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Buchstabenträumerin
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Hier blogge ich über Jugendbücher und Romane der verschiedensten Genres: https://buchstabentraeumerei.wordpress.com.

Bewertungen

Insgesamt 170 Bewertungen
Bewertung vom 27.02.2021
Kein Weg zu dir / Elbendunkel Bd.2
Fischer, Rena

Kein Weg zu dir / Elbendunkel Bd.2


ausgezeichnet

„Elbendunkel 2: Kein Weg zu dir“ von Rena Fischer ist die Fortsetzung von „Elbendunkel 1: Kein Weg zurück“, einer Fantasy-Reihe voller Action, Gesellschaftskritik und tiefen Gefühlen. Der erste Band hatte mich begeistert und so war ich nun mehr als gespannt auf die Fortsetzung. Die Story über Elben und Menschen versprach bereits von Anfang an zu überraschen und tiefer zu gehen, als man anfangs vermuten mag. In Band 2 drohen nun Rassismus und gesellschaftliche Vorurteile, angefacht von korrupten Politikern mit einer fragwürdigen Agenda, die Welt endgültig ins Chaos zu stürzen.

Inmitten dieser massiven Unruhen, versucht Ash im Versteck der Dunkelelben-Rebellen zurechtzukommen. Sie lernt ihre Sprache und übt sich darin, wie eine Dunkelelbin zu kämpfen. Zugleich versucht sie, die diversen Intrigen zu durchschauen und mehr über ihre Mutter und ihre eigene Vergangenheit zu erfahren. Dadurch wird die Geschichte so vielschichtig, dass ich oftmals innehalten musste, um mir in Erinnerung zu rufen, wer gerade was plant und wer mit wem unter einer Decke steckt. Es gibt zahlreiche Erzählstränge, die jeweils aus der Perspektive der Protagonisten erzählt werden. Mit jedem Erzählstrang kommen andere Handlungsmotive, Ziele und Gefahrenmomente hinzu, so dass sowohl Tempo als auch Spannung enorm zunehmen. Es war mein Glück, dass die Autorin am Ende des Buches die wichtigsten Eckdaten aller Figuren gelistet hat. Neben Figuren, die man bereits aus Band 1 kennt, kommen nämlich noch zahlreiche neue Figuren hinzu, wie die Lichtrebellin Rain und Ranobal, eine freie Dunkelelbin, die über prophetische Gaben verfügt.

Besonders gefreut hat mich jedoch, dass bereits bekannte Figuren im zweiten Band eine größere Rolle spielen. Hier muss ich an erster Stelle den Dunkelelben Adrasel nennen, den Freund von Niall, dessen Charakter mich schon in Band 1 faszinierte. Jetzt etablierte er sich zu meiner absoluten Lieblingsfigur der Reihe (sorry, Darel). Niall beispielweise wirkte auf mich hingegen etwas blasser, doch das störte nicht, denn die neu hinzugekommenen Figuren gleichen dies vollends aus.

Neben der Entwicklung der Story im Allgemeinen war ich natürlich auch sehr neugierig, wie sich die Beziehung zwischen Darel und Ash entwickeln würde. Im zweiten Band sind Ash und Darel jedoch erst einmal weitestgehend auf sich allein gestellt bzw. sie gehen sich bewusst aus dem Weg. Darel ist vollauf damit beschäftigt, die gespaltenen Dunkelelben-Rebellen unter Kontrolle zu halten, während Ash immer tiefer in die Konflikte zwischen Jago, Leif Hweitasil und den Lichtelben hineingezogen wird. Trotz allem spürt man als Leser die Verbindung zwischen den beiden Figuren, sie tritt aber angenehm in den Hintergrund und blieb damit für mich sehr glaubhaft.

Kleine Kritikpunkte von mir fallen insgesamt nicht allzu sehr ins Gewicht. Stellenweise waren mir gefühlvolle Metaphern etwas zu übertrieben. Zudem zog die Autorin auf den letzten Seite das Tempo so sehr an, dass ich bei einigen Szenen kaum Zeit hatte, diese zu verarbeiten. Natürlich geht es den Figuren nicht anders, dennoch hätte ich mir als Leserin eine kleine Auszeit gewünscht.

„Elbendunkel 2: Kein Weg zu dir“ von Rena Fischer ist ein spannungsgeladenes Finale der Elbendunkel-Reihe. Die Geschichte wird ungemein komplex, mit neuen Figuren und zunehmend gefährlichen Auseinandersetzungen zwischen Elben und Menschen. Vor allem im letzten Drittel zieht das Tempo enorm an und es bleibt kaum Gelegenheit zum Innehalten, um Geschehenes zu verarbeiten. Gleichzeitig bleibt genügend Raum für die Entwicklung der Figuren, allen voran Ash, die viel über ihre Herkunft in Erfahrung bringt. Ein großartiger Abschluss und ich freue mich schon jetzt auf Neues von der Autorin!

Bewertung vom 14.02.2021
In den Fängen der Finsternis / Elias & Laia Bd.3
Tahir, Sabaa

In den Fängen der Finsternis / Elias & Laia Bd.3


ausgezeichnet

Nachdem mich Band 1 und 2 der „An Ember in the Ashes“-Reihe ( „An Ember in the Ashes“ und „A Torch Against the Night“) von Sabaa Tahir bereits mitgerissen haben, gelang es der Autorin auch mit Band 3, mich komplett zu fesseln. Dabei beginnt „A Reaper at the Gates“ um einiges ruhiger als die Vorgänger, in denen Action und Spannung unmittelbar im Vordergrund standen. In diesem Teil konzentriert sich die Handlung auf die einzelnen Protagonisten, die getrennt voneinander versuchen, das Reich und die Ihren zu schützen. Laia sucht nach dem letzten Stück des Sterns, um zu verhindern, dass der Nightbringer sein Volk befreien kann und sorgt sich gleichzeitig um die Scholars, die weiterhin verfolgt und getötet werden. Elias bemüht sich, seiner Aufgabe als Soul Catcher gerecht zu werden, immer hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen für Laia und seiner Verantwortung. Und Helene, der Blood Shrike, muss die Pläne des Commandant durchschauen, um das Empire zu beschützen und ihre Schwester vor Marcus und seiner berechnenden Boshaftigkeit in Sicherheit zu bringen.

Es passiert also so einiges auf den insgesamt 458 Seiten und dennoch gibt es viele Momente, die den Figuren Raum zur Reflexion bieten und eine tolle individuelle Entwicklung erlauben. Dadurch kann man als Leser:in die Gefühle und Handlungsmotive von Laia, Elias und Helene nachvollziehen (was treibt sie an, was ist ihnen wichtig?) und natürlich werden die Figuren greifbarer und noch authentischer, als sie es sowieso schon waren. Die Tiefe, die Band 3 auf diese Weise gewinnt, hat mir gut gefallen. Was der ersten Hälfte des Romans so zwar fehlt, sind die Cliffhanger, die zum fieberhaften Weiterlesen animieren, und ich brauchte bedeutend länger, um diesen Teil zu lesen, doch Langeweile kam keineswegs auf. Ab der Mitte nimmt die Handlung aber wieder wie gewohnt Fahrt auf, so dass ich das Buch nicht beiseite legen konnte. Schließlich galt es zu erfahren, ob es dem Nightbringer gelingen wird, sein Volk zu befreien und das Empire zu vernichten. Oder werden Laia und Elias dies zu verhindern wissen?

Wie auch schon in den ersten beiden Bänden, scheut Sabaa Tahir nicht davor zurück, brutale Folter- und Kampfszenen zu beschreiben. Mir sträubten sich bisweilen die Nackenhaare und ich musste einige Zeilen überspringen, weil ich einzelne Szenen nicht gut ertragen konnte. Wer also zart besaitet ist, sollte unter Umständen zu einem anderen Buch greifen. Auch die Intrigen und Komplotte setzen sich fort, niemals durchschaut man den Gegner vollständig, vor allem Keris Veturia und der Nightbringer verfolgen ihre eigene Agenda und lassen sich nicht in die Karten schauen. So hält die Autorin die Spannung aufrecht, denn ich tappte gemeinsam mit Laia, Elias und Helene lange im Dunkeln. Lediglich den Commandant hätte ich nicht so unterschätzt, wie Helena dies bisweilen tut.

Die Liebe zwischen Elias und Laia wird ebenfalls eine harte Probe gestellt. Anders als in Band 2 begegnen sie sich in „A Reaper at the Gates“ kaum, dennoch sind sie einander in ihren Gedanken immer nah. Doch hat ihre Liebe eine Zukunft? Ein schöner Erzählstrang, der in angenehmem Kontrast zur restlichen Handlung steht. Zudem lernen wir einige neue Figuren kennen, Musa zum Beispiel, den ich direkt ins Herz geschlossen habe. Andere, bereits bekannte Figuren hingegen, spielen eine größere Rolle, wie Harper, der Helene stets begleitet und beschützt. Auch das ist eine Bereicherung und ich bin sehr neugierig, wie sich diese beiden Figuren in Band 4 entwickeln werden.

Überhaupt kann ich es kaum erwarten, nach dem finalen Band „A Sky Beyond the Storm“ zu greifen, denn das Ende war wie immer dramatisch und es deutet sich immer mehr an, dass sich alles grundlegend verändern wird. Kein Kampf „Gut“ gegen „Böse“, sondern ein Kampf um allgemeine Gerechtigkeit für alle Völker, so meine Vermutung.

Bewertung vom 26.01.2021
Unheimlich nah
Scheerer, Johann

Unheimlich nah


sehr gut

Autor und Musikproduzent Johann Scheerer knüpft in „Unheimlich nah“, seinem im Januar 2020 erschienenen autofiktionalen Roman, an sein Debüt „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ an. Darin schildert er die bangen Wochen der Unsicherheit, nachdem sein Vater Jan Philipp Reemtsma entführt worden war. Nun, fast drei Jahre später, erzählt er, was danach geschah. Vom Leben nach dem Verbrechen. Die 90er Jahre neigen sich dem Ende und die 2000er Jahre stehen in den Startlöchern. Europa begrüßt den Euro und während sich Johanns Freunde von ihren Eltern und generell allen Erwachsenen emanzipieren, sieht sich Johann mit einer völlig anderen Realität konfrontiert. Statt seine Jugend unbeschwert und vor allem unbeobachtet genießen zu können, verfolgen ihn Personenschützer auf Schritt und Tritt. Was denken die Freunde über ihn? Reden sie über ihn? Und wie soll er so auf Partys gehen, sich verlieben? Wie kann er auch mal Mist bauen oder in eine Prügelei verwickelt werden, ohne dass ihm ständig jemand über die Schulter blickt?

Dieser Coming-of-Age Roman wird getrieben von Johanns innersten Gefühlen und Gedanken. Er ist „emotional wahrhaftig“, sagte Scheerer bei seiner Lesung im Literaturhaus Hamburg am 20. Januar 2020. So ist „Unheimlich nah“ teils tragisch und traurig, teils blickt die Figur von Johann selbstironisch auf peinliche Momente und diverse absurde Erlebnisse zurück. Vor allem aber hat mich die unbedingte Ehrlichkeit überzeugt und an dieses Buch gefesselt. Die Ehrlichkeit, mit der Johann seine Situation regelrecht seziert, seine Gefühle und die seines Gegenübers auseinandernimmt, sich hinterfragt – im Grunde sein gesamtes Leben in Frage stellt. Andere bestimmen über sein Leben, andere organisieren seinen Alltag. Geht so Selbstständigkeit? Schwierig.

Was macht das mit einem jungen Menschen? Durch die Sicherheitsvorkehrungen ändert sich der Blick auf die Umwelt und dadurch entwickeln sich Ängste. Johann bewegt sich also auf einem schmalen Grat zwischen Angst und Besorgnis und dem damit einhergehenden Schutzbedürfnis sowie dem drängenden Wunsch, dieser permanenten Beobachtung zu entfliehen. Ein fortwährender Zwiespalt. Jugendliche Rebellion sieht anders aus. Zwischendurch erlebt Johann zwar immer wieder Augenblicke, die Freiheit versprechen: Eine Klassenfahrt, Musikaufnahmen für seine Band Score! in Amerika, die erste Freundin – doch letztendlich kreist er immer wieder um diesen einen Gedanken:

"Wo sonst, wenn nicht in einem Polizeiwagen, umringt von anderen Polizeiwagen, konnte die Gefahr abwesender sein? Alles passierte schließlich einzig und allein zu unserem Schutz. Doch plötzlich schoss mir ein Gedanke in den Kopf, der mich nie wieder loslassen würde: Wie übermächtig musste die Gefahr sein, wenn schon der Schutz so beklemmend war?"

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Romans ist das etwas spannungsgeladene Verhältnis zu seinem Vater. So wie sein Sohn hat auch er mit den Nachwirkungen der Entführung zu kämpfen. Sein Zuhause wird verändert, Schutzzäune errichtet, Überwachungskameras installiert, er wird vom Fahrer seines eigenen Automobils zum Mitfahrer auf dem Rücksitz, auch er wird nachhaltig „beraubt“: „Mein Vater selbst aber war fort. Vor ein paar Jahren war er zurückgekommen, hatte aber einen Teil von sich nicht wieder mitgebracht“, schreibt Johann über ihn. Auch diese Beziehungslosigkeit nagt an ihm.

Doch nicht nur inhaltlich hat mich „Unheimlich nah“ überzeugt, auch sprachlich ist dies ein hervorragendes Werk. Direkt, reflektiert und mitunter selbstkritisch bringt der Autor seine Geschichte zu Papier. Manchmal erlaubt er es, dass seine jugendliche Stimme durchbricht, impulsiv und voller Emotionen, nur um sie schnell wieder einzufangen und mit Sachlichkeit zu bändigen. Doch das genügt, um als Leser:in in das Herz von Johann zu blicken und zu verstehen, wie sich ein Leben oft erst dann verändert, wenn das auslösende Ereignis schon längt Vergangenheit ist.

Bewertung vom 20.01.2021
Großstadtklänge

Großstadtklänge


sehr gut

„Berlin“ lautete das Thema der Ausschreibung für diese Anthologie – ehe Corona über uns hereinbrach und so vieles in unserem Alltag veränderte. Umso schöner, so die Herausgeberinnen Sophie-Marie Gruber, Liv Modes, Jen Pauli und Katharina Stein, dass die Texte in „Großstadtklänge – Von singenden Vögeln in dunklen Gassen“ von insgesamt 31 Autor:innen nun an ein Berlin vor der Pandemie erinnern. Es ist eine brodelnde, berauschende, traurige, nachdenklich und glücklich stimmende Mischung aus Momentaufnahmen. Die Geschichten feiern die großen und kleinen Augenblicke des Lebens und setzen sie in einer Stadt in Szene, die niemals ruht, die abstoßend wirken und gleichzeitig einen unbestreitbaren Sog ausüben kann.

Mit dem Vorwort hatten mich die Herausgeberinnen bereits gebannt. Darin steckt so viel Leidenschaft für diese Anthologie, so Gefühl für das Thema und Hingabe an den Leser. Ich fühlte mich willkommen geheißen und war bereit, diese unterschiedlichen Geschichten kennenzulernen. Besonders an einer Anthologie ist natürlich die Vielseitigkeit von Stil, Thema und Figuren. Das ist auch hier der Fall, die Autor:innen schreiben vom Ankommen und vom Leben in der Großstadt, von Lärm, von der Enge und der unermüdlichen Lebendigkeit Berlins. Sie erzählen von den Menschen, die diese Stadt erleben und fühlen. Die Auswahl hat mich ziemlich überzeugt. Es gab nur sehr wenige Texte – meist abstraktere, mit denen ich grundsätzlich schwer warm werde – die mich nicht vollkommen mitreißen konnten.

Den grandiosen Auftakt macht „Im Ring“ von Jana Thiel. Diese Geschichte ist sprachlich ein Genuss, die Autorin spielt humorvoll mit den Worten, sie hat einen ganz eigenen Rhythmus, der mir sehr gefiel. Dadurch wird ein im Grunde unbedeutendes Ereignis zu etwas Besonderem. „Bitte, bitte, komm‘ nicht zu mir, denkt er, als sich die Taube in seine Richtung bewegt. Natürlich kommt sie zu ihm. War ja klar. Die Taube und der Stumme.“ Ebenso amüsant und ein wenig kurios ist „Luft anhalten“ von Daniel Klaus daher: Musikalisches Luftanhalten in der U2. Das weckt Sehnsucht nach dem Bahnfahren und sollte ich je in der U2 sitzen, wird man mich sicherlich dabei ertappen, wie ich versuche, die Luft von Haltestelle zu Haltestelle anzuhalten.

Bewegt und berührt hat mich hingegen besonders „Die Klippen der Stadt“ von Aylin Ünal. Sie erzählt von Bea, die durch die Stadt taumelnd versucht, den Tod ihrer Tochter zu verarbeiten. Auch „Die Gabel“ von Jennifer Pfalzgraf ist eine zutiefst emotionale Geschichte darüber, wie einen die Kindheit bis ins Erwachsenenalter prägt. Es ist großartig, wie es die Autor:innen schaffen, die vielfältigsten Emotionen im Leser zu wecken. So wie in „Musik im Garten“ von Pêcheuse, worin es um eine Erkrankung, eine zufällige Begegnung mit einer Nachbarin und die Kraft der Musik geht. Alle drei Geschichten haben mich tief bewegt und hängen lange nach.

Doch es gibt auch Texte, die mich auf unterschiedlichste Weise staunen ließen. „Menschenfresser:innen“ von Sofia Banzhoff beispielsweise. So ein ungewöhnliches Thema! Erzählt wird aus Sicht einer toten Frau, die im Seziersaal liegend die Medizinstudent:innen beobachtet und über deren sowie ihr eigenes Leben reflektiert. In eine ähnliche Richtung entwickelt sich „Fleck und Flimmerkasten“ von Claudia van Gozer. Diese Geschichte präsentiert sich aber gleichzeitig als bissige Beobachtung einer jungen Liebe in der ersten gemeinsamen Wohnung.

Einen melancholisch-nachdenklichen Hauch verströmt „Wie die Stadt bei Stille klingt“ von Matthieu Jimenez. Wie ein Vorbote des vergangenen Corona-Jahres und der aktuellen Lage kommt die Geschichte daher. Es heißt darin: „Es fehlt mir, andere Menschen zu sehen. Nicht, um bei ihnen zu sein, sondern um zu wissen, dass ich nicht allein bin.“ So treffend, so voller Empfindung, wundervoll – mich hat diese Anthologie nach Berlin befördert.

Bewertung vom 11.01.2021
Die Geschichte eines Lügners
Boyne, John

Die Geschichte eines Lügners


ausgezeichnet

Der neue Roman von John Boyne ist faszinierend, packend, erschreckend, überraschend, lustig und tragisch! Allem voran ist Johne Boyne ein sprachlicher Genuss. Boyne schreibt scharfsinnige und kluge Geschichten, und so sind seine Sätze in „Die Geschichte eines Lügners“ wie geschliffenes Glas, gefährlich scharf und gleichzeitig wunderschön. Jede Formulierung sitzt wie ein maßgeschneiderter Anzug. Dem dadurch entstehenden Sog konnte ich mich frühzeitig nicht mehr entziehen und jegliche Zweifel, ob das Buch wohl meinen Geschmack treffen würde, waren vom Tisch gefegt. Ich lernte also Maurice Swift, diesen Gauner, kennen. Im Laufe der Geschichte wurden meine Umschreibungen seines Charakter nicht freundlicher. Sie reichen von durchtriebener Widerling, zerstörerischer Egoist, berechnender Heuchler bis hin zu überhebliches, verblendetes Ungeheuer – um nur eine Auswahl zu nennen. Der Protagonist ist wahrhaftig unsympathisch und unangenehm. Möchte man über so jemanden ein ganzes Buch lesen? Im Grunde nicht, wäre meine Antwort, doch Boyne garniert seine Geschichte mit genau der richtigen Prise beißendem Humor, um sie verträglich(er) zu machen.

Und schlussendlich geht es ja nicht um Maurice Swift allein. Tatsächlich lässt John Boyne ihn erst im letzten Drittel selbst zu Wort kommen. Zuvor lernen wir Erich Ackermann kennen, einen gutmütigen älteren Mann, der sich unverhofft und Hals über Kopf in den jungen und extrem gutaussehenden Maurice verliebt. Er nimmt ihn unter seine Fittiche, öffnet ihm die Türen in die Welt der Schriftsteller und Verlage und vertraut sich ihm an. Doch wie der Klappentext bereits verrät, nimmt diese Freundschaft kein gutes Ende für Erich.

Es stellt sich heraus, dass Erichs Geschichte nur der Auftakt für „Die Geschichte eines Lügners“ ist. Die Figuren abseits von Swift sind eine große Bereicherung für den Roman. Was sie antreibt, was sie verbergen, was sie fühlen und denken ist ungemein packend. Boyne hat mit ihnen äußerst vielschichtige und verschiedenartige Figuren ausgearbeitet. Dadurch ist jede Episode für sich interessant, alle in Kombination ergeben ein komplexes und clever konzipiertes Gesamtbild, das sich im letzten Teil – erzählt aus der Perspektive von Maurice – noch vertieft.

Die dabei entstehenden zeitlichen und örtlichen Sprünge irritieren absolut nicht, denn es gibt den einen roten Faden, der alle Teile miteinander verbindet. Im Zentrum steht die Suche nach DER Romanidee. Wie finden Autor:innen ihre Geschichten? Was inspiriert sie? Und noch viel wichtiger: Wann spricht man von Ideenklau? Wann wird es moralisch verwerflich, sich von Menschen im persönlichen Umfeld inspirieren zu lassen? Das Thema regt zum Denken an und lädt dazu ein, die Figur von Maurice bzw. seine Ansichten und Handlungen immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. Was ich John Boyne hoch anrechne ist, dass er seine Geschichte mit einer unnachgiebigen Konsequenz zum Ende bringt, er lässt sich dabei nicht davon abbringen, das Unangenehme und Furchtbare auszuleuchten. Am Ende schafft er es nichtsdestotrotz, die Bedürfnisse des Lesers zu befriedigen, ruft allerdings (zumindest bei mir) zugleich ein gewisses Zähneknirschen hervor. Eine großartige Mischung!

„Die Geschichte eines Lügners“ von John Boyne ist ein kluges und psychologisch faszinierendes Meisterwerk, dessen Handlung der Autor präzise und eloquent auf den Punkt bringt. Spannend und höchst emotional wird es durch die Schicksale der verschiedenen Figuren, die um das Zentrum „Maurice Swift“ kreisen, einem Mann, der den persönlichen Erfolg über alles stellt. Ich kann nur von Glück sagen, dass mir dieses Buch zugeschickt wurde, andernfalls hätte ich eine hervorragende Lektüre verpasst.

Bewertung vom 05.01.2021
Cryptos
Poznanski, Ursula

Cryptos


gut

Mit „Cryptos“ hat Ursula Poznanski einen Climate Fiction-Roman geschrieben, der einen düsteren Blick in die Zukunft wagt. Die Erde ist heiß und trocken, das Land zu großen Teilen vom Meer überflutet und die Bevölkerungszahlen sind explodiert. Die Geschichte klingt nicht nur spannend, sie ist es auch. Inhaltlich erinnert sie mich ein wenig an „Otherland“ von Tad Williams, in dem das Netz, also das Internet, immer mehr an Bedeutung gewinnt. Virtuelle Realität und Simulationen sind hier die Stichworte. Die Idee ist mir also nicht neu. Auch in „Cryptos“ geht es um virtuelle Welten, die von Designern entworfen werden und in denen die Menschen den Großteil ihrer Zeit verbringen, weil die Realität keine ansprechende Alternative ist. Die Welt wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Die Bevölkerung lebt auf begrenztem Raum, die Böden sind trocken und unfruchtbar, es leben kaum noch Tiere, alles ist unwirtlich. Auch die Infrastruktur ist in sich zusammengefallen und in Häusern, Fabrikanlagen oder Schulen befinden sich neben den notwendigsten Dingen lediglich Kapseln, mit denen sich die Menschen in die designten Welten begeben. Dort essen und trinken sie, dort treffen sie Familie und Freunde, kämpfen gegen Drachen, Kinder gehen dort in Schulen und in Spielwelten. Wer in einer Welt stirbt, wacht lediglich in der Kapsel auf und kann in eine andere Welt reisen.

Die Protagonistin Jana denkt sich solche Welten aus, entwickelt und betreut sie. Das großartige Cover gewährt hier einen ansprechenden Eindruck in eine solche Welt. Gemeinsam mit anderen Designern arbeitet Jana für Mastermind, das Unternehmen, das die virtuellen Welten erdacht hat. Sie lebt wie wenige weitere Menschen dauerhaft in der realen Welt, trinkt nahezu ungenießbares Wasser und isst unappetitliches Essen. Doch eines Tages geht etwas gründlich schief: Jana ist in den Welten gefangen, der Ausgang bleibt ihr verwehrt und jemand hat in das Design ihrer Welten eingegriffen. Weshalb kann sie nicht aussteigen? Und was sind das für seltsame Hinweise in Form einer toten Taube, die ihr immer wieder gesendet werden?

Neben dem Plot, der bis zur letzten Minute spannend und nicht vorhersehbar ist, hat mich vor allem die Zukunftsvision fasziniert. Ursula Poznanski verwendet vor allem in der ersten Hälfte des Romans viel Zeit darauf, diese zu etablieren. So erfährt man als Leser, wie die Welten erschaffen werden, welche Regeln gelten und wie das Zusammenspiel zwischen dem Leben in der Realität versus dem in der virtuellen Welt funktioniert. Die Spannung baut sich sukzessive auf, was mir sehr gut gefiel. Erst ab der Hälfte des Romans spitzt sich die Handlung merklich zu und die allgemeine Ausrichtung wird klarer. Dabei steht immer das Erleben von Jana im Mittelpunkt, aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt.

Was mir in diesem Zusammenhang etwas missfiel, war die Entwicklung ihrer Figur. Ist Jana anfangs noch ziemlich unpolitisch und eher naiv, ändert sich ihre Einstellung ziemlich schnell. So ist sie zum Ende hin zur mutigen Anführerin avanciert, ein Entwicklungsschritt der mir einfach eine Spur zu groß war. Die Nebenfiguren bleiben insgesamt ziemlich blass. Das gilt auch für Tivon, der ab der Mitte des Romans ebenfalls eine tragende Rolle einnimmt. Das liegt meiner Ansicht nach darin begründet, dass Poznanski zwar in Ansätzen Gefühle und familiäre Beziehungen anspricht, diese aber nicht genug ausreifen lässt, es mangelt ihnen an Tiefe. Das tut der Geschichte jedoch nicht unbedingt weh, da die Story um Mastermind im Vordergrund steht und mich diese Handlung gut durch die Seiten trug.

Etwas zwiegespalten stehe ich der Auflösung gegenüber. Was hier offenbart wird ist relativ aufwühlend, gleichzeitig hat es sich die Autorin für meinen Geschmack etwas zu einfach gemacht. Doch dies ist sicherlich sehr stark Ansichtssache und auch wenn der Roman für mich dadurch nicht vollkommen gelungen endete, ist er doch in seiner Gesamtheit lesenswert.

Bewertung vom 11.12.2020
Diese eine Lüge
Medema, Dante

Diese eine Lüge


ausgezeichnet

Dante Medema reduziert „Diese eine Lüge“ auf das Wesentliche und erzielt damit eine maximale Wirkung. Die Geschichte besteht aus Gedichten, E-Mails und Chatnachrichten, und dennoch (oder gerade deswegen) schafft sie es, tiefe Gefühle besonders hervorzuheben. Es geht um Delia, die im Rahmen eines Schulprojekts ihre DNA testet und herausfindet, dass ihr Vater nicht ihr biologischer Vater ist. Vermutet hatte sie es schon lange, doch die Bestätigung wirbelt ihr Leben dennoch vollkommen durcheinander. Gleichzeitig muss sie sich weiter mit dem begonnenen Projekt auseinandersetzen und sich mit ihren Gefühlen für ihren Kindheitsfreund Kodiak befassen. Eine aufwühlende Handlung und ein Roman, der nicht nur aufgrund der Erzählform auffällt.

Der Roman besticht durch seine Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Emotionalität. Diese Wahrnehmung liegt für mich insbesondere im Schreibstil begründet. Was ist ausdrucksvoller als Lyrik? Was ist authentischer und ungekünstelter als E-Mails und Chatnachrichten an Freunde? Es sind ungefilterte Momentaufnahmen und zutiefst gefühlsbetonte Eruptionen, in denen sich Delia offenbart und all das ausspricht, was sie belastet.

Und das ist jede Menge, denn mit der Entdeckung, dass sie nicht die biologische Tochter ihres Vaters ist, gerät Delias gesamtes Weltbild ins Wanken. Während Jugendliche in ihrem Alter sowieso schon im Prozess der Identitätsfindung sind, wird es für Delia noch schwerer gemacht. Und das Schlimmste daran? Sie muss schweigen, um ihre Familie nicht zu zerstören. Diese Last, gepaart mit dem Druck, ein Projekt für die Schule zu bearbeiten, lässt ihr keine Ruhe. Sie beginnt zu straucheln, sie weist ihre beste Freundin ab, ihre Schwester, und letztendlich verliert sie zeitweise auch sich selbst. Die einzige verlässliche Konstante wird Kodiak, der mit ihr gemeinsam am Schulprojekt arbeitet und der ihre Sprache spricht und sie versteht. Doch kann er sie auffangen? Er, der doch selbst eine schwere Zeit hinter sich hat und gerade erst eine gewisse Stabilität wiedergefunden hat? Dante Medema beschreibt die Gefühle und Gedanken ihrer Protagonisten mit einer unglaublichen Sensibilität.

Flankiert werden die Protagonisten von starken Nebenfiguren. Da wäre Sana-Freundin, die mit Delia durch dick und dünn geht, die sie unterstützt, aber auch verletzt wird und ihren eigenen Weg finden muss. Da ist die Mutter, die an den Folgen der Lüge kaputtzugehen droht, die leidet und nicht weiß, was sie tun kann, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Da ist der Vater von Delia, der ahnungslos versucht, seine Frau zu trösten und für seine Tochter da zu sein. Da sind die altkluge ältere Schwester und die verwirrte und verängstigte jüngere Schwester, die nicht wissen, was in Delia vorgeht. Da ist Ms Nadeer, die Lehrerin von Delia, die an sie glaubt und ihr Talent fördern möchte. Und schlussendlich ist da Jack Bisset, der leibliche Vater. Zusammen ergibt dies ein komplexes Netz an Bedürfnissen, Wünschen, Vorwürfen, Wut und der Sehnsucht dazuzugehören.

Was mich etwas umgetrieben hat ist die Frage, inwiefern es sich bei den Passagen in Gedichtform tatsächlich um Lyrik handelt und nicht vielmehr um Prosa. Oft lasen sich die Sätze wie Prosa, ich wünschte mir mehr Rhythmus, mehr das Gefühl, ein Gedicht zu lesen. Vielleicht liegt das aber auch an der Übersetzung? Doch letztendlich war es gleichgültig, denn wie auch immer man den Stil betiteln mag – was bleibt, ist eine verdichtete Form der Erzählung und das war letztendlich das, was für mich maßgeblich die Schlagkraft ausmachte. Zudem liebe ich die Doppelrolle der Lyrik, da Delias Passion die Lyrik ist und diese auch in ihrem Projekt verwurzelt. Alles, was sie beschäftigt, fließt in Gedichte, sie verpackt ihre Erlebnisse in Worte, schnürt sie fest und versucht, sie auf diese Weise zu verarbeiten. Ein verzweifelter Versuch, alles greifbarer, kontrollierbarer und geordneter werden zu lassen.

Bewertung vom 20.11.2020
LoveStar (eBook, ePUB)
Magnason, Andri Snaer

LoveStar (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mit „LoveStar“ wagt Andri Snær Magnason einen absurden, düsteren, tragischen, wahnwitzigen, bitterbösen und überraschend humorvollen Blick in die Zukunft der Menschheit. Tatsächlich ist es die spannendste Dystopie, die mir seit langem begegnet ist. In ihr denkt und entwickelt der Autor und Umweltaktivist Magnason konsequent die digitale und mediale Gesellschaft weiter, gießt sie zu einem fragwürdigen Endprodukt und beschreibt gleichermaßen ihr selbst verursachtes Ende. Es ist eine Reise durch die Abgründe der menschlichen Konsumgesellschaft, in der Menschen von Werbung beeinflusst und gesteuert werden und den Blick für das echte Leben vollkommen aus den Augen verloren haben. Ein durch und durch faszinierender Roman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite erstaunt, überrascht und gefesselt hat.

Das Zentrum all diesen Geschehens bilden die gewaltigen, bahnbrechenden Ideen von LoveStar sowie die Liebesgeschichte von SigrÍður und Indriði. Beginnen wir mit LoveStar, dem Namensgeber des Romans. Die Erfolgsgeschichte von LoveStar beginnt mit der Erforschung von Vogelwellen. Diese Wellen ermöglichen es einem Vogelschwarm, in absolutem Gleichklang zu fliegen, ohne offenkundige Signale untereinander auszutauschen. LoveStar hat es geschafft, diese Vogelwellen für den Menschen zu adaptieren, um Geräusche, Bilder und andere Signale ohne zwischengeschaltete Geräte zwischen Menschen übermitteln zu können.

Der „handfreie moderne Mensch“ war geboren. Kabel und Leitungen gehören der Vergangenheit an, Menschen können sich Bilder und Filme direkt auf die Augenlinse übertragen lassen, sie telefonieren ohne Handy, sie hören Radio ohne Kopfhörer und können sogar als Werbetreibende arbeiten, indem die ISTAR (die Image-, Marketing- und Öffentlichkeitsbereich der LoveStar Stimmungsabteilung) an ihrem Sprachnerv andockt und die Menschen für Werbebotschaften instrumentalisiert. Alles in allem ist diese Geschichte absolut verrückt! Dennoch wirkt nichts an den Haaren herbeigezogen und unglaubwürdig. Alles ist eine logische Konsequenz von Entwicklungen, die wir heute schon in Grundzügen in unserer Gesellschaft beobachten können.

Angesiedelt ist LoveStars Imperium im Öxnadalur auf Island, was für mich ein starker Anreiz war, dieses Buch lesen zu wollen. Ich verbinde mit Island insbesondere Dunkelheit und Abgeschiedenheit sowie eine gewisse magische und mysteriöse Aura. Hier scheint alles möglich, hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, was gerade dem Genre Dystopie natürlich sehr zuträglich sein kann. Und ich wurde nicht enttäuscht. Zudem hat mich die Biografie des Autors sehr beeindruckt und man spürt zwischen all der Absurdität und des Humors dennoch die Ernsthaftigkeit, mit der Magnason ihm wichtige Themen aufbereitet hat.

Zum Ende hin klingt der Roman apokalyptisch-philosophisch-infernalisch aus (in Ermangelung einer treffenderen Beschreibung). Denn wann sind Grenzen der Beeinflussung und Kontrolle erreicht? Ab wann entgleitet die Selbstwahrnehmung eines Menschen aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner vermeintlichen Unfehlbarkeit hin zu einem Gottkomplex? Hier erhebt sich der Roman nochmals über die Ebene der Konsum-, Marketing- und Gesellschaftskritik hinaus, was für mich ein sehr rundes Ende und vor allem eine logische Konsequenz von allem Vorangegangenen war. Großartig.

„LoveStar“ von Andri Snær Magnason ist eine atemberaubende, erschreckende, teils groteske und gleichzeitig irrsinnig lustige Dystopie, die einen zum Lachen und Weinen bringt. Schon nach den ersten Sätzen geriet ich einen Sog, der bis zur letzten Seite nicht nachließ. Eine kluge Beobachtung unserer Gesellschaft, unseres Konsums sowie der Kontrolle, die Konsum und Werbung auf unser Leben haben. Gleichzeitig geht der Autor der Frage nach, wann digitaler, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt in Machtmissbrauch und Größenwahnsinn umschlagen. Sehr empfehlenswert und für mich schon jetzt ein Buch, das Kultstatus erlangen kann.

Bewertung vom 16.11.2020
Zufällig vegan - International
Dymek, Marta

Zufällig vegan - International


ausgezeichnet

In „Zufällig vegan“ hat die Köchin, Autorin und Foodbloggerin Marta Dymek 100 internationale und vegane Rezepte zusammengestellt. Das Beste daran ist, dass sich diese exotischen Gerichte mit teils schwer erhältlichen Zutaten, ganz einfach auch mit regionalen Alternativen zubereiten lassen. Für mich ein riesiger Pluspunkt, denn so kombiniert das Kochbuch drei spannende Dinge: vegane Ernährung, Regionalität und Saisonalität. Finde ich großartig, denn sobald ein Kochbuch zu speziell wird, die Rezepte zu kompliziert und die Zutaten zu umfangreich sind, bin ich raus. So schien „Zufällig vegan international“ genau das Richtige für mich zu sein. Ob dem auch tatsächlich so war, erfahrt ihr hier.

Marta Dymek ist nach ihrem ersten erfolgreichen Kochbuch „Zufällig vegan“ auf Reisen gewesen. Sie war unter anderem in Vietnam, Thailand, Korea, Indien, Marokko und Kalifornien. Insgesamt bereiste sie fünfzig Länder und lernte dort viel über die jeweilige Kultur und Küche. Was ich besonders spannend fand war die Tatsache, dass Gemüse überall auf der Welt unterschiedlich zubereitet und gewürzt wird. Daraus ergibt sich eine enorme Vielfalt in der veganen Küche. Aus diesen Impulsen heraus entstand die Idee zu „Zufällig vegan – International“, eine kulinarische Weltreise.

Was steckt drin? Auf 272 Seiten erwarten den Leser 100 internationale Rezepte der Kategorien Frühstück, kleiner Hunger, Suppen, großer Hunger, Nachtisch und Getränke. Außerdem hat die Autorin allerlei Grundrezepte wie Bratensoße mit Pflaumen und selbstgemachtes Brühpulver zusammengestellt. Das Kochbuch ist also ein ganz buntes Sortiment an veganen Köstlichkeiten. Die Unterteilung finde ich ideal, denn so findet sich schnell das richtige Rezept für die richtige Gelegenheit. Insbesondere die Ideen für den kleinen Hunger haben mir gefallen, auch wenn einige durchaus für meinen großen Hunger vollkommen ausreichend wären, wie beispielsweise die Auberginenröllchen mit Spaghetti.

Ist es alltagstauglich? Allen Rezepten gemein ist, dass sie weitestgehend ohne großen Aufwand nachzukochen sind und tatsächlich aus recht gewöhnlichen Zutaten bestehen. Das einzige, was benötigt wird, sind einige exotischere Gewürze, die man jedoch in jedem gut sortierten Supermarkt findet. Als kleine Hilfe hat die Autorin eine informative Aufstellung der weniger bekannten Zutaten erstellt, wie zum Beispiel Bockshornkleesamen, Gochugaru-Chilipulver und Hefeflocken. Hier erklärt sie, was das Besondere an den Zutaten ist und wo man sie kaufen kann.

Meine ersten Kochversuche sahen außerdem exakt so aus, wie die Gerichte auf den Fotografien. Das ist bei mir tatsächlich eher selten der Fall! Zudem waren sie äußerst lecker. Meine Favoriten sind die „Schwedischen Hackbällchen mit Cranberrys“, der „Tomaten-Guglhupf“ (ja, das schmeckt!) und der „Schoko-Buchweizenbrei“ (mhmmmmm). Was mir sehr positiv ins Auge fiel sind die kleinen Erklärungen, Zusatzinformationen und Tipps, die Marta Dymek jedem Rezept voranstellt. Warum hat sie welche Zutat ersetzt? Woher stammt es? Wie kann man noch variieren? Sehr gelungen!

Stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis? 100 alltagstaugliche, vegane Rezepte mit regionalen Zutaten für den Preis? Hier stimmt das Verhältnis meines Erachtens absolut. Dabei ist das Kochbuch sowohl für Vegan-Anfänger als auch für Vegan-Profis geeignet, die über ihren bisherigen Tellerrand schauen möchten. Einziges Manko für mich ist, dass mir nicht alle Rezepte zusagen, besonders Suppen sind einfach nicht meins, wenn sie nicht cremig sind. Daher mein Tipp für alle Neugierigen: Auf der Webseite von „smarticular – einfach nachhaltiger leben“ befindet sich eine Leseprobe inklusive Inhaltsverzeichnis, in dem die Rezepte aufgelistet sind. Doch abgesehen von den Suppen-Rezepten hat dieses Buch ab sofort einen festen Platz in meiner Küche.

Bewertung vom 01.11.2020
Goldrote Finsternis (eBook, ePUB)
Krüger, Mika

Goldrote Finsternis (eBook, ePUB)


sehr gut

Mika M. Krüger hat sich mir vor ein paar Jahren mit ihrem Werk „Totenläufer: Silver Coin 203“ ins Gedächtnis gebrannt – eine eindringliche und atmosphärische Dystopie. Umso gespannter war ich nun auf ihr neues Buch „Goldrote Finsternis“, ein Mystery-Roman mit Gruselelementen, wie die Autorin ihn auf ihrer Homepage beschreibt. „Nebel, Regen […] und die Farben Orange, Rot und Gold inklusive“, heißt es außerdem. Also perfekt für den Herbst! Und tatsächlich erwies sich dieser Roman als tolle Begleitung durch dunkle Abende. Denn was Ilyan, Lois, Rayl und Hanne in Flußwalde erleben, ist wirklich gruselig und mysteriös.

Dabei fängt alles verhältnismäßig harmlos an. Der jüngere Ilyan, um den sich Lois seit einem einschneidenden Vorfall kümmert, ist in den Wald gelaufen. „Ich kann nicht mehr“, schrieb er als Notiz an Lois. Nun eilt sie hinterher, bis sie ihn an dem Ort findet, an dem jenes Unglück damals geschah und bringt ihn zurück nach Hause. Doch Ruhe kehrt nicht ein, vielmehr häufen sich sonderbare Ereignisse: ein Erdbeben, ein seltsamer Schatten, der aus einem Fenster klettert und im Wald verschwindet, ein Hausbrand und immer wieder ein schwarzes Eichhörnchen, dass Lois zu beobachten scheint. Auch Rayl, der Bruder von Ilyan macht eine sonderbare Entdeckung auf dem See. Etwas bewegt sich im Wasser und auch er sieht einen Schatten an sich vorbeihuschen. Doch was hat es damit auf sich? Was versucht Ilyan ihnen zu sagen, wenn er seltsame Kästchen mit geheimnisvollen Botschaften versteckt? Was ist die goldrote Finsternis, von der er immer spricht? Wer ist „sie“? Und was hat die ältere Hanne mit all dem zu tun?

Im ersten Teil der Geschichte werden viele Fragen aufgeworfen, viele Dinge ergeben keinen Sinn und man tappt als Leser genauso wie Lois, Rayl und Ilyas im Dunkeln. Zwar verstärkt sich mit jeder Seite ein Verdacht und im Geiste geht man verschiedene Szenarien und Erklärungen durch, doch Mika M. Krüger hat ihren Roman klug aufgebaut. Die Zusammenhänge erschlossen sich mir erst ganz zum Schluss. Großartig!

Was mich darüber hinaus besonders für „Goldrote Finsternis“ eingenommen hat, ist die Atmosphäre. Wie schon in ihrer Dystopie hat die Autorin auch hier eine ganz eigene Welt erschaffen. Flußwalde lebt in der eigenen Vorstellung, die Straßen, die Häuser, die umgebenden Wälder und Felder. Dieser Ort ist ein richtiger kleiner Kosmos und dadurch, dass kaum über die Welt jenseits von Flußwalde gesprochen wird, erzeugt das eine beklemmende Stimmung.

Doch es geht nicht allein um Mystery und unheimliche Begebenheiten. Die Freundschaft zwischen Lois, Ilyan und Ryan spielt eine zentrale Rolle. Ebenso wie die Beziehung zu Hanne, die sich statt der Eltern von Ilyan und Ryan um die beiden Jungen kümmerte. Über die familiären und freundschaftlichen Verwicklungen erfährt man genauso Stück für Stück mehr, was die Geschichte zusätzlich sehr interessant macht. Denn am Ende hängt alles untrennbar miteinander zusammen.

„Goldrote Finsternis“ von Mika M. Krüger ist ein schaurig-schöner Mystery-Roman, der mit spannendem Plot in Atem hält. Die Atmosphäre schwankt gekonnt zwischen latenter Gänsehaut und greifbarem Horror und das Ende überraschte mich sogar so sehr, dass ich Anfangsszenen erneut lesen musste. Hinzu kommt ein interessantes Beziehungsgeflecht, das unmittelbar mit den mysteriösen Erscheinungen verwoben ist. Genau die richtige Lektüre für einen nebelverhangenen Herbsttag!