Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Wortsonate
Wohnort: 
Solingen

Bewertungen

Insgesamt 22 Bewertungen
Bewertung vom 01.03.2022
Tell
Schmidt, Joachim B.

Tell


ausgezeichnet

Ungefähr ist mir die Geschichte von Tell bekannt. Einem Schweizer Freiheitskämpfer, mit einer Armbrust und einem Schuss auf den Apfel. Dieses Detail mit dem Apfel bleibt in einer anderen Form erhalten.
Und jetzt sollte die Geschichte anders geschrieben sein. Joachim B Schmidt schreibt in 100 schnellen Sequenzen, in denen er zwanzig Figuren auftreten lässt. Die Hauptfigur ist Tell- ein Familienvater, mal Wilderer, mal eigensinnig, einer der sich nicht anpassen will, aber auch eine weiche Seite hat.
Jede Figur erzählt dann seine Geschichte, aus seiner Sichtweise und wie er Tell wahrnimmt. Jede von ihnen hat einen eigenen Charakter, mal derb mal rauh, mal liebevoll.
Dadurch wird es aber nicht unbedingt tiefgründig. Ich denke auch nicht, dass der Autor das erreichen wollte. Wichtiger war ihm das das Tempo vorangeht, so wie bildliche Sequenzen.
Ich habe dabei an Kurzgeschichten gedacht, da fügen sich die Figuren auch nicht immer zusammen. In diesem Roman dienen einige Figuren auch nur zur Beschreibung von Tell.
Wir tauchen tief hinein in die Schweizer Bergwelt und das karge Leben. Wir werden praktisch zurückversetzt in der Zeit. Gerade diese Beschreibungen haben mir sehr gut gefallen, Joachim B. Schmidt formuliert detailreich.
Wie in einem Theaterstück auf der Bühne, wo Personen abtreten, und wieder neue hinzukommen. Nur das Bühnenbild ändert sich kaum.
Allerdings fand ich das Ende abrupt. Ich wurde praktisch hinausgeworfen aus dem szenischen Erzählen, und erst mit Lotta erfahren wir was dann geschah. Vielleicht sollte es die Beharrlichkeit und Zähigkeit dieser Familie darstellen das ein Weiterleben möglich war.
Alles in allem gefiel mir diese Art von Erzählen gut. Es blieb kaum Zeit zum Nachdenken, und schon kam die nächste Figur. Aber ich war fasziniert, weil irgendwie wollte ich ja den Fortgang der Geschichte erfahren. Gut, das Handlungsfeld ist nicht modern, spielt auch nicht in der heutigen.
Ich denke nicht das es darum ging, sondern der Grundgedanke des Autors war die Geschichte des Tells anders zu schreiben. Und das wiederum ist ein moderner Ansatz- das finde ich ist ihm gelungen.
Einen Punkt weniger vergebe ich dafür dass das Ende so abrupt kam, ich wurde plötzlich aus der Szenerie herausgenommen.
Trotzdem bekommt Tell von mir die Leseempfehlung.

Bewertung vom 01.02.2022
Ende in Sicht
von Rönne, Ronja

Ende in Sicht


ausgezeichnet

Zwei depressive Frauen- Hella, 70, eine alternde Schlagersängerin die zum Sterben in die Schweiz fährt. Auf der Autobahn fällt plötzlich etwas auf die Motorhaube ihres Wagens. Julia 15, wollte sich von der Autobrücke in den Tod stürzen. Doch sie wird nur leicht verletzt und steigt zu Hella ins Auto
Was zunächst als Erzählung der einzelnen Figuren beginnt, verbindet sich zu einer schicksalhaften Reise, die für beide viele neue Erkenntnisse bringt. Am Anfang des Hörbuches spürte ich deutlich die Negativität der beiden. Wer nun denkt, das würde das ganze Hörbuch über so weitergehen, der sollte dran bleiben. Die Geschichte scheint vorsehbar, aber geschickt werden Wendungen eingebaut. Aber zum Ende wird nicht alles gut in der Erzählung.
Die Autorin Ronja Rönne liest das Hörbuch selber. In einem ruhigen Erzählfluss , wo sie den Altersunterschied mit den Beschreibungen von Julia und Hella deutlich macht. Sie passt ihre Stimme jeweils an, ohne dass der Hörer aus dem Geschehen herauskommt oder verwirrt.
Die Autorin benötigt nicht viele Mittel, um die Geschichte am Laufen zu halten. Ich war fasziniert von den zwei verschiedenen Leben, wie sie anfangs Abneigung empfanden und im Laufe der Reise sich immer mehr anfreunden. Ich hatte das Gefühl das Hella in Julia so eine Art Tochterersatz sah, und sie immer mehr mochte. Was ich auch sehr mochte war der schwarze Humor den die Autorin hineinbringt, ja die Geschichte ist nicht nur traurig, sondern hat auch was Humorvolles. Und im Laufe ihres gemeinsamen Leben merken die beiden das sie ein gemeinsames Problem haben.
Was mich im Hörbuch sehr tief berührt waren die Beschreibungen der Demenzstation, weil ich es selber erlebt habe.
Die Betonungen sind auf den Punkt, es bleibt stets ein Moment des Nachempfindens. Ronja von Rönne verwendet keine Musik oder Geräusche. Der Aufnahmeton ist genau richtig, weil der Grundgedanke des Sterbens wollen den Hintergrund bildet, mehr braucht es nicht.
Wer nun ein actionreiches Hörbuch erwartet, der wird enttäuscht sein. Ich würde es denjenigen empfehlen, die mit dem Thema Sterben umgehen können, und ein ruhiges Hörbuch mögen. Der Hörer sollte sich an einen Ort suchen, wo er nicht abgelenkt wird, um die Pointen mitzubekommen.
Von mir bekommt das Hörbuch die volle Empfehlung.