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Benutzername: 
Chris
Wohnort: 
Wuppertal

Bewertungen

Insgesamt 22 Bewertungen
Bewertung vom 09.02.2023
Die Affäre Agatha Christie
Gramont, Nina de

Die Affäre Agatha Christie


ausgezeichnet

Krimi in bester Christie-Manier

Erst dachte ich, der Roman von Nina de Gramont sei eine historisch begründete Lücke des Lebens von Agatha Christie, die sie mit diesem Buch zu schließen gedenkt. Aber das Buch „Die Affäre Agatha Christie“, in dem die amerikanische Autorin die 11 vermissten Tage der Krimiautorin Christie in den Fokus nimmt und zu rekonstruieren versucht, hat noch ganz andere Qualitäten. Es ist ein Kriminalfall in bester Christie-Manier. Das Buch, im Insel Verlag erschienen, behandelt nicht nur die mysteriöse Geschichte rund um das Verschwinden der Krimiautorin, sondern auch die Geschichte der 10 Jahre jüngeren Geliebten von Archie Christie, weswegen er sich von Agatha trennte: Nan. Nan ist eine kühl berechnende Frau im Roman, deren englisches Herz immer noch für die verlorene irische Jugendliebe schlägt.

Hier erzählt Gramont noch eine ganz andere fiktive Geschichte. Denn der Leser folgt im ersten Teil des Buches ihren Erlebnissen mit Archie und Agatha, macht aber auch mit Nan rückblickende Ausflüge in ihre glückliche Jugend, die sie zeitweise bei der Tante in Irland verbrachte. Der Erzählstil ist so gewählt, als wäre Nan eine allwissende Erzählerin. Der Stil ist zwar anders als gewohnt, aber wenn man sich auf dieses sprachliche Experiment einlässt, wirkt er aus der Sicht der nicht durchschaubaren Frau stark hypnotisch.

Der Autorin gelingt der perspektivische Kunstgriff und nimmt Bezug auf die Perspektive, die Christie in dem Buch Alibi erstmalig anwendete, das 1926 erschien und ihren Weltruf begründete. Ebenso verwendet Gramont für den sich entwickelnden Fall Christies Lieblingsmordwaffe. (Gift wählte Christie so oft für ihre Fälle, da sie in einer Apotheke gearbeitet hat und so Wissen darüber sammeln konnte.) Es wimmelt nur so von Querverweisen. Der geübte Fanleser entdeckt sogar Namen, die in den Büchern von Christie vorkommen. Z. B. wären da die Namen Marston, Armstrong und Oliver (Freundin von Poirot) zu nennen. Das weist darauf hin, dass Gramont sich sehr gründlich mit der Person Christie, der Schriftstellerin und deren umfangreiches Werk auseinandergesetzt hat.

Auch gibt es noch eine weitere Handlungsebene. In Rückblenden erfahren wir ebenfalls von dem Schicksal junger lediger Mütter, die zu damaliger Zeit gegen ihren Willen in mitleidslos geführte Magdalenen-Klosterheime gesperrt wurden und denen ihre Kinder abgenommen wurden, um sie zur Adoption freizugeben. Die Klosterwäschereien glichen oftmals einem Arbeitslager, in dem die „gefallenen“ Mädchen zur Schwerstarbeit gezwungen wurden. Manche wurden von Priestern missbraucht. Ein dunkles Kapitel der grünen Insel, das in der Krimigeschichte eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Die Schilderungen Nans treffen einen mitten ins Herz.

Die Geschichte dreht sich immer schneller, wie eine Spirale. Die Suche nach der Autorin, die vergangenen Erlebnisse der Geliebten, die Beschreibungen der jungen Mütter und die Untersuchung der aktuellen Mordfälle durch den ermittelnden Inspektor sind so soghaft beschrieben, dass man das Buch als Leser schwer zur Seite legen kann. Die überraschenden Wendungen geben der Story immer wieder eine neue Richtung. Vier miteinander Verschworene zögern das Gefundenwerden heraus und der Leser fiebert mit ihnen mit. Und es sind viele Fäden, die Gramont am Ende geschickt miteinander verwebt und mit denen sie einen schlüssig raffinierten Schluss, ganz im Sinne von Agatha Christie, Gerechtigkeit einfordernd, kreiert. Ich war von dem meisterhaft erzählten Roman begeistert und vergebe die volle Punktzahl!

Bewertung vom 22.01.2023
Vanessa und die Kunst des Lebens / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.2
Martin, Stefanie H.

Vanessa und die Kunst des Lebens / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.2


ausgezeichnet

Experimentelle Pionierkunst und freie Gefühle

Die Malerin Vanessa Bell und die Schriftstellerin Virginia Woolf werden als Schwestern beschrieben, sie sind beide hochsensible und nervlich angegriffene Künstlerinnen. Beide wollen nach dem Verlust der Eltern und eines Bruders und den traumatischen Erlebnissen eines Missbrauchs durch einen Halbbruder selbständig und unabhängig sein. Ihre Kunst weiterentwickeln. Das können sie auch, denn ihre Eltern waren vermögend. Virginia heiratet Leonard und Vanessa zieht nach einer Affäre mit Roger aufs Land. Vanessa gründet ihrer Zeit weit voraus eine WG mit Duncan und Bunny, einem bisexuellen männlichen Pärchen. Sie bekommt mit Duncan eine Tochter. In der Londoner Gesellschaft würde sie dafür geächtet und so wird ihr drittes Kind von ihrem Nochehemann Clive, der mittlerweile eine feste Geliebte hat, anerkannt. Die Künstler sind alle auf der Suche nach ihren wahren Gefühlen und versuchen ein freies Leben zu führen, ohne Korsetts jeglicher Art.

Der Erste Weltkrieg macht ihnen einen Strich durch die Rechnung, aber da sie kreativ sind, finden sie einen Weg dem Kriegsdienst durch Obstanbau zu entkommen. Das gelingt dem privilegierten Kreis besser als den einfachen Leuten. Letztere kommen in dem Roman nicht vor, der Fokus liegt auf dem kleinen Elitekreis und ihrem Pioniergeist in der Kunst und dem entrückten Künstlerleben. Die Geschichte macht die damalige Zeit, die Konflikte innerhalb der Gruppe und die jeweiligen Beziehungsverflechtungen anschaulich.

Die Autorin schreibt die Lebensgeschichte der beiden berühmten Frauen so intensiv, dass man sich im Raum wähnt, als sei man als Leser dabei. Man durchleidet die Nöte und Gefühle mit. Und den Kampf gegen die damaligen Konventionen. Die Reaktionen der Gesellschaft, wenn sich eine der beiden davon befreien will. Die Charaktere sind präzise gezeichnet. Die Gespräche und Diskussionen über Kunst sind nachvollziehbar. Die Umstände sind ausgezeichnet recherchiert und ab und an lässt Stefanie H. Martin einen Brief der beiden Schwestern einfließen. Es bereitet Vergnügen, in die Welt der Bloomsbury Group hautnah einzutauchen. Ich finde das Buch spannend geschrieben und kann die Lektüre empfehlen.