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booktower
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Rodgau

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Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 18.12.2023
Die Verletzlichen
Nunez, Sigrid

Die Verletzlichen


ausgezeichnet

Schon zu Anfang möchte ich sagen: „Die Verletzlichen“ ist eines der wenigen Bücher, die ich gleich wieder gern nochmals von vorne an lesen möchte. Es enthält so viel Spannendes und Ungewöhnliches. Es ist ein Roman, aber einer, der genau das enthält, was einen Roman ausmacht: Viele verschiedene Arten der Literatur nämlich. Teilweise liest er sich wie ein Essay. Später wird einem klar, dass die Zeit in der die Handlung spielt die der Pandemie ist.
Es fängt schon ganz besonders an. Allein der Einband – wir erkennen einen umgekehrter Papagei – einen Ara namens Eureka - und ein rosa Blumenbouquet. Stellt Eureka vielleicht die Welt auf den Kopf? Nunez Beobachtungen sind so vielfältig und besonders, dass das Lesen ihrer Texte zu einem reinen Vergnügen wird. Sie streut Beispiele aus der Literatur ein: Charles Dickens, Oscar Wilde, Rilke, Sylvia Plath- ihre vielfältigen, wie es scheint, unerschöpflichen - Beobachtungen und Statements faszinieren. Ihre Beobachtungen schon am Anfang, die Aufzählungen von Blumen, deren Farben und deren Bedeutung – warum bringt man Hortensien mit Altern in Verbindung am Beispiel von Madonna, die beleidigt war, als ihr ein Verehrer eine Hortensie überreichte – sind einfach faszinierend. Der Text erscheint so. als ob Erinnerungen an die Kindheit, an Schulkameraden, an ihre Mutter, an Lehrer und Lehrerinnen aneinandergereiht werden. Man findet sich wieder in diesen sensiblen Beschreibungen der vielen Charaktere. Wie belanglos hingeworfen erscheinen die Sätze, doch sie haben einen tiefen Sinn, den man erkennt, je mehr man weiterliest. Nunez Betrachtungen enthalten philosophisches wie z. B. die Ausführungen über Blumen und ihre Namen: Ist es Zufall, dass die Namen von Blumen auch immer wunderschöne Wörter sind? Rose. Veilchen. Lilie. So attraktive Namen, dass die Menschen sie ihren Töchtern geben. Jasmin. Iris.
Dieser Text liest sich sehr spannend und ungewöhnlich.
Ihre Beziehung mit Eureka ist so wunderbar beschrieben, dass es anrührt. Man möchte diesen hellgrünen Papagei kennenlernen. Nicht nur das, man erfährt sehr viel darüber, wie es sich anfühlt, sich auf Tiere einzulassen, von ihnen zu lernen und zu beginnen, sie zu lieben.
Ich finde Nunez‘ Erzählweise ideal. Sie spricht für den kurzen Roman. „Der traditionelle Roman hat seinen Platz als wichtigstes Genre unserer Zeit verloren“, schreibt sie. Gerade die Einschübe, die Reflektionen über so viele Themen flicht sie wie zufällig ein, springt von einem zum anderen Thema und doch gehört alles zusammen. So wie sie scharfsinnig die Themen behandelt und über sie spricht, ist es vielleicht sogar besser, als eine ganze zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Was sie selbst aber in diesem großartigen Text tut.

Bewertung vom 28.11.2023
Kaltblütige Lügen / Die San-Diego-Reihe Bd.1
Rose, Karen

Kaltblütige Lügen / Die San-Diego-Reihe Bd.1


ausgezeichnet

…sowie Verwicklungen und Rätsel auf allerhöchstem Niveau zeigt uns Karen Rose in ihrem fünfundzwanzigsten Krimi Thriller. Bei Krimi Liebhabern ist Karen Rose keine Unbekannte – im Gegenteil, hochverehrt und immer wieder mit Hochspannung erwartet werden ihre Werke. Detective Katherine „Kit“ McKerrick und ihr Partner können nicht zur Ruhe kommen (welche Detectives können das schon?). Hier jedoch reichen die Fälle der ungeklärten Morde an jungen Mädchen Jahre zurück. Die neuen Verbrechen reißen einfach nicht ab – immer sind es junge Mädchen – blond, zierlich und wie man liest, zu vertrauensselig. Allerdings werden sie auf so perfide, raffinierte Weise geködert und hinters Licht geführt, dass man nachvollziehen kann, wie so junge, moderne und ambitionierte Mädchen durch Versprechungen ihrer Wünsche und Ziele in die Todesfalle tappen. Das Team in San Diego ist Tag und Nacht unterwegs auf der Suche nach Lösungen. Kit und ihr Partner Bas, sowie ihr Chef Navarro sind ein Super Team voller Erfahrung. Wir lernen Kits Hintergrund näher kennen, sie ist persönlich betroffen, da ihre Schwester Wren auch auf diese Weise – Strangulierung und Beerdigung an unbekannten Plätzen, vorzugsweise in Parks – umkam. Kit ist schwer traumatisiert, in Therapie und sucht rastlos nach Lösungen. Zum Glück unterstützt ihre Schwester Akiko sie. Zusammen mit Kits Pudel Snickerdoodle leben sie auf einem Boot. Auf 534 Seiten folgen wir den Bemühungen des Teams der Detectives der San Diego Police - SDPD. Außerdem treten auf Psychologen und Anwälte, Schuldirektoren, Ehefrauen, Schüler und Schülerinnen und viele andere Nebenfiguren. Die Wendungen und Ereignisse in dieser Geschichte überraschen ununterbrochen. Modernste Hilfsmittel bei den Ermittlungen erleben wir – z. B. KI und Bodenradaruntersuchungen. Lesen dieses Krimis ist wie ein Wettlauf zusammen mit den handelnden Personen, um endlich herauszufinden, wie all diese schrecklichen Ereignisse geschehen konnten und vor allem schnell den Mörder zu finden. Die Angst, dass er immer weiter mordet und noch mehr unschuldige junge Mädchen von ihm zuerst vergewaltigt und auf perfideste Weise ermordet werden ist so präsent, dass die Tage und Nächte des Teams einem Alptraum gleichen. Soviel sei verraten: Rose hält die Spannung, die uns atemlos macht und erst auf den allerletzten Seiten erleben wir die Lösung, an der wir seiten- und stundenlang gerätselt haben.

Bewertung vom 29.10.2023
Nebenan ist doch weit weg
Bones, Antje

Nebenan ist doch weit weg


ausgezeichnet

Die Geschichte eines Umzugs. So intensiv, wie Kinder einen Ortswechsel erleben. Das Heimweh an das Zurückgelassene beginnt schon beim Packen. Die zwölfjährige Edith erzählt ihre Eindrücke. Sie schreibt Tagebuch. Sie erzählt das ganze Drama, wenn umgezogen wird und zwar, weil die Eltern es wollen und nicht die Kinder. Die neue Heimat wird Krakau in Polen sein. Ihre Gedanken erleben wir intensiv, über das neue fremde Zuhause, Erkunden der Nachbarschaft und die Umgebung, den Schulwechsel. „So vieles ist fremd für mich. Ich bin fremd“, schreibt sie. So ganz allmählich – mit dem Beginn der Schulzeit – wird es besser. Sie fährt mit dem Bus, entdeckt Krakau. Freundet sich an mit Milena. Eine Freundschaft beginnt. Hilfreich sind auch ihre Klassenlehrerin und andere Lehrer. Erstaunlich, wie viele Menschen Deutsch sprechen, entdeckt sie, es wird auch als Schulfach gelehrt, so wie Englisch und Französisch. Sie macht sich viele Gedanken über Vorurteile: mit ihrer Hündin Lina macht sie Spaziergänge im Feld, Äpfel leuchten und gern würde sie einen pflücken, aber „ich traue mich nicht, einen Apfel vom Baum zu pflücken. Es könnte ich ja jemand sehen - und dann heißt es vielleicht: Die Deutsche klaut Äpfel.“
Sie erkundet mit den Klassenkameraden Milena und Antek Krakau, sie besuchen den Flohmarkt in Kasiemierz, dem früheren jüdischen Viertel und treffen dort den wunderbaren Buchhändler Jerzy Singer. Diese Geschichte eines Einlebens birgt noch ein Geheimnis - wobei Jerzy den Kindern hilft, das Rätsel im Haus von Ediths Eltern zu lüften. Das Mysterium dort, das tief in die Vergangenheit führt, liest sich faszinierend und im höchsten Maße anrührend. Die Schreibweise, Wechsel des Erzählens mit Ediths Tagebucheinträgen kommt dem Thema sehr entgegen. Dieses Buch von Antje Bones ist ein Juwel in der Jugendliteratur, das ich den Erwachsenen zu lesen wünsche, die diese Literatur lieben. Die Illustrationen von Michael Ssyszka tragen zur Freude des Lesens und Entdeckens bei.

Bewertung vom 22.10.2023
Das kleine Bücherschiff
Hansen, Tessa

Das kleine Bücherschiff


ausgezeichnet

Wir lesen von zwei jungen Frauen, Miri und Katja – jahrelangen Freundinnen – die aus ihrem Leben in der Kleinstadt Stade aussteigen, aus ihrem Job und etwas ganz Neues und total Mutiges beginnen. Die Idee der Autorin Tessa Hansen ist echt genial, ja außergewöhnlich, was sie sich hier für einen Neustart von zwei Freundinnen ausgedacht hat. Diese beiden, Katja und Miri, entscheiden sich, eine Barkasse aus dem Jahr 1938 im Museumshafen Övelgönne im Hamburger Hafen zu mieten und daraus ein Bücherschiff zu machen. Nicht nur ein Bücherschiff – nein, sondern das erste Bücherschiff überhaupt in der Hansestadt Hamburg. Dazu sind beide keine gelernten Buchhändlerinnen. Nicht nur renovieren sie das Schiff, besorgen Möbel, richten es ein, alles mit eigenen Händen und wenigen Helfern, sondern bringen sich das Wichtigste aus der Buchhandelsbranche bei um gerüstet zu sein für diese gigantische Aufgabe. Man kann die beiden lebenslangen Freundinnen, Katja und Miri bewundern wie sie das alles anpacken. Viel geschieht, die Geschichte ist abwechslungsreich, lebendig und überzeugend geschrieben. Auf diesen über 400 Seiten werden Leser*innen bestens unterhalten. Alles was eine gute, spannende Story enthalten sollte, finden wir hier. Begeisterung der Hauptpersonen, viele interessante Aufgaben und überraschende Wendung bis zum Ende. Abgesehen von der Renovierung und liebevollen Einrichtung des Schiffs sowie dem Geschäftsbeginn müssen Wohnungssuche, Umzüge und Einleben in der fremden Großstadt bewältigt werden. Diese beiden Freundinnen sind unglaublich enthusiastisch und bewältigen dieses Vorhaben in bewundernswerter Weise. Die Autorin hat sich hier eine Geschichte ausgedacht, die an Unterhaltung, Witz und Tempo nichts vermissen lässt. Die Liebe kommt natürlich nicht zu kurz und es gibt so einige Bewährungsproben und Geheimnisse, die alle bewältigt und entdeckt werden müssen. Nicht nur in der Liebe, nein, auch im Geschäftsleben müssen gigantische Hürden genommen werden. Der Erfolg der beiden bringt Neider und ihr gewiefter Vermieter macht ihnen das Leben schwer, nachdem alles so gut angelaufen war. Doch nichts im Leben das wirklich wichtig ist, ist leicht und so bewältigen die beiden nachdem schon fast alles verloren scheint, die sich auftürmenden Hindernisse. Sie haben inzwischen Freunde gefunden und auch die Presse steht wohlwollend Miri und Katja. So fügt sich am Ende alles zum Besten zusammen. Diesem Buch wünsche ich viele Leserinnen. Es macht Mut und zeigt trotzdem, was gebraucht wird, wenn Erfolg am Ende stehen soll: Biss und die Überzeugung niemals aufzugeben.

Bewertung vom 27.09.2023
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Ford, Olivia

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn


ausgezeichnet

„Es ist schon seltsam, dachte Jennifer bei sich, wie Rezepte die
Menschen überleben, die sie aufgeschrieben haben, und wie
sie dabei diese Menschen in gewisser Weise wieder zum Leben
erwecken, als würde ein winziges Stück ihrer Seele in
den Anweisungen weiter bestehen.“
Wie wahr diese Gedanken sind und wie sie im Laufe des Romans mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, erfahren wir, während wir in diese Geschichte voller Liebe und Wunder eintauchen. Hier breitet sich ein ganzes Leben vor uns aus. Wir erleben Jennys und Bernards Leben und das ihrer großen Familie. Sie stehen kurz vor ihrem 60. Hochzeitsjubiläum. Es ist es eine liebevolle kinderlose Ehe, die diese beiden verbindet. Jenny ist dankbar, dass jeder Tag ein Geschenk ist. Doch mehr und mehr lassen Jennys Gefühle sie fragen, ob dies alles war im Leben. Sie liebt Backen über alles, tut es täglich und besitzt eine wunderbare Sammlung alter Familienrezepte, von denen sie viele auswendig beherrscht. Leidenschaftlich verfolgt sie eine in England beliebte Backshow. Sie bewirbt sich, sie wagt es, sich in ihrem Alter von 77 Jahren dort anzumelden. Es ist unendlich spannend zu lesen, wie Jenny eine moderne Produktion im Fernsehen erlebt, wie sie interagiert mit allen anderen Teilnehmern und denjenigen, die die Show produzieren. Nicht zu vergessen, dass alle ihre wunderbaren Rezepte, Jenny Wissen sowie ihre Vorgehensweise unterhaltsam vorgestellt werden, sowie viele der anderen Teilnehmer. Den Kapiteln vorangestellt sind Ereignisse und Gedanken aus Jenny Vergangenheit, die sich dann mühelos in die Gegenwart einfügen Diese Geschichte enthält unendlich viele Überraschungen. Fords bildreiche und gefühlvolle Sprache entfaltet vor uns das Innenleben der Figuren sowie die Chronik eines ganzen Lebens mit allen Träumen, den gelebten und ungelebten. Fords Erzählweise macht diese Geschichte vollkommen. Sie erzeugt beim Lesen nostalgische Gefühle, wir betreten eine andere Welt, die uns gefangen nimmt. Und dann ist da noch ein Geheimnis, auf das wir gespannt sein können.

Bewertung vom 20.08.2023
Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent
Marly, Michelle

Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent


ausgezeichnet

In bildhafter Sprache lässt Michelle Marly aka Micaela Jary die 60er und 70er Jahre vor uns erstehen. Es geht in diesem Roman um die faszinierende Welt der Mode und um viele herausragende Persönlichkeiten, die in der internationalen Welt eine große Rolle spielten. Gezeigt werden uns diese durch einen Lebensabschnitt von Loulou de la Falaise, der späteren Muse Ives Saint Laurents. Sie entzieht sich der strengen Erziehung ihrer Großmutter und lebt ihren eigenen Stil, den sie auf den berühmten Londoner Flohmärkten findet und sich zusammenstellt, was ihr gefällt. Sie ist mit 20 Jahren so lebenshungrig wie man es in diesem Alter nur sein kann. Durch ihre Herkunft hat sie genügend Kontakte, um vieles auszuprobieren, immer geleitet von ihrem untrüglichen Instinkt und Geschmack. Sie wird bewundert in ihrer Kreativität und Eigenständigkeit. Sie lernt Menschen kennen, die ihre Talente entdecken und schätzen. Es kommt dazu, dass sie Assistentin von Yves Saint Laurent wird, und später ihren eigenen Modeschmuck in seinem Atelier entwickelt. Bis dahin begleiten wir sie auf ihren vielen Reisen durch die Welt, nach Marokko, USA, in die Städte Paris, New York, London, Marrakesch, Tanger und andere. Überall trifft sie gleichgesinnte und später berühmte Persönlichkeiten, die dieser Zeit in der Mode, der Bildenden Kunst, Musik, Architektur ihren eigenen Stil entwickelten und vermittelten, der bis heute berühmt und anerkannt ist. Die Geschichte ist aufgeteilt in vier Teile, jeder Teil trägt Zitate passend zu den erwähnten Persönlichkeiten. Michelle Marly erwähnt in ihrem Nachwort, dass sie hofft, uns Leserinnen und Leser gut unterhalten zu haben. Dies gelingt ihr wie wohl kaum eine andere, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Die Art und Weise, wie sie den Menschen, die sie hier beschreibt, Leben einhaucht, so dass wir alles mit unserem inneren Auge erleben, ist überzeugend und großartig. Die Seiten sind erfüllt mit den unvergleichlichen Farben der vielen Schauplätze. Marly hat dieses Talent, alles lebendig erstehen zu lassen, sie hat es in vielen anderen Romanen gezeigt, die sie als Micaela Jary veröffentlichte. Beigefügt sind dieser Geschichte am Ende Kurzbiographien der wichtigen handelnden Personen. Dies sind viele und die Biographien sind ein Streifzug durch die eine Epoche, die wir, die sie erlebt haben, nie vergessen können. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der Begeisterung und des Experimentierens mit Neuem auf allen Gebieten der Politik und Künste. Ich wünsche diesem Werk viele Leserinnen und Leser.

Bewertung vom 31.07.2023
Mattanza
Fabiano, Germana

Mattanza


ausgezeichnet

Abgesang an eine vergangene Welt

Mit präzisem, langsam dahinfließendem Stil entfalten sich die Ereignisse im Leben auf der Insel Katria mit ihren Bewohnern und nun auch Touristen, die die erste und einzige Pension auf der Insel bevölkern werden. In sehr bildreicher, ja poetischer Sprache erzählt Fabiano die Schicksale der Inselbewohner. Sie entfalten sich nach und nach vor uns und wir lernen faszinierende Charaktere und Geschichten kennen. Im Mittelpunkt steht Noras Geschichte, Nora, die auserwählt ist, etwas zu sein und zu tun, das ihr fremd ist. Nora ist die Enkelin
des Raìs der Insel, Andrea Lombardo, ihr Großvater eine imponierende Persönlichkeit. Nora sollte eigentlich ein Junge werden, um eines Tages ihren Großvater als Ràis abzulösen. Er ist der „Dirigent“ des Thunfisch Fangs, der Mattanza. Raìs ist ein Titel. So entfaltet sich uns ein Szenario, das zeigt, wie es ist, wenn altes von Neuem, Ungewohnten überrumpelt wird, wenn alles, was sakrosankt war und noch ist, sich auflöst und in Stücke zerfällt die mühsam wieder zusammengesetzt werden müssen. Die Inselbewohner werden gestört in ihrem gewohnten Dasein, dessen Mittelpunkt seit Generationen der Thunfischfang ist. Der Niedergang der Fische durch moderne Fangpraktiken kommt gleichzeitig mit der Ankunft von Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern. Sie wollen nicht nach Katria, doch das ist ihr Anlaufpunkt. Und dann wird nichts mehr so sein wie vorher. Es kommt, wie es sich angekündigt hat – das auch das letzte Stück der alten Welt auf Katria sich auflösen muss – unwiederbringlich wird alles, das einmal Katrias Welt, die Welt ihrer Bewohner und der Tonnara gewesen ist. Die Thunfischschwärme ziehen nicht mehr vorbei, die Flüchtlinge bleiben und stellen die Bewohner vor nie erlebte Aufgaben. Wie ein Bürger Katrias bemerkt: “Die Welt besteht aus Menschen, die kommen und Menschen die gehen, und es wird der Moment kommen, an dem wir uns alle vermischen. Anstatt nicht mehr zu wissen, wer wir sind, werden wir deshalb nur etwas anderes sein…“ (S. 168)
Wir lesen eine Parabel – ein Sinnbild - über unsere moderne Welt, wie sie sich nun schon seit langem darstellt. Eindringlich erzählt Fabiano diese Geschichte, die voller Lebensweisheit steckt. Mit ihrem Stil, ihrer Wortwahl, ihrer sensiblen eindringlichen Beobachtungsgabe schenkt sie uns eine Dichtung, die lange nachwirkt.

Bewertung vom 22.07.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Ein besonders teuflischer Plan

Schon das Cover lässt ahnen, dass wir hier von blutigen Ereignissen lesen werden. Wir halten ein Hardcover mit einer schönen Innenausstattung in der Hand. Da hat sich der Blumenbar Verlag etwas Neues beim Vor- und Nachsatz ausgedacht. Die überaus clevere und hochinteressante Komposition dieses Kriminalromans der ganz besonderen Art, fasziniert vom ersten Augenblick des Lesens. Die Geschichte findet in einer hochinteressanten und auch tragischen Zeit der Weltgeschichte in Japan statt.
Kosuke Kindaichi, der bereits berühmte Privatdetektiv kehrt auf einem Schiff aus Neu-Guinea nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Japan zurück. Sein Ziel ist die Insel Gokumon, berühmt und berüchtigt in Japan wegen ihrer unheimlichen Geschehnisse, die bereits in einem ersten Band beschrieben wurden. Kosuke Kindaichi überbringt eine Todesnachricht seines Kameraden Chimaka Kito an seine Familie. Dieser übergibt Kosuke ein schweres Vermächtnis vor seinem Tod: er warnt ihn eindringlich, seine drei Schwestern in Sicherheit zu bringen, denn andere trachten nach ihrem Leben. Auch erfahren wir viel über den 2. Weltkrieg und die Gefangenschaft von Japanern in Neu Guinea. Es handelt sich hier um eine sehr verzwickte story, mit vielen Namen und verschachtelten Beziehungen. Dem Buch ist ein Personenverzeichnis vorangestellt und ein interessantes und ausführliches Glossar am Ende.
Wir lernen gleich zwei verwandte Familien kennen und viele andere Inselbewohner, die eine große Rolle spielen, hier einige wenige: den Tempelpriester Ryonen des Senkoji, den Kommissar Isokawa, ein alter Freund Kosukes, einen Wachtmeister, den Bürgermeister, einen Arzt und Seiko, den Barbier, der Kosuke sehr hilfreich ist in seinen Ermittlungen. Nicht zuletzt die beiden Familien Kito, durch sie sind Konflikte vorprogrammiert.
Eine große Rolle in dieser Geschichte spielt die literarische Form der Haiku Versgedichte. Immer wieder wird darauf zurückgekommen, denn diese Gedichte stellen einen Schlüssel dar zur Geschichte, den man nicht unterschätzen sollte. Man trifft sie überall, diese dreizeiligen Verse. Sie stehen auf Wandschirmen geschrieben und sind in Kosukes Gedächtnis verankert.
Wir erleben das, was Chimaka Kito vorausgesagt hat. In einer anschaulichen Sprache, überaus spannenden Begebenheiten, die eingebettet sind in ruhigen, bildreichen Naturbeschreibungen geht die Geschichte voran und nimmt uns gefangen. Man kann sie durchaus als page turner bezeichnen. Außerdem lernt man sehr viel über eine ganz besondere Inselkultur, über japanische Gottheiten und nicht zuletzt über Literatur.
Der Autor Seishi Yokomizo hat allein über Kosuke Kindaichi 77 Bände verfasst. Nicht alle spielen auf dieser Insel. Wir gewinnen einen interessanten Einblick in die Verkettungen auf der Insel. Man bekommt unbedingt Appetit, noch viele Geschichten von ihm zu lesen.

Bewertung vom 10.07.2023
Haus der fremden Erinnerungen
Eaglestone, Eric

Haus der fremden Erinnerungen


ausgezeichnet

Hochspannende Story.

Wow! Ein echter Mystik-Thriller mit einem so ausgeklügelten Plot, der immer neue Wendungen hervorbringt und einen das Buch nicht aus der Hand legen lässt! Die Spannung steigert sich ständig während es Lesens. Die Charaktere wie auch die Nebenfiguren sind überzeugend gestaltet. Die Idee, die geheimnisvolle Waldpension Ansgar mit dem Ackerland der germanischen Welt in Verbindung zu bringen ist geistreich. Auch Runa und Mike sind ihr angepasst, Mike mit seinem Siegfried Aussehen und Runa – selbsterklärlich. Diese Geschichte ist bepackt mit überraschenden Elementen, die immer so weiter gehen und sich steigern bis zum Ende. Die Szenarien sind sehr unterschiedlich, alle super ausgearbeitet und zeugen von großer Sachkenntnis.

Bewertung vom 10.07.2023
Das Glück der Geschichtensammlerin
Page, Sally

Das Glück der Geschichtensammlerin


ausgezeichnet

Das Cover ist so vielversprechend und ausgestattet mit schönen Extras im Bucheinband, wie es mit Taschenbüchern noch selten geschieht. Solche Bücher machen gleich Lust auf‘s Lesen.
Darum übte dieses Buch gleich beim Anschauen einen besonderen Zauber auf mich aus.
Und- ich wurde nicht enttäuscht..
Diese Geschichte hat für mich einen besonderen Zauber. Janice, eine Putzfrau, macht sich viele Gedanken über die Menschen, deren Räume und Häuser sie putzt. Sie beobachtet sehr genau und so lernen wir die Menschen kennen, über die sie sich Gedanken macht, während sie putzt oder den Kühlschrank abtaut. Denn während dieser Zeit erzählen viele ihr ihre eigenen Geschichten. All diese Geschichten speichert sie bei sich selbst ab.
Auch über die Menschen, die sie im Bus beobachtet, denkt Janice nach. Page schreibt sehr poetisch, hier ein Beispiel über einen Moment mit dem Busfahrer, von dem Janice sich in einem Augenblick denkt, ob wohl der Fahrer mit den Türen mitseufzt, wenn sich diese seufzend schließen…Sie ist so eine anteilnehmende, feinfühlige und taktvolle Person. Außerdem liebt sie es sehr, zu lesen. So lernen wir auch ihre eigenen Vorlieben kennen, für die Autoren, deren Bücher sie leiht. Es ist wie einen literarischen Wegweiser zu entdecken, mit all den Büchern, die Janice so mag.
Als Janice anfängt, für Frau B zu putzen – eine kluge und listige Frau in den Neunzigern – trifft sie jemanden, der ihre Geschichte hören möchte. Aber Janice ist klar: Sie ist die Hüterin von Geschichten, sie hat keine Geschichte zu erzählen. Zumindest keine, die sie teilen kann.
Frau B. bemerkt bald, dass hinter Janice mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Was verbirgt sie? Hat nicht jeder eine Geschichte zu erzählen? Janice Geschichte birgt Überraschungen, die ihr Leben umkrempeln werden. Sie entwickelt erstaunliche Entschlusskraft, eine ganz neue Richtung einzuschlagen.

Alles ist einem leichten sehr anschaulichen Stil geschrieben, obwohl es sehr tief gehende Themen sind, mit denen wir hier konfrontiert werden. Zutiefst menschlich sind diese. Dass die Geschichte im Präsens geschrieben ist, stärkt die Echtheit der Ereignisse in Janices tapferem Leben. Diese Erzählung macht neugierig während wir sie lesen, darauf, was wir noch alles erfahren werden.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.