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takabayashi

Bewertungen

Insgesamt 49 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2017
Der Fall Kallmann
Nesser, Hakan

Der Fall Kallmann


ausgezeichnet

Ein lange zurückliegendes Verbrechen und seine Folgen
Bisher habe ich noch nie etwas von Hakan Nesser gelesen, weil mir die Tristesse und Brutalität der mir bekannten skandinavischen Krimis irgendwann so gegen den Strich gingen, dass ich dieses Genre vermied.
Ein Fehler, wie sich nun herausstellt, denn dieser Roman hat mit den gängigen Schwedenthrillern nichts gemein. Eigentlich ist es gar kein typischer Kriminalroman, eher ein Sittengemälde aus einer nordschwedischen Kleinstadt mit tiefen Einblicken in den Schulalltag an einer Gesamtschule.
Ein kauziger, jedoch ziemlich beliebter Schwedischlehrer, Eugen Kallmann, ist unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Die Polizei konstatiert einen Unfall und schließt den Fall. Doch im Kollegium und bei den Schülern zweifeln viele an der Unfalltheorie.
Leon Berger, Kallmanns Nachfolger, nach dem Unfalltod seiner Frau und seiner Tochter aus Stockholm hierher geflüchtet, findet in Kallmanns altem Schreibtisch dessen Tagebücher. Er kann der Versuchung nicht widerstehen, darin zu lesen.
Die Handlung des Romans wird aus der Sicht von mehreren Leuten erzählt, hauptsächlich sind das diese vier: Leon, der Mathematiklehrer Igor, die Beratungslehrerin Ludmilla und die fünfzehnjährige Schülerin Andrea, die irgendwie ein Angelpunkt der Geschichte zu sein scheint.
Die drei Lehrerkollegen schließen sich zusammen und "ermitteln". Alle drei haben die Tagebücher gelesen und rätseln an deren Inhalt herum. Was ist Wahrheit, was Fiktion? Hat Kallmann wirklich ale Elfjähriger seine Mutter ermordet, weil sie seinen Vater betrogen hatte? Kann es tatsächlich sein, dass Kallmann niemandem mehr in die Augen schaute, weil er in den Augen erkennen konnte, ob jemand schon einmal gemordet hat? Offensichtlich hatte er einen Mörder erkannt und plante, in welcher Form auch immer, diesen zu "richten".
Durch die Berichte aus unterschiedlichen Perspektiven erschließen sich die Puzzleteile allmählich, so dass das Buch doch den Sog eines Kriminalromans entwickelt und man (also ich jedenfalls) das Buch nicht mehr weglegen kann und die ganze Nacht durchlesen muss.
Großartig geschriebener Gesellschaftsroman, der uns zeigt, dass sich sogar im liberalen Schweden rassistische, fremdenfeindliche Tendenzen ausbreiten und dass "Multikulti" auch dort nicht immer reibungslos funktioniert.
Der Roman lässt sich viel Zeit (immerhin 570 Seiten) und wir lernen auch die Hauptcharaktere ziemlich gut kennen. Wenn dann endlich alle Puzzleteile zusammenpassen ist man als Leser zufrieden, wenn auch etwas traurig.
Ein fulminantes Werk, unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 15.10.2017
Geheimnis in Rot
Hay, Mavis Doriel

Geheimnis in Rot


sehr gut

Britischer Landhauskrimi zur Weihnachtszeit
Klett-Cotta hat mit "Geheimnis in Rot" seine feine kleine Krimi-Edition fortgesetzt mit schön gestaltetem Leinen-Cover und Lesebändchen. Den deutschen Titel finde ich nicht so gelungen, der Originaltitel "The Santa Klaus Murder" gefällt mir besser.
Dieser letzte von nur drei Krimibänden, die die Autorin Mavis Doriel Hay insgesamt geschrieben hat, wurde im Jahr 1936 veröffentlicht, stammt also aus dem goldenen Zeitalter der britischen Kriminalliteratur.
Familienoberhaupt Sir Osborne Melbury hat wie üblich seine gesamte Familie samt Anhang zur verlängerten Weihnachtsfeier eingeladen. Schnell kriegen wir mit, dass er ein despotischer Vater ist, der seine Kinder nach seiner Pfeife tanzen lässt und sich auf unerträgliche Weise in ihr Leben einmischt. Liebesheiraten werden nicht geduldet, es muss standesgemäß und - vor allem - gewinnbringend geheiratet werden. Und weil alle hoffen, in seinem Testament großzügig bedacht zu werden, hat er sie alle weiterhin am Gängelband. Deshalb herrscht unter seinen Gästen auch nicht gerade die passende Weihnachtsstimmung! Und als Sir Osborne dann erschossen in seinem Arbeitszimmer aufgefunden wird, ist daher fast jeder verdächtig.
In den ersten Kapiteln berichten unterschiedliche Gäste über den Hergang der Ereignisse, dann übernimmt vorwiegend Colonel Halstock die Berichterstattung. Halstock ist ein hochrangiger Polizist und Freund der Familie, der in der Nachbarschaft wohnt. Speziell in den ersten Kapiteln bekommen wir einen guten Überblick über die Charaktere und die Probleme der einzelnen Familienmitglieder.
Die Aufklärung geht Schritt für Schritt voran mit zahlreichen Befragungen und Suchaktionen in klassischer Manier. Das liest sich durchaus spannend und zuweilen auch witzig, aber selbst mir als erklärtem Fan von Cozy-Krimis hätte es von den beiden Zutaten Spannung und Humor gerne noch etwas mehr sein dürfen. Daher gibt es von mir nur vier von fünf Sternen für diesen Krimi, der sich natürlich hervorragend als Weihnachtsgeschenk eignet.

Bewertung vom 26.09.2017
Nachts am Brenner / Commissario Grauner Bd.3
Koppelstätter, Lenz

Nachts am Brenner / Commissario Grauner Bd.3


ausgezeichnet

Packender Regionalkrimi mit düsterem Unterton
Grauner, Commissario und Teilzeitbauer, und sein neapolitanischer Kollege Saltapepe werden auf den Brenner gerufen. Seit der Öffnung der Grenzen durch die EU ist der einst so wichtige Grenzposten zur Bedeutungslosigkeit verkommen - fast ausgestorben. Die Leiche, zu der sie gerufen wurden, ist ein über 80jähriger alter Mann, der brutal hingerichtet wurde. Beim Durchsuchen der Wohnung, stößt Grauner auf eine Visitenkarte, die eine Verbindung zur nie aufgeklärten Ermordung seiner Eltern herstellt. Er weiht Saltapepe als Einzigen ein und ermittelt unorthodox in eigener Sache in seinem persönlichsten Fall.
Es ist ein komplizierter Fall, d.h. eigentlich sind es mehrere Fälle, die sich überschneiden. Es geht um Liebesbeziehungen, Schmuggel, zwielichtige Immobiliengeschäfte und Verbrechen aus der Nazizeit, unter anderem die grausame Behandlung der Insassen einer Nervenheilanstalt. Grauner besucht die unterschiedlichsten Leute, wie z.B. die Kartenspielkumpane des alten Mannes, eine in strenger Klausur lebende Klarissin, einen Konditor, einen in Berlin lebenden Historiker (dafür schafft er es sogar, seine Flugangst zu überwinden) und den Hausmeister eines ehemaligen psychiatrischen Sanatoriums. Leider gibt es danach noch mehrere Mordopfer unter den von Grauner verhörten Zeugen, daher befindet er sich in einem Wettlauf gegen die Zeit. Saltapepe hingegen verfolgt andere Spuren, u.a. in einem hinter der Grenze in Österreich liegenden Fernfahrerpuff "Der siebente Himmel".
Im Finale werden dann die diversen Verbrechen befriedigend aufgeklärt, es bleiben keine losen Enden. Und Grauner ist am Ende endlich die Dämonen seiner Familiengeschichte los.
Der Roman ist etwas düster, aber gut geschrieben, und für etwas befreiende Komik wird durch das so gegensätzliche Gespann Grauner/Saltapepe gesorgt. Mir haben schon die ersten beiden Bände gut gefallen und den dritten Band fand ich sehr komplex und außerordentlich spannend.

Bewertung vom 08.09.2017
In einem anderen Licht
Burseg, Katrin

In einem anderen Licht


sehr gut

Gelungener Mix aus Lieberoman und deutscher Zeitgeschichte
Miriam, trauernde Witwe des Fotoreporters Gregor, der im Irak vor 2 Jahren durch einen unglücklichen Zufall ums Leben kam, versucht ihr Leben als Journalistin und nun alleinerziehende Mutter zu meistern. Die Sartorius-Stiftung hat ihr bei der Trauerarbeit geholfen. Nun hat sie im Rahmen ihrer Arbeit mit dieser vermögenden Wohltäterin zu tun, es geht um eine Preisverleihung für eine würdige Hilfsorganisation. Miriam schafft es tatsächlich, nach hartnäckigem Drängen einen Interviewtermin mit der pressescheuen Dorothea Sartorius zu bekommen. Soll sie der Stiftungspräsidentin auch die Frage stellen, die ihr in täglichen anonymen Briefen nahegelegt wird? "Fragen Sie Dorothea nach Marguerite!"
Sie fragt, und Dorothea Sartorius nennt ihr einen Namen, außerdem erzählt sie von dem Ort an der Schlei, wo sie 1977 ihren Mann kennengelernt hat. Miriam fängt an zu recherchieren und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. War die Wohltäterin von heute tatsächlich damals im Umfeld der Baader-Meinhof-Gruppe aktiv gewesen?
Das Buch zum 50. Jahrestag der Schleyer-Entführung! Sehr fesselnd verknüpft die Autorin die Ereignisse des "Deutschen Herbstes" mit der persönlichen Geschichte von den 2 Frauen und deren moralischem Dilemma. Das liest sich äußerst spannend. Ein bisschen genervt haben mich die Männer in Miriams Umgebung, wahre Traummänner, zu gut, um wahr zu sein. Einmal Nardim, der algerische Wirt des Bistros in ihrem Haus, der zu einem guten Freund wird, und dann Bo, der Gaukler, bei dem Miriams Sohn Max über Ostern das Bauen von Drachen lernen soll. Ein Gutmensch, wie er im Buche steht. Der kleine Max verliebt sich in ihn als Vaterfigur und auch seine Mutter hat diesem Prachtexemplar wenig entgegenzusetzen, vergisst durch ihn immer mal wieder ihre Trauer. Der schwarze Rabe in ihrem Herzen war zuerst ein schönes Bild, das dann aber für meinen Geschmack etwas überstrapaziert wurde. Etwas zu viele Zufälle helfen Miriam bei ihrer Recherche, aber trotzdem habe ich den Roman mit Genuss gelesen. Die Aufarbeitung einer wichtigen Phase der deutschen Geschichte und um Klassen besser als die sonst gängigen sogenannten Frauenromane.

Bewertung vom 01.09.2017
Der Vater, der vom Himmel fiel
Henderson, J. Paul

Der Vater, der vom Himmel fiel


ausgezeichnet

Gelungene Mischung aus Melancholie, britischem Humor, skurrilen Figuren und viel Herz
Lyle Bowman war schon ein ziemlich alter Mann, doch er starb keines natürlichen Todes, sondern aufgrund einer kleinen, aber tragischen Verwechslung. Bei seiner Beerdigungsfeier ist die Teilnehmerzahl sehr überschaubar - nur 10 Personen. Die Feier beginnt mit Verspätung, weil Lyles Sohn Billy hofft, dass auch sein Bruder Greg teilnehmen wird. Der Pfarrer hält eine prosaische, kurze Predigt, dann gibt es eine - eher unpassende - Gesangseinlage von Billys Tochter Katy. Am Ende dieser Darbietung betritt plötzlich ein blonder Surfer mit Flip-Flops und Bermudashorts die Kirche: Greg, den sein Bruder Billy seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hat, ist doch noch aus den USA angekommen!
Aus dem Blickwinkel von Greg erfahren wir allmählich mehr über diese merkwürdige Familie mit all ihren Macken. Als Katalysator lässt Henderson den toten Vater, der seine Familienangelegenheiten noch regeln möchte, noch einmal für 20 Tage als nur für Greg sichtbaren Geist zurückkehren. Die beiden reden miteinander, wie sie es zu Lyles Lebzeiten nie getan haben, und er bittet seinen Sohn, sich um Onkel Frank und seinen Bruder Billy zu kümmern, bzw. beide irgendwie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Es geht um Selbsterkenntnis und Familienzusammenhalt, und auch um Erwachsenwerden.
Das alles wird mit feiner Ironie geschildert, hier gibt es keinen schenkelklopfenden Brachialhumor, sondern subtilen, britischen Humor vom Feinsten. Dem Autor gelingt eine ausgewogene Balance zwischen Ernst, Melancholie und Trauer auf der einen und einer humorvollen, leichten Tonart auf der anderen Seite. Dies ist ein Buch über Männer und ihre Beziehungen untereinander, die Frauen haben nur Nebenrollen z. B. als verehrte, tote oder als nervende, dominante Ehefrauen. Und diese Männer sind nicht unbedingt sympathisch, wachsen einem aber im Laufe der Lektüre mit ihren Schwächen, Ängsten und skurrilen Eigenarten doch ans Herz. Ein liebenswerter Roman, der einen rührt und zum Schmunzeln bringt.

Bewertung vom 31.08.2017
Der Preis, den man zahlt / Lorenzo Falcó Bd.1
Pérez-Reverte, Arturo

Der Preis, den man zahlt / Lorenzo Falcó Bd.1


gut

Keine Identifikationsfigur!
Man könnte sagen, Falcó, der Spion in Zeiten des spanischen Bürgerkriegs ist zu cool – oder aber nicht cool genug. Zuerst fand ich ihn ganz interessant, so eine Art Humphry Bogart-Typ, nur, dass der sich dann doch immer noch als Schlawiner mit einem goldenen Herzen erweist, der am Ende das „Richtige“ tut. Das ist bei Falcó nur ansatzweise der Fall.
Er arbeitet für die Faschisten, für Franco, aber nicht etwa aus politischer Überzeugung, sondern weil es ihn zufällig auf diesen Weg verschlagen hat, er gut darin ist und darüber hinaus das Abenteuer und den Nervenkitzel liebt. Außerdem ist er ein Mann mit Geschmack und Stil, ein eleganter Lebemann und beziehungsunfähiger Frauenheld - ein Sympathieträger ist er nicht. Dazu ist er zu skrupellos, zu brutal und zu „Macho“. Warum er so ist, wie er ist, das erfährt man leider nicht und deshalb kann man ihn auch nicht verstehen.
Ein Anführer der Falangisten soll in Alicante aus kommunistischer Haft befreit werden und Falcó wird dorthin geschickt, um die Aktion zu koordinieren. Schon die Reise dorthin durch die feindlich besetzte Zone ist gefährlich und abenteuerlich. In Alicante trifft er dann seine Mitstreiter: ein idealistisches Geschwisterpaar und die mysteriöse Eva Rengel. Sie bereiten den Anschlag vor und dabei kommen Falcó und Eva sich näher. Doch dann kommt alles ganz anders als geplant und Falco erkennt, dass er nur als Marionette in diesem Spiel von Verrat und Gegenverrat gedient hat. Seine Menschenkenntnis hat ihn im Stich gelassen, er hat sich getäuscht, vor allem auch in Eva.
Der Roman hat alles, was ein solider Agententhriller braucht, zündet aber trotzdem nicht so richtig. Das mag an der mangelnden Charakterisierung der Figuren - vor allem der Hauptfigur - liegen, wir wissen zwar viel über seinen Stil, aber nur wenig über seine Persönlichkeit. Und im Vergleich zu z.B. James Bond oder den Figuren aus den Krimis von Lawrence Block fehlt bei der Beschreibung der augenzwinkernde Humor, der einen dazu bringt, den Helden ihre Fehler schmunzelnd zu vergeben.

Bewertung vom 17.08.2017
Der Frauenchor von Chilbury
Ryan, Jennifer

Der Frauenchor von Chilbury


ausgezeichnet

Gemeinsames Singen weckt ungeahnte Kraftreserven
Da die Männer alle im Krieg sind, wird der Kirchenchor von Chilbury mangels männlicher Stimmen kurzerhand aufgelöst. Aber das lassen sich die Frauen nicht bieten und schaffen es gegen alle Widerstände, einen Frauenchor ins Leben zu rufen.
Die Geschichte wird in Form eines Briefromans erzählt, bzw. finden wir nicht nur Briefe, sondern auch Tagebucheinträge der unterschiedlichsten Frauen und Mädchen, wodurch wir eine Menge erfahren über das Dorfleben und die Leichen, die so manch ein Bewohner im Keller hat. Eine verwitwete Krankenschwester, die 13jährige Tochter des Landadligen, ihre kokette und verwöhnte 18jährige Schwester und die skrupellose Hebamme des Ortes, sind die Hauptbrief- bzw. Tagebuchschreiberinnen.
Das, worum es der Autorin meines Erachtens hauptsächlich geht, ist die allmähliche Emanzipation der Frauen in diesen Kriegszeiten, da sie aufgrund der Abwesenheit der Männer viele Dinge selbst in die Hand nehmen müssen und plötzlich bemerken, dass sie das auch sehr gut - wenn nicht gar besser - können. Zusätzlich stärkt das gemeinsame Singen ihren Lebensmut.
Wir bekommen einen Einblick in das nervenaufreibende Leben zu Kriegszeiten und der Autorin gelingt es, mit leichter Hand durchaus ernste Situationen zu skizzieren. Mal muss man schmunzeln, mal kämpft man mit den Tränen. Das Dorfleben und die Scheinheiligkeit und Doppelmoral der damaligen Zeit werden sehr gut beschrieben. Die einzelnen Manuskripte erzählen eine fortlaufende Geschichte, die fesselt und sich im Laufe der Handlung zu einem regelrechten Pageturner entwickelt - ich jedenfalls mochte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Die Figuren sind mir während der Lektüre richtig ans Herz gewachsen, so dass ich sie am liebsten noch länger begleitet hätte. Ich mag Briefromane! Den Stil finde ich sehr reizvoll, vor allem da die unterschiedlichen Autoren jeweils ihre ganz eigene Diktion haben.
Ein sehr unterhaltsamer, warmherziger, informativer Roman, weit entfernt von der sogenannten "Frauenliteratur", und eine ganz klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 11.08.2017
Swing Time
Smith, Zadie

Swing Time


gut

Zwiespältig
Die Leseprobe hatte mir gut gefallen: Im Prolog kehrt die (namenlos bleibende) Ich-Erzählerin unter merkwürdigen Umständen und anscheinend eher unfreiwillig nach London zurück. Unter ihren E-Mails findet sie eine seltsame Nachricht: "Jetzt weiß end­lich jeder, wer du wirklich bist." Zitat: "Eine Nachricht, wie man sie von einer gehässigen Siebenjährigen mit einer klaren Vorstellung von Gerechtigkeit bekommt. Und wenn man einmal ausblendet, wie viel Zeit dazwischen lag, dann war es ja auch genau das." Und damit erinnert sie sich an das Jahr 1982, in dem sie ihre spätere Freundin Tracey beim Ballettunterricht kennenlernte. Beide sind Kinder eines Schwarzen und eines weißen Elternteils und fühlen sich sofort zu einander hingezogen. Traceys Mutter ist weiß, unattraktiv und bewundert ihre Tochter, die sie gern herausputzt. Die Mutter der Ich-Erzählerin ist schwarz, will höher hinaus im Leben und besitzt einen unbedingten Stilwillen.
Tracey ist eine begabte Tänzerin, die plattfüßige Ich-Erzählerin eher nicht. Trotzdem kommen die beiden sich näher. Smith skizziert mit wenigen Pinselstrichen die unterschiedlichen Familienkonstellationen, das Verhältnis zu Mutter und Vater, das Verhältnis der Eltern untereinander.
So weit, so gut. Doch dann geht es in den Zeitebenen ständig hin und her, die Ich-Erzählerin hatte zwischenzeitlich zehn Jahre lang einen Job als persönliche Assistentin einer erfolgreichen Sängerin namens Aimee und jettet mit dieser und deren Entourage zwischen London, den USA und Afrika hin und her. Dort, in einem unbenannten afrikanischen Land beaufsichtigt sie den Aufbau einer Mädchenschule - ein Charity-Projekt von Aimee.
Die Autorin schreibt sehr gut, einzelne Passagen sind sehr interessant, aber insgesamt ist der Roman sehr unrund, vermochte mich nicht wirklich zu fesseln. Im Gegenteil, ich habe mich mehr oder weniger durch die gut 600 Seiten gequält, immer in Versuchung, abzubrechen; das ging soweit, dass ich nach zwei Dritteln erst einmal einen Krimi zur Entspannung dazwischen geschoben habe. Ich wollte doch noch wissen, wie es ausgeht und habe dann die restlichen 200 Seiten relativ schnell geschafft. Leider war das Ende eher nichtssagend und unbefriedigend und viele Fragen blieben offen. Vor allem die: Was wollte die Autorin uns mit diesem Buch sagen? Ganz offensichtlich hat das Buch eine starke autobiographische Komponente. Außerdem geht es um die Probleme und Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß, darum, was es bedeutet, von gemischtrassigen Eltern abzustammen, um Freundschaft, Bildung, sozialen Auf-, bzw. Abstieg, Entwicklungshilfeprojekte, die an der Realität vorbeigehen, und und und ... Vielleicht hat Zadie Smith sich da etwas zu viel vorgenommen, sie verzettelt sich und geht nicht wirklich in die Tiefe. Auch bietet sich keine der Personen als Identifikationsfigur an, man bleibt eher distanziert, niemand ist wirklich sympathisch. Am rätselhaftesten war für mich Traceys Verhalten, dafür fehlte es mir an Erklärungen.
Der Roman ist nicht schlecht, dafür kann die Autorin zu gut schreiben, aber empfehlen würde ich ihn auch niemandem.

Bewertung vom 11.08.2017
Der Brief
Hagebölling, Carolin

Der Brief


weniger gut

Auf spannenden Einstieg folgt leider Enttäuschung
Was für ein Einstieg! Einen so spannenden Anfang eines Romans findet man selten.
Die in Hamburg lebende Journalistin Marie erhält einen Brief von einer Freundin aus Kindheitstagen, allerdings steht unter ihrem Namen eine Pariser Adresse auf dem Umschlag. Die Freundin, die Marie schon lange nicht mehr gesehen hat, hat auf dem Umschlag eine Berliner Adresse angegeben, wohnt jedoch immer noch in Maries Heimatort, wie Marie von ihrer Mutter weiß. Auch hat sie nur einen Sohn, erwähnt aber in dem Brief noch eine Tochter, Amelie. Außerdem einen Victor, bei dem es sich um Maries Partner zu handeln scheint. Aber in Wirklichkeit lebt diese mit ihrer Freundin Johanna zusammen.
Dieser seltsame Brief, in dem auch Erinnerungen, die nur Sie selbst und Christine teilen, erwähnt werden, beunruhigt sie so sehr, dass sie schließlich Christine besucht. Diese bestreitet, etwas mit dem Brief zu tun zu haben und reagiert mit Tränen und Zorn darauf, Denn tatsächlich wollten sie und ihr Mann ein zweites Kind haben, sie hatten sich auch schon für den Namen Amelie entschieden, bis Christine dann eine Fehlgeburt hatte ... Christine wirft Marie hinaus und will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Doch einige Zeit später bekommt Marie einen Brief von Christine: im Umschlag liegt ein kleiner Zettel von Christine, die sich weitere solcher Scherze verbittet und ein Brief von Marie an Christine aus Paris. In ihrer Handschrift ... darin erwähnt sie eine Gehirnoperation zur Entfernung eines Aneurysmas!
Marie fährt tatsächlich nach Paris und lernt auch den Galeristen Victor kennen, der ihr sehr vertraut vorkommt. Danach wird es immer verworrener, Marie pendelt, genau wie ihre Freundin Christine zwischen ihren zwei Leben hin und her, hat tatsächlich ein Aneurysma, das operativ entfernt wird, bekommt ein Baby von Victor und trennt sich von Johanna. Eine plausible Erklärung wird nicht geliefert, das Ende ist ausgesprochen antklimaktisch und die Personen haben mich nicht mehr interessiert. Was die Autorin dem Leser sagen will, hat sich mir nicht erschlossen.

Bewertung vom 10.08.2017
Glaube Liebe Tod / Martin Bauer Bd.1
Gallert, Peter;Reiter, Jörg

Glaube Liebe Tod / Martin Bauer Bd.1


sehr gut

Der Polizeipfarrer, der das Ermitteln nicht lassen kann:
Martin Bauer ist Pollizeiseelsorger in Köln, denn die Arbeit als Gemeindepfarrer hatte ihm nicht gelegen. Der Roman startet furios, wenn Bauer einen Polizeibeamten davon abhalten soll, sich von einer hohen Brücke in den Rhein zu stürzen, was ihm - mit vollem Körpereinsatz - auch gelingt. Nur leider stürzt der gerettete Beamte am Abend desselben Tages von einem Parkhaus zu Tode; alle halten es für Suizid, nur Bauer ist davon nicht überzeugt.
Es gibt diverse Erzählstränge in diesem Krimi, die sich immer wieder kreuzen. Junge Bulgarinnen werden gegen ihren Willen nach Deutschland verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Und wenn sie Ärger machen, werden sie "entsorgt". Der tote Polizeibeamte hatte eine Verbindung zum Rotlichtmilieu, gegen ihn wurde intern wegen Korruption ermittelt. Die Verbindung zwischen ihm und dem Chef von mehreren Kölner Bordellen ist eine alte, wie sich herausstellt. Für seinen halbwüchsigen Sohn Tilo, der seinen Vater immer als Helden verehrt hatte, bricht eine Welt zusammen. Bauer hat ein Vertrauensverhältnis zu Tilo entwickelt, seinetwegen mischt er sich immer wieder in die Ermittlungen ein, auch wenn er bei seinen Vorgesetzten damit aneckt. Und bei seiner Frau: denn da ist noch die Sorge um seine Tochter - nicht viel älter als Tilo - die heimlich zum Demonstrieren zum G8-Gipfel in Deauville gefahren ist, und seine Frau findet, dass er sich zu wenig darum kümmert.
Gut und spannend geschrieben, zum Finale hin vielleicht ein wenig zu dramatisch und überfrachtet, aber insgesamt eine interessante und fesselnde Lektüre um diesen ungewöhnlichen Protagonisten, der einen zum Glück nicht mit endlosen religiösen Erörterungen langweilt.