Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
digitus
Wohnort: 
Schwäbische Alb

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 07.06.2023
Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1
Kashiwai, Hisashi

Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1


ausgezeichnet

Auf der Spur des einzigartigen Geschmacks

Hisahi Kashiwai nimmt in "Das Restaurant der verlorenen Rezepte" seine Leserinnen und Leser mit in die Kultur Japans aber insbesondere in die Geheimnisse der japanischen Küche.

Der Roman besteht aus sechs Kapiteln, die jeweils einem Gericht gewidmet sind. Dabei ist mit "Spaghetti Napolitan" auch ein europäisches Essen. Die Personen - insbesondere die beiden Hauptpersonen - sind liebevoll gezeichnet.

An Nagare Kamogawa und seine Tochter Koishi wenden sich Menschen, die auf der Suche nach Gerichten sind, die sie einmal gegessen haben und mit denen sie bestimmte Gefühle oder Erinnerungen verbinden.

Das Restaurant "Kamogawa Shokudō" ist weniger eine Gaststätte als vielmehr eine Detektei, die kunstvoll Zutaten und Zubereitungsarten herausfindet um dem optimalen Geschmack eines Gerichts so nahe wie möglich zu kommen.

Das Buch ist wohltuendes Slow Food für Liebhaberinnen und Liebhaber asiatischer Kultur und japanischen Essens. Man muss sich aber auf die Geschichten einlassen, nur dann erschließt sich der volle Genuss - genau wie bei den Gerichten, die im "Kamogawa Shokudō" zubereitet werden.

Bewertung vom 15.05.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


weniger gut

Verspricht mehr als es hält ...

Das Buchcover mit den kräftigen Farben passt perfekt zu einer Geschichte aus der Karibik und würde mich in der Buchhandlung zum Buch greifen und darin schmökern lassen.

Das Buch beginnt im ersten Kapitel mit einer apokalyptisch anmutenden sagenhaften Geschichte, die Catherine ihrer Enkeltochter Yejide erzählt.

Das zweite Kapitel schickt die Lesenden in das Trinidad der Jetztzeit, wo Emmanuel Darwin sich um einen Job bewirbt und als Totengräber auf dem Friedhof "Fidelis" eingestellt wird.

Das hat mich anfangs schon mitgerissen, dann aber ist das Buch für mich falsch abgebogen und wird zu einer Geschichte, die mit Magie und Totenbeschwörung ins teilweise Skurrile und Verängstigende abgleitet.

Auch die im Klappentext angekündigte 'literarische unmittelbare und bezaubernde Liebesgeschichte' findet erst im letzten Drittel des Buches statt. Die Schilderungen davor haben unnötige Längen.

Ich habe immer wieder den Impuls gehabt, das Buch zur Seite zu legen, wollte aber dann doch wissen, ob die Autorin mit ihrer Geschichte noch die Kurve bekommt. Hat sie für mich aber leider nicht :(

Vielleicht hätte ich mehr Einführung in die Spiritualität der Karibik gebraucht, die das Buch nicht liefert. Auch mit der oben genannten (und schon faszinierenden) Sagengeschichte lässt die Autorin ihre Leserinnen und Leser alleine. Andererseits sollte ein Buch für sich stehen können.

Mich hat das Buch nach der letzten Seite mit dem schalen Gefühl zurück gelassen, dass ich meine Zeit vergeudet habe ... schade!

Bewertung vom 02.05.2023
Samuels Buch
Finzi, Samuel

Samuels Buch


ausgezeichnet

Portrait des Schauspielers als Kind in Bulgarien

Wenn Schauspielstars meinen, nun auch noch schriftstellerisch tätig sein zu müssen, darf man skeptisch sein. Es gibt neben gelungenen Werken auch viele Bücher, die mit dem Namen der Stars locken aber deren Lektüre in Zeitverschwendung ausartet.

Finzis charakteristisches Gesicht kennt jede Fernsehzuschauerin und jeder Fernsehzuschauer. Es ist dem Verlag hoch anzurechnen, dass er eben nicht mit diesem unverkennbaren Gesicht auf dem Frontcover Werbung für das Buch macht.

Auch der Buchtitel ist unspekatakulär "Samuels Buch" ... ja, klar ...

Deswegen war ich eher abwartend als ich die ersten Seiten des Buchs gelesen habe.

Aber was ist das für eine wunderbare bildhafte Erzählsprache, wie liebevoll zeichnet Finzi die beschriebenen Figuren wie den Großvater, den wir beim Rasieren beobachten.

Finzi flicht zudem die politischen Verhältnisse in Bulgarien während der Zeit seiner Kindheit ein, und auch das passiert en passant im Plauderton aber ohne jede Beiläufigkeit.

Ich tauche ein in die Welt in einem Land, das ich nicht kenne und dass es so auch nicht mehr gibt.

Und Finzi erzählt wunderbar kurzweilig von seiner Familie und seinen Freunden, vom Urlaub am Schwarzen Meer und davon, wie er glücklicherweise nach einem Missgeschick nicht das Augenlicht verlor.

Schließlich beginnt seine Geschichte mit der Schauspielerei, die immer auch eine Auseinandersetzung mit dem politischen System der damaligen Zeit ist.

Alles wunderbar lässig und mit einem liebevollen Blick für das Beobachtete. Ein lesenswertes Buch, nach dessen Lektüre man hofft, mehr von Samuel Finzi lesen zu dürfen.

Bewertung vom 26.02.2023
Fünf Winter
Kestrel, James

Fünf Winter


ausgezeichnet

Thriller zur Zeit des 2. Weltkriegs im Pazifikraum - spannend von Anfang bis Ende

Der Roman von James Kestrel (Pseudonym von Jonathan Moore) beginnt relativ harmlos mit einer Szene in einer spelunkigen Kneipe mit Matrosen und jungen Frauen. Detective Joe McGrady will gerade seinen Whisky trinken, als ihm der Anruf eines Vorgesetzten des Honolulu Police Department erreicht. Und dann steckt er mitten in einem sehr brutalen Mordfall mit einem jungen Mann, der bei lebendigem Leib ausgeweidet wurde und seiner Freundin, die offenbar dabei zusehen musste bevor sie ebenfalls getötet wurde.

McGrady beginnt kurz vor dem Angriff auf Pearl Harbour eine Reise durch den Pazifikraum (Wake Island / Hongkong) um den Täter aufzuspüren und strandet schließlich in Japan, wo er mehrere Jahre bei einem hohen Regierungsbeamten und seiner Tochter untertaucht, bevor er nach dem Krieg den alten Fall, der viel mit dem Krieg zu tun hat, wieder aufgreift.

Die Schilderungen der Gewalt sind nichts für zart besaitete Leser:innen. Wer aber das Buch trotzdem nicht zur Seite legt, wird durch Spannung von der ersten bis zur letzten Seite belohnt.

Die handelnden Personen und die Situationen werden so beschrieben, dass sie plastisch vor dem inneren Auge der Leser:innen entstehen.

Dem Autor gelingt es, einen spannenden Kriminalfall, die Schilderung des Krieges und eine anrührende Liebesgeschichte in eine Roman zu packen, der einen von der ersten Seite an gefangen nimmt, und den Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht zu erhalten.

Der Klappentext mit dem "Epos im Cinemascope-Format" erschien mir zunächst etwas dich aufgetragen, aber genau das ist es. Ein großartiges Buch, das bestimmt über kurz oder lang verfilmt wird.

Bewertung vom 19.02.2023
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
Boks, Aron

Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat


ausgezeichnet

Reise in die Familienvergangenheit

Das Cover verbirgt mehr als dass es etwas offenbart: ein breiter Balken mit dem Titel über einem Ölgemälde, dessen kraftvoller Pinselstrich zumindest Kenner:innen auf den Maler verweist, um den es in diesem Buch geht: Willi Sitte, eine ebenso umstrittene wie geliebte Figur der Kunstlandschaft der DDR.

Dem Autor Aron Boks geht es so wie vielen seiner potenziellen Leser:innen: Er kennt die DDR nur aus Erzählungen und aus den Geschichtsbüchern. Mir geht es ähnlich: Obwohl Babyboomer habe ich die Deutsche Demokratische Republik nie unmittelbar in eigener Anschauung kennen gelernt.

Die Reise des Autors in die Familienvergangenheit und in die gesamtdeutsche Geschichte beginnt damit, dass seine Großmutter unvermittelt ein in Zeitungspapier verpacktes Gemälde auf den Kaffeetisch legt, "von Willi". Und dieser Willi Sitte ist der Urgroßonkel des Autors.

Boks begibt sich auf die Reise, zunächst nach Kratzau (das heutige Chrastava), den Geburtsort von Willi Sitte. Er besucht Wirkungsstätten des Künstlers, unter anderem auch die Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei, wo er Wandteppiche für die Reichskanzlei gestalten sollte. Das gefiel dem bekennenden Linken natürlich nicht und er verfasste ein Protestschreiben, das dafür sorgte, dass er an die Front geschickt wurde.

Spannend ist die zweimalige Fahnenflucht und die Kontaktaufnahme mit italienischen Partisanen.

Nach dem Krieg wird Willi Sitte bereits 1947 Mitglied der SED, steigt in den 60er Jahren selbst in die Politik ein und ist von 1986 bis 1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED.

Boks erzählt die Lebensgeschichte seines Großonkels mit viel Sympathie und zeigt auch die Zerrissenheit des Mannes und seiner Familie im System der DDR.

Und so ist das Buch eben nicht nur die Aufarbeitung der Lebensgeschichte eines Künstlers sondern auch eine Bewältigung der gesamtdeutschen Vergangenheit.

Ich habe das Buch (trotz einiger Längen) mit Gewinn gelesen. Es setzt durch den persönlichen Blickwinkel neue Akzente ohne aber Kritisches unter den Teppich zu kehren.