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Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1113 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2024
Bevor du gehst
Barns, Anne

Bevor du gehst


ausgezeichnet

Ein kurzes Gefühl von Glück

„Meine Mutter hat mich immer gut versorgt (oder dafür gesorgt, dass mich jemand anderes versorgt). Nahe gefühlt habe ich mich ihr nie.“ (S. 53)
Ihre Mutter Christine und Julia waren sich nie besonders nah, weil diese sich nicht gegen Julias despotischen Vater aufgelehnt hat. Seit seinem Tod vor einem Jahr hat sich das Verhältnis der beiden Frauen kaum geändert. Aber als der Anruft kommt, dass Christine mit Herzproblemen im Krankenhaus liegt, fährt Julia sofort zu ihr.
Weil die Ärzte nach Christines Medikamenten und ihrer Patientenverfügung fragen, durchsucht Julia deren Unterlagen und findet eine Mappe mit allen Gutscheinen, die sie ihr seit ihrer Kindheit geschenkt hat. Dabei fällt ihr auf, dass Christine vor allem die eingelöst hat, wo Julia etwas allein erledigen musste (Gartenarbeit etc.), aber kaum einen, der eine gemeinsame Interaktion erforderte. Sie stellt sich die Frage, ob ihre Mutter sie überhaupt liebt. „So viele verpasste Gelegenheiten, Erlebnisse oder Momente, die unsere Beziehung hätten stärken können.“ (S. 54)
Außerdem erfährt sie, dass es in Christines Vergangenheit ein Geheimnis gibt, von dem diese gerade erst erfahren hat – hat das ihre Mutter so aus dem Takt gebracht? Um das zu ergründen, fahren sie zusammen nach Amrum, denn Christine kann sich plötzlich an friesische Kinderlieder und Sagen erinnern.

„Bevor du gehst“ ist eine sehr berührende Mutter-Tochter-Geschichte über zwei Frauen, die sich erst im Erwachsenenalter annähern. Julia hat nie verstanden, dass ihre Mutter bei ihrem Vater geblieben ist, der geizig war und sie schlecht behandelt hat. Auch von ihr hat sie sich nie wirklich geliebt gefühlt, obwohl Christine ihr alles Wichtige beigebracht hat. Trotzdem ist das Gefühl des Nach-Hause-Kommens groß, als sie in die Stadt und das Haus ihrer Kindheit kommt.
Julia ist da viel rigoroser, hat sich früh vom Vater ihrer Tochter getrennt und überlegt gerade, ihren Mann zu verlassen, weil sie ihm seinen Seitensprung von vor einem Jahr nicht verzeihen kann. Zudem hat sie ein extrem herzliches Verhältnis zu ihrer Tochter, sie sind beste Freundinnen – so, wie sie es sich immer von ihrer Mutter gewünscht hat.
Erst durch das Einlösen der Gutscheine und vor allem die gemeinsame Reise nach Amrum versteht Julia sie besser. Christine macht ihr bewusst, dass nur das Hier und Jetzt zählt und man im Moment leben muss, denn sie hatte auch schöne Zeiten mit ihrem Mann, und dass schon Zufriedenheit ein kleines Glück bedeuten kann.

Ein sehr poetischer Roman voller großer und kleiner Geheimnisse.

Bewertung vom 03.06.2024
Die Malerin des Lichts / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.15
Gabriel, Agnès

Die Malerin des Lichts / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.15


sehr gut

Die erste Impressionistin

„Eine Frau ist nicht dazu geschaffen, Malerin zu sein. Es genügt, wenn sie einen Maler inspiriert.“ (S. 261) Diesen und ähnliche Sätze hat Berthe Morisot hörte ihr ganzes Leben, dabei war sie sehr erfolgreich und nahm für ihre Bilder mehr ein als Édouard Manet. Zudem war sie die erste und lange auch einzige Frau, die zu den Impressionisten gehörte.

Agnès Gabriel widmet sich dieser zu Unrecht vergessenen und zu ihrer Zeit oft kritisierten Frau, die von Selbstzweifeln geplagt war und trotzdem entschlossen, lieber auf die Liebe und eine eigene Familie zu verzichten, als auf das Malen. „Ab dem Tag ihrer Vermählung trägt die Frau ein eng geschnürte Korsett, das nicht aus Spitze und Fischbeins, sondern aus Zwängen und starren Regeln besteht.“ (S. 43)

Zusammen mit ihrer Schwester Edma bekam sie Mal- und Zeichenunterricht, beide feierten Erfolge und wurden im Pariser Salon ausgestellt. Doch nach Edmas Heirat erwartete ihr Mann, dass sie das Malen aufgab und sich ganz ihm und der Familie widmete. Das bestärkte Berthe in ihrer Überzeugung, dass sie nur als Unverheiratete frei für die Kunst sein würde. Bis sie Édouards Bruder Eugène trifft, der sich in sie verliebt und ihr verspricht, dass sie auch nach der Hochzeit noch malen und ausstellen dürfte …

Agnès Gabriel erzählt die Geschichte aus Berthes Sicht. Obwohl sie bereits eine anerkannte Künstlerin ist, sitzt sie Édouard Manet 6 Jahre lang Modell, darf sich nicht bewegen und am besten auch nicht denken. Dabei kann sie gerade dabei ihren Gedanken freien Lauf lassen: „… wie wäre es, wenn sie die Positionen tauschten? Manet auf dem Sessel und sie an der Staffelei. Er das Modell und sie die Malerin.“ (S. 29) Sechs Jahre lang hofft sie auf ein Wort der Anerkennung oder Kritik von ihm, doch er schweigt. Das einzige Mal, als sie ihn direkt um Rat bittet, übermalt er ihr Bild so lange, bis sie ihre Arbeit nicht wiedererkennt.

Aber es ist nicht nur Berthes Geschichte, sondern die ihrer ganzen Familie. Berthes Mutter hat immer bedauert, keine Pianistin geworden zu sein, aber die Ehe war wichtiger und richtiger. Weil ihr Mann nicht kunstinteressiert war und sie nicht ins Theater oder ähnliches ausführte, hielt sie einen üblichen wöchentlichen Salon ab oder besuchte andere, in den aufstrebende und berühmte Künstler gern gesehen waren und die Berthe dadurch z.T. schon seit ihrer Kindheit kannte.

Berthes Geschichte ist sehr interessant, da auch ich bisher nur in Nebensätzen von ihr gehört und gelesen habe. Man kann ihren Drang zu Malen und ihre innere Zerrissenheit, in die sie Eugènes Werben stürzt, sehr gut nachvollziehen. Allerdings erzählt die Autorin stellenweise zu viel vom Alltag der Familie oder irgendwelchen Nebenschauplätzen und dann plätschert die Handlung leider ohne größere Höhepunkte vor sich hin.

Bewertung vom 31.05.2024
Mord kennt kein Alter / Mysteriöse Todesfälle auf Schloss Bucheneck Bd.1
Fuchs, Marie-Christin

Mord kennt kein Alter / Mysteriöse Todesfälle auf Schloss Bucheneck Bd.1


sehr gut

Die tote Sängerin

„Was immer die Sängerin getötet hat – sie hat es mit hierher gebracht.“ (S. 157)
Als Lotte beim Morgenspaziergang nach einem Hauskonzert die Sängerin ermordet im Park von Schloss Bucheneck vorfindet, ahnt sie, dass es Probleme geben könnte. Der Abend ist in einem Eklat geendet, weil die Sängerin ein umstrittenes Lied vorgetragen hat. Außerdem zieren die Leiche merkwürdig Bissspuren – Gerüchte über einen mörderischen Wassermann werden laut. Zum Glück ist die ermittelnde Kriminalhauptkommissarin gründlich und lässt sich auch von ihrem Stellvertreter nichts einreden. Aber weil einige Indizien auf Lottes dementen Mann Hannes hinweisen, bleibt dieser nichts anderes übrig, als selber nach dem Täter zu forschen, um Hannes zu entlasten.

„Wir sind alle nicht ganz das, als das wir erscheinen.“ (S. 158) Schloss Bucheneck ist ein Alterswohnsitz, den sich nur wirklich gut Betuchte leisten können. Von den 9 Wohnungen sind darum auch nur 5 belegt und die Bewohner miteinander befreundet. Und lange nicht so harmlos, wie man im ersten Moment denkt. Lotte und Hannes haben eine Supermarktkette aus dem Boden gestampft und mit großem Gewinn verkauft. Man merkt Lotte an, dass sie mit spitzen Bleistift rechnen und Leute sehr gut einschätzen kann, aber es gibt auch dunkle Schatten auf ihrem Leben. Ihre Freundin Ute kennen Lotte und Hannes schon Jahrzehnte. Sie hat im „Finanzsektor“ gearbeitet – was genau, weiß außer Lotte keiner, und das ist auch gut so. Den Professor haben Lotte und Hannes auf ihrer Weltreise kennengelernt. Nicht zum innersten Kreis gehören der ehemalige Schauspieler Chris Christiansen und sein deutlich jüngere Frau Sanne.
Damit es den Bewohner an nicht mangelt, stehen ihnen rund um die Uhr ein cholerischer Sternekoch, eine Bedienung, die viel zu schlau für ihren Job ist, und Jaro, der polnische Hausmeister, zur Verfügung. Auch sie haben alle ein Geheimnis.

Die Ermittlungen gestalten sich sowohl für die Senioren als auch die Polizei nicht leicht. Schloss Bucheneck und seine Betreiberin, die Freifrau von Sonnenborn, sind bei den Einheimischen nicht besonders beliebt. Wollten sie ihr evtl. durch den Mord an der Sängerin schaden? Oder hatte jemand eine alte Rechnung mit der Künstlerin offen?! Ging es um Eifersucht oder hat sie Hannes erschreckt und er sie wirklich im Affekt getötet? Vermutungen gibt es viele, aber keine schlüssigen Beweise.
Als dann auch noch mitten in der Nacht in Lottes Wohnung eingebrochen wird, wird es richtig gefährlich …

„Mord kennt kein Alter“ ist ein unterhaltsamer Cosy-Krimi von Marie-Christin Fuchs, der vor allem durch seine skurrilen Protagonisten und eine berührende Liebesgeschichte punktet. Man schließt die Senioren sofort ins Herz und versteht schnell, warum sich alle um Hannes sorgen und Lotte nicht nur bei den Ermittlungen, sondern auch im Alltag mit ihm unterstützen. Die beiden verbindet eine ganz besondere Liebesgeschichte und auch, wenn sich Hannes sonst nicht mehr an viel erinnert, Lotte und ihr gemeinsames Leben hat er (noch) nicht vergessen.
Für mich hätte die Handlung allerdings noch etwas gestraffter und die Auflösung besser nachvollziehbar sein können, da sie mir ein bisschen zu plötzlich kam.

Bewertung vom 29.05.2024
Das Licht in den Birken
Fölck, Romy

Das Licht in den Birken


sehr gut

Gemeinsam statt einsam

„Jeder einzelne von ihnen ging gerade durch eine schwere Zeit, brauchte etwas Halt, den ihm die Familie nicht geben konnte.“ (S. 128)
Thea hat 25 Jahre in Portugal gelebt, die letzten 5 als wandernde Ziegenhirtin. Es war ein schönes, freies Leben, geprägt durch harte Arbeit. Jetzt mit 50 kehrt sie zurück nach Deutschland, auf einen kleinen Lebenshof in der Lüneburger Heide, am Rand der Stadt, aus der sie damals geflohen ist.

„Ein kräftiger Mann, der immer etwas krumm lief und sich hier eine kleine Arche Noah geschaffen hatte, als müsse er sich vor der Welt da draußen beschützen.“ (S. 52) Benno ist ein Eigenbrötler und lebt seit vielen Jahren allein auf dem Hof am Moor, doch seit Corona kommen nicht mehr genügend Spenden rein, um die Unkosten zu decken. Darum hat er in ein Nebengebäude zwei Wohnungen eingebaut, Thea ist die erste Mieterin. Die beiden sind sich nicht unsympathisch, aber es prallen Welten aufeinander. Thea ist laut, offen und fröhlich, geht auf Menschen zu und hat als Haustier zwei Ziegen dabei, die sie mit der Flasche aufgezogen hat und die Bennos Kräuterbeete plündern. Der hatte gehofft, so wenig wie möglich mit seinen Mietern zu tun zu haben. Dann findet er auch noch die verletzte Juli im Wald, die zu Fuß nach Amsterdam wollte und jetzt erstmal nicht mehr weiterkommt.

Alle drei haben Probleme, vor denen sie mehr oder weniger davonlaufen. Bennos Hof steht kurz vor der Zwangsversteigerung, Thea muss sich ihrer Vergangenheit und Zukunft stellen und Juli fühlt sich seit dem Tod ihres Großvaters wurzellos. Und sie haben noch etwas gemeinsam: Sie sind sehr naturverbunden und auf der Suche nach ihrer persönlichen Freiheit, ihrer Art zu leben. Auf Bennos Selbstversorgerhof könnten ihre Träume Wirklichkeit werden, wenn sie ihn irgendwie retten können.

Romy Fölck schreibt sehr intensiv und detailreich. Mir gefällt, wie die Liebe der Protagonisten zur Natur, ihre Beobachtungen, Eindrücke und Stimmungen beschrieben werden. Man sieht die Moorlandschaft förmlich vor sich, den Sonnenaufgang, den Benno jeden Morgen beobachtet. Sein leicht verlotterter Hof bildet den Mittelpunkt der Handlung, auf ihm werden Probleme gewälzt, Lösungen gesucht und Geheimnisse gelüftet. Innerhalb kürzester Zeit wachsen die Bewohner zusammen.
Es ist eine leise, bewegende Geschichte, die mir gut gefallen hat – nur das Ende war mir etwas zu schnell zu happy.

Bewertung vom 27.05.2024
Der Glashund
Conrad, Iris

Der Glashund


gut

Die Flitzer

„Das Einzige, was zählt, ist das Retten von Menschenleben, oder nicht?“ (S. 301)
Berlin 1936: Um zu beweisen, dass sich Juden und Arier nicht unterscheiden, bringt Henriette ihren Mitschüler Rolf (einen überzeugten Nationalsozialisten) dazu, sich in sie zu verlieben und lässt ihn dann abblitzen. Außerdem hat sie etwas entdeckt, was ihm gefährlich werden kann. Er fühlt sich gedemütigt und verraten und sinnt auf Rache. Als er 1942 im Referat IV B 4 arbeitet, Endlösung der Judenfrage, bemüht er sich, sie schnellstmöglich loszuwerden, aber jemand hält seine Hand schützend über sie. Dann kann er ihren Namen endlich auf eine Transportliste setzen, doch sie taucht sie im letzten Moment unter. Eine gefährliche Jagd beginnt.

Iris Conrad erzählt in ihrem Roman „Der Glashund“ am Beispiel der Kunststudentin Henriette und ihres Kommilitonen Benjamin, wie das Untertauchen jüdischer Menschen während des Naziregimes funktionierte, wer den „Flitzern“ oder „U-Booten“, wie sie sich selber nannten, wie half. Dazu setzt sie viele kleine Szenen und Helfer aneinander, die z.T. auf wahren Begebenheiten beruhen, allerdings wirken sie im Gesamtbild zu konstruiert, es werden zu viele Zufälle bemüht, damit am Ende alles aufgeht – hier wäre weniger mehr gewesen.
Zudem tauchen Henriette und Benjamin erst nach über einem Drittel des Buches unter und dann werden ausgerechnet die wirklich spannenden Jahre 1944 und 1945 mit wenigen Seiten abgehandelt. Auch die extrem wichtige Aufgabe, die Henriette übernimmt, wird nur kurz erwähnt, aber nicht näher beschrieben, obwohl gerade das interessant gewesen wäre.
Und trotz der vielen untergebrachten Informationen schafft es die Autorin nicht, Gefühle und Spannung zu erzeugen, man fiebert nicht mit, der Schreibstil ist zu zäh.

Bewertung vom 25.05.2024
Tod auf der Elbe
Goldammer, Frank

Tod auf der Elbe


ausgezeichnet

Ein hochexplosiver Fall

Gustav Johann Heller, Kriminalrat der Dresdner Staatspolizei, reitet morgens an der Elbe aus und regt sich über einen vorbeifahrenden Elbdampfer aus, als kurze Zeit später ein lauter Knall ertönt – der Kessel des Schiffs scheint explodiert zu sein. Ihm und den anderen Herbeigelaufenen bietet sich ein schreckliches Bild. In der starken Strömung treiben Tote und Ertrinkende. Unser Einsatz seine Lebens kann Gustav einen schwerverletzten Matrosen retten.
Da Gustav irritiert ist, denn „Kessel explodieren nicht einfach so.“ (S. 25), besichtigt er zusammen mit seinem Assistenten am nächsten Tag das Wrack. Der Maschineningenieur des Schiffs sagt ihnen, dass alle Ventile versagt und die Druckanzeigen nicht funktioniert haben, was unwahrscheinlich ist, er aber keine Hinweise auf Sabotage finden kann. Auf der Suche nach den Überlebenden und Augenzeugen stellt Gustav fest, dass die nach und nach verschwinden bzw. tot aufgefunden werden. Gegen den Willen seiner Vorgesetzen und ohne Befugnisse ermittelt er auf eigene Faust.

„Tod auf der Elbe“ ist der Auftakt einer neuen Krimi-Reihe von Bestseller-Autor Frank Goldammer und dreht sich um den Großvater von Kommissar Max Heller, der schon einen Gastauftritt in „In Zeiten des Verbrechens“ hatte. Gustav kommt einem erbitterten Kampf um die Schifffahrtskonzession des Königs auf die Spur. Aber würde einer der Konkurrenten auch dafür töten?

Gustav hat im Deutsch-Französischen Krieg als Rittmeister gedient, ist Kriminalrat und bewirtschaftet einen großen Hof in Oberpoyritz, auf dem er Pferde für das Militär und die Armee züchtet. Er ist unangepasst und lässt sich von anderen nichts sagen oder verbieten, davon können sowohl seine Vorgesetzten als auch Untergebenen ein Lied singen. Im Laufe der Ermittlungen macht er sich einige einflussreiche Feinde, aber er lässt sich nicht bremsen, wenn er sich erstmal festgebissen hat: „Ich tue nur, was sonst keiner tut. Ich gehe auch gegen jene vor, die sich sonst mit Geld und Stand aus allem frei kaufen können.“ (S. 179)
Zudem wird er sich ihrer beschränkten Mittel bewusst: Er bräuchte Spezialisten (Chemiker, Mediziner, Physiker, Fotografen), die nur für die Polizei arbeiten, und Befugnisse, sämtliche staatliche Unterlagen einsehen zu dürfen. Damit ist er seiner Zeit voraus, auch wenn er sich mit der Schnelligkeit der Dampfschiffe noch nicht anfreunden kann. Zum Glück hat er gute Verbindungen und kennt Spezialisten, die ihn bei seine Nachforschungen unterstützen. Außerdem scheut er sich nicht, beim König vorstellig zu werden, als sein Hof überfallen und seine Familie bedroht wird.

Frank Goldammer kann auch mit seiner neuen Reihe überzeugen. Er erzählt sehr tempo- und wendungsreich, und hält die Spannung bis zum Schluss. Denn Gustav hat zwar viele Indizien, aber keine Beweise, um den Täter zu überführen. Zudem gerät er in Verdacht, ein Sozialdemokrat zu sein, was ihn alle Ämter, Aufträge und Privilegien kosten könnte. Ich mag diesen kantigen Ermittler, der trotz aller Härte und Verbissenheit ein Herz für Schwächere hat.

5 Sterne und meine Leseempfehlung.

Bewertung vom 20.05.2024
Die Bucht der Träume
Sonnberg, Elena

Die Bucht der Träume


ausgezeichnet

Auf die, die gewartet haben

„Es ist doch erstaunlich, wie lebendig manche Erinnerungen, die man jahrelang verdrängt hat, mit einem Mal wieder zurückkehren können. In Farbe, mit Gerüchen und Gefühlen im Gepäck.“ (S. 67) Vor 20 Jahren war Sara zum letzten Mal mit ihren Eltern im Sommerurlaub am Gardasee. Jetzt ist sie 39 und überrascht, als ihr ein Anwalt mitteilt, dass ihr Vater gestorben ist und ihr sein Haus dort vererbt hat, denn sie hatten seit 5 Jahren keinen Kontakt mehr. Also fährt sie für eine Woche mit ihrer 14-jähringen Tochter Mimi hin, um es schnellstmöglich zu verkaufen. Doch der Makler, den ihre Assistentin engagiert hat, ist ausgerechnet ihre Jugendliebe Matteo. Saras Erinnerungen und Gefühle, die sie so lange erfolgreich verdrängt hat, sind mit einem Schlag zurück.

Sara ist eine echte Powerfrau mit eigener Firma, die ihre Arbeit normalerweise auch in der Urlaub mitnimmt, wie ihre Tochter ihr immer vorwirft. Doch am Gardasee hat zum ersten Mal wirklich frei, und selbst wenn sie wöllte, gäbe es im Haus und der unmittelbaren Umgebung kein Netz, nur ein Festnetztelefon. Zu Beginn stresst das Mimi, kann sie doch gar nicht vor ihren Freundinnen angeben, doch dann lernt sie Lorenzo kennen und ist zum ersten Mal verliebt.

„In so vielen Leben hat er eine Lücke hinterlassen, nur nicht in meinem – und das tut weh.“ (S. 204) Früher hat Sara das Faible ihres Vaters fürs Fotografieren geteilt, seitdem aber keine Kamera mehr angefasst. In seinem Haus sind die Wände voller Bilder, auf denen er gelöster und glücklicher aussieht, als sie ihn je erlebt hat. Sie zeigen ihn inmitten seiner Freunde, die sie zum Teil noch von früher kennt und jetzt wiedertrifft oder kennenlernt. Mit jedem von ihnen taucht sie mehr in das Leben ihres Vaters ein und kommt seinem lang gehüteten Geheimnis auf die Spur, das mir fast das Herz gebrochen hat.

„Mein Vater muss erst sterben, mir ein Haus vererben und Mimi muss einen Rollerunfall bauen, damit ich erahnen kann, wie sich eine Zukunft mir dir angefühlt hätte.“ (S. 332) Und dann ist da ja noch Matteo, mit dem Sara früher so viel verbunden hat, die vielen Sommer, in denen sie sich ver- und geliebt haben. Eigentlich hatten sie vor, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen, doch dann ist alles anders gekommen. Jetzt fragt sich Sara nicht nur einmal, wie ihr Leben wohl mit ihm verlaufen wäre. Zumal auch der Hausverkauf trotz mehrerer Interessenten keine großen Fortschritte macht, weil sie dafür 2 Mio. € will – als Schmerzensgeld, weil ihr Vater die Familie verlassen hatte, oder weil sie tief in sich drin weiß, dass sie diesen Preis nicht erzielen wird und es dann behalten kann?!

Wenn Ihr diesen Sommer nur ein Buch lesen wollt, dann unbedingt „Die Bucht der Träume“, das Adriana Popescu unter dem Pseudonym Elena Sonnberg geschrieben hat. Sie weckt darin sie Sehnsucht nach Sommer, Sonne und Italien und verbindet sie grandios mit einer Familien- und mehreren sehr berührenden Liebesgeschichten. Ein Roman zum Wegträumen, der seine Leser auf eine emotionale (Zeit-)reise mitnimmt. Ein absolutes Lesehighlight.

Bewertung vom 19.05.2024
Bertha Benz und die Straße der Träume
Schwarz, Alexander

Bertha Benz und die Straße der Träume


sehr gut

Leider wieder ein Mädchen

… schreibt Berthas Mutter bei deren Geburt in die Familienbibel. Ihre Eltern hatten nach 2 Mädchen endlich auf einen Sohn gehofft, einen Stammhalter, der später die Zimmerei seines Vaters übernehmen könnte. Dabei ist auch Bertha handwerklich begabt, aber das schickte sich für Mädchen damals nicht. Sie musste stattdessen wie ihre Schwestern lernen, einen Haushalt zu führen.
Mit 20 lernt sie ihren späteren Mann Carl Benz kennen. Für beide ist es die große Liebe, doch die Hochzeit verzögert sich immer wieder. Carl verdient nicht genug, da er alles seiner Vision vom selbstfahrenden Wagen mit Motor unterordnet, an dem er jahrelang tüftelt.

„Ich glaube, wir haben als Frauen durchaus die Möglichkeit, Dinge zu verändern, auch in einer Ehe. Es muss ja nicht immer alles schwarz-weiß daherkommen. Wir Frauen haben durchaus Mittel, uns zu wehren, auch als Ehefrauen, jedenfalls hoffe ich das.“ (S. 56) Letztendlich überredet Bertha ihre Eltern, ihr einen Teil ihrer Mitgift vorab auszuzahlen, damit Carl eine eigene Firma gründen und genug für eine Familie verdienen kann. Und wie schon zu Beginn der Ehe, wird sie ihr Leben lang ein Auge auf seine Geschäfte haben und sich einmischen, wenn etwas schiefzulaufen oder nicht vorwärtszugehen droht. Das gipfelt in ihrer berühmten ersten (heimlichen) Überlandfahrt mit seinem Patent-Motorwagen Nr. 3 mit ihren halbwüchsigen Söhnen ...

Alexander Schwarz zeigt in „Bertha Benz und die Straße der Träume“ eine Frau, die ihrer Zeit voraus war. Von klein auf interessiert sie sich für alles Technische und lernt von ihrem Vater die Holzbearbeitung, außerdem kann sie durch ihre „Ausbildung“ zur Hausfrau mit Geld umgehen und Bücher führen. Und sie hält mit ihrer Meinung, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sein sollten, nicht hinterm Berg: „Bin ich etwa weniger wert, weil ich ein Mädchen und kein Junge geworden bin?“ (S. 10)
Carl ist mit seinen Erfindungen nie zufrieden. Mehr als einmal muss Bertha ein Machtwort sprechen, wenn sie wiedermal pleite sind oder er sich in ein Idee verrennt. Aber sie ist von seinem Motorwagen überzeugt und zwingt ihn letztendlich mit ihrer Alleinfahrt, diesen endlich der Öffentlichkeit vorzustellen.

Bertha hat mir imponiert, ich hätte es wahrscheinlich nicht mit Carl ausgehalten und sicher nicht jahrelang auf die Hochzeit gewartet, für die sie sogar ihren gehobenen Lebensstandard aufgegeben hat. Und ich habe sie dafür bewundert, wie sie sich in dieser Männerwelt durchgesetzt und einfach gemacht hat, was sie für richtig hielt, ohne sich darum zu scheren, was andere davon halten.

An manchen Stellen schreibt mir Alexander Schwarz zwar etwas zu ausführlich, zeichnet damit aber ein umfassendes Bild der Zeit und beteiligten Personen.

Bewertung vom 18.05.2024
Komm schon, Baby!
Berg, Ellen

Komm schon, Baby!


ausgezeichnet

Babyalarm

„Der Richtige war nie dabei. Aber immerhin habe ich jetzt einen Falschen.“ (S. 79) Juli geht in ihrem Beruf als Hebamme auf, eine eigene Familie hat sich nie ergeben. Als ihr im Kreissaal plötzlich schlecht wird, muss sie sich der Realität stellen – sie ist schwanger, von einem One-Night-Stand nach einem Rockkonzert. Leider hatte sie sich am nächsten Morgen verschämt aus dessen Wohnung geschlichen, ohne sich zu merken, wo diese lag oder wenigstens Nummern auszutauschen. Der Schock ist groß, als sie ihn in Matteo wiedererkennt, dem Partner ihrer neuesten Kundin Emily …

„Komm schon, Baby!“ von Ellen Berg und hat mich wieder bestens unterhalten. Ich liebe ihre Charaktere, die immer ein kleines bisschen drüber sind und von einem Schlamassel ins nächste stolpern.
Als hätte Juli nicht schon genug Probleme, will Emily ihre neue beste Freundin sein und besteht auf Pärchenabende, zu denen Juli ihren besten Freund mitnimmt, der den Kindsvater mimt. Außerdem taucht plötzlich ihre überkandidelte Mutter auf, die sich seit Jahren in verschiedenen Yoga-Retreats selbstfindet und auch davor kaum für Juli da war. Und dann ist da ja noch Matteo, den Juli extrem heiß findet und der von Emily immer wieder mit eigentlich überflüssigen Aufträgen zu ihr geschickt wird. Was ist da nur los?
Zum Glück stehen Juli Oma Hilde und deren kalauernde Dauerfreund Walter tatkräftig zur Seite und decken Emilys dunkles Geheimnis auf.

Spannend, lustig, überraschend und genau das richtige Quäntchen drüber – Ellen Berg ist für mich ein Garant für beste Unterhaltung.

Bewertung vom 16.05.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


gut

Das einsamste Kind der Welt

Lisa ist fast 9 und unglücklich. Sie mag ihren Namen nicht, aber Computer, das Internet und Außerirdische. Auf ihrem Schulweg muss sie jeden Tag an einem Spielplatz vorbei, wo sie von älteren Jungs terrorisiert wird. Und in der Schule mögen sie weder die anderen Kind, noch die Lehrer.
Zu Hause läuft es auch nicht besser. Seit ihre Eltern arbeitslos sind, hocken sie den ganzen Tag trinkend auf der Couch und Lisa muss für Nachschub sorgen. Eines Abends beobachtet sie auf ihrem PC, dass gleich ein Raumschiff im Wald landen wird. Also geht sie hin und lernt Walter kennen, den die anderen Außerirdischen bei ihrem überstürzten Abflug vergessen haben, und der ihr von einer fast utopischen Welt erzählt, in der alle glücklich und zufrieden sind. Er zeigt ihr, wie sie sich verhalten und was sie sagen soll, damit sie endlich von anderen akzeptiert und nicht mehr gehänselt wird.

Ich habe das Buch als Überraschung vom Verlag bekommen und selber keine Kinder im passenden Alter, aber Nichten und Neffen. Die Altersempfehlung für diesen Comic-Roman von Sibylle Berg und Julius Thessing ist ab 10 Jahre, aber das finde ich zu alt. Meine Nichte ist 11 und ich fürchte, dass die Zeichnungen sie nicht erreichen würden, sie sind zu kindlich. Auch die dargestellten Probleme und deren Lösungen – Rüpel anschnauzen und in der Schule mitarbeite, aber nicht besser als die Lehrer sein – passen m.E. in dem Alter nicht mehr. Zudem stört mich, dass Walter quasi wie ein Heinzelmännchen über Nacht Probleme löst, Lisa also nicht wirklich in diesen Vorgang eingebunden ist. Zudem wird suggeriert, dass sie mit 8 den Alkohol für ihre Eltern kauft – das finde ich unrealistisch.

Mein Fazit: Für Kinder ab 10 nicht besonders geeignet, schon eher für Kinder in Lisas Alter – also ab 8.