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Benutzername: 
Milli11
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 99 Bewertungen
Bewertung vom 01.03.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


ausgezeichnet

Aus Versehen zum Wende-Helden

Der Videothekenbesitzer Michael Hartung, dem bislang eher das Pech an den Fersen klebte, wird über Nacht und durch einen Story-versessenen Journalisten zum Star des Wende-Jubiläums. Und weiß nicht wirklich, wie ihm geschieht. Aus Faulheit und Unachtsamkeit hat er vor vielen Jahren einen S-Bahn-Zug über die Grenze nach West-Berlin fahren lassen, wobei auch das nur die halbe Wahrheit ist. Die Genossen der Grenzsicherungsorgane hatten völlig unbeabsichtigt auch ihren Anteil daran, aber das soll nun bitte erst recht nicht an die Öffentlichkeit.

Und die ist begeistert von diesem sympathischen, so ganz anderen Helden. Mal nicht so ein Zauselbart mit immer derselben moralinsauren Wendestory. Und alles könnte schön sein, wenn den Helden nicht das Gewissen plagen würde, dass die schöne Geschichte vielleicht eben auch ein bisschen zu schön gefärbt ist.

Ein Buch zum Lachen, aber trotzdem auch zum Nachdenken. Funktioniert unser Politiksystem wirklich so? Werden aus unseren Steuergeldern Unmengen an immer dieselben Erinnerungs- und Gedenkvereine ausgeschüttet, deren Selbstzweck nur der Erhalt der eigenen Positionen ist? Wir ersticken an Gedenkstunden, Denkmälern, Erinnerungsstätten, Mahnmalen, oft mit guter Absicht initiiert, aber irgendwann nur noch wichtig für die Betreiber aus profanen finanziellen Gründen. Und vermutlich liegen auch die Meinungen vieler Ossis und Wessis übereinander nicht so weit weg von dem, was hier im Buch so aufgeführt wird.

Besonders gut hat mir die Figur von Frau Dr. Mundsburg gefallen, eine Frau, deren Hauptaufgabe im Glattbügeln unliebsamer Zwischenfälle liegt. Bevor die Zwischenfälle überhaupt entstehen, natürlich. Genauso stelle ich mir unseren Politikbetrieb vor und alle spielen locker mit und profitieren. Auch zu einigen anderen Figuren kommen mir ganz schnell Assoziationen an bekannte Persönlichkeiten.

Zum Glück hat aber unser Held noch ein recht geerdetes Umfeld, das ihn wieder auf den Boden holt und der Geschichte einen guten Ausgang bringt.
Sehr unterhaltsam und amüsant, den Autor behalte ich gerne im Gedächtnis. Dafür 5 Sterne.

Bewertung vom 22.12.2021
Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1
Hector, Wolf

Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1


sehr gut

Liebe, Hass und eine wunderschöne Brücke

Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon über die Karlsbrücke gelaufen bin, aber muss zugeben, dass ich mir über die Zeit und den immensen Aufwand für den Bau nie Gedanken gemacht habe.

Und der wird in diesem Buch sehr anschaulich geschildert. Schon allein die Zeiträume innerhalb derer die Bauten damals, also nicht nur Brücken, sondern auch Kirchen und Paläste geplant und ausgeführt wurden, sind für uns unvorstellbar. In der Regel haben die Baumeister, die die Bauten begonnen haben, das Ende gar nicht erlebt und oft sind auch die Ursprungsideen sehr abgewandelt worden. Exakte Baupläne so wie heute gab es ja auch nicht.
Das ist in diesem Buch glücklicherweise anders, aber gehörige Rückschläge gab es auch. Immer wieder Hochwasser, die große Teile der Konstruktion wegreißen, Baugrundverhältnisse, die man nicht vorhersehen konnte und Probleme mit Material und Personal.

Aber auch der menschliche Faktor kommt in diesem Buch nicht zu kurz, der Baumeister Jan Otlin liebt eine sehr ungewöhnliche junge Frau, die von klein auf sehr viel Böses erlebt hat, sein Polier liebt wiederum eine Frau, die für ihn völlig unerreichbar ist und wird von dieser Leidenschaft und seinem großen Ehrgeiz, die Stelle des Brückenbaumeisters einnehmen zu können, förmlich zerfressen. Um Frau und Stellung zu erreichen, nutzt er alle Möglichkeiten und bedient sich auch einer geheimnisvollen Magierin, für die allerdings ihre eigenen Ziele immer Vorrang haben und dafür geht sie wortwörtlich über Leichen und opfert alle und jeden.

Das liest sich durchaus spannend, die mittelalterlichen Verhältnisse werden sehr anschaulich dargestellt und natürlich gibt es auch recht glückliche Wendungen, die es wohl in Realität nie gegeben haben dürfte. Aber das tut dem Buch keinen Abbruch.
Von mir hier gute 4 Sterne.

Bewertung vom 16.09.2021
Julius oder die Schönheit des Spiels
Saller, Tom

Julius oder die Schönheit des Spiels


sehr gut

Sport und Politik

Der kleine Julius wächst in einer sehr privilegierten Familie auf, die auf einem alten Adelsgut hoch über dem Rhein lebt und sein Großvater ist so begütert, dass er seinen Enkeln sogar einen Tennisplatz anlegen lassen kann. Und das zu einer Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg, als die meisten Menschen froh gewesen wären, genügend Essen zu haben.

Julius liebt dieses neuartige Spiel und gemeinsam mit seinen Schwestern, die für Mädchen in dieser Zeit durchaus unkonventionell aufwachsen, übt er ohne Ende und mit großer Begeisterung. Er gewinnt erste Tourniere und seine Familie und besonders der Großvater unterstützen seine Leidenschaft.

Nach dem Abitur zieht er nach Berlin, vordergründig zum Jura-Studium, wie das in seiner Familie so üblich ist, tatsächlich aber, um das Tennisspiel in einem der besten Clubs des Landes weiter zu perfektionieren. Das Leben in Berlin ist ganz anders als in der ruhigen Weinbau-Gegend seiner Heimat, er kommt in der Berliner Gesellschaft an, macht erste Erfahrungen mit Frauen und trifft sogar seine alte Jugendliebe Julie wieder, die er noch immer heftig liebt und heiratet. Was ihn nicht davon abhält, auch Erfahrungen mit der Männerliebe zu machen.

Aber die Republik verändert sich, die Nazis gewinnen immer mehr Einfluss und das Spiel unter Gentlemen darf nicht mehr der sportlichen Begeisterung und der Fairness dienen, sondern muss Siege für das Reich einfahren. Und da kollidiert Julius‘ Sicht auf den Sport ganz gewaltig mit der Politik. Das muss er sehr schmerzhaft erfahren.

Das Buch erzählt in 3 Ebenen, zum einen der Werdegang von Julius von Kindheit an, dann in kurzen Briefen von Julius aus dem Gefängnis und dann die Sicht des sportlichen Gegners, gegen den er in seinem letzten großen Spiel in Amerika angetreten ist.
Mir hat das Buch sehr gefallen, die Handlungen der einzelnen Personen sind durchaus schlüssig und nachvollziehbar, das Leben im Berlin der 20iger und 30iger Jahre wird sehr bunt beschrieben und die Spannung, wie es mit Julius endet, hält sich bis zum Schluss. Der dann doch sehr überraschend war.

Deshalb von mir eine klare Empfehlung und sehr gute 4 Sterne.

Bewertung vom 16.09.2021
Ein Koffer voller Schönheit / Frauen, die die Welt schöner machen Bd.1
Engel, Kristina

Ein Koffer voller Schönheit / Frauen, die die Welt schöner machen Bd.1


sehr gut

Mit AVON in die Selbständigkeit

Die junge Mutter Anne tuckert in ihrer himmelblauen Isetta durch das winterkalte Lüneburger Land, neben sich einen großen Koffer voller Avon-Kosmetik. Das ist der Einstieg in dieses Buch, das sich sehr flüssig und unterhaltsam liest.

Anne hat es nach den Brandnächten des 2. Weltkrieges mit ihren Eltern in das kleine Lüneburg verschlagen, alle leiden mehr oder weniger noch an den Kriegstraumata, nicht nur Anne selbst und ihre Eltern, sondern auch der junge Tischler Benno, den Anne noch während des Krieges kennengelernt hat und der unter sehr glücklichen Umständen den Krieg als Soldat überlebt hat. Die beiden finden sich, aber der Alltag ist alles andere als leicht, trotzdem bekommen sie Zwillingen und ihre Liebe hilft über vieles hinweg.

Und dann beginnt der Aufschwung, Benno eröffnet mit einem alten Freund ein Möbelhaus und die Probleme beginnen. Das Möbelhaus läuft nicht gut, auch die Beziehung zwischen Anne und Benno kriselt. Sie möchte nicht nur Mutter und Hausfrau sein, sondern sich als Avon-Vertreterin selbständig machen. Unterstützt wird Anne darin von ihrer Schwiegermutter Margarethe, die ein absolutes Unikum ist, selbständige Besitzerin eines Friseursalons und modisch immer ganz vorn dabei. Ein unabhängiger Geist mit einem aktiven Liebesleben, wie es einer ehrbaren Witwe in den 50iger Jahren ganz bestimmt nicht zusteht.

Aber Anne braucht Bennos Zustimmung um arbeiten zu dürfen, ein Unding aus heutiger Sicht. Und auch die vielgeschmähte DDR, die nicht weit weg von Lüneburg lag, war da wesentlich fortschrittlicher. Nachdem Benno widerwillig zugestimmt hat, kämpft sich Anne durch die Tücken der Selbständigkeit, gewinnt aber bald nicht nur Kundinnen, sondern auch Freundinnen in den Landfrauen, die sie mit bunten Produkten versorgt. Das Geschäft läuft gut, was aber weder Benno noch den Kindern so richtig gefällt.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, man erfährt sehr viel über die Probleme und Ängste, die die Menschen nach dem Krieg noch tief in sich getragen haben und in der Regel alleine bewältigen mussten, da der alltägliche Überlebenskampf viel wichtiger war. Und wie wunderbar der Fortschritt dann in den Häusern eingezogen ist, mit Fernsehgeräten und so großartigen Erfindungen wie Dosenravioli, Tütenkartoffelpüree und löslichem Kaffee.

Vieles erscheint mir so unendlich weit weg und doch gleichzeitig sehr bekannt. Mein Fazit: ein wunderbarer Ausflug in die jüngere westdeutsche Geschichte, dafür von mir sehr gute 4 Sterne.

Bewertung vom 18.08.2021
Ich hätte da was für Sie
Cordes, Vera

Ich hätte da was für Sie


ausgezeichnet

Ich mag die Gesundheitssendungen der 3. Programme sehr gerne, weil sie in der Regel relativ einfache Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesundheit vorstellen, daher war ich sehr interessiert, diese Tipps mal gesammelt als Buch und in Ruhe lesen zu können. Ich bin nicht enttäuscht worden.

Eine ganze Menge Anregungen habe ich schon umgesetzt (z. B. ist das Arthrose-Gewürz bei mir jetzt schon im Einsatz) und Manches werde ich noch angehen. Vielleicht sogar mal wieder Kopfstand probieren? Oder einen Hafertag einlegen? Allerdings werde ich eher keine Schlaufen und Haken an meiner Wohnzimmerdecke befestigen, da geht mir die wohnliche Optik doch über die Sportbetätigung.
Die meisten Ideen lassen sich ohne viel Aufwand zumindest mal probieren, das mindert die Hemmschwelle zum Einsteigen doch erheblich.

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut, die Kapitel sind übersichtlich gegliedert und mit kleinen Illustrationen versehen, das jeweilige Gesundheitsproblem wird erstmal erläutert und auch der persönliche Bezug zu Erfahrungen mit und bei den Familienmitgliedern lockern das Buch gut auf, so dass es alles andere als ein dröges Sachbuch ist. Und auch auf eine Ratgeberin aus dem Fernsehen wird offenbar in der eigenen Familie nicht immer gehört.

Ich werde das Buch mit Sicherheit immer mal wieder zur Hand nehmen und versuchen, etwas daraus umzusetzen oder Hilfe zu finden.
Von mir ganz klar eine 5-Sterne-Empfehlung.

Bewertung vom 21.07.2021
In diesen Sommern
Hecht, Janina

In diesen Sommern


gut

Rückblicke

Ich hatte mir unter diesem Buch etwas komplett Anderes vorgestellt, eher einen langen ausführlichen Familienroman, aber hier besteht das Buch eher aus mehr oder minder kurzen Rückblicken oder Momentaufnahmen in die Kindheit und Jugendzeit der Hauptperson Teresa.

Sie lebt in einer ganz normalen Vater-Mutter-2 Kinder-Familie und die ersten Episoden erzählen vom Fahrradfahren-lernen mit dem Vater, von Sommeraktivitäten mit der Mutter, alles ganz banale alltägliche Geschichten. Trotzdem schwebt da immer so eine unklare Wolke darüber und diese Wolke entpuppt sich als der Vater.
Offenbar hat dieser ein gewaltiges Alkoholproblem und wie immer in diesen Konstellationen leidet die Familie schwer darunter. Das geht hin bis zu Tätlichkeiten, gerade auch der kleine Bruder hat damit schwer zu kämpfen. Und die Kinder wissen nie, wie sich der Tag entwickelt, diese Ungewissheit belastet ganz besonders.

Andererseits gibt es auch ganz glückliche normale Momente, mit den Großeltern, im Urlaub und auch mit dem Vater, er unterstützt Teresa in ihren Hobbys und alles scheint ganz normal und alltäglich.
Schlussendlich und nach langen Jahren entscheidet sich die Mutter zur Trennung und dem Vater fehlt dann jeglicher Halt, die Kinder haben wenig Kontakt zu ihm und gewisse Reflexe und Ängste werden wohl für das restliche Leben bei ihnen eingebrannt bleiben.

Der Schreibstil ist eher nüchtern und einfach, große und dramatische Emotionen sind da nicht zu finden, aber eine gewisse Eindringlichkeit entsteht vielleicht auch gerade dadurch.

Mir tut die ganze Familie leid, auch der Vater, der von seiner Sucht nicht loskommt und dadurch die Familie verliert, aber so richtig tief berührt mich das Buch nicht, dafür ist mir der Schreibstil zu sachlich und lakonisch, daher von mir gute 3 Sterne.

Bewertung vom 21.07.2021
Wildtriebe
Mank, Ute

Wildtriebe


sehr gut

3 unterschiedliche Frauen auf einem Hof

Da ist der Autorin ein ganz ruhiges unaufgeregtes Buch über den Lebensalltag dreier Frauen aus 3 Generationen gelungen.

Marlies heiratet Konrad, den Erben eines der angesehensten Höfe des Dorfes. Und auf diesem Hof hat Lisbeth, Konrads Mutter das Sagen, ihr Wort gilt und sie lebt und leitet den Haushalt und Hof, wie sie es von ihren Vorfahren gelernt hat. Das war kein einfaches Leben, aber jede Tätigkeit hatte ihren Sinn und orientierte sich am Bestehen und Wohlergehen des Hofes.

Marlies mag sich aber weder in dieses Gefüge nahtlos einpassen noch hat sie gelernt, eine Bäuerin zu sein. Und so beginnt sie wieder zu arbeiten, sie macht den Jagdschein als einzige Frau des Dorfes und lernt Traktor fahren. Alles Sachen, die Lisbeth nicht gut finden kann. Vor allem aber bekommt sie nur ein Kind und das auch eher aus Zufall und nicht als Wunsch.

Diese Tochter Joanna ist wiederum der Sonnenschein für Oma Lisbeth und steht wiederum in ihren Lebenseinstellungen oft gegen ihre Mutter Marlies. Und Oma Lisbeth hat für Verhaltensweisen und Handlungen ihrer Enkelin wesentlich mehr Verständnis als sie es für ihre Schwiegertochter hat. Was wiederum Marlies auch sehr aufstößt.

Der Roman erzählt abwechselnd aus Sicht von Lisbeth und von Marlies, jede der Frauen hat Gründe für ihr Verhalten, ich kann jede Seite verstehen, aber sie werden sich nie untereinander verstehen. Das ist sehr fein beschrieben, unwillkürlich schlüpft man immer in die jeweilig erzählende Denkwelt. Die Männer auf dem Hof erscheinen dagegen eher als arbeitende Statisten, die den stillen Kampf zwischen den Frauen nur am Rande bemerken und sich wohlweislich eher heraushalten. Was zumindest bei Marlies und Konrad nicht zur Besserung des Ehelebens beiträgt.

Und gleichzeitig ist das Buch auch eine Geschichtsstunde über das Leben in Westdeutschland vom Ende des 2. Weltkrieges bis zur Gegenwart. Viele Sachen kommen uns heute absurd vor, z. B. dass die Frauen in Westdeutschland sehr lange die Einwilligung ihres Ehemannes benötigten, wenn sie arbeiten gehen wollten.
Die Sprache des Buches ist durchaus ungewöhnlich, viele Halbsätze, die zuerst meinen Lesefluss hemmten, aber doch zum Buch und der Geschichte sehr gut passen.

Alles in allem eine ganz ruhige Lektüre, die zum Nachdenken bringt, deshalb von mir 4 Sterne.

Bewertung vom 29.06.2021
Fräulein Mozart und der Klang der Liebe / Ikonen ihrer Zeit Bd.4
Maly, Beate

Fräulein Mozart und der Klang der Liebe / Ikonen ihrer Zeit Bd.4


sehr gut

Ein Frauenschicksal: weder Liebe noch Karriere

Das Buch ist keine Biographie und enthält reichlich künstlerische Freiheit, liest sich aber vielleicht gerade deswegen sehr leicht und unterhaltsam.
Nannerl Mozart ist die ältere Schwester des berühmten Wolfgang Amadeus Mozart, obwohl sie eine sehr talentierte Klavierspielerin war, stand sie immer im Schatten ihres Bruders. Und da zeigt sich die ganze Tragik eines Frauenlebens der damaligen Zeit, auch mit großem Talent ist als Frau keine große Karriere möglich, ist der potentielle Ehekandidat nicht wohlhabend, wird es auch nichts mit der Erfüllung der Liebe. Und genauso ergeht es auch Nannerl.

Sie muss alsbald auf die geliebten Konzertreisen verzichten, ihr Vater setzt sie wissentlich der Gefahr der Blattern aus und schützt nur seinen Sohn, sie opfert ihre kleinen Einkünfte als Klavierlehrerin mehr oder minder begabter Töchter aus besserem Haus dem verschwenderischen Bruder und opfert nicht zuletzt auch ihre große Liebe und heiratet einen anderen Mann, um die Schulden ihrer Familie begleichen zu können. Letztes kommt mir besonders bitter, denn das Eheleben mit dem wohlhabenden Witwer und Vater diverser Kinder ist sehr anstrengend und nicht glücklich.

Was ihr der Bruder auch nicht dankt, denn Wolfgang wird recht übereinstimmend als sehr egozentrisch, unemphatisch und verschwenderisch beschrieben, auch seine Ehefrau Constanze hat unter seinen diversen finanziellen und amourösen Eskapaden sehr zu leiden.
Zumindest im Buch findet Nannerl schlussendlich doch noch ein kleines Stück Liebe, ob es wirklich so war, werden wir nicht mehr erfahren.

Und ich bin wieder mal sehr froh, in der Gegenwart in Mitteleuropa zu leben, in der die Frauen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können, nicht von Vater und Ehemann abhängig sein müssen, ihre Talente ausleben können und nicht zuletzt auch eine wesentlich bessere medizinische Versorgung erhalten. Was sie aus den Möglichkeiten machen, ist von jeder Frau selbst abhängig und das ist ein großes Glück.

Schon allein für dieses Fazit lohnt das Lesen des Buches, für einen Blick auf eine interessante Frau noch einmal, deswegen von mir sehr gute 4 Sterne.

Bewertung vom 04.02.2021
Die Kannenbäckerin
Spratte, Annette

Die Kannenbäckerin


ausgezeichnet

Johanna und die Töpferkunst

Die kleine Johanna hat durch die Pest im Mittelalter ihre komplette Familie verloren. Eine gutmeinende Nachbarin verkleidet sie als Jungen und schickt sie auf den gefahrvollen Weg zu einem unbekannten Onkel, der als Töpfer im Westerwald arbeitet. Und die Verkleidung hilft Johanna wirklich, relativ unbeschadet zu ihrem Onkel zu kommen und sie findet dort Aufnahme und nach einer Weile auch eine Art neue liebevolle Familie. Sie ist ganz fasziniert von der Tätigkeit ihres Onkels und beginnt, selbst zu töpfern, hat viel Spaß daran und erweist sich als durchaus talentiert. So könnte alles sehr schön sein, wenn nicht einerseits immer noch der 30-jährige Krieg wüten würde und man immer mit Überfällen durch Soldaten rechnen müsste und sie andererseits nicht dieses Geheimnis um ihr wahres Geschlecht mit sich herumtragen müsste.
Eines Tages kommt dann wirklich ihr Geheimnis ans Licht.

Ich will hier nicht zuviel verraten, aber das Leben als Frau/ Mädchen in jener Zeit ist durchaus gefahrvoller und schwerer als das der Männer. Zumal wenn man einen eigenen Willen hat und sich, ganz untypisch für eine Frau, nicht unterordnen und einschüchtern lässt.

Der Roman liest sich wirklich sehr flüssig, man erfährt einiges über die Gebräuche der Zeit und natürlich auch über das Töpferhandwerk. Es macht wirklich Spaß, Johannas Weg zu verfolgen. Natürlich ist das kein so großer historischer Roman wie z. B. Ken Follett schreibt, aber gerade für Einsteiger in das Mittelalterleben ist das ein wirklich gutes Buch.

Auch die Emotionen kommen nicht zu kurz, so dass hier viele Facetten gut bedient werden. Von mir eine klare Empfehlung mit 5 Sternen!

Bewertung vom 24.11.2020
Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück
Bernstein, Lilly

Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück


ausgezeichnet

Hunger, Kälte und Not zwischen Ruinen

Die kleine Anna und ihre Tante Marie leben in Köln, der Mann von Tante Marie ist Bäcker und allen könnte es richtig gut gehen, wenn man sich nicht mitten in den Jahren des 2. Weltkrieges befinden würde. Die Lebensmittel werden immer knapper, ständig gibt es nächtliche Luftangriffe auf die Stadt, die Männer müssen an die Front und die jüdischen Nachbarn verschwinden über Nacht spurlos.

Und dann muss Onkel Matthias auch an die Front, Anna und Marie sind darüber sehr unglücklich und in Angst um ihn, bekommen aber als Hilfe in der Bäckerei den polnischen Zwangsarbeiter Josef und so versuchen die 3, den Laden weiterhin offen und in Betrieb zu halten, während die Lage ringsherum immer schlimmer wird.

Nach Ende des Krieges liegt das Bäckerhaus weitgehend in Trümmern und Marie hat mit dem kleinen Karl ein weiteres Kind zu versorgen, alle leben in größter Not, es gibt keine Lebensmittel, kein Brennmaterial und so muss Marie bei ihrem ärgsten Widersacher arbeiten, um überhaupt irgendwie zu überleben. In dieser Zeit sind die Kinder weitgehend auf sich allein gestellt und versuchen ihrerseits, etwas zu organisieren und zum Leben beizutragen. Trotzdem gibt es auch für Anna und Marie kleine Glücksmomente, sie finden Menschen, die ihnen helfen und so versuchen sie tapfer, die Bäckerei zu erhalten und wiederzubeleben.

Das liest sich unglaublich nahe, man fühlt förmlich die permanente schreckliche Kälte, die im Nachkriegswinter 1946 geherrscht hat und vielen Menschen das Leben gekostet hat. Und man sieht auch, wie gut es uns in unserer heutigen Zeit trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten geht. Tiefen Hunger muss niemand leiden und auch nicht auf der Straße leben.

Ich war sehr berührt von diesem Buch und bin sehr beeindruckt, wie die Menschen es geschafft haben, Mut zu fassen und Pläne zu verwirklichen, auch wenn das unter den gegebenen Umständen erstmal fast aussichtlos erscheinen musste. Ein für mich sehr gelungenes Buch, deshalb volle 5 Sterne.