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Ännie

Bewertungen

Insgesamt 77 Bewertungen
Bewertung vom 22.02.2022
Glücksfisch: Weißt du, was die Tiere machen? Kleine Biene

Glücksfisch: Weißt du, was die Tiere machen? Kleine Biene


ausgezeichnet

Entdecke die Welt der kleinen Biene

Eine gelungene Symbiose aus einem „normalen“ Bilderbuch mit klaren, farbenfrohen Illustrationen, Interaktion und der Vermittlung von tatsächlichem erstem Wissen bietet „Weißt du was die Tiere machen? Kleine Biene“ für Kinder ab 2 Jahren. Es wird gezeigt, wie eine Biene aussieht, wo und wie sie lebt und was sie macht. Klare kurze Sätze und die Art, wie hier vermittelt wird finde ich gelungen und dem Alter angemessen. Sehr gut sind die kleinen Aufträge an die Kinder, egal, ob man die Biene flattern lässt oder die eigenen Arme, den Schwänzeltanz nachahmt oder die Blumenwiese entdeckt – viel zu erforschen, zu fragen und zu erzählen. Die Illustrationen sind klar und farbstark, und wirken nicht überladen. Ein rundum gelungenes Bilder-Sachbuch für die Altersklasse, und man kann sich vorstellen, dass der kleinen Biene eventuell noch andere Bände der Reihe ins Kinderzimmer nachfolgen werden.

Bewertung vom 11.02.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


sehr gut

Held wider Willen und besseren Wissens

Michael Hartung führt seit Jahren ein Leben ohne besondere Vorkommnisse. Hart ausgedrückt könnte man auch sagen: er ist gescheitert. Wohnt im Hinterzimmer seiner schlecht laufenden Videothek, zur Tochter besteht kein Kontakt, ein Sozialleben spielt sich zwischen dem Kiosk gegenüber und Begegnungen mit Nachbarin Beate ab. Irgendwie war es auch nie anders. Eine große Laufbahn war für ihn in der DDR nicht geplant, ein paar Jahre Stellwerksmeister, dann im Braunkohleabbau, schließlich die Videothek, kurz vor dem Aus. Michael führt sein Leben leidenschaftslos.
Zum 30. Tag des Mauerfalls braucht ein aufstrebender Journalist nun eine Story, jenseits des drögen immer wieder gleichen Berichts zur Wiedervereinigung. So stößt Alexander Landmann auf eine Geschichte, die ihresgleichen sucht: eine Massenflucht in einem S-Bahn-Zug über den S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße. Hauptrolle: Michael Hartung. Der ist vollkommen konsterniert, als der Journalist ihm von seiner Heldentat berichtet. Selbstverständlich an den Zwischenfall kann er sich erinnern, nicht jedoch an seine heldenhafte Rolle in diesem Szenario. Letztlich lockt der finanzielle Anreiz, aber er hält sich vage. Dann jedoch gewinnt die ganze Sache eine aufhaltbare Eigendynamik. Die Story wird ohne weitere Absprache zum Aufmacher, denn auch Journalist Landmann hat sich in eine Situation manövriert aus der es kein Zurück mehr gibt. Die beiden kommen überein: Michael Hartung wird den Helden in dieser Geschichte spielen. Wider Erwarten ist dies jedoch keine Eintagsfliege und nimmt Fahrt auf: plötzlich steht der blasse Michael im Mittelpunkt des Interesses. Nicht nur seine Tochter meldet sich, Journalisten belagern sein Zuhause, Talkshow-Auftritte folgen, sogar eine Einladung zum Bundespräsidenten, er verliebt sich in eine Frau, die er unter normalen Umständen nie getroffen hätte. Sein Leben bekommt eine ganz andere Dynamik und doch steht er auch vor Problemen, die er nie zuvor hatte. Und selbstverständlich werden auch Nachforschungen angestellt, denn genauso selbstverständlich gibt es Menschen, die genau wie Michael Hartung wissen, was tatsächlich geschehen ist. Aber einen Helden vom Podest zu schubsen gibt selten gute Publicity…

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ erzählt die zugleich anrührende als auch humorvolle Geschichte eines Helden wider Willen. Großartig ist die Darstellung der Dynamik, die eine Sache entwickelt, die unfreiwillig ins Rollen gebracht wurde, und fortan Einfluss auf nicht nur ein, sondern viele Leben hat. Michael Hartung ist der Prototyp des unauffälligen Normalverbrauchers, dessen Leben keinerlei Höhen mehr erfahren wird. Ja, diese eine merkwürdige Episode in der Vergangenheit, hat man ja selbst schon fast vergessen. Doch dadurch kommt letztlich sein Leben in Schwung, was ihm auf irgendeine Weise auch gut gefällt, vieles ändert sich für ihn zum Positiven. Gut dargestellt wird, wie in ihm das Gefühl wächst, ein Fremdkörper in seinem neuen Leben zu sein und das gerade, wenn er sich dieses neue Leben erhalten will, er das demontieren muss, was es erst ermöglicht hat und er die Lüge entlarven muss.
Das alles unterhält, durch den flüssigen Stil der Erzählung, durch den feinen Humor, und berührt gleichzeitig durch die feine Psychologie dahinter. Leichtigkeit und Tiefe besitzen hier eine sehr ausgewogene und stimmige Koexistenz.

Bewertung vom 04.02.2022
Marie Käferchen
Lüftner, Kai

Marie Käferchen


ausgezeichnet

Rebellin in Chitin
Da wackelt die ganze Wiese! Bühne frei für den wildesten, coolsten und rockigsten kleinen Käfer, den das Insektenreich je gesehen hat – Marie Käferchen! Sie hat so gar keine Lust friedlich – und langweilig – herumzukrabbeln oder von Blüte zu Blüte zu schweben. Sie braucht mehr. Mehr Tempo, mehr Action, mehr Beat. Da können die anderen Sechsfüßer nur den Kopf schütteln, bis Marie „ihre“ Gruppe findet, und einen Riesen-Hit landet. Ein Bilderbuch, das absolut begeistert. Illustrationen und Inhalt sind absolut stimmig, die Reime witzig, pointiert und eben auch wie das gesamte Buch richtig frisch und einfach mal was Anderes.
Dafür plädiert das Buch auch: sei du selbst, sei anders, sei wild und frech und manchmal auch zu laut für die anderen. Die Reime sind so gut, und kein bisschen platt und leiernd, das macht Spaß beim Vorlesen. Die Illustration sind absolut passend, auch ein bisschen wild und farbenfroh. Das Minenspiel der Käfer z.B. ist super dargestellt, alles wirkt sehr lebendig.
Fazit: rundum gelungen. Marie Käferchen wird sicher für Begeisterung sorgen. Das sie für die kleinen Leser auch noch ein paar bunte Tattoos mitbringt, ist sicherlich ein weiteres Highlight und wird ihren Fanclub vergrößern.

Bewertung vom 13.01.2022
Mein großes Lichter-Wimmelbuch: Im Wald
Grimm, Sandra

Mein großes Lichter-Wimmelbuch: Im Wald


sehr gut

Ob ihr wirklich richtig zählt, …

…seht ihr, wenn das Licht angeht!
Ein tolles Bilderbuch, das erstes Zählen und das beliebte Such und Find der Wimmelbücher miteinander verknüpft. Ein kurzer Text stellt jeweils die Szenerie der Doppelseite vor, kleine Suchaufträge rufen dann die kleinen Entdecker aktiv auf den Plan.
Alles dreht sich rund um Entdeckungen im Wald, typische Waldtiere und Pflanzen. Doch es geht nicht nur um das bloße Auffinden, auch das Zahlenverständnis wird geschult: finde einen Marienkäfer, zwei kleine Rehkitze… Bunte Druckknöpfe neben den Suchbildern lassen kleine Lichter aufleuchten – zur Kontrolle und wenn sich so ein Tierchen vielleicht doch ein bisschen zu gut versteckt hat – ganz sicher eine große Attraktion, die das Buch nochmal so spannend macht. Aktiviert wird die Lichtfunktion über einen Regler auf der Buchrückseite. Sehr schön finde ich, dass sich hierbei der Schwierigkeitsgrad langsam steigert: sind auf der ersten Doppelseite ein und zwei Objekte zu finden, wird am Schluss des Buches der Zahlentraum bis fünf abgedeckt. Grundsätzlich gibt es noch viel mehr zu entdecken, als nur die gestellten Aufgaben. Hier gibt es reichlich weiteren Grund zum Zählen und Erzählen. Die Illustrationen sind sehr farbenfroh und eher wenig detailreich und fein, haben so aber auch eine gewisse Strahlkraft. Einziger wirklicher Kritikpunkt den ich habe, ist der Buchrücken. Den finde ich sehr weich und dünn, so dass man irgendwie ab dem ersten in die Hand nehmen schon das Gefühl hat, dass er leicht einreißt, und verknicken wird er alle Male sofort sehr heftig. Auch wenn durch die Technik vielleicht hier eine etwas andere Art der Bindung nötig ist, finde ich das nicht so gelungen – aber was zählt schon Äußerliches, wenn die inneren Werte stimmen.

Bewertung vom 13.10.2021
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Familienbande
Birgit hatte ein schweres Päckchen zu tragen. Das war Kaspar immer klar. Ihre Liebe (oder seine Liebe?) war groß, so groß, dass sie in der Lage war, die innerdeutsche Grenze im Jahr 1964 zu überwinden. So groß, dass sie Birgits Suche nach ihrem Weg im Leben getragen und ertragen hat, ihr Scheitern, ihre Neuanfänge, ihre Fluchten in ein mäandrierendes in den Tag hinein leben, schreiben und trinken. Ein Leben als Flucht, deren Ausmaße Kaspar sich erst vollständig offenbaren, als er – genau so still wie er mit ihr gelebt hat – Abschied von Birgit nehmen muss. Er will ihr nah sein, bricht ein Tabu und sieht ihre Unterlagen, ihre Recherchen und ihre Texte durch und findet ein gigantisch großes Geheimnis, das ihm seine Frau ganz neu erklärt. Mit Neugier und sehr großer Akzeptanz für die Sache an sich, geht er dieses alte neue Kapitel seines Lebens an und findet Menschen, die ihm fremd sind, durch die er aber die Verbindung zu seiner Frau spürt und lange Vergangenes nicht einfach ruhen lässt, sondern eine Aufgabe für sich daraus generiert. Er findet „die Enkelin“ Sigrun.
Ein Mädchen, dass in so vielem an seine Birgit erinnert, aber vollkommen anders erzogen und aufgewachsen ist. Eine Haltung zum Leben, zur Politik, zur Geschichte, die er nicht vertritt und weit davon entfernt ist, sie auch nur in Ansätzen gutzuheißen, doch Sigrun ist ihm wichtiger…
Bernhard Schlink zeichnet das Bild eines Protagonisten, der in unvorstellbar großer Akzeptanz und Toleranz einem Umstand begegnet, mit dem die absolute Mehrzahl der Menschen ihre heftigen Probleme haben dürfte. Kaspar versucht nicht, sich einzumischen, er versucht Impulse zu geben, Horizonte zu weiten. Wenn er eingreift, dann auf eine absolut konstruktive Art, nicht unterbindend. Er streitet nicht, aber er stimmt auch nicht zu, er widerspricht, aber belegt dies mit Argumenten. Manche fallen sofort auf fruchtbaren Boden, andere müssen keimen. Diese wertschätzende, altruistische Einstellung hat mich sehr beeindruckt und an das Buch gebunden. Kaspar ist für mich der Prototyp eines leisen Menschen, passend dazu sein Beruf des Buchhändlers. Seine Ruhe ist dabei jederzeit mehr Stoa als Phlegma – was man ja ebenfalls vermuten könnte. Kapsar ergibt sich nicht in Situationen, er nimmt sie an.
Die Schilderung der Beziehung und deren Entwicklung zwischen Sigrun und Kaspar ist gerade in ihrer Unaufgeregtheit fesselnd. Schlink zeigt dabei keinen gerade Weg auf, mahnt nicht mit erhobenem Zeigefinger, maßt sich nicht an, zu behaupten, dass Sigrun „gerettet“ werden muss, ruft dem Leser nicht zu „hier guck an, der Großvater bringt das Mädchen ruckzuck auf den rechten Weg, alles total einfach“. Im Gegenteil agiert er – oder er lässt Kaspar so agieren, wie seinen Erzählstil fließen – bedacht, beharrlich, auch im Wissen, dass ein Scheitern möglich ist und das man auch dieses akzeptieren kann und muss.
Fazit: eine bewegende Geschichte über eine traurige Frau, einen bewundernswert altruistischen Mann, ein Mädchen, dass dachte, sein Weg sei schnurgerade und plötzlich Biegungen und Kreuzungen entdeckt. Lesenswert!

Bewertung vom 23.09.2021
Du hast mir gerade noch gefehlt
McFarlane, Mhairi

Du hast mir gerade noch gefehlt


ausgezeichnet

Mhairi McFarlane schreibt einfach bessere Chick-Lit
Mhairi McFarlane ist seit Jahren einer meiner wenigen Ausflüge in das Genre der Chick-Lit – und das in meinen Augen zurecht. Was mir sonst eine Spur zu gewollt, zu flach, zu – sprechen wir es mal aus – manches mal ganz einfach auch nur dümmlich ist, finde ich hier nicht. Ich finde sympathische Protagonistinnen und Protagonisten, die alle ihre Schwächen haben. Ich finde einen Plot, der auf ein Happy End hinausläuft – und das erwarte ich auch. Ich finde auch jedes Mal eine ausreichend etwas anders gestrickte Geschichte. Die Autorin schreibt darüber hinaus sehr humorvoll. Für mich bedeutet Mhairi McFarlane daher einfach gut gemachte Unterhaltung, wie Popcorn-Kino zum Lesen, die meisten Leute gucken auch nicht immer ausschließlich Arte… Der neueste Roman „Du hast mir gerade noch gefehlt“ wartet darüber hinaus auch noch tatsächlich mit einem wahren Plot-Twist kurz nach Beginn auf, den ich jetzt so gar nicht erwartet hätte und der die weitere Geschichte bestimmt. Protagonistin Eve sieht sich daraufhin in ihren Grundfesten erschüttert, als wäre der Umstand, Brautjungfer auf der Hochzeit ihres besten Freundes, in den sie seit Jahrzehnten heimlich verknallt ist, zu werden, nicht schon genug, um sie tüchtig durcheinander zu bringen. Natürlich spielen alte und aktuelle Verstrickungen wieder eine Rolle, fehlende Kommunikation und unter Verschluss gehaltene Geheimnisse bis sich alles fügt – und das tut es am Ende.
Fazit: Wohlfühl-Lektüre in gewohnter Qualität der Autorin, hier gibt es einfach nichts zu meckern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2021
Mein erstes großes Wörterbuch
Dierks, Hannelore

Mein erstes großes Wörterbuch


ausgezeichnet

So viele Dinge kenne ich schon!
„Mein erstes großes Wörterbuch“ ist eine gelungene Sammlung rund um alle Dinge die dem Kleinkind begegnen und meist furchtbar spannend sind: Tiere, Fahrzeuge, Aktivitäten, Gegenstände des Alltags und Spielsachen. Ergänzt wird dies durch die vertrauten Orte wie z.B. die Kita, den Supermarkt und natürlich das Zuhause. Je eine Doppelseite widmet sich einem kleinen Ausschnitt der (Er-) Lebenswelt und führt meist mit einem kleinen kurzen Text oder auch nur einem Sätzchen in das Thema ein. Großformatige, klare und einzeln gestaltete Illustrationen benennen dann die wichtigsten Dinge, die mit diesem Kontext verknüpft sein können. Neben der Zeichnung befindet sich jeweils die Wortmarke. Dabei umfasst die Sammlung nicht nur Substantive, sondern auch Verben und Adjektive (z.B. Farben).
Die Gestaltung finde ich sehr gelungen, und das Buch an sich auch sehr umfangreich. Es ist kein kleines Büchlein, sondern wirklich ein Wälzer gemessen an der Größe eines Kindes dieses Alters. Sehr stabil ausgeführt, überlebt es aber auch sicher ein eher aktives Lesen und Umblättern. Ein tolles Buch, das sicherlich oft angesehen werden kann mit Illustrationen, die auch zum Weitererzählen einladen. Sehr gelungen!

Bewertung vom 06.08.2021
Fahr mit!: Auf der Baustelle

Fahr mit!: Auf der Baustelle


ausgezeichnet

Es gibt eine Menge zu tun!
Ein neues Haus wird gebaut, und dort gibt es eine Menge zu tun: eine Baugrube wird ausgehoben, Beton wird gegossen, irgendwann ist der Rohbau fertig und ganz zum Schluss steht der Umzug an! Bei jedem Arbeitsschritt werden verschiedene Fahrzeuge eingesetzt – und die bewegen sich durch dieses liebevoll gestaltete Bilderbuch sogar. Auf jeder Doppelseite wird ein Arbeitsschritt gezeigt und es gibt einen Fahrweg, auf dem durch die doppellagige Gestaltung der Seiten eine Scheibe mit dem jeweiligen Fahrzeug verschoben werden kann. Ein Buch, dass zum Entdecken, Mitmachen und Erzählen anregt.
Ich finde die Gestaltung gut gelungen und denke, dass „Fahr mit! Auf der Baustelle!“ immer wieder zum Ansehen und Spielen einlädt und animiert. Durch die vielfältige Gestaltung spricht es sowohl Mädchen als auch Jungen gleichermaßen an. „Am Kind“ wurde das Buch noch nicht getestet, da es ein Geschenk für meine Nichten sein wird, aber mein Mann hat getestet, alle Aufgaben mit Bravour bestanden und für gut befunden! Das Bewegen der Scheiben ist mitunter etwas fummelig, gelingt mit kleinen Kinderfingern aber sicher sehr gut.

Bewertung vom 13.07.2021
Raumfahrer
Rietzschel, Lukas

Raumfahrer


sehr gut

Lange Schatten
Jan ist vollkommen konsterniert, als ihn ein Patient anspricht, Zusammenhänge der beiden Familien andeutet, ihm Unterlagen förmlich aufdrängt, Jans Mutter erwähnt und seine Verwandtschaft zum berühmten Maler Georg Baselitz. Nichts desto trotz gibt er diesem „komischen Kauz“ nach, macht sich auf die Spurensuche, in den Unterlagen, in Deutschbaselitz, dem Heimatort des Malers und mit vorsichtigen Fragen bei seinem Vater. Seine Mutter kann er nicht mehr fragen. Viel bringt er erst einmal nicht in Erfahrung, aber das seinem Vater das Thema unangenehm ist, wird ihm klar, und auch, dass in der Vergangenheit seiner Eltern Dinge vorgefallen sind, die er nicht weiß, ist ihm durchaus seit Jahren bewusst. Doch eine Verbindung nach Deutschbaselitz, zur Familie Kern, so der bürgerliche Name des Malers, war ihm bisher unbekannt.
Der Roman berichtet parallel über Jan, seine Familie und seine Verwunderung über die Ansprache des Patienten namens Thorsten Kern sowie über dessen Familiengeschichte, vor allem die seines Vaters, Günter Kern, dem Bruder des Malers, und deckte langsam Vorgänge der Vergangenheit auf, in Details vermutlich exemplarisch für viele Schicksale in der DDR, aber in ihrer Besonderheit dann wiederum einzigartig und individuell.
Nebenbei bemerkt, bin ich froh, diesmal tatsächlich nicht den Klappentext oder die Beschreibung vorher allzu deutlich gelesen zu haben – er hätte mir nämlich für meinen Geschmack viel zu viel verraten. Natürlich war mir irgendwie klar, dass es eine Verbindung zwischen Jans Familie und der von Torsten Kern geben MUSS, und auch, dass es selbstverständlich irgendwie mit dem politischen System der DDR und der Stasi zusammenhängt, aber en detail geahnt habe ich es nicht und es war für mich einer der sehr guten Momente im Buch als mir klar wurde, wer welche Rolle spielte und wo eine Verquickung stattgefunden hatte.
Was bleibt hängen? Für mich kommt Raumfahrer nicht an Rietzschels ersten Roman heran. Ich mag den Schreibstil, aber der Plot blieb mir hier zu blass. Eindrucksvoll ist die Leere, die der Autor schafft zu vermitteln. Egal, ob das Krankenhaus, in dem Jan (noch) arbeitet, die sich verändernden Wohnsiedlungen oder die Menschen selbst. Er vermittelt ein Gefühl des Vakuums, der immer noch post-Wende-Ära, der immer noch überstrahlenden Vergangenheit eines totalitären Regimes mit für Außenstehenden nicht nachzuvollziehenden Mechanismen. Dinge, die in den Menschen, die sie erlebt haben – und sei sogar nur mittelbar, z.B. durch Eltern und deren Schicksal, für immer zementiert bleiben werden. Dauerhafter als jedes Bauwerk es war. Mit langen Schatten, die bis heute geworfen werden können. Diese Vermittlung von Leere, Luftleere, die den Menschen umgibt – eben den Raumfahrer - ist in meinen Augen das Stärkste an diesem Roman.

Bewertung vom 21.06.2021
Von hier bis zum Anfang
Whitaker, Chris

Von hier bis zum Anfang


ausgezeichnet

Quo vadis Outlaw Duchess?
Walk wollte Polizist werden seit er als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Cape Haven in Kalifornien bei einer Suche nach einem vermissten Kind dabei war. Heute sorgt er im ruhigen Umfeld der Provinz unaufgeregt für Ordnung, falls es denn überhaupt zu einem Zwischenfall kommen sollte. Leider zu häufig muss er zu einem Einsatz bei Star Radley eilen. Die Schwester des damals vermissten Kindes kommt einfach mit ihrem Leben nicht zurecht, Leidtragende sind häufig ihre beiden Kinder Robin und Duchess. Duchess hält die Familie so gut es geht am Laufen, sorgt mit ihren dreizehn Jahren für den Haushalt, das Frühstück für den kleinen Bruder, den Notruf, wenn es mal wieder nötig ist. Der Schicksalsschlag damals hat Cape Haven nachhaltig geprägt und die Familie Radley für immer gezeichnet. Als Walks bester Freund aus Kindertagen, Vincent King, nach Jahrzehnten wieder auftaucht, wird dies abermals zu neuen Verwicklungen, Komplikationen und Ereignissen führen, die Duchess nun schlussendlich auch überfordern müssen, alles was sie bisher ganz gut hinbekommt, gerät ins Wanken und fliegt ihr irgendwann buchstäblich um die Ohren.
Wenn man liest und urteilt, und mit Duchess mitfühlt und manchmal auch ihre Entscheidungen und Handlungen verurteilt, dann vergisst man ganz leicht eine Tatsache: Duchess ist selbst ein Kind, gerade mal ein Teenager. Sie tut nur keine Kinder-Dinge, ihr Leben ist nicht das normale, sorglose einer Jugendlichen, was ja mitunter schon schwierig und verwirrend genug sein kann. Sie ist viel zu erwachsen, hat viel zu viel Erfahrung in der Abwicklung von Dingen, die sie gar nicht kennen sollte. Sie reagiert hochemotional und absolut – wie ein Teenie, aber mit anderen Mitteln, anderen Entscheidungen, weil das Schicksal sie dazu bringt. Das kann den Leser sehr mitnehmen und sehr berühren und macht für mich die Qualität der Erzählung aus. Duchess beginnt ihr Leben nicht erst, sie wurde nicht geboren und entwickelt sich weiter und weiter und wird irgendwann als Erwachsene einmal einen Erfahrungsschatz besitzen, Dinge erlebt haben, die sie das Leben einordnen lassen. Sie ist schon da, wie mit dem Katapult nach oben geschossen, sitzt sie auf einem Berg, auf ihrem „Hier“ und die Frage ist, ob es von diesem „Hier“, ihrer Lebensrealität, eine Option gibt „bis zum Anfang“ zu gehen. All das Erlebte, Erlittene noch einmal auf 0 zu setzen. Das Ende legt nahe, dass Duchess sich dieser Sache bewusst ist. Wie sie damit umgehen wird, ist selbstverständlich spekulativ, doch hat sie es geschafft, genug Empathie beim Leser zu wecken, ihr einen Rückweg zu wünschen.
Fazit: ein mitreißender und bewegender Roman über ein starkes Mädchen, eine tragische Familiengeschichte, eine große Liebe, viele Geheimnisse und Schicksale. Fast könnte dies auch die Schilderung eines kitschigen Liebes- oder Familienromanes sein, aber weit gefehlt, es ist viel mehr Entwicklungsroman als dies, Soziogramm einer Kleinstadt – wer sich darauf einlassen möchte, wird einen tollen Roman lesen.