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Magineer
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Köln

Bewertungen

Insgesamt 45 Bewertungen
Bewertung vom 01.05.2022
New York und der Rest der Welt
Lebowitz, Fran

New York und der Rest der Welt


ausgezeichnet

Ultimativ New York!

Es hat fast fünfzig Jahre gedauert, bis es die scharfzüngige Schreibe von Fran Lebovitz nach Deutschland geschafft hat. "New York und der Rest der Welt" ist die Gesamtveröffentlichung zweier Sammelbände, von denen der erste bereits 1978 (und der folgende drei Jahre später) in den Staaten erschien und enthält die besten Essays aus Fran Lebovitz' umfangreichem satirischem Werk - staubtrocken erzählte und gerade deswegen so brüllend witzige Perlen der alltäglichen Beobachtung des Großstadtlebens, die zwischen Anfang der 70er und Anfang der 80er entstanden und dennoch erstaunlich zeitlos sind. Das ist im Prinzip das literarische Äquivalent eines frühen Woody-Allen-Films - eine hemmungslos verklärte Liebeserklärung an die Stadt New York, ihre durchgeknallten Bewohner und deren permanente Neurosen. Wer da nicht sofort ein Ticket in die Stadt, die niemals schläft, buchen möchte, dem ist irgendwie auch nicht mehr zu helfen.

Fran Lebovitz ist wirklich eine ganz Große, nicht erst seit ihrer Netflix-Serie, in der die einstige Weggefährtin von Andy Warhol und spätere Kolumnistin der "Vanity Fair" von ihrem Freund Martin Scorsese über sieben Folgen hinweg liebevoll ruppig porträtiert wird. Stilikone, Komikerin, spröde Muse und resolute Intelligenzlerin - das ist Fran in ihrer Gesamtheit und ihre hier versammelten Stadtvignetten sprühen vor süffisanter Streitbarkeit, Freude an detaillierter Beobachtung und Spaß am Wort. Ihre Begegnungen mit "hörbar braungebrannten" Agenten, sympathischen Großstadtmacken und den ganz normalen Verrücktheiten des urbanen Alltags sind eine Oase kostbaren Wassers in einer Wüste an gleichgeschalteter Problem- und Genreliteratur. Medizin für die Pandemiekrise und Futter fürs Hirn - etwas anderes als eine unbedingte Leseempfehlung braucht hier gar nicht diskutiert zu werden.

Bewertung vom 01.05.2022
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


ausgezeichnet

Der perfekte Sommer-Roman!

Nostalgie pur. Damit lässt sich Christian Hubers "Man vergisst nicht, wie man schwimmt" am einfachsten beschreiben und obwohl sein Buch damit in der Tradition postmoderner Meta-Nostalgie á la Frank Goosen, Alina Bronsky oder Sven Regener steht (und in seiner rotzigen Nonchalance mehrfach an Rocco Schamonis "Dorfpunks" und natürlich Herrndorfs "Tschick" erinnert), schafft Huber mit seiner fünfzehnjährigen Hauptfigur Krüger (der eigentlich Pascal heißt) einen völlig eigenständigen Teenager kurz vorm alles entscheidenden Millennium, in der letzten Gluthitze eines langen Sommers. Da trieft die Sonne nur so aus den Seiten, und jeder, der dabei war im Sommer 1999, wird hier jedes authentische Detail der Neunzigerjugend in komprimierter Form erneut begrüßen dürfen.

Da ist die Geschichte an sich, in der Krüger ein faszinierendes Mädchen vom Zirkus trifft, die ihn durch diesen scheinbar endlosen Sommertag begleitet, fast schon reine Nebensache, denn Huber nimmt seine Leser mit auf eine Zeitreise, die so real erscheint, weil es damals wirklich so war. Damals. Es ist noch keine 25 Jahre her, aber nirgendwo scheint die Vergänglichkeit dieser unbeschwerten Jugend greifbarer als hier. Das hat wehmütige Züge, ist gleichzeitig skurril und lauthals fröhlich, aber trotzdem leise genug, wo es angebracht ist. Huber bevormundet seine Leser nicht, er erklärt auch selten die Einzigartigkeit dieses Lebensgefühls, weil er sich letztlich darauf verlassen kann, dass sein Publikum sich in in Krüger und in diesem Sommer wiedererkennt.

Launige Lese-Literatur, die einlullt und Wachmacht zugleich, die Erinnerungen weckt und Träume provoziert. Da verzeiht man selbst einige wenige krumme Formulierungen und den sporadischen Satzfehler hier und da. Einfach nur echt - und schon jetzt ein Klassiker unter den zahllosen Coming-of-Age-Romanen! Danke, Christian Huber. Danke aus tiefstem Herzen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.05.2022
Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2
Pötzsch, Oliver

Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2


ausgezeichnet

Handwerklich meisterhafter Histo-Thriller!

Im kaiserlichen Wien kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts geht es hoch her: Zuerst taucht ein angesehener Archäologieprofessor als mumifiziertes Mordopfer stilecht in einem Sarkophag auf, dann erschüttert eine Mordserie an jungen Männern in den eher anrüchigen Vierteln der Hauptstadt die Öffentlichkeit und zu guter Letzt stellt ein bizarrer Raubkatzenangriff die Polizei vor weitere Rätsel. Es wird also erneut Zeit für Inspektor Leopold von Herzfeldt, seine zwischenzeitlich zur Polizeifotografin aufgestiegene Freundin Julia Wolf und den Totengräber Augustin Rothmayer, mit ihren unkonventionellen Ermittlungsmethoden gehörig anzuecken ...

Dass Oliver Pötzsch erfolgreich Bestseller am laufenden Band produzieren kann, hat er spätestens mit der inzwischen acht Bände umfassenden Henkerstochter-Saga bewiesen, die auch international große Beachtung fand. „Das Mädchen und der Totengräber“ ist hingegen die Fortsetzung seiner anderen, erst im vergangenen Jahr begonnenen historischen Krimi-Reihe um den jüdischen Kommissar von Herzfeldt, mit der Pötzsch um ein paar Jahrhunderte nach vorn springt. Das gelingt mit Leichtigkeit, denn man merkt inzwischen deutlich die stetig gewachsene Erfahrung, die der einstige Journalist in den sorgfältigen dramaturgischen Aufbau seiner Geschichte fließen lässt. Natürlich ist all das immer noch lupenreine Unterhaltungsliteratur, aber die handwerkliche Finesse in fast allen Details des beinahe 500 Seiten starken Krimi-Sequels ist gerade für deutsche Verhältnisse schon überragend und braucht den Vergleich mit internationalen Spannungsautoren kaum noch zu scheuen.

Das Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts erwacht in unzähligen kleinen Nebensätzen zu atmosphärischem Leben, während der temporeiche Handlungsverlauf zu keiner Zeit auch nur annähernd zu langweilen beginnt und Pötzsch, gewitzt wie er ist, die nachgesagte Behäbigkeit eines typischen Massenmarkt-Historienschinkens geschickt mit den blutrot grausigen Pathologieschweinereien moderner US-Hardcore-Thriller verwebt. Das ist clever gemacht und wird Teile des Zielpublikums sicherlich verschrecken, sollte dem Autor aber problemlos jede Menge neue Fans erschließen. Stilistisch meisterhaft und ein wohlverdienter Platz in der ersten Liga deutschsprachiger Unterhaltungsautoren – mindestens auf Augenhöhe mit den Fitzeks, Schätzings und Eschbachs dieser Welt.
Definitiv wohl der heißeste Tipp des Thriller-Frühjahrs!

Bewertung vom 01.05.2022
Love in the Big City
Park, Sang Young

Love in the Big City


ausgezeichnet

Twentysomething-Kult!

"Love in the Big City" ist keine New-Adult-Romance-Kladde, auch wenn sich Titel und Cover fast ein bisschen so anfühlen. Aber Sang Young Parks quasi-autobiographischer Bestseller über das Leben und Lieben unangepasster Twentysomethings in Südkorea ist schon ein anderes Kaliber: Er schert sich nicht um Strukturen und Spannungsbögen herkömmlicher Art, sondern malt ein breites, buntes, mal depressives und dann wieder lebensfrohes Sittengemälde eines Lifestyles zwischen traditionellen Kulturen und einer hochtechnisierten Umwelt. Seine Hauptfigur Young ist ein schwuler Mann Anfang 30, der jahrelang mit seiner besten Freundin zusammenlebt, sich nebenher um seinen Job und gleichzeitig die kranke Mutter kümmert und langsam seinen Weg ins Leben sucht. Der führt über zahlreiche kurze Bekanntschaften und ein paar intensive Flirts tatsächlich auch zu längeren Beziehungen, aber legt Young durchaus auch ein paar gesellschaftliche Hürden in den Weg. Und irgendwie vermisst er auch Jaehee, seine langjährige Mitbewohnerin, Freundin und engste Vertraute, die selbst an ihrer Zukunft arbeitet. Das Leben ist aufregend und voller Möglichkeiten ...

Fern von verkitschten Lovestories erzählt "Love in the Big City" in einer Sprache, die zugleich von spannender Nüchternheit und exotischer Lebensfreude dominiert wird, und genau deswegen mit höchster Detailversessenheit ein Lebensgefühl widerspiegelt, in dem man permanent Ziele aus den Augen verliert, während sich andernorts neue Herausforderungen auftun, in dem der Drang, im Augenblick zu leben, übermächtig wird im Angesicht all der erforderlichen Zukunftsplanung - und in dem Schwulsein dazu gehört, obwohl es längst noch nicht überall angekommen ist. Ein Buch wie ein Strudel. Gefangen in den Nichtigkeiten des literarischen Alltags mag man gar nicht zurück in die Wirklichkeit, deren Reiz aber gar nicht so fern liegt wie man meint. Ein Augenöffner - und ein phänomenales Leseerlebnis!

Bewertung vom 08.03.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


sehr gut

Michael Hartung, Ex-Stellwerkarbeiter bei der ostdeutschen Bahn, später Stasi-Inhaftierter und nach der Wende in diversen Geschäften mehr oder minder erfolglos, hat in seiner mittlerweile mies laufenden Videothek "Moviestar" zwar, wie bei ihm üblich, den Trend der Zeit verschlafen, aber lebt sein Leben genügsam und alten Erinnerungen nachhängend inmitten längst vergessener Filmklassiker und den gelegentlichen Feierabend-Bierflaschen. Als eines Tages ein Reporter bei ihm auftaucht und ein über 35 Jahre zurückliegendes Missgeschick als heldenhafte DDR-Fluchthilfe neu interpretiert, gerät Hartung als Retter wider Willen ins gleißend helle Licht einer medialen Öffentlichkeit auf der Suche nach neuer Beute. Ein irrer Trip beginnt ...

Maxim Leos "Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße" ist ein Stück neuer deutscher Literatur, das es sich mit unbeirrter Selbstsicherheit zwischen den sarkastischen Kalauer-Kladden auf den Bestsellerregalen der großen Buchhändler und der eher feinsinnigen Verschrobenheit eines Sven Regener gemütlich macht und seinen Antihelden Michael Hartung als moderne Kollage aus Münchhausen, Eulenspiegel und dem Simplicissimus anlegt. So wie die großen Vorbilder hält auch Hartung der deutsch-deutschen Wirklichkeit mit beißendem Spott einen Spiegel vor, demontiert die heutige Medienlandschaft ähnlich mitleidlos wie zuletzt Timur Vermes in "Er ist wieder da" und hat dabei einige sehr kluge Sätze zum Verhältnis der ehemals voneinander getrennten alten und neuen Bundesländer zu sagen. Letztendlich bleibt, abseits einer wirklich amüsanten Geschichte mit teils überzeichneten, aber (fast) immer sympathischen Figuren, die Erkenntnis eines gewollten Missverständnisses, mit dem sich die Öffentlichkeit ihr eigenes Bild von den Mentalitäten im geteilten Deutschland zurechtbastelt. Leo wird dieses Bild nicht geraderücken können, aber er lüpft gekonnt den Vorhang und legt den Finger auf alte Wunden, nostalgische Verklärung und verallgemeinerte Feindbilder gleichermaßen. Hüben wie drüben: Nicht alles war schlimm. Manches war schlimmer. Und einiges besser. Aber alles war anders.

Derzeitiger Top-Tipp für Leser unterhaltsamer deutscher Gegenwartsliteratur. Maxim Leo hat's drauf!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.11.2021
Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1
Hector, Wolf

Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1


sehr gut

Solides Mittelalter-Epos

Das elegant-verspielte Cover verrät es schon: Natürlich ist "Die Brücke der Ewigkeit" (hinter dessen Autorenpseudonym Wolf Hector ein bekannter Schreiber aus dem Krimi- und Fantasy-Bereich stecken soll) ein waschechter historischer Roman, der zum großen Teil auf geschichtlichen Fakten basiert. Genauer gesagt, geht es um den Bau der weltberühmten Karlsbrücke in Prag und die Menschen, die in ihrer Konzeption involviert waren.

Hauptfigur ist der junge Otlin, der als Kind die Zerstörung der alten Brücke durch unweigerliche Fluten miterlebt (und nur knapp überlebt) hat, aber natürlich fährt Wolf Hector über den Verlauf von 600 Seiten noch jede Menge anderes bunt-schillerndes Personal auf und wirft den Leser in eine aufregende spätmittelalterliche Welt zwischen Armut und Reichtum, Liebe, Hass, Verrat, Intrigen und unendlichem Erfindungsreichtum. Das Leben in der Mitte des 14. Jahrhunderts wird in vielen Details als kraftvoller Bilderbogen ausgebreitet und bietet allen History-Fans so einige unterhaltsame Stunden in einer längst vergangenen europäischen Epoche - inklusive der für dieses Genre mittlerweile schon üblichen Karten, Zeittafeln, Personenverzeichnisse und Glossare.

Ein Rundum-Glücklich-Paket also, zum Selberlesen und Verschenken (eine Hardcover-Ausgabe wäre toll gewesen) - und eine interessante Lehrstunde in mittelalterlicher Geschichte und Architektur. Ganz und gar empfehlenswert!

Bewertung vom 14.10.2021
Gesammelte Werke
Sandgren, Lydia

Gesammelte Werke


ausgezeichnet

Ein gewaltiges Werk

Der Göteborger Verleger Martin Berg steckt in einer Sinnkrise. Sein einst so renommiertes Verlagshaus läuft nicht mehr so, wie es soll, seine Frau Cecilia ist seit Jahren verschwunden, die beiden Kinder sind erwachsen geworden und leben ihr eigenes extrovertiertes Leben - und nun bricht auch der Kontakt zu seinem ehemals besten Freund Gustav ab. Während Martin sich wehmütig zurückerinnert an die unbeschwerte Sturm-und-Drang-Zeit seiner Jugend, an jenes in den 70ern und 80ern scheinbar unbesiegbare Trio der Lebensfreude, das aus ihm selbst, Gustav und Cecilia bestand und sich eine Welt eroberte, die sie sich zu eigen machen konnten, stößt seine Tochter Rakel bei der von ihrem Vater selbst bei ihr in Auftrag gegebenen Übersetzung eines deutschen Bestsellers auf Spuren ihrer Mutter und macht sich kurz entschlossen auf die Suche nach dem Autor des Werks.

"Gesammelte Werke" ist zwar unverkennbar ein (wild sprudelnder) Debütroman, aber gleichzeitig eine akribisch ausgearbeitete, epochale Saga von fast 900 Seiten Umfang, die über die volle Länge hinweg tatsächlich etwas zu sagen hat - auch wenn man das oft genug vergisst angesichts der ungeheuer spielerischen Fabulierfreude, die zwischen den Zeilen schwingt.

Lydia Sandgren hält ihre überbordende Liebe zu Sprache, Literatur und Zeitgeist dann tatsächlich über den ausladenden Umfang hinweg aufrecht: Selten fliegt ein Gesellschaftsroman so derart leichtfüßig und dennoch auf tiefgründige Art unterhaltsam vorbei wie diese Meta-Familiensaga, deren Charaktere trotz geballter literarischer Querverweise so real und anfassbar wirken wie unsere eigenen Nachbarn. Atemberaubend selbstsicher und auf trotzige Art stilbewusst - ein junges wildes Debüt, das man nicht mehr aus der Hand legen mag.

Bewertung vom 28.09.2021
Das Haus der Düfte
Lambert, Pauline

Das Haus der Düfte


sehr gut

Die große Duft-Saga

Im Paris der beginnenden 1950er Jahre träumt die junge Anouk davon, aufregende Düfte zu entwickeln und es als Parfümerie zu Erfolg zu bringen, doch noch steckt sie in der Apotheke ihrer Mutter fest, die eine andere Karriere für sie vorgesehen hat. Die Begegnung mit dem galanten Stéphane ändert alles, denn der Geschäftsmann gehört zu einer der bekanntesten Duftdynastien Frankreichs. Durch ihn, den sie mit den Fähigkeiten ihrer Nase beeindruckt, gelangt Anouk in die Parfümstadt Grasse und beginnt, bei der Familie Girard ihren Traum zu leben. Doch auch die Girards haben eine Vergangenheit, und bald schon ziehen dunkle Wolken über dem sorglosen Leben auf ...

In zwei Zeitebenen (vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zur Mitte der 50er Jahre) erzählt Pauline Lambert gekonnt eine klassische Familiensaga um Liebe, Macht und düstere Geheimnisse nach bewährtem Muster. Das wirkt zu keinem Zeitpunkt überraschend oder sonderlich innovativ, aber die Stärke von Lamberts Roman liegt auch nicht darin, das Rad neu zu erfinden. Stattdessen stattet sie ihren epischen Duft-Bilderbogen mit prallen und greifbaren Charakteren aus, die man gern durch die üblichen Höhen und Tiefen einer Glamour-Welt begleitet, so dass sich das "Haus der Düfte" schnell mit charmanter Leichtigkeit als klassische Wohlfühllektüre etabliert. Insbesondere Parfümliebhaber werden an den Erlebnissen der jungen Anouk ihre helle Freude haben, denn die Autorin spart nicht mit informativen Einsprengseln und Details zu den bekannten klassischen Düften jener Zeit, so dass es die geneigten Leser:innen nach dem Zuklappen des Buchs wohl unweigerlich in die nächste Parfümerie ziehen wird, um all den flüchtigen Gerüchen nachzuspüren, denen man im Laufe dieser epischen Saga begegnet. Feel good par excellence!

Bewertung vom 21.09.2021
Die vier Winde
Hannah, Kristin

Die vier Winde


ausgezeichnet

Ein amerikanisches Epos

Elsa wächst in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts im Norden von Texas auf und ist das Aschenputtel ihrer Familie, der man nicht zutraut, jemals einen Mann zu finden oder eine Familie zu gründen. Als sie sich in den jüngeren Italo-Amerikaner Raf verliebt, schwanger wird und ihre Familie sie verstößt, beginnt ein hartes Leben in einer neuen Familie für sie. Jahre später hat sie sich mit ihrem Schicksal arrangiert, doch die große Depression und die fürchterlichen Sandstürme des mittleren Westens haben das Land fest im Griff. Elsa und ihre Familie nehmen all ihren Mut zusammen, lassen ihre Verzweiflung hinter sich und ziehen westwärts. Eine gefährliche und abenteuerliche Reise beginnt ...


Kristin Hannah, unter den großen US-Gegenwartsautoren bereits eine der etablierten, hat mit "Die vier Winde" ihre eigene Version der "Great American Novel" realisiert. Atmosphärisch dicht und in ihrer ausladenden erzählerischen Vision irgendwo zwischen John Steinbeck und Colleen McCullough angesiedelt, schildert Hannah die epische Geschichte von der Realisierung des persönlichen amerikanischen Traums mit dem wissenden Blick einer Erzählerin, die schon alles gesehen hat. Im besten Sinne des Wortes ein klassischer Lebens- und Entwicklungsroman, fernab von den abenteuerlichen Histo-Schmökern für Frauen, die sonst so in den letzten Jahren den Markt überschwemmt haben. Hat das Zeug zum modernen Klassiker - unbedingt lesen!

Bewertung vom 12.09.2021
Die Tote mit der roten Strähne
Kent, Kathleen

Die Tote mit der roten Strähne


sehr gut

Hart & unkonventionell

Polizistin Betty verschlägt es aus New York in ihre neue Dienststelle beim Drogendezernat in Dallas/Texas - und kaum hat sie dort angefangen, da geht auch schon ein Einsatz schief und ihr Leben läuft aus dem Ruder. Nun ist ihr ein viel mächtigerer Feind als das Kartell auf den Fersen, und die rote Locke auf ihrem Bett ist eine erste ernste Warnung.

Kathleen Kent, bisher eher im gehobenen historischen Roman zu Hause, vollführt mit ihrem ersten Thriller eine knallharte Kehrtwendung. Dass sie eine erfahrene Autorin ist, beweist der Schreibstil ihres Frauenkrimis, der sich klar von ihren bisherigen Werken unterscheidet und dennoch uneingeschränkt authentisch wirkt. Dabei sticht vor allem ihre starke Protagonistin Betty Rhyzyk heraus, eine faszinierend andere Heldin, nicht nur wegen ihres flammendsten Haars. Als Frau in einer Männerdomäne und bekennende Lesbe muss sie mit den Wölfen heulen und sich jeden Respekt hart erarbeiten, was sich wirklich wohltuend abhebt von vielen anderen weiblichen Romanheldinnen, die oft genug Entscheidungen einzig und allein auf der emotionalen Ebene treffen.

Ein bisschen schießt Kent hier übers Ziel hinaus, denn die unverblümte Sprache und die sehr direkte Handlung sind sicher nicht jedermanns Sache, aber weniger sensible Naturen (die bei Thrillern eigentlich die Hauptzielgruppe bilden) werden an der an klassische Hollywood-Action angelehnten Rasanz (mit einem Hauch Schmiermilieu) ihre Freude haben.

Alles in allem ist "Die Tote mit der roten Strähne" ein gelungener und grimmiger Noir-Thriller, der ein paar Längen in der Erzählung und eine etwas einfachere Struktur im Plot mit einer faszinierenden Perspektive allemal wieder wettmacht. Augen auf, der zweite Teil ist bereits in Reichweite!