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Benutzername: 
Sonja
Wohnort: 
Kassel

Bewertungen

Insgesamt 44 Bewertungen
Bewertung vom 23.12.2022
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


sehr gut

Ian McEwan kannte ich bisher nur mit eher kurzen, pointierten Büchern - Lektionen ist mit seinen über 700, eng bedruckten Seiten ein ganz anders Kaliber. Es erzählt die Geschichte von Roland Baines, aus seiner Perspektive, und führt mit diversen Zeitsprüngen von dessen Kindheit bis hin ins hohe Alter.
Roland Baines kommt als Junge in ein Internat in England, dort bekommt er Klavierunterricht von seiner Lehrerin - schon bald konzentriert diese sich jedoch nicht nur auf den Unterricht, sondern zeigt auch körperliches Interesse an dem Jungen, der sich geschmeichelt fühlt und gleichzeitig überhaupt noch nicht reif genug für eine sexuelle Beziehung ist, die von einem deutlichen Machtgefälle geprägt wird. Der Mißbrauch durch die Lehrerin wird ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen und hemmt in Folge seine berufliche Entwicklung.
Eine weitere, prägende Frau in seinem Leben ist die Mutter von seinem Sohn, die beide verlässt, um erfolgreich Schriftstellerin zu werden. Auch dieser Situation ist Roland Baines ausgeliefert, er versucht sein Leben lang, das Verhalten seiner damaligen Partnerin zu verstehen und zu akzeptieren, richtig gelingen mag es ihm nicht.
Man muss sich auf diese Lebensgeschichte einlassen, Roland Baines ist häufig wenig greifbar in seinen Entscheidungen, sein Leben plätschert vor sich hin, auch wenn er innerlich oft zerissen ist. Und wie im richtigen Leben, gibt es auch im Buch zahlreiche Nebenstränge, seien es die eigene Familie, die seiner Partnerin, seine spätere Frau, sein Sohn, die Tagespolitik. Ein wirklicher Spannungsbogen entsteht hierdurch nicht, aber wenn man sich darauf einlässt, kann Roland Baines ein guter Begleiter werden, der einem zeigt, wie man am Ende seine Würde behalten kann, auch wenn es das Leben nicht immer gut mit einem meint.

Bewertung vom 24.10.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


ausgezeichnet

Mutig arbeitet Alex Schulmann in seinem Buch "Verbrenn all meine Briefe" die weitgehend wahre Geschichte seiner Familie und insbesondere seiner Großeltern auf. Ausgehend von der Wut, die er selber in sich trägt, fängt er an zu forschen und versucht zu verstehen, was zwei Generationen vor ihm in der Familie geschah.
Auf drei Zeitebenen - heute, in den 80ern als Enkelkind bei seinen Großeltern und im Sommer 1932 entwirrt er das Geschehen zwischen seinen beiden Großeltern, Sven und Karin Stolpe und Olof Lagercrantz, mit dem Karin Stolpe eine Liebesbeziehung beginnt. Der narzistische Sven Stolpe ist ein charismatischer Schriftsteller, der seine Frau Karin ob vermeintlicher Fehltritte quält und ihr mit seinen Wutattacken keinen Spielraum für eine eigene Entwicklung erlaubt. Mit Olof Lagercrantz scheint für Karin Stolpe jedoch eine romantische und gleichberechtigte Beziehung möglich, wäre da nicht die grenzenlose Wut ihres Ehemanns.
Die Geschichte entwickelt sich so dramatisch, dass sie fiktional erscheint. Und obwohl man von Beginn an aufgrund der verschiedenen Zeitebenen weiß, wie sie ausgehen wird, hält Schulmann die Spannung spielend bis zum Schluß.
Wie bereits in seinem Buch "die Überlebenden" haben die Ereignisse große Auswirkungen auf den weiteren Fortgang des Lebens der Protagonisten und derer Familien. Aber in beiden Büchern prägt der Charakter der Protagonisten deutlich den Verlauf des Geschehens - durch die Ereignisse verdichten sich die charakterlichen Eigenschaften der Akteure, für die es hier wie dort kein Entrinnen gibt.

Bewertung vom 19.10.2022
Bullauge
Ani, Friedrich

Bullauge


sehr gut

Wenn man die Bücher von Friedrich Ani kennt, dann weiß man, das man keine leichte Kost vor sich hat - in dem Buch "Bullauge" wählt Ani einen Polizisten zum Protagonisten, der bei einem Einsatz ein Auge verloren hat - und seither krankgeschrieben ist. Selber versucht er tough zu sein, seine Kollegen und Mitmenschen wissen nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen - er weiß es selber von sich auch nicht. Dann macht er sich unbewußt auf die Suche und findet die Frau, die für sein Unglück verantwortlich sein könnte - aber nicht, um sie zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um ihr näher zu kommen, ihr Leid zu verstehen, sich mit ihr zu verbünden.
Zielgenau und mit deutlicher Sprache spürt Ani auch in diesem Buch die Brüche der Menschen auf: die inneren Brüche wie die Äußeren. Das ist meistens quälend - wie das Leben halt so ist - und dennoch folgt man bestenfalls gebannt der Entwicklung der Personen. Auch dies ist insgesamt wieder ein eher düsteres Buch, es gibt aber auch die Hoffnung, dass Menschen sich ändern können und bei allen Brüchen nicht zwangsläufig zerbrechen.

Bewertung vom 04.10.2022
Wie wir Menschen die Welt eroberten / Unstoppable Us Bd.1
Harari, Yuval Noah

Wie wir Menschen die Welt eroberten / Unstoppable Us Bd.1


sehr gut

Wie haben Menschen früher gelebt? Wie war das damals mit den wilden Tieren und dem Feuer? Weshalb hat der Mensch - der Homo Sapiens - irgendwann die Welt beherrscht und beherrscht sie bis heute? Diese Fragen versucht uns Yuval Noah Harari in dem Buch "wie wir Menschen die Welt eroberten" zu erklären - in kurzen, gut zu lesenden Kapiteln und mit schönen Bildern. Es wird erklärt, was heute davon bekannt ist, wie Menschen früher gelebt haben - aber auch, was man heute nicht weiß und nicht mehr herausfinden wird.
In dem Buch sind zwei Dinge sehr gut zu verstehen: Der Homo Sapiens hat Fantasie und kann gut Geschichten erzählen, dadurch können die Menschen sich zusammenschließen und viel mehr erreichen als jedes andere Tier und jede andere Menschenart. Das hat die Welt verändert, immer ein bisschen mehr, aber so, dass es die einzelnen Menschen gar nicht bemerkt und gewollt haben. Aber über die lange Zeit sind alle anderen Menschenarten und viele Tiere ausgestorben, ohne dass es die Menschen wollten oder wirklich gemerkt haben.
Gut ist, dass am Ende des Buches die Leser dazu aufgefordert werden, ihre Kräfte zu nutzen, um neue Geschichten zu erzählen, die helfen können, unsere Erde wieder etwas besser zu machen.

Bewertung vom 28.09.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


sehr gut

Das Buch beginnt mit Trauer und Wut - eine Familie kommt nicht über den Tod der Mutter hinweg. Jedes Familienmitglied findet einen anderen Weg, mit seiner Trauer umzugehen: Das Tagebuch wird vom Vater gegessen, die Tochter prügelt sich aus Wut, die Brüder versuchen, die Familie halbwegs zusammenzuhalten und sind doch genauso traurig und wütend.
Aber nach und nach finden sich Gefährten, finden sich Geschichten, die die Mutter betrachten, in der Trauer helfen und die Wunden nach und nach heilen.

Wieder eine bildgewaltige Sprache, mit der Stefanie von Schulte schreibt. Eine stringente Geschichte darf man nicht erwarten, das war auch schon in "junge mit schwarzer Hahn" so, aber dafür kann man sich durchgehend an der Spracher erfreuen und man spürt die Erleichterung, die schrittweise einsetzt. Das heißt aber auch: man muss sich ganz auf das Buch und die Gefühle einlassen - und nicht auf Logik und Naturgesetzt bestehen.

Bewertung vom 18.09.2022
Ein dunkler Ort / Felix Bruch Bd.1
Goldammer, Frank

Ein dunkler Ort / Felix Bruch Bd.1


sehr gut

Ein neues Ermittler-Team, und sie haben es nicht leicht miteinander, die beiden. Ensteht zunächst der Eindruck, dass nur Felix Bruch der Kommisar mit den starken psychischen Problemen ist, stellt sich nach und nach heraus, dass auch seine neue Kollegin, Nicole Schauer, unter ihrer Vergangenheit und ihren Wutausbrüchen leidet. Und das vor dem Hintergrund, dass ein Mädchen verschwunden ist und es naturgemäß schnell gehen soll, um sie möglichst lebendig wieder zu finden.

Frank Goldammer hat einen Krimi mit deutlichen Gruselelementen geschrieben, um technische Ermittlerarbeit geht es hier nur minimal. Vielmehr versuchen die beiden Komissare vor allem emotional nachzuspüren, was passiert sein könnte, welche Akteure welche Motivation zum Handeln haben. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig mehr, als sie sich jeweils zugestehen möchten. Das Buck liest sich sehr flüssig und spannend, die Sprache ist klar, die Geschichte gut und logisch aufgebaut. Die Gruselsequenzen waren mir ziwschendurch zu ausführlich, aber das ist ja eher Geschmackssache. Und auch wenn die beiden Kommissare sich gegenseitig - und damit auch womöglich den Lesern - auf die Nerven gehen, sind sie mir dann in ihrer Eigenwilligkeit durchaus ans Herz gewachsen. Auf den zweiten Band kann man gespannt sein!

Bewertung vom 06.06.2022
Eine Frage der Chemie
Garmus, Bonnie

Eine Frage der Chemie


sehr gut

Die Autorin Bonnie Garmus hat mit Elizabeth Zott eine Protagonistin geschaffen, die so gar nicht in ihre Zeit zu passen scheint - selbst in der heutigen Zeit würde sie besonders und unangepasst erscheinen.
Als Chemikerin arbeitet sie in den 60er-Jahren nur zwischen Männern, diese haben von der Idee der Gleichberechtigung bisher nichts gehört, die meisten nutzen die Kenntnisse der begabteren Frau schamlos aus. Zott findet jedoch den Mann, der ihre Begabung versteht und respektiert - u.a. weil er ganz für die Forschung lebt und ihn soziale Prämissen wenig interessieren. Die entstehende Beziehung ist sehr innig, das Schicksal ist aber nicht besonders fair und irgendwann steht Zott vor der Entscheidung, in eine Kochshow zu gehen, um sich und ihr Kind ernähren zu können. Dies macht sie und füllt auch diese Aufgabe ganz anders aus, als es von einer Frau in dieser Zeit erwartet wird.

Trotz der teilweise herben Schläge, die die Protagonistin im Laufe der Geschichte einstecken muss, liest sich das Buch leicht und ist in humorvoller Sprache geschrieben. Der Charakter von Elizabeth Zott ist fazinierend, führt aber dazu, dass sie immer auch unnahbar bleibt - zu sachlich nimmt sie selbst eigene Emotionen wahr, zu sehr ist sie mit der Wissenschaft beschäftigt. Im Verlauf der Geschichte häufen sich am Ende (leider) die wohlmeinenden Zufälle, mit denen die Personen zusammengeführt und die Geschichte zu einem guten Ende geführt wird.

Bewertung vom 28.05.2022
Saftig vom Grill
Mangold, Matthias F.

Saftig vom Grill


gut

Das - in jeder Hinsicht - übersichtliche Rezeptbuch hat ein schönes Titelbild und schöne Fotos. Ansonsten überzeugt mich das Konzept nicht: Zwar gibt es am Ende ein Register, ein Inhaltsverzeichnis ist aber nicht vorhanden. Die Kategorien "ganz pur", "ganz klassisch" und "ganz kreativ" sind wenig aussagekräftig, die Rezepte sind sehr fleischlastig. Richtig vegetarisch/vegan scheint mir nur ein Rezept zu sein, darüber hinaus wird dann zumindest Fischsauce eingesetzt (okay, kann man vegan ersetzen) oder die "Zauberformel" sind dann doch Sardellen. Insgesamt komme ich auf 21 Rezepte, das ist für einen Einstieg in Ordnung, aber doch eben - übersichtlich. Wirklich gut übersichtlich sind die Rezepte, diese sind gut erklärt und scheinen auch alle gut nachgrillbar zu sein.
Am wenigsten Zugang habe ich schließlich zum "magischen" des Buches. Hier eine Zauberformel, dort eine fantastische Idee: da komme ich mir leider ein wenig doof vor, weshalb können es nicht einfach Tipps und Tricks sein? Aber gut, jedes Kind braucht einen Namen, dann soll es hier halt mal die Magie sein....

Bewertung vom 02.05.2022
Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2
Mohlin, Peter; Nyström, Peter

Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Der zweite Band um den schwedischen Ermittler John Adderley, der nach seinem Aufenthalt in Amerika als Undercover-Agent gleichzeitig noch von seinen Verfolgern gejagt wird. In Schweden ist er mit dem Fall einer Ermordeten betraut, deren ungleiche Schwester tief in der Geschichte steckt. Dabei kann er jedoch kaum ermitteln, da er selber Ziel von seinen Verfolger wird, vielmehr versucht er, ohne Rücksicht auf die Wahrheitsfindung, seine eigene Haut zu retten.
Von der Geschichte durchaus interessant, in der Sprache sehr prägnant, liest sich das Buch schnell und spannend. Hinter die Geschichte geguckt, bleibt aber vor allem Fassade: eine Identifikation mit dem Ermittler fällt schwer, zu sehr ist er mit seinen eigenen Fragen beschäftigt, selbst die Last, die er sich auflädt, scheint er im weiteren Verlauf wieder von sich abzuschütteln. Beim ersten Band hatte ich den Eindruck, man müsse ihm mehr Demut wünschen. Prompt wird er im zweiten Band ordentlich in die Mangel genommen - aber demütiger wird er nur sehr bedingt. Die weiteren Figuren sind zudem eher stereotyp - insbesondere nahezu alle Frauen sind gestört, die Männer sind geringfügig besser, vielleicht aber nur, weil sie etwas blasser bleiben. Atmosphärisch bleibt der Krimi zudem hinter vielen anderen skandinavischen Krimis zurück.
Insgesamt also eher leichte Lektüre, die sich gut weg liest. Über die Geschichte nachdenken sollte man aber lieber nicht so intensiv.

Bewertung vom 03.04.2022
Der große Fehler
Lee, Jonathan

Der große Fehler


ausgezeichnet

Das Cover des Buches ist selten der Grund, es auszuwählen. In diesem Fall ist der Elefant mit Straßenraster auf weißem Hintergrund so ausdrucksstark, dass er alleine schon Grund genug wäre, das Buch zu wählen.
Mit der Geschichte hat der Elefant nur wirklich am Rand zu tun, die Erzählung nach konrektem Vorbild blickt in das Leben von Andrew Green zurück, der die Geschichte und städtebauliche Entwicklung von New York maßgeblich mitgeprägt hat. Auf zwei Ebenen findet die Erzählung statt - zum einen nach der Ermordung von Andrew Green, der auf offener Straße erschossen wurde, zum anderen wird sein Werdegang von seiner - armen - Kindheit an erzählt.
Die Sprache ist elegant, aber nicht zu historisierend, die Erzählfluss aufgrund der verschiedenen Ebenen etwas sprunghaft. Persönlich hat mir der Rückblick auf den Werdegang von Andrew Green deutlich besser gefallen, da seine Entwicklung, aber auch innere und äußere Widerstände gut nachvollzogen werden können. Die Ermittlungen zu dem Mord wirken da eher unzusammenhängend und zufällig.
Nicht passend finde ich allerdings den Titel, da mir eigentlich nicht klar ist, was der "große Fehler" eigentlich war - einer von Andrew Green oder der seines Mörders. Davon unabhängig ist es ein durchaus lesenswertes Buch, das einem die Stadt New York deutlich näher bringt.