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Rosenfreund
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Tostedt

Bewertungen

Insgesamt 98 Bewertungen
Bewertung vom 12.04.2023
Der Bojenmann
Schlenz, Kester;Jepsen, Jan

Der Bojenmann


ausgezeichnet

Plastinierte Überraschungen

Die beiden Co-Autoren Kester Schlenz und Jan Jepsen sind in Hamburg, meiner Heimatstadt, aufgewachsen. Es ist ihnen gelungen, ein so tolles Buch über Hamburg, mit viel Lokalkolorit, aber auch Kritik z. B. an der Kreuzfahrtindustrie, der Umweltverschmutzung und dem Kapitalismus zu schreiben. Der Leser erhält interessante Einblicke in die Welt des Hamburger Hafens und die Schifffahrt. Besonders gefällt mir der ehemalige Kapitän und Lotse a. D. Oke Andersen, ein wundervoller, teils antiquierter Charakter, mit vielen Ecken und Kanten, der voller Scharfsinn und Sarkasmus seinem Freund, Kommissar Knudsen, mit wohldurchdachtem Rat zu Seite steht. Aber auch Kommissarin Dörte und der grummelige Kommissar Knudsen sind bunte Figuren, wobei man sich aber auch so mancher Vorurteile bedient hat.
Das düstere Cover mit der Hafenszenerie führt perfekt in die Thematik ein, aber auch die genau beschriebene Plastination von Leichen schafft einen Gruselfaktor.
In diesem Krimi wird in einem sehr makaberen Fall ermittelt, denn man hat es mit einem Serientäter zu tun, der professionell plastifizierte Leichen an wichtigen Stellen in Hamburg zur Schau stellt. Ist er ein Egomane mit unterdrücktem Geltungsdrang?
Neben einfacher Beschreibung gibt es immer wieder actiongeladene, spannende Szenen in lebendigem, lockerem und bildhaftem Schreibstil voller Ironie und Sarkasmus. Neben der Erzählebene der unterschiedlichen Protagonisten, gibt es noch eine weitere Erzählebene, beginnend Anfang der 70er Jahre, die in einer anderen Schrifttype gedruckt ist. Wer wohl dahinter steckt? Der Nordicfaktor wird toll verstärkt durch die Morsezeichen, welche den Kapiteln der Kriminalhandlung als Überschrift dienen. Der Spannungsbogen bleibt erhalten und führt zu einem überraschenden Ende.
Ich mus sagen, wir haben hier einen tiefgründigen Krimi voller Scharfsinn und skurrilem Charme. Dem Co-Autorenduo ist ein flottes Erstlingswerk geglückt, das ich uneingeschränkt empfehlen kann. Ich freue mich schon auf das nächste Werk der beiden.

Bewertung vom 11.03.2023
Fünf Winter
Kestrel, James

Fünf Winter


ausgezeichnet

Verzwickte Spurensuche
Der amerikanische Autor, James Kestrel, erzählt in seinem Thriller von dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor und den daraus resultierenden Kriegswirren. Joe Mc Grady, Detective beim Honolulu PD, soll einen grausamen Doppelmord aufklären und folgt einem Verdächtigen bis nach Hongkong, das dann von den Japanern eingenommen wird. Als Gefangener wird er nach Japan verschleppt, kann jedoch in einem Versteck dem Tode entrinnen, bis es zur Kapitulation Japans kommt. Nach fünf Wintern nimmt er die Verfolgung wieder auf.
Ein tiefgründiger Thriller voller überraschender Twists, grausamen Morden, gewürzt mit Abenteuer, aber auch Liebesgeschichten.
Kestrel hat mit Joe McGrady einen sehr lebendigen Charakter mit vielen Ecken und Kanten geschaffen, aber auch seine „weiche Seite“ sehr gut herausgearbeitet. Viele andere Charaktere sind ebenfalls gut getroffen, wobei ein sehr ruppiger Slang zwischen einigen Polizisten herrscht.
Stefan Lux ist die Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch gut geglückt. Ich hätte mir ein Glossar gewünscht, das gewisse US-typische Begriffe erklärt, ebenso wie eine Landkarte mit den Kriegsschauplätzen, da die meisten Deutschen nur wenig Ahnung davon haben. Mich hat der historische Hintergrund, da größtenteils unbekannt, sehr interessiert. Es ist lesenswert, auch die japanische Kultur- und Denkweise kennenzulernen.
Es geht gleich rasant mit 2 Morden los, und der Spannungsbogen wird über das ganze Buch gehalten, allerdings sind die sehr blutigen Autopsien und die Morde nichts für zartbesaitete Leser*innen.
Sprachlich den Charakteren und Situationen angemessen, wechseln die flotte Dialoge mit leichtverständlichen Schilderungen ab.
Das Cover ist ein Hingucker. Über die Bedeutung der großen roten Sonne kann ich nur spekulieren.
Insgesamt ein toller Thriller, eingebunden in die Zeit des 2.Weltkrieges mit einer verzwickten Spurensuche. Für Krimifans mit historischen Hintergründen sehr zu empfehlen. Das englischsprachige Original hat ja bereits 2 Preise abgesahnt. Das könnte ich mir auch bei der deutschen Übersetzung vorstellen.

Bewertung vom 23.02.2023
Roxy
Bülow, Johann von

Roxy


ausgezeichnet

Wer bin ich wirklich?
Der sehr bekannte Schauspieler, Johann von Bülow, erzählt in seinem Erstlingswerk „Roxy“ von der langjährigen Freundschaft von Marc und Robert, zweier sehr unterschiedlicher Charaktere, die gemeinsam, aber in sehr unterschiedlichen Milieus, aufwachsen. Marc hat sein Leben lang nach Anerkennung gesucht und fragt sich auch nach vielen Jahren der Freundschaft zu Robert (Roy), ob er tatsächlich sein bester Freund war und ist, denn Roy, der Sohn sehr reicher Eltern, muss sich niemals anstrengen, ihm steht die Welt offen, jedoch hat er nicht wirklich ernsthafte Ziele im Leben. Sehr gut gefällt mir die charakterliche Ausformung des Duos. Roy ist generell sehr dominant, aber auch unberechenbar in seinen Handlungen und Äußerungen. Er lebt seine Launen bis zum Exzess aus. Durch Roys unbeschränkte Geldquelle hat er einen großen Fan- und Freundeskreis, denn Riesenpartys, Reisen und spontane Aktionen werden immer von ihm ( bzw. seinem Vater ) bezahlt. Dazu passt sehr gut die Münchner Diskothek „Roxy“, die zum Titel des Werkes wird und auch in dem sehr farbenfrohen und verschwommen wirkenden Cover das Farbenspiel der Diskothek symbolisiert. Roy ist dort der Partylöwe säuft und tobt sich bis zu Exzess aus.
Marc ist das totale Gegenteil: immer auf positive Außenwirkung bedacht lässt er sich so manche Schikane von Roy gefallen. Dadurch, dass er Schauspieler wird ( etwa Anspielung auf Johann von Bülow?) kann er seine Selbstfindung initiieren und in andere Rollen schlüpfen. Aber er gleitet immer wieder in den angepassten Charakter ab und verhält sich so, wie andere ihn haben wollen ( vgl. S.320 d. Werkes).
Kritisch blickt er auf sein halbes Leben zurück, als er zu Roys Beerdigung fährt.
Nicht nur durch den häufig sehr ausgefeilten Erzählstil in Hypotaxe, sondern auch durch locker erzählte Passagen und Sprünge in der Erzählstruktur wird das Werk zu einer gelungenen Unterhaltungslektüre, die aber durch Themen wie Verlust, Erwachsenwerden und Tod zum Nachdenken anregt. Wichtig ist auch die Beziehung der beiden zur selben Frau, die sich durch Roys Egoismus kaum überbieten lässt.
Mir hat das Werk sehr gut gefallen, denn es hat positive wie negative Erinnerungen in mir hochkommen lassen.

Bewertung vom 15.02.2023
Macht
Furre, Heidi

Macht


ausgezeichnet

Ausgeliefert
Mir gefällt die schöne altrosa Farbe des Covers mit den Scherben darin sehr gut. Es passt mit der „Frauenfarbe“ sehr gut zu diesem Thema.
Die Geschichte spielt in Norwegen. Liv, die Protagonistin, hat mit den Nachwirkungen ihrer Vergewaltigung zu kämpfen, dem Moment, als sie die Macht über sich verloren hat und zu einem Objekt der Begierde eines Mannes wurde. Ständig kreisen ihre Gedanken um dieses Ereignis, obwohl sie inzwischen verheiratet ist, zwei Kinder und ein schönes Zuhause hat. Niemand weiß von der Vergewaltigung.
Das Buch ist schwer und bedrückend. Auch die Aufteilung des Werkes hat keine klare Struktur. Es gibt keine einheitlichen Kapitel, teilweise nur sehr kurze Absätze, die wie Scherben wirken. Manchmal spricht Liv die Lesenden sogar direkt an. Die Sätze sind kurz und wirken oft abgehackt. All das passt zu ihrer zerrissenen Persönlichkeit, andererseits lässt sie sich aber völlig in die Opferrolle fallen, bricht eine Gesprächstherapie nach nur einer Sitzung ab. Will sie sich überhaupt helfen lassen?
Es ist hervorzuheben, dass sie auch bei sich nach der Schuld sucht. Zu recht finde ich, denn wenn man sich bei einem Date volllaufen lässt, dann mit dem Mann nach Hause mitgeht und „es“ über sich ergehen lässt und sich fragen muss, ob man < nein > gesagt hat oder nur gedacht hat, dann war man sehr unvorsichtig, zumal etliche one-night stands vorher und nachher waren. Die Autorin hat die Konfliktsituation sehr gut beschrieben, aber ich finde keinen Zugang zu Liv, dieser jungen, modernen Frau. Für mich gilt der Satz:“ Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.“ Aber scheinbar ist jede zehnte Frau in Norwegen schon vergewaltigt worden, ein abscheuliches Dilekt, welches von der Gesellschaft und der Polizei aber oft mit einem Schulterzucken abgetan wird. Kommt es zu einer Verhandlung, steht Aussage gegen Aussage, so schreibt Furre.
In Italien am „Zufluchtsort“ von Niki de Saint Phalle, die ebenfalls vergewaltigt wurde, schaft Liv die befreiende Offenbarung, dass auch sie diese Schicksal erlitten hat.
Ein Ende, das eine Persönlichkeitsbefreiung bedeuten könnte.
Dieses Werk kann ich allen an der Problematik interessierten Frauen empfehlen, allerdings fehlt mir die Sicht des Mannes, der, in betrunkenen Zustand, oftmals gar nicht ahnen kann, das die Regungslosigkeit der Frau keine Zustimmung, sondern Angst ist.

Bewertung vom 11.01.2023
NIGHT - Nacht der Angst
Sager, Riley

NIGHT - Nacht der Angst


ausgezeichnet

Kampf ums Überleben

Riley Sager als Autor war mir bisher unbekannt, umso mehr war ich von „Night“ begeistert.
Schon das Cover, vorwiegend in schwarz gehalten, evoziert Nacht und Angst. Man sieht die einsame Landschaft und man kann sich somit gut in die Horrornacht eindenken.
Zu Anfang spielt die Handlung vorwiegend im Auto des Mannes, mit dem Charlie; zwecks Mitfahrgelegenheit, zu tun hat. Sie ist die Hauptprotagonistin. Zwar hat dieser erste Teil einige Längen, die man jedoch überfliegen kann. Wir haben hier vorwiegend Dialoge, die eine gute Interpretation der Charaktere ermöglichen.
Der Plot ist sehr vielschichtig und spannend aufgebaut. Die Studentin Charlie ist sehr differenziert beschrieben. Da sie an einer Art Schuldkomplex leidet, weil sie sich für schuldig am Tod ihrer besten Freundin hält, wird für Verwirrung gesorgt. Sie driftet nämlich, besonders in Stresssituationen, in eine irreale Scheinwelt ab, sie nennt sie „Film im Kopf“, jedoch wird dem Leser nicht klar, in welcher Ebene, der realen oder der irrealen sie sich gerade befindet. Somit werden Horrorszenarien geschildert, die zusätzlich Spannung erzeugen, oftmals aber so gar nicht stattgefunden haben.Die Handlung ist bis zum überraschenden, aber stimmigen Ende, überzeugend und fesselnd.
Wechselnde Perspektiven und überraschende Wendungen sorgen für noch mehr Spannung.
Hinzu kommt ein sehr anschaulicher Schreibstil, gespickt mit Details, der sich sehr angenehm lesen lässt. Düstere Landschaftsschilderungen in der Einöde tragen gekonnt zum Schaudern bei.
Ein tolles Werk, das einen fesselt bis zum Schluss. Daher meine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 10.01.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Ein Doppelleben

Dieses Werk von Arno Geiger ist mein erstes dieses Schriftstellers. Das Cover in Gelb- und Orangetönen evoziert Fröhlichkeit, Losgelöstsein und gute Laune. Es past perfekt zu einem „glücklichen“ Geheimnis.
Ausgewählt habe ich es, da es eine gänzlich andere und für mich neue Thematik behandelt, denn es geht um die Persönlichkeit Arno Geigers und seine Wandlung vom erfolglosen jungen Autor bis zum gesetzten, erfolggekrönten Autor mit zunehmenden Alter. Dabei berichtet er in dieser Biografie schonungslos von seinen Problemen, Erfolg zu haben und davon leben zu können.
Mindestens einmal wöchentlich fuhr er etliche Jahre lang mit dem Fahrrad die Altpapiertonnen in Wien ab, und entdeckte dabei Tagebücher, Briefkonvolute und Bücher. Er tat das, um durch den Verkauf auf dem Flohmarkt seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, aber er erhielt auch viele Anregungen für seine eigenen Bücher, indem er viele „Fundstücke“ intensiv las und somit in die Gedankenwelt fremder Menschen eindringen konnte. Das Wühlen im Papiermüll wurde zu einer Obsession, für die er sich zunächst schämte, es in dieser „Selbstoffenbarung“ aber als notwendig für seine Persönlichkeitsentwicklung darlegt. Geiger teilt diese „glückliche Geheimnis“ nur mit seiner Lebensgefährtin K.
Es wird deutlich, wie Geiger unter Selbstzweifeln gelitten hat, und wie schwer das Leben eines Schriftstellers sein kann, der Perfektion anstrebt und zwar nicht nur in inhaltlicher Hinsicht, sondern auch in grammatikalischer und semantischer Hinsicht. Das wird in dieser Biografie deutlich, die mich oft zum Nachdenken gebracht hat. Er macht den Unterschied zwischen einem Perfektionisten und einem Serienschriftsteller deutlich, was mir besonders gut gefallen hat.
Ein schonungsloses Werk mit inhaltlicher Tiefe.

Bewertung vom 21.12.2022
Der Strand - Vermisst / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.1
Sander, Karen

Der Strand - Vermisst / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Gehörlose verschwindet
Das Cover dieses Thrillers gefällt mir sehr gut.Die düsteren Wolken evozieren Unheil. Der Weg zum Strand und das aufgewühlte Meer passen perfekt zum Titel.
Das Setting ist ein kleiner Ort auf dem Darß der nun zum zweiten Mal Schauplatz von zwei verschwundenen Frauen geworden ist. Um die beiden ranken sich viele Geheimnisse, und es scheint eine Verbindung zwischen der Vermissten von vor 19 Jahren und der aktuell Vermissten zu geben.
Die Autorin versteht es geschickt, eine rätselhafte, unheilvolle Stimmung zu erzeugen, auch indem sie sich verschiedener Perspektiven bedient.
Die kurzen Kapitel erleichtern den Lesefluss zusätzlich zu dem sehr flüssigen, dynamischen und atmosphärischen Schreibstil. Es gibt immer wieder neue Spannungsbögen, die den Leser bei der Stange halten.
Der Plot ist auf zwei weitere Thriller angelegt, die spannende Unterhaltung versprechen, wobei die Struktur bisher logisch zu verfolgen ist.
Die Ermittlungen werden von Tom Engelhard aus Berlin und Mascha Krieger, einer Kryptologin vom LKA geführt. Beide sind gut portraitiert und authentisch. Natürlich gibt es auch zwischen den beiden Missverständnisse und kleine Reibereien, aber das macht sie umso menschlicher.
Andere interessante Charaktere und kleine Nebengeschichten würzen diesen spannenden Thriller zusätzlich.
Leider wird der Fall nicht aufgelöst, aber somit hat man Lust auf die Folgebände dieser tollen, ausgefeilten Thrillerserie.

Bewertung vom 29.11.2022
Agent Sonja
Macintyre, Ben

Agent Sonja


ausgezeichnet

Sonja, die Topspionin
Ich bin sehr an Werken mit historischen Themen interessiert, besonders an solchen, welche die Entstehung des 2.Weltkrieges behandeln. Die kommunistische Lehre und die brutale faschistische Strömung, die während der Weimarer Republik aufkeimten, waren Gegenpole und werden sehr gut beleuchtet. Einen Spionageroman, der auf Fakten basiert, habe ich bisher noch nicht gelesen. Deshalb konnte ich mein Allgemeinwissen sehr erweitern, indem ich Sonjas Kampfgefährten Agnes Smedly und Richard Sorge „kennenlernen“ konnte. Besonders hat mich aber die Atomspionage um Klaus Fuchs interessiert, die über Doppelagenten informiert und deutlich macht, welche Rolle die Alliierten und Russland spielten und wie es zum kalten Krieg kommen konnte.
Die Protagonistin Sonja ist überzeugte Kommunistin, kann aber nur aus Abenteuerlust und absoluter Leidenschaft diese lebensgefährliche Spionagetätigkeit erfüllen. Sie ist sehr differenziert beschrieben, aber auf mich wirkt sie, wie eine „Getriebene“, die, ohne Rücksicht auf mögliche Verluste, ihre Kinder und 3 Ehemänner mitreißt und gefährdet. Andererseits kann man nur mit absoluter Unterwürfigkeit Moskaus Geheimdienst gegenüber so herausragende Dinge, wie z. B. Ein Bombenattentat auf Hitler, bewerkstelligen.
Das Cover mit dem riesengroßen Titel in rot stellt die Farbe der kommunistischen Partei dar. Es passt also perfekt zu der Thematik dieses Werkes. Sonja im Zentrum mit ihrem Fahrrad in bedrückendem grau, zusätzlich die bedrohlichen Flugzeuge, weisen sehr gut auf diese außergewöhnliche und mutige Topspionin hin.
Der Bestsellerautor, Ben Macintyre, hat ein meist spannendes Sachbuch in faktenbezogener, wenig romantisierender Diktion geliefert, welches gut und zügig zu lesen ist, wenn man die riesengroße Fülle an Informationen und die sehr zahlreichen Personen auch mal überliest. Dabei hat er sehr gut recherchiert und ein äußerst beträchtliches Quellenverzeichnis geliefert, welches ich allerdings nie zu Rate gezogen habe. Gut haben mir die vielen Fotos im Innenteil gefallen.
Als „Wessi“ war ich mit Ruth Werner, so hieß Sonja in der DDR, wohin sie nach ihrer Enttarnung geflohen war, nicht vertraut. Umso mehr hat es mich interessiert, dass sie dort selbst ein Buch mit dem Namen „Sonjas Report“ über ihre Agententätigkeit verfasst hat. Nach diesem Werk wurde in der DDR sogar ein Film gedreht. Ihre Persönlichkeit fasziniert im englischsprachigen Ausland, daher hat Ben Macintyre, ein Engländer und millionenfacher Bestsellerautor im Spionagebereich, es sich zur Aufgabe gemacht, über Sonja zu recherchieren und auf Englisch zu schreiben.
Das umfangreiche Werk hat meine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 05.05.2022
Ein französischer Sommer
Reece, Francesca

Ein französischer Sommer


sehr gut

Sehnsucht nach dem bohèmen Leben
Das Cover mit dem sommerlichen Motiv hat mich dazu bewogen, das Werk zu lesen.
Die Autorin, um deren Erstlingswerk es sich hier handelt, bemüht sich darum, ihrem Roman einen intellektuellen Anstrich zu geben. Sie will zeigen was sie kann, und verwendet in ihrem Sprachstil teils kryptische Formulierungen, Metaphern, bildhafte Formulierungen, Ausdrücke aus der Jugendszene, es werden aber auch landestypische Verhaltensweisen, architektonische Besonderheiten (wer kennt schon die Hausmannschen Häuser im Pariser Zentrum?), französische und englische Ausdrücke eingestreut, die wohl Lokalkolorit erzeugen sollen, jedoch nicht übersetzt werden. Auf mich als Paris- und Londonkenner wirkt das motivierend, aber was ist mit den nicht - Insidern die weder Englisch noch Französisch beherrschen? Der Sprachstil ist also nicht für jedermann leicht zu lesen.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Leah, der Protagonistin, und dem souveränen alternden Autor, Michael Young, erzählt.
Leah, eine Engländerin, ist nach dem Studium in Paris “hängengeblieben” und schlägt sich mit Aushilfsjobs durch. Sie kommt sympathisch rüber, was man von Michael nicht behaupten kann. Leah will nicht in der Tretmühle Londons arbeiten, verweigert aber auch in Paris einen exakten Karriereplan, sondern bewundert eine Art “Bohème Leben” dort, was eigentlich typisch für die 60er Jahre war. Sie stellt sicherlich einen gewissen Typ der heutigen Generation dar, der noch lange auf der Suche nach sich selbst ist. Jedoch stört mich eine gewisse Promiskuität an ihrem Charakter.
Der Autor Young ist von Leah angezogen und stellt sie als Assistentin ein, um seine Tagebücher aus den 60er und 70er Jahren zu sichten und zu ordnen, zusätzlich noch, um seine Korrespondenz zu erledigen, damit er wieder Zeit zum Schreiben hat.
Sie verbringt den Sommer mit Michaels Familie in Südfrankreich, lernt deren intellektuellen Lebensstil kennen, aber hat auch einen tiefen Einblick in die Beziehung Michaels zu seiner Frau, die sich zügellos verhält.
Leah ist noch sehr naiv und unerfahren mit der Nonchalance der Schönen und Reichen, deshalb wird sie enttäuscht.
Die Atmosphäre in Südfrankreich wird wundervoll eingefangen und macht diesen Roman zu einer seichten Sommerlektüre Spannung wird leider weggenommen, da viele Dinge vorhersehbar sind. Das Geheimnis wird gelüftet, plötzlich auftauchende alte Fotos werfen Fragen auf. Es kommt zu einem Streit und ein unerwarteter Gast taucht auf.
Der Roman hat leider einige Längen. Er spielt zwar im Jahre 2016, soll jedoch das seichte Mittelmeerleben der Intellektuellen dort darstellen, was typisch für Michaels “junge” Jahre war.

Bewertung vom 26.04.2022
Nachtschwärmerin
Mottley, Leila

Nachtschwärmerin


ausgezeichnet

Junges Mädchen gerät in den Prostitutionssumpf
Das Cover zeigt eine junge farbige Frau, welche die Hände auf ihren Hinterkopf legt. Zum Schutz vor etwas Schrecklichem?
Im Hintergrund sieht man farbige Lichter, Discolichter? Es wird eine gewisse persönliche Interpretation intendiert, denn das relativ harmlose Bild weist nicht auf den Sumpf von Kriminalität, Drogen und Prostitution hin, dem Kiara ausgesetzt ist.
Sie hat die Highschool abgebrochen, ebenso ihr Bruder, der von einer Karriere als Rapper träumt, sie aber das Geld für Miete und Lebensmittel alleine "anschaffen" lässt, denn ihr bleibt nur die Prostitution, da sie als Minderjährige ohne Zeugnisse keine andere Arbeit findet.
Der Vater ist verstorben, die Mutter befindet sich nach einem Suizidversuch in einem Rehazentrum. Aber was tut der Sozialstaat im “Land der unbegrenzten Möglichkeiten”?
Basierend auf einem tatsächlichen Fall, erlebt die schwarze Protagonistin die Gewalt von Polizisten, die sich ihrer bedienen, sie einschüchtern, schänden und erpressen.
Kiara soll in einem Prozess gegen Beamte aussagen, hat aber große Angst vor den Konsequenzen. Der Gerichtsprozess ist niederschmetternd und verachtenswert.
Das Werk liefert tiefe Einblicke in ihr Milieu und zeigt die Lebensrealität vieler armer Afroamerikaner, vor allen Dingen junger Frauen.
Kiara wird als Charakter gut gezeichnet und ist mir schnell ans Herz gewachsen. Man taucht in ein unbekanntes Milieu ein, das schonungslos und realistisch beschrieben wird. Der zwischenmenschliche Bereich ist gut ausgelotet und zeigt Kiaras zahllose Facetten. Sie steht für viele afroamerikanische Frauen, die nie aufgeben, wie Mottley, selbst schwarz, in ihren Anmerkungen berichtet.
Die nüchterne Sprache ist nicht Jedermanns Sache, passt, meiner Meinung nach, aber zur Intention der Autorin, die schonungslose Realität darzustellen.
Eine klare Leseempfehlung für einen gelungenen Erstlingsroman, der gut übersetzt wurde.