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Bewertungen

Insgesamt 51 Bewertungen
Bewertung vom 28.08.2023
Der Trost der Schönheit
Arnim, Gabriele von

Der Trost der Schönheit


ausgezeichnet

Wunderschöner Lesegenuss -In einer Zeit voller Ängste, Gefahren und Umbrüche nimmt Gabriele von Arnim uns mit auf die Suche nach Schönheit im Alltäglichen, nach Trost und Glück im Moment. Klug und überaus sensibel reflektiert sie die Ambivalenz ihrer eigenen Wahrnehmungen und Gefühle inmitten von Schönheit und Vergänglichkeit, von Leid und Freude, Trauer und Trost. Zutiefst berührend und tröstlich stimmen ihre Worte und Gedanken, die keinem roten Faden folgen und doch perfekt ausbalanciert sind. Eigene Überlegungen sind verflochten mit plötzlich aufkommenden Situationen und Assoziationen, Zitaten. Ehrlich und reflektiert erscheinen die Erinnerungen aus der seelenkargen, nicht-fühlen Kindheit; eingebettet in die gefühlvollen Erfahrungen einer starken Frau, die die Seelenlast gegen Sinnenfreude und SehLust eintauscht. Und wenngleich von Arnim mit einer wunderbaren Leichtigkeit über die Schönheit im Alltäglichen philosophiert, so sind es für mich gerade die Unsicherheiten und das Hinterfragen der eigenen Wahrnehmung, der eigenen Endlichkeit und Zerbrechlichkeit, die diesem Buch eine unglaubliche Tiefe, Ehrlichkeit und Schönheit verleihen.

Dieses Buch selbst ist Schönheit und Trost. Es regt die Sinne an, die eigene Wahrnehmung. Es lässt dich einen Satz lesen – einatmen – ausatmen – und nochmals lesen. Und staunen. Über die Farbe Blau. Über Worte wie NeuGier, AtemMut, ZuHauseGefühl. Über die Gleichzeitigkeit von Geschehen.

Dieses Buch braucht Zeit und Muße zum Lesen. Manches Mal waren es mehrere Seiten, dann wieder nur einzelne Sätze und ich wollte Innehalten. So viele wunderbare Worte und Gedanken. Dieses Buch wird mich noch lange begleiten und immer mal wieder zur Hand genommen. Einfach WunderSchön.

Bewertung vom 21.08.2023
Die Akte Madrid / Lennard Lomberg Bd.2
Storm, Andreas

Die Akte Madrid / Lennard Lomberg Bd.2


ausgezeichnet

Krimi + Kunst + Geschichte -Der zweite Teil dieser Krimiserie rund um den Ermittler und Kunstexperten Lennard Lomberg. Und erneut gab es diese spannende Mischung aus Krimi, Kunstgeschichte und Politik.
Dieses Mal führen uns die Ermittlungen nach Granada, Spanien. Dort wurde ein Gemälde aus dem Jahre 1928 gestohlen, das drei Männer abbildet: Salvador Dalí, Luis Buñuel und Federico García Lorca, gemalt von ihrer gemeinsamen Freundin Alma Arras. Das prekäre an dem Gemälde: Es ist als Beutekunst deklariert, galt eigentlich als verschollen – und gehörte einst dem deutschen Verteidigungsminister, der kurz vor der größten Beförderung seiner Karriere steht. Kurzerhand beauftragt er Lomberg, vertrauliche Ermittlungen zum Diebstahl aufzunehmen. Schnell stellt sich dabei heraus, dass noch weitere Parteien ein Interesse an dem Kunstwerk haben und auch der Minister keine so reine Weste hat, wie er dem Kunstkenner weißmachen möchte.
Auf diese Fortsetzung habe ich mich sehr gefreut, weil ich die Idee der Verknüpfung von Krimi und (Kunst-)Geschichte total stimmig und spannend finde und mich schon der erste Teil der Serie begeistert hatte! Und Andreas Storm hat seine Leser nicht enttäuscht. Einmal mehr hat er einen Krimi geliefert, der durch die unterschiedlichen zeitlichen Erzählstränge eine tolle Spannung aufbaut und dabei nie langweilig wird. Neben dem eigentlichen Krimi gibt es viele interessante Einblicke in die Zeit der Franco-Diktatur, das politische Deutschland insbesondere nach dem 2. Weltkrieg und natürlich: Kunst. – Sprachlich gefällt mir dieser zweite Teil tatsächlich besser als der erste. Schön auch, dass einige bekannte Figuren wieder mit von der Partie sind und hier und da mehr Raum bekommen. Da bin ich gespannt, wie es mit ihnen und den Ermittlungen in Zukunft weitergeht.
Die perfekte Lektüre für alle, die neben Spannung auch gern Einblicke in Kunst und Politik lesen.

Bewertung vom 11.08.2023
Das Pferd im Brunnen
Tscheplanowa, Valery

Das Pferd im Brunnen


ausgezeichnet

Starke Frauen, starkes Debüt - Valery Tscheplanowa hat mit diesem Roman ihr beeindruckendes Debüt gegeben und ich hoffe sehr, dass wir in Zukunft noch ganz viel von ihr lesen dürfen!

Die Autorin lenkt aus der Perspektive der Urenkelin Wanja den Blick auf die Frauen in ihrer (autobiographisch geprägten, fiktiven) Familie. Da ist die Urgroßmutter Tanja, die Zeit ihres Lebens ihre Haare für ihr Totenkissen sammelte und Wanja heimlich taufen lässt. Ihre Tochter Nina, die schon als kleines Mädchen die Härte des Lebens, des Krieges erfahren und „anpacken“ musste und die diese Härte nie ganz aus ihrem Leben verbannen konnte. Deren äußere Hülle, die geblähten Nasenflügeln, der kirschrot geschminkte, verbissene Mund, die strenge Haltung jedwede Wärme und Emotionen scheinbar abprallen lassen. Lena, Ninas Tochter und Wanjas Mutter, die der Enge entkommen will und als junge, alleinerziehende Mutter mit einem Alleinunterhalter 1988 in das vermeintliche „Paradies“ Deutschland geht. Um dort in einem maroden, grauen Haus direkt an der B77 zu stranden. Und schließlich Wanja, die sich nun, nach dem Tod der Großmutter, auf Spurensuche begibt und in die Heimat nach Kasan reist.

Vier starke Frauen, die Männer nur Randerscheinungen, die immer im Schatten hinter den Protagonistinnen bleiben. Frauen, die sich im 20. und 21. Jahrhundert in ihrem bescheidenen Leben behaupten mussten. Mir hat dieser Roman wahnsinnig gut gefallen und mich emotional tief berührt. Viele kleine, ergreifende Geschichten lassen die Härte der Umstände erahnen, im kommunistischen Russland, in den Wirren des Krieges, in Mangel und Verzicht. Und doch sind da immer wieder die kleinen, hellen, lichten Momente, die ein Lächeln hervorlocken, die eine Umarmung ersehnen oder auch einen tiefen Seufzer. Etwa die Szene, in der Lena für Eier Schlange stehen muss oder die heimlichen Treffen mit einem Patienten im Prothesenwerk.

Valery Tscheplanowas Sprache ist bildgewaltig und gleichzeitig sehr ruhig und poetisch. Als Leserin kann man gar nicht anders als ganz tief in diese hochemotionalen Episoden einzutauchen – auch wenn den Protagonistinnen vermeintlich die Emotionen fehlen. Mir sind die vier Frauen sehr ans Herz gewachsen und dieser Roman zählt für mich persönlich schon jetzt zu meinen Lesehighlights!

Bewertung vom 12.05.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Bezaubernder Roman a la Seethaler
Wien, 1966. Am Karmelitermarkt eröffnet der Gelegenheitsarbeiter Robert Simon in einem leerstehenden Ladenlokal ein Café mit einfachen Speisen und Getränken wie Kaffee, Bier, Wein, Schmalzbrote und Gurken. Seine Gäste sind die einfachen Leute aus dem Viertel, arm und weniger arm, Arbeiter:innen vom Markt und aus der Umgebung, Paare und Einsame. Sie alle haben ihre kleinen und großen Geschichten, Erlebnisse und Begegnungen. Hier im Café finden sie ein wenig Geborgenheit, Trost, Ablenkung oder auch nur die Möglichkeit, für einen Moment zu vergessen. So vergehen die Jahre und mit ihnen entwickelt sich auch Robert weiter.

Stille Charaktere, einfache Leben, kleine und große Schicksale. Mit „Das Café ohne Namen“ hat Robert Seethaler erneut einen seiner wunderbaren Romane geschaffen. Seine Geschichten bezaubern durch die leisen Töne, und er schafft es immer wieder, den kleinen Dingen des Alltags diesen besonderen Glanz zu verleihen.

Alle, die diese stillen, ruhigen, bezaubernden Romane mögen, werden diesen neuen Seethaler lieben.

Bewertung vom 02.05.2023
Das Schloss der Schriftsteller
Neumahr, Uwe

Das Schloss der Schriftsteller


ausgezeichnet

Spannender Blick auf den Nürnberger Prozess - 1946 wurde während des Nürnberger Prozesses gegen 21 Vertreter des Nazi-Regimes Anklage erhoben. Weltweit wurde über diesen Jahrhundertprozess berichtet, unter anderem von Willy Brandt, Martha Gellhorn, Erika Mann, John Dos Passos oder auch Markus Wolf. Untergebracht wurden die Journalist:innen, Schriftsteller:innen und Starreporter:innen in dieser Zeit im Schloss Faber-Castell. Hier wurde geschrieben, gefeiert, geliebt und versucht, das gehörte zu verarbeiten.
Uwe Neumahr dokumentiert die Zeit in Nürnberg anhand von 12 Biographien. Sehr gut und detailliert recherchiert schildert er den Verlauf des Prozesses selbst, die zum Teil zähen Verhandlungstage, stellt die Richter und Angeklagten dar und lässt die Kälte, die Gleichgültigkeit und Überheblichkeit dieses menschgewordenen Bösen im Saal „aufleben“.
Dabei setzt er seine Akzente nicht nur auf die Inhalte des Geschehens sondern bringt die Rolle der einzelnen Akteure in einen größeren Kontext. So beleuchtet er die unterschiedliche politische Gesinnung der Berichterstatter:innen, ihre persönlichen, gesellschaftlichen und sozialen Hintergründe, ihren Blick auf Nazi-Deutschland und die besiegten Deutschen. Er lässt uns teilhaben an ihren Meinungen zur Frage der individuellen und Kollektivschuld, zur Frage der fehlenden deutschen Richter, zur Kritik an diesem „Männerprozess“.
Einmal angefangen konnte ich dieses Buch nur schwer zur Seite legen. Uwe Neumahr hat mir persönlich so viele Perspektiven und Fragestellungen aufgezeigt, mit denen ich mich so noch nicht auseinandergesetzt hatte. Und auch die Rollen und Meinungen der Berichterstatter:innen im geschichtlichen und literarischen Kontext waren spannend zu lesen und zu lernen. Ganz große Empfehlung für alle, die gern gut recherchierte Geschichtsbücher lesen.

Bewertung vom 14.03.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


ausgezeichnet

Wunderschöne und ergreifende Geschichte - Der 10-jährige Josef wird 1945 gemeinsam mit Mutter, Tante und den Großeltern von der Sowjetarmee nach Kasachstan, genauer nach Nowa Karlowka verschleppt. Ihr dortiges Leben ist gezeichnet von Anpassung, Furcht und dem Willen, trotz widrigster Lebensbedingungen irgendwie zu (über)leben. Und dabei die Erinnerungen und das Deutsche nicht ganz zu vergessen.
1990 lebt Josef als Rückkehrer mit seiner Frau, der Tante und seiner Tochter Leila am Rande der Lüneburger Heide, inmitten anderer Rückkehrer. Sein Leben ist geprägt von den Erlebnissen und Erfahrungen der Kindheit, die ihn wie ein unsichtbarer Geist verfolgen. Und es ist seine Tochter Leila, die uns dieses Leben zwischen zwei Welten näherbringt.
Sabrina Janesch schreibt über so viel: Über die Liebe – zu Mutter und Vater, zu Enkel, Freund und Mitmenschen, zu Wurzeln und Traditionen. Über Heimat und wie sie ein ganzes Leben prägen und beeinflussen kann, was es bedeutet, die Heimat zu verlieren und stetig auf der Suche nach der verlorenen Heimat zu sein. Über Menschlichkeit und Zuversicht und Vergebung und Freundschaft. Ihre Sprache ist fesselnd und einnehmend und dann wieder einfühlsam und ruhig -je nach Situation und Erzählstrang. Und genau das passt stilistisch ganz wunderbar zu diesem Roman aus zwei Welten.
Sabrina Janeschs Roman ist ein großer Lesegenuss! Und es gibt eine ganz große Leseempfehlung an alle, die diese „kleinen, leisen, stillen“ Geschichten lieben!

Bewertung vom 30.01.2023
Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?
Weber, Sara

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?


ausgezeichnet

Großartiges Plädoyer für eine neue Arbeitswelt -„Während ich dieses Buch schreibe, stapelt sich Krise auf Krise. 2022: Corona ist noch immer nicht verschwunden. Es ist Krieg in Europa. Die Klimakrise zeigt sich immer deutlicher…“ 4 Sätze und Sara Weber hatte mich in ihren Bann gezogen. Denn eins ist klar: „Die Arbeitswelt ist kaputt.“ Und da helfen Yoga, Diskutieren über New Work und ein Bonus für überarbeitete Mitarbeiter:innen auch nur noch bedingt.
Sara Weber schreibt über die großen und dringenden Herausforderungen unserer Gesellschaft: den Fachkräftemangel, faire, gerechte, gleichberechtigte und gleiche Arbeitsbedingungen für alle, die große Resignation vieler Arbeitnehmer:innen, die objektive Bewertung von Care Arbeit, den Klimawandel, der massiv in unsere Arbeitswelt einwirkt. Und sie zeigt realistische wie radikale Wege und Lösungen aus der Krise, von der 4-Tage-Woche bis zur Macht von organisierten Protesten.
Perfekt recherchiert, hervorragend strukturiert und mit sehr viel Hintergrundwissen und Blicken über den Tellerrand hat Weber ein sehr beeindruckendes Plädoyer für eine radikale Veränderung unserer Art, Arbeit zu denken, zu planen und zu bewerten verfasst. Große Ansätze, die politisches Umdenken benötigen kommen ebenso zum Tragen wie kleine Ideen, die Arbeitgeber:innen relativ individuell umsetzen können – wenn der nötige Wille zu konstruktiver Veränderung da ist.
Jede Person, die irgendwie im Job das Gefühl hat, dass das doch besser gehen muss, dass das Arbeiten, wie wir es heute kennen, einfach überholt ist, nicht mehr funktioniert, nicht mehr erfüllend ist und so keine Zukunft hat, hat hier die perfekte Lektüre in der Hand!

Bewertung vom 25.09.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


ausgezeichnet

Wow! Ergreifende Familiengeschichte

Dieser Roman hat mich emotional sehr berührt und gefesselt von der ersten bis zur letzten Seite.

Erzählt wird auf drei Zeitebenen: Im Hier und Jetzt spürt Alex eine ständige Wut in sich, die er sich nicht erklären kann und die zunehmend für seine Familie zur Zerreißprobe wird. Nach einer aufschlussreichen Familienaufstellung begibt er sich auf Spurensuche.

1988 ist der kleine Alex zu Besuch bei seinen Großeltern Karin und Sven. Die Oma umsorgt ihn zärtlich zurückhaltend und mit viel Liebe und Fürsorge, der Opa ist eher kühl und sachlich. Immer wieder wird der Junge Zeuge von verbalen Entgleisungen des Großvaters, die er – damals - nicht einzuordnen weiß.

1932 ist die junge Karin mit dem erfolgreichen und bekannten Schriftsteller Sven Stolpe verheiratet als sie sich während eines Stipendiats in den jungen Olof Lagercrantz verliebt und eine gemeinsame Zukunft mit ihm plant.

Alex Schulman beschreibt in seiner bereits 2018 in Schweden erschienenen autofiktionalen Familiengeschichte sehr eindrucksvoll, wie Wut und Enttäuschung über Generationen hinweg Beziehungen und Familien belasten kann. Seine Sprache ist unglaublich intensiv, dicht und schonungslos.

Im Fokus steht dabei Karin, die über Jahrzehnte im Schatten ihres Mannes stand, von ihm malträtiert, gegängelt und „klein und still“ gehalten wurde. Ihr gibt Schulman hier nun eine Stimme und lässt ihre Geschichte und ihre Emotionen lebendig werden. Eine liebevolle, ruhige und zurückhaltende Frau, die vielleicht von ihrem Ehemann „gebrochen“ wurde, dennoch gleichzeitig stark und auf ihre Art irgendwie „unbesiegt“ wirkt. Dem gegenüber die aggressive und dominante Figur des Sven Stolpe. Erschreckend, wie selbst die Sprache Schulmans dies umsetzt. „Für Sven Stolpe ist alles ein Krieg“. Und so sieht er sich als Opfer eines sexuellen Attentats, der Kämpfe gegen seine Feinde führt und von Hass, Narzissmus und Wahnvorstellungen zerfressen ist. Diese Sprache tut weh, entsetzt und erschüttert, wenn sie sich zu oft gegen Karin richtet.

Wäre da nicht die Liebe zu Olof, ich hätte das Buch u.U. nicht beenden können. Olof aber ist „ausgeknockt vor Liebe“ zu Karin, und auch dies ist sprachlich so wunderschön und gegensätzlich zu aller Wut in diesem Roman umgesetzt, dass man nur weiterlesen kann und will.

Bewertung vom 23.09.2022
Isidor (eBook, ePUB)
Kupferberg, Shelly

Isidor (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eine bewegende Familiengeschichte - „Vertreibung und Ermordung sind der Grund, warum sie [Erbstücke] fehlen. Umso wichtiger sind die Geschichten, die überlebt haben. Und weitererzählt werden.“

1908 wandert der damals 22-jährige jüdisch-orthodoxe Israel Geller aus dem ostgalizischen Tlumacz nach Wien aus. Aus Israel wird Isidor. Er studiert, legt eine beachtliche Karriere in der Lederindustrie hin, wird zum Kommerzialrat und Wirtschaftsweisen benannt, kommt durch klugen Wertpapierhandel zu einem großen Vermögen. Er ist ein moderner, assimilierter, emanzipierter und „deutscher“ Jude. Er verehrt das Theater und die große Bühne, ist ein Lebemann, der die Zerstreuung und das Wiener Gesellschafts- und Kulturleben liebt.

Dem allgegenwärtigen Antisemitismus begegnet Isidor eher mit Gleichgültigkeit, „vorübergehende Erscheinungen“, mit denen man sich „arrangieren“ müsse. Bis sich Österreich im März 1938 dem Deutschen Reich anschließt.

Shelly Kupferberg schildert auf eindrucksvolle Weise das Leben ihres Urgroßonkels aber auch weiterer Mitglieder ihrer jüdischen Familie im Wien der 30er Jahre. Anhand von Tagebüchern, Briefen, Archiven und umfassenden Recherchen hat sie ihm und seinen Geschwistern wieder „Leben eingehaucht“ und Erinnerungen, ein Andenken gesetzt.

In einem kurzen Anhang erzählt die Autorin u.a., wie sie bei der Recherche zum Buch vorgegangen ist. Als besonders bedrückend und perfide empfand ich persönlich dabei die Tatsache, dass gerade die akribische Bürokratie der Nazis bei der systematischen Vernichtung der Juden dazu führte, dass Shelly Kupferberg einige Lücken in ihrer Recherche schließen konnte.

Bewertung vom 04.09.2022
Das neunte Gemälde / Lennard Lomberg Bd.1
Storm, Andreas

Das neunte Gemälde / Lennard Lomberg Bd.1


sehr gut

Spannende Zeit- und Kunstreise
Nahezu verschlungen habe ich diesen Krimiauftakt rund um den Kunstexperten Lennard Lomberg. Andreas Storm hat hier eine spannende Kombination aus Krimi, Historie und Kunstgeschichte geschrieben. Fortsetzung geplant.
Der Kunstexperte Lennard Lomberg wird über einen mysteriösen Anruf auf ein verschollenes Kunstwerk angesetzt. Kurz darauf ist der Anrufer tot und Lomberg begibt sich auf Spurensuche. Diese führt ihn in die Vergangenheit, zu Picasso und seinen Werken, zum Raub unzähliger Kunstschätze durch die Nazis, zum politischen „Wiederaufbau“ der jungen BRD; immer tiefer auch in die eigene Familiengeschichte.
Knackig geschrieben konnte man die fesselnde Story mit viel Spannung und den unterschiedlichsten Wendungen klasse verfolgen. Besonders gut gefiel mir dabei, dass neben der Story auch so viele Facetten aus Kunst und Geschichte in den Plot eingebaut wurden – und der Autor im Nachgang eingeordnet hat, was Tatsache und was Fiktion war. So konnte ich nebenbei auch noch so einiges lernen.
Kleiner Wermutstropfen: Mir persönlich waren einfach zu viele Hinweise auf schnelle Autos, gute Weine, teure Hotels drin. Das empfand ich als störend und irgendwie überzogen. Nichts desto trotz freue ich mich bereits auf den Nachfolger, „die Triade von Madrid“.