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Benutzername: 
LinaHeiermann
Wohnort: 
Stuhr

Bewertungen

Insgesamt 24 Bewertungen
Bewertung vom 10.10.2023
Henry Kolonko und die Sache mit dem Finden
Konrad, Maja

Henry Kolonko und die Sache mit dem Finden


ausgezeichnet

Henry ist still, meist zurückhaltend und hat ein seltsames Hobby: Er sammelt Dinge, die andere verloren haben, ermittelt die Besitzer und bringt ihnen ihre Sachen zurück, ohne sich zu erkennen zu geben. Als die bunte, fröhliche Pippa mit ihrer Familie ins Haus einzieht und Henry ungefragt auf einem seiner Ausflüge begleitet, beginnt eine wunderbare Freundschaft zwischen den beiden. Zusammen erleben sie zunehmend spannendere kleine Abenteuer und begeben sich auf die Spur eines Geheimnisses.

Die beiden Hauptcharaktere sind sehr unterschiedlich und jeder für sich ein besonderes Kind. Ich lese Sie als Autisten und ADHSlerin, was natürlich - denn hier geht es vordergründig um eine ganz andere Geschichte - nicht explizit erwähnt wird. Ihre Verschiedenartigkeit führt allerdings dazu, dass sie sich wunderbar ergänzen und Pippa schafft es in ihrem schwungvollen Tatendrang beinahe mühelos, Henry mitzureißen. Sie stürzen sich in gewagte kleine Abenteuer und Henry spürt mit jedem Schritt aus seiner Komfortzone, wie er an Selbstvertrauen gewinnt. Mir gefällt, dass die beiden, deren Persönlichkeiten nicht der Norm entsprechen, so ausnehmend positiv dargestellten sind. Da sie so sympathisch sind, fällt es leicht, sich mit ihnen zu identifizieren. Neurodivergente Kinder können sich hier in einer positiven Weise repräsentiert fühlen.
Zum Ende hin wird immer deutlicher, dass der frühe Verlust seiner Mutter Henry mehr zu schaffen macht, als ihm bewusst ist. Pippa und ihre Familie mit ihrem gefühlsbetonten Familienleben zeigen, wie der offene Umgang mit Emotionen im Alltag gut tut. Hier können junge Leser sich - ohne pädagogischen Zeigefinger - gesunde Routinen abschauen.

Ein wunderbares Buch für alle sicheren Selbstleser ab 8 Jahren bzw. eignet es sich auch zum Vorlesen. Meine besondere Leseempfehlung geht an neurodivergente Kinder.

Bewertung vom 01.10.2023
Feuer. Wasser. Erde. Sturm. - Zum Überleben brauchst du alle Sinne
Pfeiffer, Boris

Feuer. Wasser. Erde. Sturm. - Zum Überleben brauchst du alle Sinne


ausgezeichnet

Don't judge this book by it's Cover!

Die Covergestaltung des Romans 'Feuer. Wasser. Erde. Sturm.' von Boris Pfeiffer lässt das Buch leider um einige Jahrzehnte älter erscheinen als es ist. Das ist sehr schade, denn es könnte Leser abschrecken.

Die Geschichte spielt in einem postapokalyptischen Dystopia. Nachdem diverse Umweltkatastrophen in rascher Folge überall die Menschen und größeren Tiere auf ein Minimum dezimiert haben, findet ein Junge Zuflucht bei einer Herde Rinder. Die zerstörte Umwelt, die Ödnis und Kargheit bilden die Szenerie des Romans und mahnen immer wieder, was unserer Zivilisation droht, wenn wir einfach so weitermachen, wie bisher.

Der Junge Drdjuck hat eine beinahe übersinnliche Verbindung zur Leitkuh und im Laufe seiner Zeit als Begleiter der Herde haben sich seine Sinne geschärft. Er nimmt die Natur um sich herum äußerst feinfühlig wahr und kann sogar kommendes Wetter spüren. Er nutzt seine menschlichen Fähigkeiten, um der Herde zu helfen und lernt die Umwelt einzuschätzen, indem er die Tiere beobachtet.

Als die Herde von Jägern gefangen und in eine Siedlung gebracht wird, muss Drdjuck alle seine Talente nutzen, um die Tiere vor dem Tod zu beschützen.

Ich finde den Schreibstil angenehm zu lesen, es gelingt mühelos, mich in den Hauptcharakter einzufühlen, ohne dass die Handlung an Drive einbüßt. Insgesamt fließt die Erzählung mittelschnell, es gibt zwar bedrohliche und actiongeladene Momente, dennoch droht dem Leser kein Herzkasper.

Mir gefällt, dass die Handlung in den wichtigen und ernsten Kontext der Umweltzerstörung und der kommenden Naturkatastrophen eingebettet ist, denn dies sind relevante Themen der Zielgruppe. Trotz der katastrophalen Szenerie gibt es einen Hoffnungsschimmer: Es wird aufgezeigt, wie ein verträglicher Umgang mit der Natur Leben zulässt und sogar neu entstehen lässt.

Ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen, es ist ein Überlebensroman in einer nicht allzu unwahrscheinlichen Zukunft.

Bewertung vom 20.09.2023
60 Kilo Kinnhaken
Helgason, Hallgrímur

60 Kilo Kinnhaken


gut

Mit seinen über 600 Seiten ist '60 Kilo Kinnhaken' von Hallgrimur Helgason ein echter Klotz. Die Gestaltung des Covers gefällt mir wegen der Kombination aus reduzierter Farbwahl und dramatischem Motiv, ein Hingucker!

Direkt zu Beginn des Romans spielt der Autor auf der Klaviatur der Stilmittel. Er ignoriert die Grenzen zwischen Erzähler und Autor, wandelt mühelos zwischen den Ebenen und führt den Leser in einer Art Heranflug zum Ort das Geschehens. Das mag für Literaturwissenschaftler durchaus amüsant sein, ist aber auch anstrengend zu lesen - der Roman ist insgesamt gewiss keine leichte Urlaubslektüre! Auch die anachronistischen Vergleiche lassen zunächst den Lesefluss stocken und entlocken dem Leser dann aber ein Schmunzeln.

Gestur, der Held - oder Antiheld - des Romans ist ein traumatisierter Waise, den wir bereits im Vorgängerroman '60 Kilo Sonnenschein' kennengelernt haben. In einem wahren Eldorado im Heringsfang hat sich der fiktive Ort Segulfjördur in rasender Eile in eine kleine Stadt mit bis zu 2000 Einwohnern während der Fangsaison verwandelt. Nach den fetten Jahren in denen er beim Heringsfang ausreichend verdient hat um seine kleine Ersatzfamilie gut zu ernähren, ist Gesturs Einkommen in dieser Saison deutlich geringer ausgefallen. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und lässt sich im Geschehen treiben, unentschlossen wägt er Zukunftsoptionen ab, träumt von Veränderungen, und entscheidet sich dann doch stets für den Weg des geringsten Widerstands.
Nicht nur Gestur, sondern der gesamte Ort sieht den Kinnhaken des Schicksals nicht kommen...

Der Roman ist nicht nur episch lang, auch die Erzählweise ist streckenweise mühselig in die Länge gezogen. Das Buch ist kein kurzweiliger Schmöker, sondern eher für das gemächliche Lesevergnügen an dunklen Herbstabenden geeignet.

Bewertung vom 11.09.2023
Schneekinder
Langer, Andreas

Schneekinder


ausgezeichnet

Es ist der Tag des ersten Schneefalls in einem kleinen Dorf, in dem nur noch eine Handvoll Kinder und zwei Alte leben. Alle Erwachsenen wurden zum Kriegsdienst eingezogen und müssen fern der Heimat Zwangsarbeit verrichten.
Die jugendlichen Jungen des Dorfes schuften in einer Mine weiter oben am Berg, der das Tal überragt und dürfen ihre Geschwister nicht besuchen. Als sie eine Felsspalte aufhacken, kommt etwas Schreckliches aus dem Gestein hervor und breitet sich vom Berg herab aus.
Die wenigen Bewohner des Dorfes fliehen Hals über Kopf in die verschneite Landschaft, es beginnt ein Wettlauf gegen das sich ausbreitende Unheil, gegen Schnee und Kälte, gegen den Hunger.
Das älteste Mädchen, Elin, muss nun die Verantwortung für die Kinderschar übernehmen und sich als Anführerin bewähren.
Dem Autor Andreas Langer ist ein mitreißender Jugendroman gelungen, der das Erwachsenwerden im Schnelldurchlauf abbildet. Elin, die schon zu Beginn des Romans für Vieles im Dorf zuständig ist und die Aufsicht über die jüngeren Kinder übernimmt, wird durch die plötzliche Katastrophe in die Rolle der Anführerin gezwungen. Ihre Gruppe umfasst nicht nur die ihr vertrauten Dorfkinder - sie muss sich auch gegen Jungen durchsetzen, die deutlich älter sind als sie und ihre Autorität nicht einfach hinnehmen. Sie muss abwägen, wem sie vertrauen kann und ist sich immer wieder bewusst, dass das Überleben der Kinder von ihren Entscheidungen abhängt.
Als Mutter hat mich die Flucht der Kinder besonders bewegt, ich habe den Roman in kürzester Zeit verschlungen. Der Leseempfehlung ab 11 Jahre schließe ich mich an.