kanadische Wälder
Blunt, Giles

Kanadische Wälder


sehr gut

Die Inuit mögen eine große Zahl von Wörtern über Schnee, Eis und Winter haben, aber Giles Blunt schafft es auch ohne das indigene Vokabular, in seinem Kriminalroman die Bilder einer eisigen kanadischen Winterlandschaft an den großen Seen Ontarios erstehen zu lassen. Sein Buch "Kanadische Wälder" ist von Nebel, Eisregen und einem harschen Winter in Algonquin Bay geprägt. Der Polizist John Cardinal muss sich hier nicht nur mit den Missetaten des "dümmsten Gauners aller Zeiten" herumschlagen, sondern auch mit der Sorge um einen herzkranken Vater, der sich als ziemlich beratungsresistent gegenüber medizinischen Ratschlägen erweist, und der Sorge um seine psychisch kranke Ehefrau, der er Belastungen ersparen will.

Das überschaubare Kleinstadtleben erfährt aber nicht nur durch den Wintereinbruch eine Wende, sondern auch durch die angefressenen Leichenteile, die in den Wäldern gefunden wurden. Hungrige Bären haben sich offenbar aus dem Winterschlaf aufgerappelt, doch bei dem Toten handelt es sich nicht um einen verlorenen Wanderer oder Jäger, sondern offenbar um ein Mordopfer.

Die Ermittlungen bringen Cardinal nicht nur in Kontakt zur ungeliebten Konkurrenz der Mounties, als sich herauskristallisiert, dass der Tote Amerikaner ist. Auch der kanadische Geheimdienst mischt plötzlich mit und scheint die Ermittlungen der örtlichen Polizei vor allem zu behindern. Cardinals Kollegin ermittelt unterdessen in einem Vermisstenfall und plötzlich steht die Frage im Raum, ob die beiden Fälle womöglich in Verbindung zueinander stehen.

Einziger Hinweis auf ein mögliches Tatmotiv beim Fall des Amerikaners ist ein Negativ aus den 1970-er Jahren, das zur Separatistenbewegung in der Provinz Quebec in jener Zeit, führt, zu Terrorzellen und Entführungen. Doch warum wird das 30 Jahre später wieder wichtig?

"Kanadische Wälder" ist mehr als nur ein Krimi, das Buch erklärt auch viel über Kanada, den alten Widerstreit zwischen Anglo- und Francophonen, die Gegensätze zwischen Provinz und Großstadt, zwischen Kanadiern und US-Amerikanern. Cardinal ist ein komplexer Charakter, ein eigentlich anständiger Mann, der aber auch einen schweren Fehler gemacht hat und noch immer mit den Folgen hadert. Hinzu kommt die Beschreibung des Eissturms, der Algonquin Bay in Dunkelheit und Kälte legt, und in dem Cardinals Heim zur Zufluchtsstätte von Nachbarn ohne Strom und Heizung wird, die sich um den Holzofen der Cardinals scharen. Das trägt zu einer ganz besonderen Atmosphäre dieses Buchs bei. Es handelt sich um den zweiten Band einer Reihe, doch auch mit Rückgriffen auf die Vergangenheit lässt es sich als Standalone gut lesen.

Bewertung vom 24.01.2024
Die Hoffnung der Chani Kaufman
Harris, Eve

Die Hoffnung der Chani Kaufman


ausgezeichnet

Kinderwunsch - aber koscher

Chani ist verzweifelt. Seit zehn Monaten ist sie nun schon verheiratet, doch von Nachwuchs keine Spur. Für die meisten jungen Paare wäre das vermutlich kein Grund zur Panik, viele genießen bewusst die Zeit zu zweit, ehe sie sich an die Phase der Familienplanung machen. Doch in der Welt von Chani und ihrem Ehemann Baruch ist das keine Option. Sie mögen mitten in London leben, aber sie sind Mitglieder einer streng orthodoxen jüdischen Community. "Seid fruchtbar und mehret euch" ist hier nicht Wahl, sondern Pflicht.

In ihrem Roman "Die Hoffnung der Chani Kaufman" beschreibt Eve Harris das Dilemma des jungen Paares, das aus Liebe geheiratet hat und nun unter Dauerbeobachtung der Gemeinde steht: Wölbt sich da immer noch kein Baby-Bauch? Chani weiß sich zudem argwöhnisch von der Schwiegermutter beäugt, die mit ihr noch nie einverstanden war. Stellt sich Chani nun als unfruchtbar heraus, wäre das die willkommene Gelegenheit, sie durch Scheidung loszuwerden.

Zwischen London, Jerusalem und Tel Aviv spielt dieser Roman, in einer Community, die ebenso von Gemeinschaftsgefühl wie von Dauerüberwachung geprägt ist, von Weisheit und blindem Gehorsam, den vielen Geboten, Segenssprüchen und Gebeten des Alltags.

Nicht alle kommen damit klar. Ein Parallelstrang des Romans zeigt die auseinandergebrochene Familie des Rabbi Zilberman: Er wurde immer orthodoxer, seine Frau Rivka kam mit den Einschränkungen nicht mehr klar. Sie hat die Gemeinde verlassen, lebt nach Jahrzehnten säkulär - und zahlt im Verlust ihrer Kinder einen hohen Preis. Lediglich zu ihrem Sohn Avromi hat sie telefonisch Kontakt. Doch der junge Mann, der in Jerusalem an einer Jeshiva studiert, hadert selbst mit seinem Glauben.

Lebenswünsche und die Regeln und Gebote der Glaubensgemeinschaft, das prallt in diesem gut und anschaulich geschrieben Roman aufeinander. Zudem zeigt er die Kontraste der religiösen und säkularen Juden in Israel, dem betenden Jerusalem und dem feiernden Tel Aviv, wie es oft vereinfachend heißt.

Die Autorin nähert sich dieses Lebenswelten, ohne die eine oder andere Seite zu verurteilen. Es sind vor allem die Frauenfiguren, die in diesem Buch in Erinnerung bleiben, seien sie nun sympathisch oder unsympathisch. Der Schreibstil ist bildhaft und locker, lässt das Londoner Stetl und die Strandpromenade von Tel Aviv vor dem inneren Auge erstehen.

Bewertung vom 24.01.2024
Das Mörderarchiv Bd.1
Perrin, Kristen

Das Mörderarchiv Bd.1


sehr gut

Die Erbin muss ermitteln

Mit diesem Satz des Klappentextes war meine Neugier auf Kristen Perrins Cozy-Krimi "Das Mörderarchiv" geweckt: "Tante Francis dachte immer, dass sie eines Tages umgebracht wird. Sie hatte recht." Ein Verstoß gegen alle Krimi-Regeln und Spoiler-Verbote? Keineswegs, denn es bleibt genügend Rätselstoff übrig, nicht zuletzt dank Tante Francis, die ihre Großnichte Annie auf Mörderjagd schickt.

Kleines Problem für Annie, eine bisher gescheiterte Autorin von Kriminalromanen: Sie ist zwar mit ihrer Boheme-Mutter im Londoner Stadthaus von Frances aufgewachsen, hat die alte Dame aber nie persönlich betroffen. Eigentlich wollte Annie auf Einladung von Tante Frances´ Anwalt nur für einen Tag ins lauschige Dörfchen Castle Noll in der Grafschaft Dorset fahren, um dort über eine Testamentsänderung in Kenntnis gesetzt zu werden. Doch dann wird die Verlesung des Testaments schneller nötig als gedacht, denn der Besuch bei der Tante führt zur Entdeckung der Leiche....

Annie hat die Tante zwar nie lebend getroffen, kennt jedoch die Familiengeschichte: Im Alter von 17 Jahren erfuhr Frances bei einem Jahrmarktbesuch von einer Wahrsagerin, dass sie ermordet werde. Anders als ihre beiden besten Freundinnen nahm sie die Prophezeiung sehr ernst und ermittelte gewissermaßen in eigener Sache: Verdächtige, Motive, Gelegenheiten?

Der Besuch in Castle Knoll führt nicht nur zu Begegnungen mit bislang unbekannter angeheirateter Verwandtschaft, sondern auch auf die Spuren von Francis´ Vergangenheit. Denn Annie entdeckt das Tagebuch der Großtante und stellt fest, dass es nicht nur die Prophezeiung war, die die Tante recherchieren ließ. Auch Annie muss ermitteln - nicht nur, um an eine großzügige Erbschaft zu gelangen, sondern auch, weil sie zunehmend fasziniert von der Geschichte der Großtante ist. Plötzlich ist auch ihre eigene Familiengeschichte in einem völlig neuen Licht zu sehen.

Viel mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, nur dies: "Das Mörderarchiv" ist ein klassischer Cozy-Krimi in britischer Tradition, auch wenn die Autorin aus den USA stammt (aber offenbar dem Charme des ländlichen Englands erlegen ist). Es gibt schrullige Charaktere, Klassenunterschiede, eine Zeitreise in die späten 1960-er Jahre und spannend-humorvolle Unterhaltung. Ein nicht sonderlich blutiges Lesevergnügen für alle, die Krimis eher gemütlich mögen.

Bewertung vom 23.01.2024
Blutrodeo (MP3-Download)
Buchholz, Frauke

Blutrodeo (MP3-Download)


sehr gut

Cowboys gibt es nicht nur in Colorado oder Montana. In Kanada ist Calgary geprägt von Menschen, die den Business-Anzug gerne gegen Westernboots und Cowboyhut austauschen - nämlich wenn in der Ölstadt in der Provinz Alberta die Stampede, das jährliche Superrodeo stattfindet. Hier ermittelt auch der Ermittler Ted Garner in seinem neuen Fall und Frauke Buchholz´ zweitem Kanada-Krimi, "Blutrodeo".

Der Fall, um den es geht, stellt RCMP-Ermittlerin Sam Stern vor Rätsel: Zwei todkranken alten Männern wurde brutal die Kehle durchgeschnitten. Wer hat ein Interesse daran, Menschen zu ermorden, die ohnehin bereits mit einem Bein im Grab stehen? Garner soll mit einem Täterprofil die Ermittlungen unterstützen - das passt der ehrgeizigen Polizistin gar nicht. Und auch Garner ist nicht so wirklich teamfähig - sprich, die Zusammenarbeit der beiden ist von wechselseitigem Misstrauen und eher kratzbürstigem Umgangston gekennzeichnet.

Spielten im ersten Band der Reihe um den Profiler die Lebensbedingungen der Indigenen in Kanada eine große Rolle, geht es hier vor allem um den Umgang mit der Umwelt und der Ausbeutung der Ressourcen, die Auswirkungen von Fracking - wobei es hier dann auch wieder um die gesundheitlichen Folgen für die Menschen in den Reservationen zumindest am Rande geht. Das persönliche emotionale Gepäck des Ermittlerteams spielt ebenfalls eine Rolle, auch das nicht ganz einfache Verhältnis Garners zu seinem Vater. Denn da alle Hotels in Calgary während der Stampede ausgebucht ist, muss er notgedrungen beim "Colonel" in dessen entlegener Hütte unterkommen.

Die Leser - in diesem Fall Hörer - erfahren die Handlung aus der wechselnden Perspektive der Ermittler, aber auch durch Zeitsprünge verschiedener Personen. Erst nach und nach fügen sich die Puzzleteile zusammen, welche Rolle diese Menschen für die Geschichte spielen. Dabei legt Buchholz auch einige Fährten, die zunächst auf Irrwege führen. Auch das Motiv für die Mordfälle gibt lange ein Rätsel auf. Ist ein Serientäter zugange? Sind die Morde Werk eines Psychopathen? Handelt es sich um grausame Rache, oder ist die Mordmethode Ablenkung, um das eigentliche Tatmotiv zu verbergen? Es bleibt spannend bis zu einem dramatischen Showdown. Dabei sorgt Sprecherin Brigitte Carlsen für eine lebendige Interpretation der Protagonisten.

Bewertung vom 14.01.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


gut

Alte Freunde und eine Leiche

Die grüne Insel Irland ist in Triona Walshs Kriminalroman "Schneesturm" alles andere als grün - soviel verrät bereits der Titel. Inselpolizistin Cara lebt auf Innishmore, einer der Aran Islands, von der ihr Vater stammt und auf der auch ihr Ehemann Cillian aufwuchs. Doch Cillian ertrank in der Silvesternacht vor zehn Jahren, als er mit seinem Bruder Seamus auf Fischfang gehen wollte. Nun wollen Cara, Seamus und vier weitere Kindheitsfreunde zum ersten Mal seit der Beerdigung wieder zusammenkomem. um gemeinsam des Toten zu gedenken. Doch das Wiedersehen verläuft anders als gedacht: Eine Leiche und ein Schneesturm, der Fähr- und Flugverkehr zum Erliegen bringt, sorgen für eine zunehmend paranoide Stimmung.

Cara ist sicher: Der Mörder ist noch immer auf der 900 Einwohner-Insel - und er ist auf der Suche nach einem Päckchen, mit dem die Tote zuletzt gesehen wird. Kennt sie ihre alten Freunde immer noch? Mancher von ihnen scheint sich nicht zum Guten verändert zu haben. Die Atmosphäre ist gereizt, ja aggressiv - und es kommen Ängste auf, dass der unbekannte Mörder die Freundesgruppe im Visier haben könnte.

Cara, die keine Kriminalbeamtin, sondern einfache Garda-Polizistin ist, will nicht warten, bis die Spuren buchstäblich kalt geworden sind, wenn die Ermittler-Profis vom Festland am Ende des Schneesturms auf Innishmore eintreffen. Doch bei ihren Ermittlungen gerät immer mehr zum Nachteil, dass sie trotz verwandtschaftlicher Bindungen an die Insel als Außenseiterin gilt, die kein Gälisch spricht und deshalb nicht wirklich dazugehört.

Als große Irland-Freundin hat mich das Setting des Romans gereizt, allerdings erschien mir manches irgendwie schwer nachzuvollziehen - da lebt Cara seit zehn Jahren auf der Insel im Haus ihrer Großmutter, ihre beiden Kinder sprechen selbstverständlich Irisch, und sie selbst verständigt sich ausschließlich auf Englisch mit den Insulanern? Auch wenn Cara nicht im Gaeltacht-Gebiet aufgewachsen ist - Gälisch ist Pflichtfach an irischen Schulen und wenn sie von Kindheit an drei Monate auf der Heimatinsel ihres Vaters verbracht hat, ist es einfach unglaubwürdig, dass sie die Sprache nicht beim Spielen mit ihren dortigen Freunden aufgeschnappt hat. Insofern ist ein wichtiger Teil des Plots für mich einfach nicht stimmig und nachvollziehbar.

Die düstere Atmosphäre im Schneesturm bei Kälte und Dunkelheit - auch der Strom ist ausgefallen - ist hingegen gut gelungen, ebenso die emotionale Achterbahnfahrt, zu der das Wiedersehen mit den alten Freunden wird. Dass auf einer so kleinen Insel Geheimnisse lange gewahrt werden können, kann ich mir dagegen nicht so gut vorstellen. Nicht alle Entscheidungen Caras fand ich nachvollziehbar - trotzdem solide-spannende Kost.

Bewertung vom 07.01.2024
Stille Falle / Leo Asker Bd.1
Motte, Anders de la

Stille Falle / Leo Asker Bd.1


sehr gut

Verlorene Seelen und hoffnungslose Fälle

Leonora Asker, die Protagonistin von Anders de la Mottes "Stille Falle" könnte in mancher Hinsicht eine Verwandte von Lisbeth Salander aus der "Milleniums"-Reihe sein. Zwar hat sie kein Asberger Syndrom und ist auch keine Hackerin, sondern Polizistin, aber auch sie ist geprägt von einer Kindheit, die nicht gerade schwedischem Durchschnitt gehört und einer dysfunktionalen Familie. Und sie verfügt über erstaunliche Überlebenstechniken, die sie ihrem Prepper-Vater zu verdanken hat.

Leos Aufstieg in der Abteilung für Kapitalverbrechen wird jäh gebremst, als ein ehemaliger Vorgesetzter - und Ex-Lover - aus Stockholm zurückkehrt. Er übernimmt die Ermittlungen in einem Vermisstenfall um eine Unternehmertochter, der eigentlich Leos gewesen wäre. Statt dessen landet die Ermittlerin als vorläufige Abteilungsleiterin im "Dezernat für hoffnungslose Fälle". Ziemlich hoffnungslos, zumindest aber seltsam, erscheinen ihr die neuen Kollegen, die eher sinnlose Selbstbeschäftigung betreiben.

Dann aber erhält Leo das Foto einer Miniaturlandschaft - es stellt eine Szene dar, die frappant an den letzten Instagram-Post der vermissten jungen Frau erinnert. Die eigentlichen Ermittler haben sich schon an eine Theorie festgeklammert: Der Ex-, dann doch wieder Freund der Unternehmertochter, Sohn iranischer Einwanderer, hat sie in der Gewalt, soll er doch Kontakte zum kriminellen Milieu haben. Doch dann erweist sich diese Theorie aufgrund neuer Umstände als offensichtlich falsch.

Leo unterdessen stellt heimlich eigene Ermittlungen an. Sie ist überzeugt: Ihre Kollegen haben sich vorschnell auf den falschen Verdächtigen festgelegt. Doch bis diese das erkennen, hat sie bereits festgestellt, dass in die Miniatureisenbahnanlage einer Kleinstadt Figuren und Szenen eingeschmuggelt wurden. Auch ihr Amtsvorgänger war diesem Phänomen offenbar auf der Spur, als er versuchte, den Verbleib seiner seit Jahren vermissten Patentochter zu klären. Leider liegt er nach einem Herzinfarkt im Koma, so dass Leo ihn nicht kontaktieren kann. Sie ist aber überzeugt: Ein unbekannter Täter prahlt mit Entführungsfällen.

Die Leser von "Stille Falle" wissen schon früh: Die Unternehmertochter ist bei der geplanten Expedition in einen "Lost Place" entführt worden. Sie versucht nun, in einem dunklen Versteck, mehr über ihren Entführer und ihren Aufenthaltsort zu erfahren, womöglich zu fliehen. Und auch der geheimnisvolle "Troll" mit seiner unterirdischen Welt wird in einem eigenen Erzählstrang vorgestellt.

Dieser Wissensvorsprung der Lesenden ist allerdings trügerisch, denn es gibt noch manche Überraschung sowohl für Leo wie auch für die Leser. Die Ermittlungen führen die Polizistin auch in die eigene Vergangenheit und einem unverhofften Wiedersehen.

Zahlreiche Wendungen halten die Spannung im Gang, hinzu kommen die exzentrischen Eigenheiten von Leos neuen Kollegen, die gegen alle Erwartungen auch einiges zu den inoffiziellen Ermittlungen ihrer neuen Abteilungsleiterin beitragen können. Das Setting der lost places und urban exploration sorgt zudem für eine besondere Atmosphäre. Hinzu kommen die "verlorenen Seelen" , die sich um hoffnungslose Fälle kümmern sollen. Mit "Stille Falle" hat Anders de la Motte zweifellos die Grundlage einer vielversprechenden neuen Serie gelegt.

Bewertung vom 26.12.2023
Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung / Monsieur le Comte Bd.2
Martin, Pierre

Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung / Monsieur le Comte Bd.2


sehr gut

Eigentlich pflegt Lucien Comte de Chacarasse am liebsten einen entspannten südfranzösischen Lebensstil. Gute Weine, ebensolches Essen, schöne Frauen - das Leben kann schön sein. Wenn da nur nicht die Familienpflicht wäre. Und die heißt im Falle der de Chacarasses, Nachfahre von Assasinen zu sein, laut Familienspruch den Lebenden und den Toten verpflichtet. Vor allem aber den Klienten, die ein wahrhaft fürstliches Honorar zahlen, damit jemand vorzeitig vom Reich der Lebenden in das der Toten überwechselt, dank fachmännischer Nachhilfe des südfranzösischen Adelsgeschlechts.

Pech für Lucien, dass er nach dem Tod seines Vaters der einzige de Chacarasse ist, der für diese Aufgaben in Frage kommt, sitzt doch sein einziger lebender Verwandter, ein nicht sonderlich geliebter Onkel, im Rollstuhl. Mit "Monsieur Le Comte und die Kunst der Täuschung" ist der zweite Band von Pierre Martins Reihe um den Assasinen wider Willen erschienen.

Täuschen muss Lucien sowohl den Onkel, der die finanzielle Seite des Familiengeschäfts übernimmt, als auch die Auftraggeber. Verlassen kann er sich bei seinen Versuchen, scheinbar Todesfälle herbeizuführen, nur auf die schöne Francine, die Geliebte seines Vaters, die wie er einen moralischen Kompass hat, der mit der Familientradition fremdelt. Nachdem Lucien in der Vergangenheit schon wider Willen und eher versehentlich erfolgreich war in seinem Job, muss er nun mit allen Mitteln der Kunst arbeiten, um Aufträge auszuführen und doch nicht zum Mörder zu werden. Die Kunst der Täuschung, das lässt sich auch ohne zu spoilern sagen, kommt ihm dabei gelegen.

Zugleich versucht Lucien, gegenüber seinem Onkel die Oberhand zu gewinnen. Er ahnt, in der Vergangenheit der Familie gibt es einiges, das es noch zu entschlüsseln gilt. In diesem Band bleibt noch vieles offen, aber der charmante Comte ist dem Autor sicherlich weitere Bücher wert, Wie Lucien zwischen Pflicht und Gewissen versucht, Leben eher zu retten als zu nehmen, ist unterhaltsam und entspricht eher Cozy-Krimi-Tradition gepaart mit Savoir Vivre.

In der Hörbuchfassung ist es einmal mehr Wolfram Koch, sonst als Ermittler der Frankfurt-Tatorte in der Rolle als Vertreter des Gesetzes unterwegs, der dem bohemienhaften Lucien seine Stimme leiht. Wobei sein Fernsehkommissar Paul Brix ja ebenfalls durchaus frankophil ist.

Als adeliger Killer mit Gewissensbissen ist Lucien ein Sympathieträger und auch die anderen Hauptfiguren der Reihe - mit Ausnahme des fiesen Onkels - überzeugen als liebenswerte Charaktere. Als kleine Flucht an die Cote d´Azur ist auch dieses Exemplar der Reihe locker und unterhaltsam geschrieben und mit schönen Landschaftsbeschreibungen gespickt. Da freue ich mich doch schon auf die nächsten Abenteuer des Comte.

Bewertung vom 26.12.2023
Die Unbestechliche
Welser, Maria von;Horbas, Waltraud

Die Unbestechliche


weniger gut

Eine Reporterin in den 70-er Jahren

Als ich "Die Unbestechliche" von Maria von Walser und Waltraud Horbas las, hatte ich mir ein Buch erwartet, in dem es auch um die Auseinandersetzung mit Frauen im Journalismus, Frauenbewegung und emanzipatorische Ansprüche ging. Das Buch, das zumindest teilweise auf den journalistischen Erinnerungen von Maria von Walser beruht, wirkte auf mich dann allerdings mehr wie ein belletristischer Frauenroman, mehr Chick Lit als Auseinandersetzung mit einer Zeit, in der Frauen in der Medienwelt eher die Ausnahme als die Regel waren und in den Redaktionen vermutlich noch deutlich mehr Macho-Sprüche und Haltungen verbreitet waren, als ich sie 20 Jahre später erlebte - und da war auch noch genug vorhanden.

Gerade weil ich von Walser aus ihren Sendungen durchaus kämpferisch wahrgenommen habe, bin ich von diesem Buch ein bißchen enttäuscht. Das private Leben der halbfiktiven Protagonistin überlagert das Geschehen, der Arbeitsalltag ist von einer gewissen Beliebigkeit und auch die Vernetzung mit anderen Frauen irgendwie mehr im Bereich von Frauenfreundschaft als im Zusammenschluss gegen eine von Männern dominierte Redaktion, in der Frauen klein gehalten oder auf "Frauenthemen" begrenzt bleiben.

Klar, das Zeitgeschehen schimmert durch, gerade in Abschnitten, in denen auf historische Bezüge wie die Studentenbewegung, Olympia 1972 mit dem Terrorangriff auf die israelischen Sportler usw eingegangen wird. Doch es bleibt eine gewisse plaudernde Beliebigkeit. Mag sein, dass Leserinnen, die überhaupt nichts mit Journalismus zu tun haben und eine Frauenbiografie lesen wollen, dieses Buch ganz anders aufnehmen. Es ist nett zu lesen, es gibt durchaus eine Ahnung von den Schwierigkeiten, die Frauen in den späten 1960-ern und 70-ern hatten, beruflich Karriere zu machen, ja überhaupt berufstätig zu sein - vor allem, wenn sie obendrein Kinder hatten. Als Zeit- und Zeitungsgeschichte ist mir dieses Buch allerdings zu allgemein und wenig zugespitzt geblieben.

Bewertung vom 17.12.2023
Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt / Die Mordclub-Serie Bd.4
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt / Die Mordclub-Serie Bd.4


sehr gut

Drogenkrieg und langer Abschied

Ein bisschen exzentrisch, eigensinnig und sehr, sehr britisch - so kennt man das Quartett von Richard Osmans "Donnerstagsmordclub". In einer Seniorenresidenz trotzen Ex-Spionin Elizabeth, die einstige Krankenschwester Joyce, der Ex-Gewerkschafter und Arbeiterkämpfer Ron sowie der teilweise noch praktizierende Psychiater Ibrahim Langeweile und Altersbeschwerden. Nach dem Motto "Wer rastet, der rostet" kümmern sie sich um ungeklärte Kriminalfälle, mitunter zur Verzweiflung von Chris und Donna, zweier mit den vier Rentnern befreundeter Polizisten.

Auch der nunmehr vierte Band der Reihe "Ein Teufel stirbt immer zuletzt" bildet hier keine Ausnahme. Es geht sogar handfest zur Sache: Der Tod eines Antiquitätenhändlers scheint der Anfang eines Drogenkrieges an der englischen Südküste zu sein. Alle sind plötzlich auf der Suche nach einem Kästchen mit Heroin, das der Händler eigentlich nur für 24 Stunden in Verwahrung nehmen sollte. Hat er womöglich versucht, als Amateur in den Drogenmarkt einzusteigen?

Die vier vom Donnerstagsmordclub wollen das nicht glauben, handelt es sich doch bei dem Toten um einen Freund von Elizabeth´ s Ehemann Stephen. Obendrein werden Chris und Donna von einer vorgesetzten Abteilung ausgebremst - da ist es Ehrensache, dass das Quartett nicht einfach beiseite stehen kann.

Wie auch in den Vorgängerbänden wird ein sehr britischer Humor mit den persönlichen Geschichten und Beziehungen der Protagonisten verbunden. Dabei wird es diesmal aber deutlich melancholischer, emotional und tiefsinniger. Denn Stephens Demenzerkrankung ist so weit vorangeschritten, dass schwierige Entscheidungen anstehen. Demenz, Abschied, Trauer - das sind Themen, die mindestens ebenso wichtig sind wie der eigentliche Fall und Osman schafft es, sehr sensibel und einfühlsam zu schreiben, ohne ins Rührselige abzugleiten.

Während die Bände der Reihe zwar in sich abgeschlossen sind, ist es sicherlich gut, die vorangegangenen gelesen zu haben, um die Nebenfiguren und ihre Beziehungen zum Donnerstagsmordclub einordnen zu können. Andernfalls könnte ein Neuleser vermutlich leicht die Übersicht verlieren. Ich habe das Quartett jedenfalls liebgewonnen, auch wenn mir Joyce mit ihrem Geplapper mitunter auf die Nerven geht. Die vier sind Sympathieträger, von allerlei Zipperlein geplagt, aber entschlossen, nicht klein beizugeben, nur weil sie absehbar auf der letzten Etappe des bereits ziemlich langen Lebens sind. Aber den einen oder anderen Mord, den wollen sie halt doch noch klären. Fortsetzung folgt?

Bewertung vom 14.12.2023
Hundert Klassiker
Henssler, Steffen

Hundert Klassiker


sehr gut

Auf einfachstem Weg ans perfekte Ziel?

Auf dem einfachsten Weg zum perfekten Ziel kommen - das definiert TV-Koch und Buchautor Steffen Henssler als seinen Anspruch in "100 Klassiker". Diesmal geht es nicht um Schnelligkeit, um Grillkunst, sondern, wie der Name schon sagt, um Küchenklassiker. Es soll schmecken wie bei Oma - ohne dass man wie einst Oma Stunden in der Küche verbringen muss. Nach dem Motto: Man kann Klassiker nicht besser machen, aber einfacher. Klappt das?

Zunächst einmal spart Henssler in jedem seiner Kapitel nicht mit fachmännischem Rat und Tipps, etwa zum salzen von Fleisch, Umgang mit Fleischthermometer oder dem richtigen Schnitt. Dann kann es losgehen, mit deftiger und klassischer Hausmannskost, von Rouladen über Gulasch bis Frikadellen oder Krustenbraten. Wiener Schnitzel und Kasseler mit Sauerkraut dürfen ebenfalls nicht fehlen. Ob die Rezepte jetzt wirklich so sehr anders sind als im Kochbuch meiner Oma, weiß ich nicht - aber auf jeden Fall handelt es sich um Rezepte, die ich eher nicht in meiner Kochbuchsammlung habe und ich werde mich bestimmt an das eine oder andere von ihnen ranwagen.

Im Fischkapitel gibt es außer dem gewöhnungsbedürftigen Hamburger Traditionsgericht Labskaus und Schollen Finkenwerder Art auch selbstgemachte Fischstäbchen als Alternative zur Tiefkühlkost - die stehen bei mir schon auf der Merkliste. Auch Backfisch mit Remoulade und Matjes Hausfrauenart dürften immer wieder erfreuen.

Klassisch heißt allerdings nicht nur deutsche Hausmannskost, auch Pilzrisotto oder Spaghetti Carbonara sind hier zusammen mit anderen Pasta- und Reisgerichten in einem eigenen Kapitel aufgelistet. Deftig geht es dann wieder im Kartoffelkapitel zu - vom Bauernfrühstück über Kartoffelpuffer und Bratkartoffeln. Auch die Eintöpfe und Suppen sind vor allem wärmend und sättigend, ohne viel Chichi, wie auch die Schmankerln und Salate. Für Süßmäuler schließt sich ein Dessert- und Kuchenkapitel an, in dem auch der Klassiker Milchreis nicht fehlt. Mich lacht hier allerdings vor allem der Birnen Crumble mit Streusseln an. Die dazugehörigen Food-Bilder machen Appetit.

Als klassische Kochbuchsammelung empfehlenswert. Lediglich Veganer kommen hier vermutlich weniger auf ihre Kosten.