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digitus
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Schwäbische Alb

Bewertungen

Insgesamt 22 Bewertungen
Bewertung vom 26.02.2023
Fünf Winter
Kestrel, James

Fünf Winter


ausgezeichnet

Thriller zur Zeit des 2. Weltkriegs im Pazifikraum - spannend von Anfang bis Ende

Der Roman von James Kestrel (Pseudonym von Jonathan Moore) beginnt relativ harmlos mit einer Szene in einer spelunkigen Kneipe mit Matrosen und jungen Frauen. Detective Joe McGrady will gerade seinen Whisky trinken, als ihm der Anruf eines Vorgesetzten des Honolulu Police Department erreicht. Und dann steckt er mitten in einem sehr brutalen Mordfall mit einem jungen Mann, der bei lebendigem Leib ausgeweidet wurde und seiner Freundin, die offenbar dabei zusehen musste bevor sie ebenfalls getötet wurde.

McGrady beginnt kurz vor dem Angriff auf Pearl Harbour eine Reise durch den Pazifikraum (Wake Island / Hongkong) um den Täter aufzuspüren und strandet schließlich in Japan, wo er mehrere Jahre bei einem hohen Regierungsbeamten und seiner Tochter untertaucht, bevor er nach dem Krieg den alten Fall, der viel mit dem Krieg zu tun hat, wieder aufgreift.

Die Schilderungen der Gewalt sind nichts für zart besaitete Leser:innen. Wer aber das Buch trotzdem nicht zur Seite legt, wird durch Spannung von der ersten bis zur letzten Seite belohnt.

Die handelnden Personen und die Situationen werden so beschrieben, dass sie plastisch vor dem inneren Auge der Leser:innen entstehen.

Dem Autor gelingt es, einen spannenden Kriminalfall, die Schilderung des Krieges und eine anrührende Liebesgeschichte in eine Roman zu packen, der einen von der ersten Seite an gefangen nimmt, und den Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht zu erhalten.

Der Klappentext mit dem "Epos im Cinemascope-Format" erschien mir zunächst etwas dich aufgetragen, aber genau das ist es. Ein großartiges Buch, das bestimmt über kurz oder lang verfilmt wird.

Bewertung vom 19.02.2023
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
Boks, Aron

Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat


ausgezeichnet

Reise in die Familienvergangenheit

Das Cover verbirgt mehr als dass es etwas offenbart: ein breiter Balken mit dem Titel über einem Ölgemälde, dessen kraftvoller Pinselstrich zumindest Kenner:innen auf den Maler verweist, um den es in diesem Buch geht: Willi Sitte, eine ebenso umstrittene wie geliebte Figur der Kunstlandschaft der DDR.

Dem Autor Aron Boks geht es so wie vielen seiner potenziellen Leser:innen: Er kennt die DDR nur aus Erzählungen und aus den Geschichtsbüchern. Mir geht es ähnlich: Obwohl Babyboomer habe ich die Deutsche Demokratische Republik nie unmittelbar in eigener Anschauung kennen gelernt.

Die Reise des Autors in die Familienvergangenheit und in die gesamtdeutsche Geschichte beginnt damit, dass seine Großmutter unvermittelt ein in Zeitungspapier verpacktes Gemälde auf den Kaffeetisch legt, "von Willi". Und dieser Willi Sitte ist der Urgroßonkel des Autors.

Boks begibt sich auf die Reise, zunächst nach Kratzau (das heutige Chrastava), den Geburtsort von Willi Sitte. Er besucht Wirkungsstätten des Künstlers, unter anderem auch die Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei, wo er Wandteppiche für die Reichskanzlei gestalten sollte. Das gefiel dem bekennenden Linken natürlich nicht und er verfasste ein Protestschreiben, das dafür sorgte, dass er an die Front geschickt wurde.

Spannend ist die zweimalige Fahnenflucht und die Kontaktaufnahme mit italienischen Partisanen.

Nach dem Krieg wird Willi Sitte bereits 1947 Mitglied der SED, steigt in den 60er Jahren selbst in die Politik ein und ist von 1986 bis 1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED.

Boks erzählt die Lebensgeschichte seines Großonkels mit viel Sympathie und zeigt auch die Zerrissenheit des Mannes und seiner Familie im System der DDR.

Und so ist das Buch eben nicht nur die Aufarbeitung der Lebensgeschichte eines Künstlers sondern auch eine Bewältigung der gesamtdeutschen Vergangenheit.

Ich habe das Buch (trotz einiger Längen) mit Gewinn gelesen. Es setzt durch den persönlichen Blickwinkel neue Akzente ohne aber Kritisches unter den Teppich zu kehren.