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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 960 Bewertungen
Bewertung vom 31.01.2025
Die Farben der Revolution. Éléonore und Robespierre (eBook, ePUB)
Limbeck, Jeanette

Die Farben der Revolution. Éléonore und Robespierre (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Éléonore „Léo“ Duplay, eine junge Malerin und Tochter des die Revolution gutheißenden Tischlermeisters Maurice Duplay, will gemeinsam mit ihrer Schwester Elisabeth eine Petition rund um mehr Frauenrecht unterzeichnen als es auf dem geschichtsträchtigen Marsfeld zu einer Demonstration kommt, die mit Gewalt aufgelöst wird und einige Tote fordert. Für Léo bringt dieses Ereignis neben Angst und Schrecken auch die Begegnung mit Maximilien Robespierre, dem Anwalt und nunmehrigen Mitglied der Assemblée Nationale, der Nationalversammlung.

Robespierre bezieht Unterkunft im Hause Duplay und erhält Léos Malzimmer, das sie - aus Sicht der Mutter - nur für ihr Vergnügen benutzt. Nun ja, auf Grund der allgemeinen Teuerung können die Duplays die Mieteinnahmen gut brauchen.

Léo und Maxime, wie Robespierre genannt wird, diskutieren viel miteinander. Während SIE leidenschaftlich für die Rechte der Frauen kämpft, versucht Maxime seinen Traum von einer Republik zu verwirklichen, in der die Menschen tugendhaft und ohne Religion leben. Der Politiker nimmt für seine Vision von Tugend im Staat den Terror in Kauf, dem er letztlich selbst zum Opfer fallen wird, während einige der (doch) korrupten Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses wie Joseph Fouché und Paul Barras den Terror überleben und wenig später, unter Napoleon Bonaparte, noch eine große Rolle spielen werden.

Meine Meinung:

Da ich schon zahlreiche Bücher über die Französische Revolution und ihre Folgen, nämlich 25 Jahre Krieg mit fast allen Dynastien Europas, gelesen habe, war ich äußerst gespannt, wie Jeanette Limbeck diesen historischen Roman, der eine Liebesgeschichte zwischen der jungen Malerin und Robespierre, der als blutrünstiger Politiker in die Geschichte eingegangen ist, beschreibt, anlegen wird. Über Robespierres Privatleben ist wenig bekannt. Es scheint, als hätte er seine Vorstellung von Tugend selbst gelebt. Auch im Roman benimmt er sich Léo gegenüber, die augenscheinlich Gefühle für ihn entwickelt, obwohl sie auf Wunsch ihrer Eltern den Tischlergesellen Jean heiraten soll, damit die Werkstätte im Familienbesitz bleibt, zunächst zurückhaltend, ja fast asketisch.

Die (Vor)Geschichte der Französischen Revolution ist höchst komplex und kann in diesem Roman nicht in vollem Umfang erzählt werden. Dazu eignet sich das Sachbuch „Tugend und Terror“ von Johannes Willms sehr gut, das ich nun im Nachgang lese.

Gut beschrieben sind die gesellschaftlichen Zwänge, in denen sich Léo befindet. Als Frau gilt sie nichts. Die wenigen Zugeständnisse, die Kämpferinnen wie Olympe de Gouges erreicht haben, werden nach deren Hinrichtung wieder zurückgenommen. Statt mehr Freiheit und Gleichheit zu erhalten, werden die Frauen wieder an den Herd und in die Mutterschaft verbannt. Die Spirale der Gewalt dreht sich immer schneller. Als dann Léo auf einer der Proskriptionslisten steht, benutzt er seine Macht, um ihren Namen gegen einen anderen auszutauschen. Damit handelt er eigentlich, seinem eigenen, ehernen Gedanken der Unbestechlichkeit zuwider.

Geschickt verknüpft die Autorin fiktive und reale Personen sowie erfunden und historische Fakten miteinander. Dazu hat sie penibel recherchiert. Interessant habe ich den Konnex zum Jahr 2017 gefunden, in dem Massendemonstrationen in Paris ein wenig an jene Unruhen von 1789 erinnert haben. Von diesem Handlungsstrang habe ich mir, ehrlich gesagt, ein bisschen mehr erwartet. Er ist in den dramatischen Ereignissen rund um Robespierre und Léo Duplay dann ein wenig untergegangen.

Der Roman ist aus Sicht Éleonores und in der Ich-Form geschrieben, so dass man sich sehr gut in ihre Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen kann. Obwohl es keinen Beweis für eine tatsächliche Liebesgeschichte zwischen Léo und Maxime gibt, kann es sich durchaus so oder ähnlich zugetragen haben.

"Ich war mit der Revolution verheiratet." und werde an den Mann denken, der sie verkörperte. "Ich war die Malerin der Revolution!" (S. 447)

Léos Schwester Elisabeth Le Bas, Witwe nach Philippe-François-Joseph Le Bas, der sich der Hinrichtung durch die Guillotine, durch Selbstmord entzogen hat, wird später in ihren Memoiren über die Verlobung Léos mit Maxime schreiben. Léo selbst wird bis zu ihrem Tod um Maxime trauern.

Fazit:

Ein penibel recherchierter historischer Roman, der mir sehr gut gefallen hat und dem ich gerne 5 Sterne sowie eine Leseempfehlung gebe.

Bewertung vom 29.01.2025
Berauscht der Sinne beraubt
Kirakosian, Racha

Berauscht der Sinne beraubt


sehr gut

Racha Kirakosian ist aktuell Professorin für Mediävistik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Bei ihrer langjährigen Beschäftigung mit dem Mittelalter traf und trifft sie ständig über Menschen, die mit und ohne substanzgebundene Stimulanzien in einen Rausch, Extase oder Furor fallen. In diesem Buch, das nicht grundlos ein psychedelisches Cover erhalten hat, geht sie den Gründen nach, warum Menschen in Extase fallen.

Diese fünf Kapitel sind:

Über den Wolken - Visionen und Flow
Im Moment des Aufpralls - Freude im Schmerz
Hinab ins Erdreich - Frauen und Extase
Vom Aufsteigen - Der Tanz in die Lüfte
Aufgehen im Ganzen - Einheitserfahrungen in der Masse

Dabei beleuchtet die Autorin sowohl die Gründe als auch individuelle Erfahrungen von Personen, die diesen Zustand des Rausches, sei es durch schier unerträgliche Schmerzen, überschießende Freude oder sei es durch das Phänomen der Massenpsychose erfahren haben.

Dafür hat sie penibel recherchiert und kann auf ihren reichen Schatz an Wissen über die Einflüsse von Religion, Medizin, Pharmokologie und „Menschenverführer“ zurückgreifen. Die Autorin geht im letzten Kapitel auf das „Aufgehen im Ganzen“, also jenem Phänomen der Massenhysterie wie man sie aus den Wochenschauberichten aus dem NS-Regimie kennt, ein. Diese Begeisterung der manipulierten Massen ist nach wie vor beängstigend.

Das Buch ist ob der wissenschaftlichen Sprache nicht einfach zu lesen, da es genaues Lesen und einige an Vorwissen erfordert. Die am Ende aufgelisteten Anmerkungen sowie das umfangreiche Verzeichnis der verwendeten Quellen und ein umfangreiches Personenregister, helfen dabei sich hier zurechtzufinden und zusätzliche Informationen einzuholen.

Fazit:

Wer sich nicht scheut, tief in die Phänomene, die einen die eigene Kontrolle über sich verlieren lassen könnte, einzutauchen, ist hier richtig. Gerne gebe ich diesem Buch, das nichts für Zwischendurch ist, 4 Sterne.

Bewertung vom 28.01.2025
Ostfriesennebel / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.19 (eBook, ePUB)
Wolf, Klaus-Peter

Ostfriesennebel / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.19 (eBook, ePUB)


sehr gut

In ihrem 19. Fall wird Ann-Kathrin Klaasen mit einer schier unglaublichen Geschichte konfrontiert: Carina Oberdieck, Mutter zweier Söhne, glaubt, dass der Mann, der nach einer Urlaubsreise mit seinem Bruder ins traute Familienheim zurückgekehrt ist, nicht ihr Ehemann Florian sondern sein eineiiger Zwillingsbruder Fabian ist. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass ihr Ehemann nicht mehr lebt.

In ihrer langen Laufbahn als KHK sind Ann-Kathrin Klaasen schon zahlreich abstruse Geschichten untergekommen. Natürlich stößt die seltsame Geschichte von Carina Oberdieck bei der Polizei auf Misstrauen, zumal es ja keine Leiche gibt. Und keine Leiche bedeutet, keine Ermittlungen.

Doch bevor sie sich näher mit Familie Oberdieck beschäftigen kann, findet man die Leiche einer jungen Frau auf den Bahngleisen.

Hat der sogenannte Eisenbahnmörder, der eine blutige Spur durch Deutschland zieht, nun auch in Ostfriesland zugeschlagen? Der Schluss liegt nahe, denn KHK Wollenweber, Zielfahnder beim BKA, fordert Ann-Katrin Klaasen sowie deren Ehemann Frank Weller zur Unterstützung an.

Doch dann scheint so ziemlich alles aus dem Ruder zu laufen, denn die nächste junge Frau verschwindet ...

Meine Meinung:

Seit Erich Kästners „Doppeltes Lottchen“ spielen zahlreiche Autoren mit einem Rollentausch zwischen eineiigen Zwillingen in der Literatur. Was manchmal - wie bei Kästner - amüsant zu lesen ist, verarbeitet Klaus-Peter Wolf hier in ein perfides, kaltblütiges Spiel um die wahre Identität eines Menschen.

Ann-Kathrin Klaasens Team ist wieder ordentlich gefordert. Polizeichefin Elisabeth Schwarz macht wieder eine denkbar schlechte Figur, während Rupert mit seiner kumpelhaften Art männliche Verdächtige zu befragen, durchaus Erfolg hat.

Zielfahnder Wollenweber steht kurz vpr seiner Pensionierung und will den Eisenbahnmörder zur Strecke bringen. Dazu bedient er sich auch der Dienste von AKK und ihrem Team. Er selbst geht mit seinen Informationen sparsam um, und dass AKK ihm gleich einmal Nachlässigkeiten bei den Ermittlungen nachweisen, kratzt ziemlich an seinem Ego.

Wir erleben den Krimi aus unterschiedlichen Perspektiven: aus Tätersicht, aus Opfersicht und natürlich aus der Warte der Ermittler.

Der trockene Humor der Ostfriesen darf auch nicht fehlen, sowie Ruperts Wortkreationen.

Fazit:

Der 19. Fall ist wieder spannend, auch wenn die Zwillingsmasche schon ein wenig ausgelutscht ist. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 28.01.2025
Aargauer Vergeltung
Haller, Ina

Aargauer Vergeltung


gut

Dieser Krimi ist der 12. aus Ina Hallers Reihe rund um Andrina Kaufmann. Andrina, die Lektorin, die inzwischen mit Enrico Bianchi, dem Chef von JuraMed verheiratet, Mutter der kleinen Rebecca und wieder schwanger ist, gerät wieder einmal in einen Kriminalfall. Enrico ist nach den Ereignissen aus dem vorherigen Fall („Aargauer Grauen“) noch rekonvaleszent und mit sich selbst beschäftigt.

Vor kurzem hat der Aargauer Verlag, in dem Andrina arbeitet, mit dem Debütkrimi von Melissa Sonderegger einen Bestseller gelandet hat. Doch nun soll ein zweiter Band der Krimiautorin herauskommen, an dessen Qualität die Lektorinnen stark zweifeln. Noch bevor eine endgültige Entscheidung fällt, ist Sonderegger tot - vergiftet, wie in ihrem Krimi beschrieben. Zufall?

Wenig später werden die Büros verwüstet, Kollegin Stephanie ist verschwunden und die Verlegerin verhält sich äußerst seltsam. Sie scheint nicht daran interessiert zu sein, dass das Verbrechen aufgeklärt wird. Ihr ist nur wichtig, dass dem Verlag kein Schaden entsteht.

Zudem wird Marco Feller, Polizist und Andrinas Schwager, von diesem Fall abgezogen, was ihn aber nicht hindert mit Andrina, seiner Freundin Gabi und Halbbruder Enrico über die Vorkommnisse zu sprechen.

Natürlich beginnt Andrina auf eigene Faust zu ermitteln und gerät in den direkten Fokus des Täters.

Meine Meinung:

Ich habe zuvor nur einen Krimi („Verschwunden im Aargau) dieser Reihe gelesen und war nicht restlos begeistert. Auch mit diesem hier bin ich nicht ganz zufrieden. Die komplizierten familiären Strukturen, der Zoff im Verlag, den die schwangere Andrina hat und sie mehrfach an Kündigung denken lässt, wirken auf mich ziemlich chaotisch. Zudem halte ich es für sehr bedenklich, wie sich Andrina trotz Schwangerschaft den Gefahren aussetzt und die kleine Tochter sowie ihren rekonvaleszenten Mann links liegen lässt.

Fazit:

Einen Versuch mit dieser Reihe wage ich noch, denn Band 1 „Tod im Aargau“ habe ich noch auf dem SuB liegen. Vielleicht lösen sich dann meine Vorbehalte. Diesmal gebe ich 3 Sterne.

Bewertung vom 28.01.2025
Fatale Flora. Von giftigen Pflanzen und gemeinen Menschen (eBook, ePUB)
Harnickell, Noemi

Fatale Flora. Von giftigen Pflanzen und gemeinen Menschen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Alle Pflanzen hinter diesen Toren haben die Fähigkeit, euch zu töten. Ihr dürft sie nicht berühren, an ihnen riechen oder ihnen zu nahekommen.“

Mit diesen Worten begrüßt John Knox die Besucher des Poison Garden, jenem Garten in dem wohl die giftigsten Pflanzen der Welt wachsen. Gegründet wurde der Garten 2005 von Jane Percy, Herzogin von Northumberland. Ein Schelm, wer Böses über die Herzogin denkt. Poison Garden ist Teil der Schlossgartenanlage von Alnwick Castle. Um sich von den zahlreichen (Schloss)Gärten in UK abzuheben, setzt Jane Percy auf diese makabre Idee.

Gemeinsam mit Autorin Noemi Harnickell können wir nun in diesem Garten lustwandeln und alles über die Tod bringenden Gewächse lernen. Nicht zur Nachahmung empfohlen!

In vierzehn Kapitel können wir über alles Giftpflanzen, spektakuläre Morde und TäterInnen nachlesen. Aber Achtung! Also, wer nun glaubt, sich eines missliebigen Verwandten, Partners oder Chefs unauffällig entledigen kann, sei gewarnt. Den perfekten Mord gibt es nicht. Manchmal dauert es ein wenig länger, bis die Vergiftung nachgewiesen werden kann.

Noemi Harnickell erzählt spannund und dabei ein wenig launig von den skurrilsten und legendärsten Giftmorden der Geschichte, ihren Protagonisten und bis heute unterschätzten Mörderinnen. Ja, statistisch gesehen, morden Frauen häufiger mit Gift als Männer.

Im Anhang findet sich ein Glossar über die wichtigsten Giftpflanzen und ihre Tod bringenden Inhaltsstoffe. Dabei spannt sie den Bogen von Aconitin bis Tropanalkaloide.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Streifzug durch das tödliche Potenzial in unseren Gärten und die menschliche Abgründe 5 Sterne.

Bewertung vom 28.01.2025
Berchtesgaden (eBook, ePUB)
Otto, Carolin

Berchtesgaden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung Europas vom NS-Regime erscheinen nun zahlreiche Sachbücher und Romane aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln.

Dieser historische Roman hier beschäftigt sich mit der Ankunft der amerikanischen und französischen Truppen im Mai 1945 in Berchtesgaden, dem Lieblingswohnsitz von Hitler. Die ersten Tage der Befreiung sind Tage des Chaos, in dem die alliierten Truppen selbst plündern. Vor allem NS-Devotionalien sind ein begehrtes Souvenier. Auf Hitlers Berghof wird sogar die Klomuschel geraubt. Doch nicht nur die Soldaten bemächtigen sich der Güter aus sichtlich verlassenen Häusern, die vor kurzem noch von NS-Bonzen bewohnt wurden. Auch die einheimische Bevölkerung raubt, was nicht niet- und nagelfest ist, ohne sich darum groß zu kümmern, ob sie sich nicht Raubguts bemächtigen, das jüdischen Familien gestohlen wurde.

Inmitten dieses Chaos sucht die 19-jährige Sophie einen Job bei der amerikanischen Militärverwaltung. Sie hat sich Englisch mit Hilfe von Schallplatten, die ein jüdischer Feriengast im Haus der Eltern zurückgelassen hat, und einem Wörterbuch selbst beigebracht.
Obwohl sie gerüchteweise von den Gräueltaten des Regimes gehört hat, ist es für Sophie ein schwerer Schock, die Fotos aus den befreiten KZs zu sehen. Das und die Menschen, die sie im Military Government trifft, werden den Blick auch auf ihre eigene Familie ändern. Ihr Bruder Max ist Angehöriger der Waffen-SS und versteckt sich in der Nähe. Eindrucksvoll ist der Gewissenskonflikt in den Sophie zwischen Familie und die Wahrheit über die deutschen Verbrechen gerät dargestellt.

Meine Meinung:

Carolin Otto ist mit diesem historischen Roman ein sehr gutes Bild deutscher Orte im Mai 1945 gelungen. Sie erzählt eine Geschichte, die sich fast in jedem Ort, in jeder Stadt Deutschlands und Österreichs so oder so ähnlich abgespielt hat: Niemand war in der Partei, keiner hat etwas von den Gräueln gewusst - nichts als Ausflüchte und (Selbst)Betrug. Die Amerikaner stehen vor der kaum lösbaren Aufgabe, Menschen für eine zivile Verwaltung zu finden, die keine Nazis waren und sind. Nur wenige der Regimegegner haben in einem der diversen KZ überlebt. Sie werden, wie der einst zum Tode verurteilte Rudolf Kriss, als Bürgermeister eingesetzt.

Eine wichtige Rolle spielen auch rechtzeitig emigrierte Juden, die nach einer Ausbildung in der US-Army als Soldaten mit den alliierten Truppen nach Deutschland zurückkehren. Einer davon ist Frank Rosenzweig, der als sogenannter „Ritchie-Boy“, Sophies Vorgesetzter ist und mit großer Sorge auf Nachricht von seinen jüdischen Verwandten hofft.

Eine interessante Figur ist auch die Kriegsfotografin Meg, die unschwer als Lee Miller zu identifizieren ist, die auch in der Realität die alliierten Truppen bei ihrem Vormarsch begleitet hat.

Als sich Sophie und der schwarze GI Sam ineinander verlieben, lernt sie das ungerechte System der Segregation der Amerikaner kennen, das schwarzen US-Amerikanern die so hoch gehaltenen Bürgerrechte teilweise verweigern. So erhält ein schwarzer GI für besondere Verdienste nur eine winzige Belobigung, während sein weißer Kamerad für dieselbe Leistung einen Orden erhält. Auch der Verstoß gegen das Fraternisierungverbot wird unterschiedlich gehandhabt: während sich weiße GIs meistens von ihren deutschen Freundinnen verabschieden dürfen, werden schwarze in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die USA zurückgeschickt.

Sophies Bruder Max steht stellvertretend für die zahlreichen Nazis, die weiter an ihrem Gedankengut festhalten.

Der Roman ist penibel recherchiert. Zahlreiche Charaktere haben historische Vorbilder, wie die Autorin im Nachwort erklärt.

Fazit:

Diesem penibel recherchierten und mitreißend erzählten Roman-Debüt der erfolgreichen Drehbuchautorin Carolin Otto zum 80-jährigen Jubiläum des Kriegsendes, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 24.01.2025
Letztes Glückskeks
Dutzler, Herbert

Letztes Glückskeks


ausgezeichnet

Das örtliche Tourismusbüro hat mit dem Deutschen Kai Kröker einen neuen Direktor, der wenig von Transparenz hält und Altaussee für chinesische Touristen attraktiv machen möchte. Dafür scharwenzelt er um eine vierköpfige chinesische Delegation herum, die wiederum überlegen, eine Kopie von Altaussee in China aufzubauen. Diese Idee spaltet das Dorf, hat man ja Hallstatt als abschreckendes Beispiel vor der Haustür. Man demonstriert gegen den Ausverkauf der Heimat und kommt so einem umtriebigen Baumeister in die Quere, der mit fragwürdigen Mitteln agiert.

Auch sonst bahnen sich einige Änderungen in Altaussee an. Die Frau Doktor Kohlross heiratet und arbeitet nach einer Beförderung nur mehr Teilzeit. Daher kommt mit Emina Jovanovic eine neue Ermittlerin ins Spiel, Gasperlmaiers Kollegin Manuela ist schwanger (aber nicht krank, wie sie nicht müde wird, zu betonen) und Schwiegertochter Richelle arbeitet im Tourismusbüro und hat ungeahnte Kenntnisse.

Wenig später schwimmt einer, der Chinesen, deutschstämmige Rinderer Johann Ning, tot im Pool des Hotels Lakeview. Obwohl auf den ersten Blick keine offensichtliche Fremdeinwirkung zu sehen ist, lässt Frau Doktor Kohlross die Leiche ins Krankenhaus von Liezen zur Obduktion bringen. Dort wird der Tote, auf Anordnung des Außenministeriums, vom BKA quasi entführt. Auch der Leihwagen mit dem Rinderer zuvor einen Unfall hatte, verschwindet spurlos.

Keine Leiche - keine Ermittlungen. Gasperlmaier und Fr. Doktor Kohlross kommt das eigenartig vor, weshalb dezent und unter dem Radar weiter recherchiert wird.

„Und ihr habt völlig recht - zwei solche Unfälle hintereinander. Das stinkt!“ (S 119)

Man befragt die anderen Delegationsmitglieder, was nur über die Dolmetscherin Lin Lien, die in München studiert hat, möglich ist. Die beiden anderen Männer der Gruppe behaupten, weder die deutsche noch die englische Sprache zu verstehen.

Wenig später findet man den umtriebigen Tourismusobmann in einem ausgebrannten Autowrack....

Meine Meinung:

Wie schon Commissario und Viechbauer Johann Grauner von Lenz Koppelstätter, liebäugelt auch Chefinspektor Franz Gasperlmaier mit dem Übertritt in die vorzeitige Alterspension, denn Gasperlmaier mag Veränderungen in seinem Umfeld nicht gar so gerne. Außerdem sind ihm die neuen Ermittlungsmethoden mit den ganzen technischen Spielereien und der OFA, der operativen Fallanalyse, von der Manuela ständig schwärmt, ein bisschen zu komplex.
Für ihn zählt der Hausverstand und solide Polizeiarbeit.

Herbert Dutzler hat mit diesem 12. Fall wieder mehrere sozialkritische Aspekte aufgegriffen: Den überbordenden Tourismus im Salzkammergut und die Bautätigkeit von Baumeistern und Immobilienhaien, die nur auf den schnellen Profit aus sind und deswegen ausschließlich teure Ferienwohnungen bauen, weshalb es für Einheimische kaum mehr leistbare Wohnungen mehr gibt. Auch die sexuellen Übergriffe, denen Frauen im Gastgewerbe ausgesetzt sind, finden Eingang in diesen Krimi.

Natürlich dürfen Einblicke in die schöne Landschaft des Ausseerlandes nicht fehlen. Wir dürfen auch wieder die Deckel der Kochtöpfe im Haus Gasperlmaier lüpfen und mit den Nachbarn eine private Weinkost absolvieren.

Und das alles wird in flüssigem österreichischen Deutsch präsentiert. Das Keks ist bei uns sächlichen Geschlechts, während der Gummi in allen Varianten ob Haar- oder Kaugummi sowie als Dialektbezeichnung für Kondom und Autoreifen, grammatikalisch männlichen Geschlechts ist.

Fazit:

Wieder ein fesselnder Krimi rund um Chefinspektor Franz Gasperlmaier und Altaussee. Bin schon neugierig, ob er ernst damit macht, in Pension zu gehen. Gerne gebe ich diesem 12. Fall, der das Dutzend voll macht, 5 Sterne.

Bewertung vom 23.01.2025
Die Formel des Widerstands (eBook, ePUB)
Viciano, Astrid

Die Formel des Widerstands (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Wissenschaftsjournalistin Astrid Viciano entführt uns mit diesem Buch in das von den NS-Truppen besetzte Paris zwischen Juni 1940 und August 1944. Genauer gesagt in die Labors von Irène (1897-1956) und Frédéric Joliot-Curie (1900-1958), die seit einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Team an den bahnbrechenden Forschungen zur Kernphysik arbeiten.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist geprägt von weitreichenden Entdeckungen und Erfindungen, die nicht immer nur friedlichen Zwecken dienen, wie man unter anderen bei Fritz Haber sehen kann, dessen Ammoniaksynthese nicht nur zur Herstellung von Düngemitteln sondern zum Einsatz des daraus entwickelten Giftgas im Ersten Weltkrieg geführt hat.

Nun geht es um die Kernspaltung. Neben Paris wird dazu auch in Deutschland durch Lise Meitner, Otto Hahn und Fritz Straßmann geforscht. Während die jüdische Physikerin Lise Meitner im letzten Moment emigrieren kann, gelingt Hahn und Straßmann erstmals eine Kernspaltung. Wenig später bricht der Zweite Weltkrieg aus und Nazi-Deutschland setzt alles daran, eine Atombombe zu bauen.

Nach der Besetzung Paris‘ ab 1940 versucht das NS-Regime die Forschungsarbeiten der Gruppe um Joliot-Curie für ihre Zwecke zu kontrollieren. Besonders das neu entwickelte Zyklotron steht im direkten Fokus. Zur Überwachung der Forscher wird ausgerechnet Wolfgang Gentner (1906-1980) abgestellt, der in den 1930er-Jahren an der Sorbonne mit Marie Curie (1867-1934) zusammengearbeitet hat und mit dem Ehepaar Joliot-Curie befreundet ist. Gentner weiß um die Gefahren einer Atombombe und versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Technik in die Hände der Nazis fällt. Er nimmt Verbindung zu Admiral Wilhelm Canaris (1887-1945) auf, der schon seit 1938 zahlreiche Regimegegner heimlich unterstützt, während Frédéric Joliot-Curie sich der Résistance anschließt. Für Gentner beginnt ein gefährliches Vabanque-Spiel, dessen Ausgang völlig offen ist. Er muss nach außen hin an dem deutschen Uranprojekt festhalten, während er gleichzeitig Frédéric und seine Kollegen im Widerstand schützt.

An den Lebensdaten von Gentner und dem Ehepaar Joliot-Curie ist unschwer zu erkennen, dass sie den Krieg überlebt haben. Canaris wird nach dem missglückten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 verhaftet und 1945 im KZ Flossenbürg zum Tode verurteilt und gehängt.

Meine Meinung:

Der Wissenschaftsjournalistin Astrid Viciano gelingt es ausgezeichnet das komplexe Thema der Kernspaltung so in die Handlung zu integrieren, dass wir Leser nicht im physikalischen und chemischen Fachvokabular untergehen. Sie schreibt die beklemmende und gefährliche Atmosphäre in den Pariser Forschungsstätten. Neben Frédéric Joliot-Curie haben sich noch weitere Wissenschaftler wie Jacques Solomon und Paul Langevin dem französischen Widerstand angeschlossen und sabotieren die Forschungsarbeiten unter anderem am Zyklotron. Daneben erfahren wir einiges über das Privatleben der Joliot-Curies.

Der Schreibstil ist sachlich. Da die Autorin immer wieder die Perspektive verschiedener Personen in den Fokus rückt, kommt es einige Male zu Redundanzen und Wiederholungen.

Fazit:

Diesem Buch, das seinen Fokus auf die historischen Ereignisse legt und daher auch von physikalischen Laien sehr gut lesbar ist, gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 21.01.2025
Die Wächterin von Köln
Schier, Petra

Die Wächterin von Köln


ausgezeichnet

Petra Schier entführt die Leser in ihrem historischen Roman "Die Wächterin von Köln" auf zwei Zeitebenen in das spätmittelalterliche Köln der Jahre 1396/97 sowie 1424.

Elsbeth führt ihr Bordell mit Umsicht und hat ein Herz für andere Außenseiter wie sie selbst. Besonders um Kinder, beiderlei Geschlechts, die sonst in der Gossen landen würden, kümmert sie sich. Daneben ist die Dreh- und Angelpunkt einer Informationsbörse von der auch Mitglieder der offiziellen Stadtregierung profitieren.

Mit Johannes, dem Henker von Köln, und dem Gewaltrichter Vinzenz van Cleve hat sie Verbündete gegen verschiedene Missstände und Machenschaften.

Als dann Elsbeths Halbbruder Nicolai Golatti ermordet wird, fällt der Verdacht sofort auf seine junge Witwe Aleydis, die den gesamten Besitz erben soll, was zahlreichen anderen Familienmitglieder missfällt. Gemeinsam mit Johannes und Vinzenz muss Elsbeth zahlreiche Fäden ziehen, um Aleydis vor dem Todesurteil zu bewahren.

Meine Meinung:

Durch ihre penible Recherche lässt die Autorin ein ziemlich authentisches Leben in der ehemaligen römischen Stadt erstehen. Gut gefällt mir der Einblick in die mittelalterliche Rechtsgeschichte, in der weniger Menschen hingerichtetet worden sind als man meinen könnte. Es gibt hier nämlich den Brauch der Abbitte, mit den Delinquenten vor dem Tod retten. Straffrei kommen die Verurteilten nicht davon, bleiben aber am Leben. Das ist vielleicht nicht immer die bessere Lösung, wenn man die Kerker betrachtet, verhindert aber den Verlust der „Ehre“ des Verurteilten und seiner Familie.

Dieser historische Roman enthält neben der (Lebens)Geschichte von Elsbeth, auch jene des Henkers Johannes, sowie zahlreiche Querverbindungen zu den anderen historischen Romanen der Autorin. Dazu bedient sich Petra Schier einiger Charaktere, wie die der Apothekerin Adelina und der Lombarden aus den gleichnamigen Serien.

Interessant sind auch die Einblicke in das Bordell und das Geschlechtsleben dieser Zeit. Der Stadtrat gibt strenge Regeln für den Betrieb eines solchen Etablissements vor und regelt, wer es besuchen darf. Eigentlich will man damit ungezügelten Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten eindämmen, weshalb Ehemänner ausgeschlossen sein sollten. Doch daran halten sich nicht alle. Sie dürfen eben nur nicht erwischt werden. Ein kleines Detail ist die Aufklärung und Einführung junger Männer durch Prostituierte. Ein Brauch, der bis ins 20. Jahrhundert durchaus üblich war. Ein Bekannter, Jahrgang 1950, wurde seinerzeit von seinem Vater in ein bekanntes Wiener Bordell geschickt.

Wie schon in den anderen Romanen ist die Hauptfigur eine starke Frau, die sich mit Grips und Chuzpe gegen das damalige Establishment auflehnt und sich behauptet.

Der bildhafte Schreibstil lässt das mittelalterliche Köln farbig und lebendig auferstehen. Mit so manchem überlieferten Mythos wird aufgeräumt. Durch die zahlreichen Wendungen wird der Spannungsbogen recht hoch gehalten.

Fazit:

Wer mittelalterliche Geschichten liebt, kommt hier auf seine Kosten. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 21.01.2025
Und ich werde dich nie wieder Papa nennen
Darian, Caroline

Und ich werde dich nie wieder Papa nennen


ausgezeichnet

Als Caroline Darian am 2. November 2020 die Nachricht erhält, ihr Vater Dominique Pelicot sei, weil er im Supermarkt Frauen unter die Röcke fotografiert hat, von der Polizei festgenommen worden ist, weiß sie noch nicht, dass das bisherige Leben ihrer Familie in Trümmern liegen wird. Auf den sicher gestellten Mobiltelefonen, Laptop sowie Festplatten finden sich Filme und Fotos auf denen zu sehen ist, wie er seine augenscheinlich betäubte und damit wehrlose Ehefrau Gisèle von Dutzenden fremden Männern missbrauchen lässt.

In diesem Buch schreibt sich Caroline Darian ihre Wut, Trauer, Betroffenheit und anfänglichen Unglauben dieser monströsen Taten von der Seele. Sie beschreibt sehr anschaulich den Konflikt in den sie von den Taten des Vaters gestürzt worden ist. Nicht der Fremde ist der Täter, sondern der eigene Vater. Jemand, dem das Urvertrauen eines Kindes gilt, hat das für immer zerstört.

Sie bewundert ihre Mutter für ihre Stärke, die Verbrechen an die Öffentlichkeit zu bringen, hadert aber gleichzeitig damit, dass Gisèle ihren Mann, wie es scheint, auch in Schutz zu nehmen versucht. Im Laufe ihrer Aufzeichnungen wird sich Caroline bewusst, welche Machtspiele ihr Vater noch aus dem Gefängnis heraus mit der Mutter betreibt. Er umgeht die Vorschriften, in dem er ihr Briefe über Umwege aus der Haft zukommen lässt und manipuliert einzelne Familienmitglieder.

Meine Meinung:

Dieses Buch, das unmittelbar vor dem Prozess, der im September 2024 begonnen hat, fertig gestellt worden ist, zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Auswirkungen das Verbrechen auf die gesamte Familie hat. Nicht nur auf das Opfer sondern z.B. auch auf die Enkelkinder, die ihren Großvater, der sich ihnen gegenüber liebevoll gezeigt hat, nie mehr wieder werden. Die Verbrechen zerstören nicht nur die Kernfamilie Pelicot, sondern durch die hohe Anzahl von (Mit)Tätern auch zahlreichen andere Familien.

Durch den mutigen Schritt von Gisèle Pelicot, die inzwischen von ihrem Mann geschieden ist und ihren Mädchennamen, der nicht genannt wird, wieder angenommen hat, diese an ihr verübten Verbrechen vor Gericht zu bringen, bliebt der Täter Täter (bleiben die Täter Täter). Die häufig angewandte Methode, dem Opfer mindestens eine Teilschuld zu geben, verfängt nicht. Die Beweise sind eindeutig. Wie Caroline Darian schreibt: „Die Scham bleibt beim Täter.“

Der Prozess, der in der Öffentlichkeit geführt worden ist, hat kurz vor Weihnachten mit Schuldsprüchen für Dominique Pelicot und rund 50 Mitangeklagten geendet. Pelicot ist zur Höchststrafe von 20 Jahren verurteilt worden.

Gisèle Pelicot ist für ihren Mut ihre Peiniger vor Gericht zu bringen, weltweit als Heldin gefeiert worden. Ob sie und ihre Tochter jemals ihren Seelenfrieden finden werden?

Ein wichtiger Schritt für Caroline Darian ist ihr Entschluss, den Täter nie wieder Papa zu nennen.

Fazit:

Diesem aufwühlenden Buch, das mich betroffen und wütend macht, gebe ich 5 Sterne.

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