Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Yernaya
Wohnort: 
Linz

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 16.07.2023
Bleiche Erben
Kaufmann, Ernst

Bleiche Erben


sehr gut

Entlarvender Kriminalroman aus dem Salzburger Land

"Bleiche Erben - Inspektor Ruprecht und die Schönheit" ist der zweite Band einer Salzburger Krimireihe von Ernst Kaufmann. Erschienen ist das Buch im Salzburger Traditionsverlag Anton Pustet. Das Cover hebt sich vom üblichen Krimi-Cover B - Kein Wunder, ist es doch ein Werk des Autors, wie der Klappentext verrät. Die Gestaltung des Vorgänger- und Nachfolgebandes sind im ähnlichen Stil, was ich bei einer Reihe nicht unwichtig finde. Auch erfahren wir dort, dass es gewisse Parallelen zwischen Ernst Kaufmann und Inspektor Martin Ruprecht gibt. Der Text zum Buch ist ein angenehmer Teaser, es wird nicht zu viel verraten. Auch die Haptik des Buches gefällt mir, es liegt gut in der Hand.

Das Buch liest sich angenehm, der Sprachstil ist flüssig und es gibt keine inhaltlichen Brüche.

Da ich den ersten Band (noch) nicht kenne, waren alle auftretenden Personen neu für mich. Hier liegt eine Schwachstelle des Buches, denn es war für mich anfangs nicht so einfach, mir den Inspektor und andere Protagonisten vorzustellen. Eine Person konnte ich bis zum Schluss nicht richtig einordnen. Mit Martin Ruprecht bin ich dennoch warm geworden, ein angenehmer und gebildeter Mensch mit ein paar netten bourgeoisen Marotten und Vorlieben (Oldtimer, gutes Essen, Zigarre, Jazz).

Mir gefällt wie langsam und akribisch sich aus ersten Splittern ein Fall herauskristallisiert. Wie genau Ruprecht recherchiert, untersucht und analysiert. Wie ein Jagdhund, der eine Fährte aufgenommen hat. Darin liegt aus meiner Sicht die eigentliche Spannung des Buches. Es geht darum, wer eigentlich verantwortlich ist für das Unrecht, welches hier aufgezeigt wird, und wer zur Verantwortung gezogen werden kann. Dabei geht es um internationale Verstrickungen, einen Konzernchef, die Aufsichtsbehörde und weitere Personen, die für Geld bereit sind alles zu tun.

Fazit: ich bin neugierig geworden auf den ersten Band, ebenso wie auf den angekündigten Folgeband. Sehr gerne vergebe ich für "Bleiche Erben" vier Sterne, und würde mich über die Möglichkeit freuen 4,5 zu vergeben.

Bewertung vom 16.07.2023
Im Tal
Goerz, Tommie

Im Tal


ausgezeichnet

Ein Meisterwerk der Erzählkunst über einen Menschen am Rande der Gesellschaft

"Sich wegdenken, nichts an sich heranlassen und einfach nur tun. Wie blind handeln, wie taub. Keine Vergangenheit, keine Zukunft, einfach sein."
Die Fränkische Schweiz, heute ein beleibte Tourismus- und Wanderregion, war bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine karge und abgelegene Region, Das Leben dort war hart und geprägt von Entbehrungen. Tommie Goerz nimmt uns in seinem Roman "Im Tal" mit auf eine Zeitreise, die im Jahr 1968 endet. Wir erleben die Welt aus der Sicht von Anton Rosser, einem einfachen Mann, der unter widrigsten Umständen aufwächst und sein Leben lang keine Chance auf ein glückliches Leben erhält. Goerz beschreibt in einer Sprache, die diesem Leben angemessen ist, die vielen traumatischen Erlebnisse, die dieser Mensch erleiden muss. Man hat das Gefühl, dem Toni über die Schulter zu blicken. Das macht die Lektüre so intensiv. Sein Leben ist ein stetiges Überleben, sein Sterben so trostlos wie sein Leben. Ein Leben am Rande der Gesellschaft, ein Leben in der Natur, die nicht romantisierend dargestellt wird, ein Leben voll harter Arbeit, durchbrochen von zwei Weltkriegen und ihren Grausamkeiten. Dieses Buch hat mich tief berührt und gehört mit Sicherheit zu den besten Neuerscheinungen dieses Jahres.

Bewertung vom 16.05.2023
Die Kriminalistinnen. Der Tod des Blumenmädchens
Berg, Mathias

Die Kriminalistinnen. Der Tod des Blumenmädchens


ausgezeichnet

Flowerpower und Behördenmief - Spannender Auftakt einer neuen Krimiserie um die ersten Frauen bei der Düsseldorfer Kriminalpolizei

"Wenn du es bei der Polizei zu etwas bringen willst, musst du die Spielchen beherrschen und mitspielen. Das ist kein Kindergarten, das ist Hierarchie mit Hauen und Stechen. Und für euch Frauen wird es nicht einfacher werden." (S. 307)

Düsseldorf 1969; Lucia Specht gehört zu der Handvoll Frauen, die erstmalig die Möglichkeit erhalten, als Quereinsteigerinnen in den gehobenen Polizeidienst einzusteigen. Die jungen Frauen treffen dabei auf die miefige Behördenatmosphäre der damaligen Zeit. Kaffee und Zigaretten, Hierarchie und der eine oder andere alte Nazi, Intrigen und Seilschaften - eine Männerwelt par excellence. Doch Lucia und ihre Kolleginnen sind mutig, eigenwillig und stark, und bereit neue Wege zu gehen.

Meine anfängliche Skepsis, ob es einem männlichen Autor gelingen kann, einen Krimi aus der Sicht einer Frau zu schreiben, hat sich schnell in das Gegenteil verwandelt. Berg gelingt es ganz vorzüglich, die Situation und das Empfinden der Frauen in der damaligen Zeit darzustellen. Chapeau! Emanzipation und Feminismus waren noch nicht sehr weit fortgeschritten, die rechtliche Situation gerade der verheirateten Frauen war katastrophal. Man kann gar nicht oft genug daran erinnern, dass die heutigen Freiheiten nicht vom Himmel gefallen sind, sondern hart erkämpft werden mussten. Das Recht auf Berufstätigkeit und freie Berufswahl, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Lucia und ihre Kolleginnen sind - manchmal schmerzhaft - mit diesen Herausforderungen konfrontiert.

Mathias Berg beschreibt die damalige Zeit sehr atmosphärisch und detailreich. Ich fühlte mich beim Lesen in meine Kindheit zurückversetzt. Berg trifft es auf den Punkt, die Zeit so zu beschreiben, wie sie war: Kneipen und Clubs, Hippiefeten, Sex & Drugs & die Musik von Mendocino bis Aquarius, damalige Inn-Getränke und Rauchgewohnheiten (über zwei kleine Fehlerchen bei der damaligen Technik konnte ich ohne Probleme hinwegsehen). Einfach super!

Als Auftakt einer neuen Serie nimmt auch das Privatleben von Lucia und ihren Kolleginnen einen breiten Raum ein. Das stört mich überhaupt nicht, denn gerade dadurch wird die Zeit plastisch und lebendig. Ich freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung!

Bewertung vom 16.05.2023
°C - Celsius
Elsberg, Marc

°C - Celsius


weniger gut

In Marc Elsbergs neuestem Buch "°C - Celsius" gibt es ein Motiv, dass sich ständig wiederholt: Menschen starren auf Bildschirme, Monitore, Handys oder in ihre AR-Brillen und lassen die Lesenden aus dieser Perspektive teilhaben an den spektakulären Ereignissen globalen Ausmaßes. Alle starren sie: Journalisten, Politiker und Regierungen, Wissenschaftler, Klimaaktivisten - sie starren viel und handeln wenig.

Es geht um ein sehr aktuelles Thema. Schon auf dem Einband wird die Frage gestellt: “Wenn Sie das Klima beeinflussen könnten, wen würden Sie vor der Katastrophe retten?” Der Mensch beeinflusst das Klima spätestens seit der industriellen Revolution (tatsächlich schon viel länger) in einer Art und Weise, die den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen, bedroht. Erderwärmung und Klimawandel, die daraus resultierenden sozialen und globalen Konflikte scheinen aktuell trotz aller Lippenbekenntnisse politisch nicht lösbar zu sein. Aber gibt es vielleicht eine technische Lösung? Das Zauberwort heißt Geoengineering und meint die vorsätzliche Beeinflussung des Klimas. In Elsbergs Klima-Dystopie beginnt China ohne Absprache mit den anderen Nationen der Welt mit einem spektakulären Projekt: Unser vulnerabler Planet soll eine Art Schutzschild erhalten, einen Sonnenschirm. Kann das gelingen und wird der Rest der Welt dabei einfach tatenlos zusehen? Wie wirken sich Klimaveränderungen auf die globale Wohlstandsverteilung aus? Und was ist technisch möglich und ethisch vertretbar?

Wie gewohnt, hat sich Marc Elsberg sehr intensiv in die wissenschaftlichen Grundlagen und das Für und Wider des Themas eingearbeitet. Es gelingt ihm auch gut, seine Recherchen allgemeinverständlich darzustellen - allerdings viel zu ausführlich und viel zu oft mit einem erhobenen Zeigefinger. In einem Interview mit der Kulturzeit auf 3sat vom 10.03.23 sagt Elsberg selbst, dass es die Kunst des Autors sei, die recherchierten Informationen zu verdichten. Er hätte auch 2000 Seiten zu diesem Thema schreiben können.

Tatsächlich sind es 608 Seiten geworden, und aus meiner Sicht ist es Elsberg eben nicht gelungen, die Materie ausreichend zu verdichten. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum mir das Buch leider gar nicht gefällt. Ich möchte nicht zu viel vom Inhalt verraten, deshalb kann und will ich in dieser Rezension nicht ins Detail gehen. Was uns in "°C - Celsius" begegnet ist eine Ansammlung dystopisch-apokalyptischer Szenarien, die teilweise aus einem Science-Fiction-Film stammen könnten. Was als spannender Thriller beginnt, verliert sich in verworrenen Handlungsfetzen, unterbrochen von Zeitsprüngen, chaotischen Perspektivwechseln und nicht immer nachvollziehbaren Wechseln zwischen der Realität de Buches und reiner Fiktion. Dabei benutzt Elsberg redundante Stilmittel, Worte, Gespräche, ganze Szenarien wiederholen sich.

Ein weiteres Manko des Buches besteht für mich darin, dass die zahlreichen Protagonisten nicht wirklich als Charaktere auftraten. Sie wirken wie Schablonen, ohne Tiefgang, ohne innere Entwicklung. Da verwundert es nicht, dass die meisten Figuren nicht einmal Namen erhalten, sondern nur in ihrer Funktion beschrieben werden. Die namentlich erwähnten Protagonisten tauchen in einem Personenregister am Anfang des Buches auf, welches eher so wirkt wie ein Schmierzettel, den jemand beim Lesen erstellt hat, um nicht den Überblick zu verlieren. Was fehlt ist ein Glossar, in dem die zahlreichen englischsprachigen Fachbegriffe des internationalen politischen Diskurses erklärt werden. Selbst wer des Englischen mächtig und mit der Thematik vertraut ist, muss sich deshalb den einen oder anderen Ausdruck ergoogeln.

Für einen Thriller hatte diese Dystopie leider zu wenig Handlung. Mich hat Elsberg ab S. 285 leider nicht mehr begeistern können, und so verschwand nach und nach nicht nur die Leselust - das Lesen wurde tatsächlich zur Qual. 285 von 608 Seiten reichen leider nicht aus, um ein Buch noch empfehlen zu können. Schade, denn das Buch hätte das Potential für einen bewegenden Thriller in sich getragen. Und der Autor hat z.B. mit Blackout bewiesen, dass er eigentlich auch dazu in der Lage ist, einen Pageturner zu schreiben.

Bewertung vom 15.05.2023
Salzburger Männerherzen
Keferböck, Natascha

Salzburger Männerherzen


ausgezeichnet

Mord mit Dialekt und Lederhosen

Bereits zum dritten Mal hat mich Natascha Keferböck nach Koppelried, jenes fiktive Dorf im Salzburger Umland, in dem Raphi Aigner für Recht und Ordnung sorgt. Und offenbar geht ihm die Arbeit nicht aus. Gut so, denn so ist wieder ein hervorragender Cozy Krimi entstanden, der mich wunderbar unterhalten hat.

Ganz Koppelried ist auf den Beinen, die - wenn sie männlich sind - in Lederhosen und Haferlschuhen stecken. Auch Raphi kommt anfangs als Trachtler daher, wenn auch nicht ganz freiwillig. Und es geht wild zu auf dem Volksfest. Die Autorin versteht es wieder einmal großartig mit viel schrägem Humor das Dorf zum Leben zu erwecken. Jede Menge schräge Typen begegnen uns auf den 336 Seiten. Hier wäre ein kleines Personenregister hilfreich gewesen. Sie sind detailreich beschrieben, so dass das Dorf und seine Bewohner mir nach nun drei Bänden fast so vertraut sind wie meine Nachbarn. Und natürlich wird Dialekt gesprochen, wie es sich im Regionalkrimi gehört! Ein Glossar erleichtert das Verständnis, aber eigentlich braucht man das gar nicht, denn man versteht den Sinn des Gesagten in der Regal auch dann, wenn man ein Wort dazwischen nicht kennt. Und wenn das so weitergeht, dann kann ich bald österreichisch fluchen! Herrlich.

Das Privatleben von Raphi und seiner Familie kommt auch nicht zu kurz. Wie üblich ist es ganz schön verwickelt, und am Ende kommt noch ein neuer Erzählfaden hinzu, und lässt auf eine Fortsetzung hoffen.

Der Kriminalfall ist gewohnt spannend: am Morgen nach dem Volksfest liegt der schöne Lokalpolitiker Lammer erschossen in seinem Pool. Und in seinem Bett liegt neben der Dorfschönheit Klara der kreuzbrave Polizist Schorsch, mit Schmauchspuren an den Fingern. Aber ist er wirklich der Täter? Darüber hinaus beunruhigt eine Einbruchserie die Landbevölkerung. Es gibt also genug zu ermitteln für Raphi und seine Kollegen, die dabei ins Visier des Landeskriminalamts geraten. Die Ermittlerin vom LKA ist heuer meine Lieblingsfigur, denn sie hat meine Lachmuskeln ordentlich arbeiten lassen.

Fazit: 5 Sterne für ein Lesevergnügen, dass hoffentlich seine Fortsetzung findet!

Bewertung vom 06.04.2023
Dämonen der Speicherstadt
Denzau, Heike

Dämonen der Speicherstadt


ausgezeichnet

Zuerst angesprochen hat mich das schöne Cover des Buches. Ich mag die Speicherstadt und der

Blutmond verbreitet eine mystische Atmosphäre.

Mit dem Genre Mystery-Krimi hatte ich bislang noch keine Erfahrungen. Die Autorin selbst spricht

von Urban Fantasy & Romance, was das Buch wahrscheinlich besser beschreibt. Als Krimi würde ich

„Dämonen der Speicherstadt“ nämlich nicht bezeichnen, eher schon als Thriller. So war das Buch

nicht ganz das, was ich erwartet habe, aber ganz schnell hatte mich die Geschichte gepackt. Es ist

eine rasante Story mit zum Teil gruseligen und blutigen Szenen, also nichts für zartbesaitete Seelen.

Abgerundet wird das ganze durch einen mitreißenden Humor - und durch ausführliche Sexszenen.

Die junge Kommissarin Rahel ist als Waisenkind aufgewachsen. Durch Zufall gerät sie in eine

brenzlige Situation mit einem außergewöhnlichen Gegner: einem Dämonen! So kommt es, dass sie

Mitglied einer ganz besonderen Spezialeinheit des BKA wird, in dem außergewöhnliche Typen auf

Dämonenjagd gehen. Rahel selbst ist eine interessante und sympathische junge Frau, die als

Identifikationsfigur taugt.

Heike Denzau hat einen sehr unterhaltsamen Schreibstil. Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet und

immer wieder gibt es überraschende Wendungen. Die Spannung war manchmal kaum auszuhalten

und es gab jede Menge Gänsehautmomente. Der Showdown hat mir deutlich den Blutdruck

hochgetrieben! Und einige Dinge in meiner Umgebung betrachte ich nach der Lektüre mit ganz

anderen Augen. Aber psst, das wird nicht verraten!

Bewertung vom 03.04.2023
Das Schweigen der Klippen / Guernsey-Krimi Bd.2
Corbet, Ellis

Das Schweigen der Klippen / Guernsey-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Gelungene Fortsetzung der Guernsey-Krimireihe

"... um einen Mord aufzuklären, muss man ihn zuerst überhaupt als Mord entdecken." (S. 14)

Die 94jährige Odile Davies wird tot am Fuß der Klippen aufgefunden. Erlitt die demente Bewohnerin eines Pflegeheims einen Unfall, beging sie Selbstmord oder wurde sie womöglich ermordet? Mit viel polizeilicher Kleinarbeit und einigem Stochern im Nebel begibt sich DI Kate Langlois an die Klärung dieser Fragen. Wer Band 1 gelesen hat, darf sich auf ein Wiedersehen mit dem gesamten Team aus Guernsey freuen, wobei Tom Walker diesmal eher im Hintergrund bleibt. Fälschlicherweise wird der Archäologe Nicolas Arture auf dem Klappentext als Teil des Ermittlerteams angegeben. Das kann man aber nicht der Autorin anlasten. Das Cover ist wieder sowohl außen als auch innen mit stimmigen Fotos versehen, doch leider ist bei genauerem Hinsehen erkennbar, dass hier arg die Bildbearbeitung zum Zuge kam.
Die Landschaft der Kanalinsel Guernsey und die Beschreibung ihrer Bewohner ist auch hier wieder ein wichtiger Bestandteil des Buches, ohne dass die Gefahr besteht, dass die Grenze zum Cosy Crime überschritten wird. Ellis Corbet erzählt ruhig und ohne zu werten über das Leben der Verstorbenen. Dabei werden historische Themen ebenso aufgegriffen wie aktuelle Missstände, so z.B. die Situation in Pflegeheimen und soziale Ausgrenzung. Auch wenn ich die Handlung etwas weniger überzeugend fand als die in Band 1, vergebe ich gerne in der Gesamtwertung fünf Sterne und freue mich auf die Fortsetzung, die hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lässt.

Bewertung vom 30.03.2023
Agnes geht
Keweritsch, Katja

Agnes geht


ausgezeichnet

Was wäre, wenn Frau einfach mal aus ihrem Leben ausbricht? Ausbrechen? Bricht man nicht eigentlich aus einem Gefängnis aus?

Agnes, studierte Biologin, und Tom sind schon lange verheiratet. Sie haben sich während ihrer Studienzeit kennengelernt und sind nun gut situierte Eltern von zwei Teenagern. Tom ist ein erfolgreicher Arzt, Agnes hat ganz klassisch die Rolle der Hausfrau und Mutter übernommen, jobbt aber zudem in einem sozialen Projekt, das ihre Freundin leitet. Als ihr Mann einen beruflichen Erfolg feiert, kommt es zu einem heftigen Streit zwischen den Eheleuten. Und so beginnt es, Agnes geht. Sie geht einfach los, lässt zunächst alles hinter sich und geht.

Nein, es ist keine geplante Pilgerreise und auch kein sportliches Wanderevent. Agnes geht einfach los, bricht aus ihrem Leben aus. Sie hat zunächst nicht einmal ein Ziel. „Weil Gedanken manchmal erst durch Bewegung an die richtige Stelle rutschen.“ Als Leserin habe ich Agnes Weg, der sie schließlich immer entlang der Elbe führt, voller Begeisterung und Mitgefühl begleitet. Ich habe mit ihr mitgelitten, ich habe gelacht, ich hatte manchmal Gänsehaut und ich hatte tatsächlich auch Tränen in den Augen – sei es vor lauter Lachen, denn ich liebe den humorvollen Schreibstil von Katja Keweritsch, sei es aus dem Mitfühlen von Wut und Schmerz.

„Agnes geht“ ist ein Roman, der eine Ehe beschreibt, in der vieles festgefahren ist. In der sich alte Rollenmuster verfestigt haben, und ja, das ist auch heute noch ein Thema! (Dankenswerterweise gibt es am Ende ein kleines Literaturverzeichnis zu den Themen Mental Load, Mutterschaft, Körperwahrnehmung und Gleichberechtigung.) Spannend ist, dass die Autorin das Instrument des Perspektivwechsels nutzt, und nicht nur Agnes, sondern auch Tom in seiner Situation beleuchtet. Meine Sympathie lag aber immer ganz klar parteilich bei Agnes, ihrer Katharsis und ihrer Metamorphose. Interessanterweise war das innerhalb der Leserunde, an der ich teilgenommen habe, nicht überall der Fall. Insbesondere die Tabuthemen der Weiblichkeit wurden heftig diskutiert – ich will hier aber nicht zu viel verraten.

„Agnes geht“ ist ein authentischer und emanzipatorischer Roman, der mich von Anfang an begeistert hat. Es ist eine _Roadnovel_ im ganz klassischen Sinn und die Handlung lebt durch die Begegnungen, die Agnes im Laufe ihrer Wanderung erlebt ebenso wie durch die gelungene und fundierte Beschreibung der Elblandschaften, vor allem Dank der wundervollen Sprache und der bewegenden Formulierungen von Katja Keweritsch. Es ist ein Buch, das zu Reflexion und zu Diskussionen anregt, und zudem noch ist das Cover so wunderschön gestaltet, dass es auch ein sehr schönes Geschenk darstellt. Ich vergebe voller Überzeugung fünf Sterne und werde das Buch sicherlich noch einmal lesen.

Bewertung vom 22.02.2023
Cosmopolitan - Die Zeit der Frauen
Rosen, Renée

Cosmopolitan - Die Zeit der Frauen


ausgezeichnet

Das Sujet des historischen Romans bedingt, dass die Autorin über eine Zeit schreibt, die sie nicht selbst erlebt hat. Ich konnte nicht recherchieren, wie alt Renée Rosen ist, wohl aber, dass sie in den USA bereits mehrere erfolgreiche Romane abgeliefert hat. Leider ist davon bislang nur “Cosmopolitan - Die Zeit der Frauen” (im Original von 2019 “Park Avenue Summer”) auf Deutsch erschienen. Dieser Roman spielt 1965, und da sind wir also mittlerweile mit historischen Romanen angekommen.

Gleich das Cover ist ein Hingucker und versetzt die Leserin in eine Zeit, in der Autos noch Flossen hatten und Frauen sich das erste Mal in der Geschichte Rechte erkämpften, die man heute allzu oft für selbstverständlich hält. Sexuelle Selbstbestimmung, einen Beruf ausüben, unabhängig von einem Mann leben und arbeiten. In weiten Teilen der Welt ist das bis heute nicht realisiert. Und damals war es ganz neu und somit aufregend, modern, skandalös. Ein Bericht über weibliche Brüste in einer Frauenzeitschrift - Skandal! Eine Frau, die mit einem Mann ins Bett geht, ohne ihn heiraten zu wollen - Skandal! Eine Frau als Chefredakteurin einer Zeitschrift - Skandal!

Renée Rosen erzählt in ihrem Werk die Geschichte um die erste Ausgabe der Zeitschrift Cosmopolitan unter der Leitung von Helen Gurley Brown. Man kann das Buch nicht lesen, ohne ein Gespür dafür zu bekommen, wie alte weiße Männer durch Intrigen versuchen, eine Frau für ihre Zwecke zu benutzen, zu manipulieren und zu beschädigen. Vor diesem Hintergrund sollte man die Leistung von Gurley Brown betrachten. Sie war eine Pionierin, hat Lanzen gebrochen und Frauen Wege ermöglicht, die ihnen zuvor nicht offen standen. Gurley Brown war immer umstritten, und das zurecht. Auch andere Protagonistinnen der Women’s Lib wie Betty Friedan standen ihr kritisch gegenüber. Erst seit den 1990ern hat sich die feministische Sichtweise auf Gurley Brown gewandelt.

Doch in diesem Buch geht es gar nicht in erster Linie um die Chefin, sondern um ihre - fiktive - Sekretärin, die aus der Provinz nach New York City kommt, um den Lebenstraum ihrer verstorbenen Mutter zu leben. Ein genialer Schachzug von Rosen, der sich dadurch alle möglichen erzählerischen Freiheiten eröffnen, und die uns trotzdem so viel über Gurley Brown und diese aufregende Epoche erzählt. So beschreibt sie die damaligen In-Lokale ebenso wie die unterschiedlichen Stadtviertel. Wir lernen das glamouröse Leben der High Society ebenso kennen wie die Nöte einer jungen Fotografin, die sich entscheiden muss, ob sie von ihrem Gehalt Filme kauft oder etwas für den Kühlschrank. In diesem Roman wird geraucht, Alkohol getrunken und Menschen haben Sex miteinander. Aber es gibt auch ernste Momente. An manchen Stellen ist das Buch sehr amerikanisch, womit ich meine, dass es einen Hang zum Happy End gibt. Da ich nicht spoilern will, nur so viel: manchmal ist weniger mehr.

Die Übersetzung von Anita Nirschl gefällt mir sehr gut. Sie trifft den richtigen Ton der Zeit.

Alles in allem eine klare Leseempfehlung, hier mit 5 Sternen (manchmal würde ich mir Nuancen wünschen, und nur 4 ½ vergeben). Hoffentlich werden weitere Bücher von Renée Rosen ins Deutsche übersetzt. Ich wäre sehr gespannt auf

Apropos: Ich habe nur eine Cosmopolitan in meinem Leben gelesen und fand sie absolut furchtbar!

Zudem eine Trigger-Warnung: das Thema Magersucht spielt am Rande eine Rolle.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.02.2023
IOSUA - Ein Leben im Schatten (MP3-Download)
Bruhns, Annemarie

IOSUA - Ein Leben im Schatten (MP3-Download)


gut

Packende Erzählung über einen Menschen, der unter widrigsten Bedingungen aufwachsen musste

Das nicht so gelungene vorweg: Mit Matthias Rehrl wurde der denkbar ungeeignetste Sprecher für dieses Hörbuch ausgesucht. Was er abliefert, ist einfach grauenvoll. Mit der Stimme eines Märchenerzählers ist er für dieses Buch eine komplette Fehlbesetzung. Das ist bedauerlich, denn bei einigen Aspekten des Buches bin ich mir nicht sicher, ob es an der Story liegt, oder am Vorleser. Als Rezensentin fällt mir nun die Aufgabe zu, das eine vom anderen zu trennen. Ich habe mir deshalb Zeit gelassen, um alles nochmal Revue passieren zu lassen.

“Iosua - ein Leben im Schatten” ist der 2021 erschienene Debütroman von Annemarie Bruhns, für den sie bereits einen Preis erhalten hat (Innocent Award 2021). Iosua ist ein Berliner Junge mit rumänischem Migrationshintergrund, der verzweifelt versucht, den kriminellen Strukturen und der unbeschreiblichen Gewaltatmosphäre, in der er aufgewachsen ist, zu entkommen. Die Brutalität ist manchmal kaum aushaltbar. Respekt für die Autorin, dass sie diese so eindringlich beschrieben hat. Damit ist der Roman ein sozialkritisches und realitätsnahes Werk, denn Bruhns wirft einen Blick auf das Seelenleben des jungen Mannes, der in den Augen vieler wohl nichts weiter ist als ein weiterer krimineller Ausländer. Dabei kommt nebenbei auch zur Sprache, wie die gesamte Gesellschaft wegschaut, wenn so ein Kind zum kriminellen Werkzeug geformt wird.

Iosua trifft auf Isabelle, eine Journalismus-Studentin aus bürgerlichem Hause, und die beiden verlieben sich ineinander. Hier ist einer dieser Momente, wo ich mit dem Buch hadere, denn sie wirkt auf mich einfach zu naiv. Ob das nur am Sprecher liegt, oder auch am Buch selbst, kann ich nicht zufriedenstellend beantworten. Rehrl trägt aber sicherlich seinen Teil dazu bei.

Iosua dagegen wirkt für mich manchmal eher wie ein Student. Seine Sprech- und Denkweise passt nicht zu dem Milieu, in dem er aufgewachsen ist, und zu seiner vermutlich eher geringen Schulbildung. Er ist mir oft viel zu reflektiert und verkopft.

Das Buch beschreibt einen dramatischen Wendepunkt im Leben von Iosua. Es ist eine durchaus spannende Erzählung. Ich würde dazu raten, das Buch zu lesen. Das Hörbuch kann ich leider nicht empfehlen. Dem Buch hätte ich vier Sterne gegeben, dem Hörbuch kann ich leider nur drei Sterne geben.