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haberlei
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Wien
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Begeisterte Leserin von Krimis, Thrillern, Humorvollem, historischen (Frauen-)Romanen, Biografien

Bewertungen

Insgesamt 263 Bewertungen
Bewertung vom 15.08.2024
Salute - Der letzte Espresso
Kalpenstein, Friedrich

Salute - Der letzte Espresso


ausgezeichnet

Einmal Polizist, immer Polizist

„Salute – Der letzte Espresso“ von Friedrich Kalpenstein ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autors, ein spannender, auch humorvoller Cosy-Regionalkrimi mit Gardasee-Flair.

Worum geht es?
Der ehemalige Münchner Hauptkommissar Paul Zeitler führt in Bardolino ein Café. Als in seinem Lokal ein Mann ermordet wird, bewahrheitet sich der Spruch „einmal Polizist, immer Polizist“. Er ermittelt auf eigene Faust.

Das vorwiegend in Rot gehaltene Cover sticht ins Auge, die skizzierten Zeichnungen assoziieren Lokalkolorit, passen zum Titel. Das Buch erschien 2024. Die Handlung spielt in der nicht näher bezeichneten Gegenwart. Die Kapitel sind angenehm kurz, ohne Orts- und Zeitangaben, aber mit originellen, auf die zu erwartenden Ereignisse hinweisenden Überschriften. Der Schreibstil ist flüssig, humorvoll durch schlagfertige witzige Dialoge, auch Wortspiele. Durch die stetigen Szenen- und Perspektivenwechsel gestaltet sich der Handlungsablauf abwechslungsreich, gibt der Leserschaft Einblick sowohl in Zeitlers als auch Lanzas Aktivitäten. Das Lokalkolorit ist so wunderbar eingewoben, das Stimmungsbild, das touristische Treiben, die kulinarischen Genüsse, dass man regelrecht von Sehnsucht nach Italien erfasst wird. Insbesondere die Beschreibungen der italienischen Süßwaren empfand ich fast als Tortur. Da rinnt einem richtig das Wasser im Mund zusammen.

Obwohl von Anfang an auch die Polizei in Person des Commissario Lanza samt Team ermittelt, steht Paul Zeitler und dessen Beobachtungen und Recherchen im Mittelpunkt. Die polizeilichen Erkenntnisse bleiben eher verborgen. Zwar steigt bald eine Ahnung auf, welchen Machenschaften der getötete Journalist auf der Spur gewesen sein könnte, doch wer der Drahtzieher bzw. der Mörder sein könnte, klärt sich erst nach einem actionreichen Finale – und es klärt sich unerwartet.

Bevölkert ist der Krimi primär von sympathischen Menschen. Insbesondere Paul Zeitler strahlt in seiner liebenswürdigen, zuvorkommenden Art Lebensfreude und positive Lebenseinstellung aus. Man spürt seine Begeisterung für sein Lokal, wie gerne er den Menschen mit seinen Köstlichkeiten den Tag versüßt. Pauls Vergangenheit als Hauptkommissar liegt noch etwas im Dunkeln, vorerst gab es nur Andeutungen. Dass er nach wie vor im Herzen Polizist geblieben ist und nicht alles verlernt hat, zeigt sich sowohl beim Nachforschen als auch bei körperlichen Einsätzen.
Dass alle Italiener, mit denen Paul im Alltag und im Zuge seiner Ermittlungen ausgiebige Gespräche führt, exzellentes und einwandfreies Deutsch sprechen, hat mich etwas irritiert, das kam mir nicht wirklich realistisch vor. Ich denke, Paul sollte sein Italienisch perfektionieren, weil er im Zuge weiterer Ermittlungen sicher auf Italiener treffen wird, die nicht oder kaum Deutsch können.
Was Frauen anbelangt, so ist Paul kein Draufgänger, er ist ein Gentleman, hat Charme, ist eher zurückhaltend, aber ihnen sehr wohl zugeneigt. Ich denke, was die Damenwelt anbelangt, wird sich noch einiges tun. Sowohl Lisa, die Boutiquebesitzerin, als auch Antonia, die Journalistin, scheinen ein Auge auf ihn geworfen zu haben. Und ob mit seiner Ex-Frau Kerstin nicht doch ein Neubeginn möglich wäre, frage ich mich auch.
Kommissar Lanza gefällt mir ebenfalls, vor allem seine letztlich pragmatische Lösung des Falles. Noch ist er sehr verschlossen und distanziert, doch es scheint, als könnten er und Paul Freunde werden.

Ich habe „Salute – Der letzte Espresso“ sehr genossen. Generell das Gardasee-Urlaubsfeeling, speziell das Wohlfühl-Ambiente in Zeitlers Café. Dazu war der Fall interessant und spannend, die Charaktere liebenswürdig. Dem Autor gelang es wieder einmal, pures Lesevergnügen zu bereiten. Sowohl mit den neu kreierten Figuren, als auch mit dem Umfeld, in dem sie agieren. Ich freue mich schon jetzt auf die Fortsetzung! Eine unbedingte Leseempfehlung für diese erfrischende Urlaubslektüre.

Bewertung vom 10.08.2024
Die Stille der Flut
Johannsen, Anna;Bergsma, Elke

Die Stille der Flut


sehr gut

Gefährliche erste Liebe

„Die Stille der Flut“ von Anna Johannsen und Elke Bergsma ist der Auftakt für die Reihe mit den Kommissarinnen Lina Lübbers und Kea Siefken.

Worum geht es?
Hauptkommissarin Lina Lübbers wird von Osnabrück in die Polizeiinspektion in Aurich entsandt, um Undercover einen Maulwurf auszukundschaften. Sie wird von den dortigen Kolleg*innen eher zurückhaltend empfangen. Vor allem die Leiterin Kea Siefken sieht sie als Rivalin. Doch Animositäten müssen zurückgehalten werden, denn kaum ist Lina eingetroffen, gilt es, einen Mordfall aufzuklären.

Das moderne, stilistische Cover fällt trotz seiner Einfachheit auf. Das Buch erschien 2024. Es gliedert sich in kurze Kapitel, wobei die Geschehnisse abwechselnd aus der Sicht der beiden Kommissarinnen dargestellt werden. Der Schreibstil ist flüssig, gut beschreibend. Die Handlung spielt in der Gegenwart in Ostfriesland, wobei das Lokalkolorit nur am Rand gestreift wird.

Als Leser befindet man sich von Beginn an mitten in den Ermittlungen. Bedingt durch die anfangs kargen Spuren entwickelt sich die Handlung nur langsam. Es ist ein eher ruhiger Krimi mit wenigen besonderen Spannungsmomenten. Abgesehen den Recherchen zum Mordfall hat Lina ihre Kolleg*innen auch im Sinne ihres Undercover-Auftrags im Fokus. Lina verfügt sowohl über dienstliche wie auch private Hintergrundinformationen und bald ist man mit dem Kreis der handelnden Personen vertraut. Je tiefer das Team in das Umfeld der ermordeten Schülerin eintaucht, desto mehr Verdächtige kristallisieren sich heraus, Motiv und Tathergang klärt sich letztlich schlüssig. Wer der Maulwurf im Team ist, bleibt am Ende des Buches noch offen, womit klar ist, dass Lina den Auftrag frühestens im Folgeband erledigen können wird.

Dadurch, dass Lina und Kea jeweils in Ich-Form erzählen, ist man nicht nur stets am neuesten Stand der Ermittlungen, sondern erfährt auch viel über den Charakter der beiden Frauen, über Privates, ihre Gedanken und Gefühle. Sie sind beide tüchtige Frauen mit langjähriger Berufserfahrung, sie sind sich charakterlich recht ähnlich, vor allem beruflich gesehen, was ihren Einsatz und Karrierebestreben anbelangt. Privat unterscheiden sich die Verhältnisse etwas. Kea ist geschieden, hat zwei Kinder, Lina ist seit kurzem wieder Single. Nach anfänglicher Distanziertheit entwickelt sich gegenseitige Akzeptanz und Respekt in einer Form, dass anzunehmen ist, dass die beiden im Laufe weiterer Bände nicht nur ein tolles Team bilden werden, sondern zu Freundinnen werden könnten. Die weitere Entwicklung ihrer Beziehung zu verfolgen, ist neben Interesse an weiteren Kriminalfällen ein zusätzlicher Grund, mich auf weitere Bände zu freuen.

„Die Stille der Flut“ ist ein gelungener Auftakt, bietet sympathische Protagonisten, war mir aber noch etwas zu wenig actionreich, hätte noch etwas spannender sein können.

Bewertung vom 09.08.2024
Alte Eltern
Kitz, Volker

Alte Eltern


ausgezeichnet

Leben mit Demenz

„Alte Eltern“ von Volker Kitz trägt auch noch einen Untertitel, der den Inhalt des Romans kurz und prägnant zusammenfasst: „Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt“.

Worum geht es?
Der Autor beschreibt die letzten gemeinsamen Jahre mit seinem Vater und dessen fortschreitende Demenz; wie die Diagnose nicht nur das Leben des Vaters, sondern auch sein eigenes verändert hat.

Das Cover ist eher schlicht gehalten, springt aber dennoch ins Auge. Zudem hat mich der Titel neugierig gemacht. Das Buch erschien 2024. Es gliedert sich in 11 übertitelte Kapitel. Der Schreibstil ist flüssig, einerseits klar und verständlich, was wissenschaftliche Informationen anbelangt, und andererseits empathisch, sodass man die persönlichen Gefühle und Gedanken des Autors gut nachempfinden kann. Die Handlung umfasst nicht nur jene Jahre, als die Diagnose feststand und verfolgt nicht nur das stete Fortschreiten der Krankheit, sondern gibt im Zuge der gemeinsamen Aufarbeitung von Erinnerungen generell Einblick in das Leben des Vaters, der Familie an sich, und offenbart seine wesentlichsten Charakterzüge.

Volker Kitz und sein Vater konnten die letzten Jahre besonders intensiv miteinander verbringen. Sicher - eine privilegierte Situation, sowohl von finanzieller Seite aus, als auch von den privaten und beruflichen Gegebenheiten des Sohnes her gesehen. Schon aus dieser Warte betrachtet, kann man das Buch nicht als generellen Ratgeber sehen, denn die wenigsten Menschen können sich neben Beruf und eigener Familie derart intensiv um ihre alten Eltern kümmern. In meinen Augen ist das Buch primär eine Biographie, untermauert mit sachlichen Informationen, bzw. vielleicht konnte der Autor durch das Schreiben das Erlebte auch selber besser aufarbeiten. Für all jene, die sich noch eingehender mit der Thematik befassen möchten, mit wissenschaftlichen Fakten und Theorien, gibt es am Ende des Buches eine umfangreiche Liste entsprechender Literatur.

Wie auch immer, mich hat die Geschichte sehr berührt. Diese innige Beziehung zwischen Vater und Sohn. Die Intensität, mit der sich der Sohn bemühte, die Welt des Demenzkranken zu verstehen, sich hineinzuversetzen, sich auf ihn einzustellen, ihm noch beglückende Momente zu bieten. Dass Volker Kitz die Geschichte seines Vaters erzählt, ist auch insofern bedeutsam, weil es wichtig ist, sich nicht für demenzkranke Verwandte zu schämen, sie nicht zu verstecken, sondern offen mit den Problemen umzugehen. Nur so kann Verständnis im Umfeld geweckt werden. Auch Aufmerksamkeit auf frühe Anzeichen der Krankheit. Denn es kann jedem passieren …

Automatisch gleiten während des Lesens die Gedanken auch zur eigenen familiären Situation ab. So erinnerte ich mich an die letzten Jahre mit meiner Mutter, die auch sukzessive in eine Welt des Vergessens versank, wenn auch in eine etwas andere als der Vater von Volker Kitz. Ihrem Gedächtnis entglitt auch das längst Vergangene, ich konnte keine Erinnerungen in ihr wecken, mit ihr auch nichts unternehmen, weil sie nicht mehr körperlich so mobil war wie Volkers Vater; sie saß im Rollstuhl und fühlte sich außerhalb ihres Zimmers im Pflegeheim nicht mehr wohl.

Selbst schon über 70 und kinderlos, machte ich mir auch vor dieser Lektüre bereits Gedanken über die Zukunft, falls es nicht mehr möglich sein sollte, alleine zu leben, pflegebedürftig zu werden. Auch dieses Buch bietet keine Lösungen, zu individuell ist die Situation für den Einzelnen. Nichtsdestotrotz empfehle ich das Buch wärmstens. Es regt insbesondere zum Nachdenken an, sich nicht einfach auf die Kinder zu verlassen, manches zu planen, wie z.B. eine Patientenverfügung zu verfassen, dazu, sich rechtzeitig um Kontakte zu bemühen, sich zu vernetzen, Menschen zu finden – es muss durchaus nicht Familie sein -, die sich einst einmal um einen kümmern, sich verantwortlich fühlen.

5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.08.2024
Die Sphinx von Marrakesch
Mona Frick

Die Sphinx von Marrakesch


ausgezeichnet

Schäfer, Erna und die geraubte Sphinx

„Die Sphinx von Marrakesch“ von Mona Frick ist der vierte Band der Kurzkrimi-Reihe rund um Oberkommissar Schäfer.

Worum geht es?
Oberkommissar Schäfer wird dienstlich nach Marokko beordert, um einen jungen Marokkaner, der in Deutschland die Polizeiakademie besucht hatte, bei der Leitung eines Kommissariats zu unterstützen. Gleichzeitig reist Erna Bromstetter mit Freundinnen nach Marokko, wo die Damen plötzlich des Diebstahls bezichtigt werden. Da kommen Schäfer und sein marokkanischer Kollege zum Einsatz …

Ich stieg seinerzeit bei einer Leserunde mit Band 7 in die Serie ein, habe seither alle Folgebände gelesen, und hole nun so nach und nach die Vorgängerbände nach.

Auf dem Cover prangt optimal zum Titel passend eine ägyptische Badeente. Diese Badeenten sind ab dem vorigen Band das Markenzeichen dieser Reihe. Es ist ein Kurzkrimi mit rund 130 Seiten, unterteilt in mit Überschriften versehene Kapitel. Das Buch erschien 2017, die Handlung spielt etwa zur selben Zeit. Obwohl es natürlich einen roten Faden gibt, ist dieser Krimi problemlos ohne Kenntnis der Vorgängerbände verständlich. Trotzdem, ich empfehle, mit Band 1 zu beginnen.

Der Schreibstil ist flüssig, obwohl kurz und bündig, dennoch gut beschreibend, sodass das marokkanische Ambiente sehr anschaulich zum Ausdruck kommt. Dazu tragen auch die arabischen Sprichwörter und Weisheiten am Beginn der Kapitel bei. Geschickt ist Wissenswertes über Marokko, speziell über Sehenswertes in Marrakesch, auch ein Stimmungsbild über das Leben dort, in die Handlung mit verwoben, macht Lust auf eine Reise dahin. Wie stets sorgt zwischendurch der schwäbische Dialekt des Oberkommissars für einen humorvollen Touch.

Bevölkert wird der Krimi primär von sympathischen Protagonisten. Für tiefgehende Charaktere bleibt in einem Kurzkrimi zu wenig Raum. Dennoch sind markante Wesenszüge und Eigenarten erkennbar. Man kann sich die handelnden Personen stets sehr gut vorstellen.

„Die Sphinx von Marrakesch“ ist ein Cosy-Krimi, unblutig, diesmal sogar ohne Leiche, der mir mit seiner Leichtigkeit großes Lesevergnügen bereitet hat. Ich empfehle diese Reihe für zwischendurch, sie ist ideal für unterwegs oder bei längerer Wartezeit.

Bewertung vom 03.08.2024
Gier ist ein Luder
Neubauer, Ralph

Gier ist ein Luder


sehr gut

Touristische Visionen und kriminelle Aktionen

„Gier ist ein Luder“ von Ralph Neubauer, der 11. Band dieser Reihe, ist ein Krimi, der abgesehen vom Mordfall sehr viel Südtirol-Flair vermittelt, und zwar neben landschaftlichen Schönheiten auch historisch Interessantes bietet, insbesondere hinsichtlich der touristischen Entwicklung.

Worum geht es?
Was mit einem plötzlich verstorbenen Hotelgast beginnt, entwickelt sich für das Ermittler-Team rund um Francesca Giardi und Fabio Fameo zu einem komplexen Fall, in dessen Zentrum ein suspekter, skrupelloser Hotelier steht, dessen Visionen nur auf den ersten Blick einen Segen für die Gegend darstellen.

Das Covermotiv mit dem kleinen Kirchlein in Trafoi stimmt wunderbar auf den Schauplatz des Krimis ein. Das Buch erschien 2024. Die Handlung spielt in der Gegenwart und erstreckt sich über einen Zeitraum von 23 Tagen. Analog dazu gliedert sich das Buch in 23 Kapitel von angenehmer Länge. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft, mit Blick auf Details. Das Lokalkolorit und speziell das Thema Tourismus und dessen Entwicklung ab den Anfängen bis in die Gegenwart bilden einen wesentlichen Faktor des Geschehens, sind die Basis für die Krimihandlung. Der Autor hat hierzu eingehend recherchiert, was die umfangreiche Literaturliste am Ende des Buches beweist. Sehr anschaulich schildert der Autor, wie negativ sich übermäßiger Tourismus auch in Südtirol entwickelt hat, dass die Ruhe und Beschaulichkeit, die man in den Bergen eigentlich sucht, immer mehr ge- und zerstört wird, und dass die dort lebenden Menschen unter dem Ansturm an Gästen mehr und mehr zu leiden haben.

Für mich war es das erste Buch dieses Autors. Obwohl ich somit quer in diese Reihe eingestiegen bin, hatte ich keinerlei Problem, in die Story hineinzufinden und den Personenkreis zu überblicken. Der Fall steht für sich alleine, man muss somit die Vorgängerbände nicht kennen.

Die polizeilichen Ermittlungen sind geschickt mit dem Südtirol-Ambiente verwoben. Man lernt etliche wunderschöne Fleckchen in Südtirol kennen, ein Urlaub wird einem richtig schmackhaft gemacht, auch wenn einige Schattenseiten des Tourismus angeprangert werden. Der Spannungsbogen durchzieht die Geschichte von Beginn bis Ende. Perspektiven- und Ortswechsel gestalten die Handlung abwechslungsreich. Auch ohne Action ereignet sich so einiges, bis letztlich ein Täter entlarvt wird, den man so gar nicht erwartet hat.

Die Charaktere sind lebendig beschrieben, zeigen Stärken und Schwächen. Das Ermittler-Team ist sympathisch, agiert effizient und arbeitet harmonisch miteinander. Privates ist gut dosiert eingeflochten.

„Gier ist ein Luder“ hat mir im Großen und Ganzen gefallen, hat mir nicht nur Südtirol und seine sehenswerte Landschaft nahegebracht, sondern auch interessante Aspekte zum Tourismus vermittelt. Leider dominierte meiner Meinung nach das Touristikthema die Krimihandlung zu sehr. Nichtsdestotrotz bin ich neugierig auf diese Reihe geworden und möchte noch mehr von diesem Autor lesen.

Bewertung vom 28.07.2024
Inselbrise
Eichbaum, Anja

Inselbrise


sehr gut

Nordseeinsel-Urlaubs-Flair mit Wohlfühlkrimi

„Inselbrise“ von Anja Eichbaum ist bereits der siebente Band der Norderney-Reihe mit Ruth Keiser und Martin Ziegler als Protagonisten, ein eher ruhiger Krimi mit Schwerpunkt zwischenmenschliche Beziehungen und Charaktere.

Worum geht es?
Susan Ophoven versucht als Schreibcoach auf Norderney Fuß zu fassen, doch der Neustart erweist sich als schwierig. Noch dazu wird ihre Ex-Schwiegermutter mit Pfeil und Bogen erschossen und Susan gerät unter Verdacht. Doch andererseits, überlegen die Inselpolizisten, könnte sie auch Opfer eines Komplotts sein …

Das Cover mit den Strandkörben vermittelt Nordsee-Flair und macht Lust auf Strand, Sonne und Meer. Das Buch erschien 2024, die Handlung spielt in der Gegenwart und erstreckt sich über einen Zeitraum von rund zehn Tagen im Monat Juli. Die stets kurz gehaltenen Kapitel sind teilweise mit Zeit- und Ortsangaben versehen. Der Schreibstil ist flüssig, liest sich locker, bildhaft. Sowohl die Wesenszüge der handelnden Personen als auch Landschaftsbeschreibungen, das Treiben am Strand sowie kulinarische Besonderheiten der Insel sind anschaulich beschrieben, animieren einen als Leser, einmal Norderney zu bereisen.

Für mich war dies, nachdem ich mit Band 6 quer eingestiegen bin, das zweite Buch dieser Reihe. Prinzipiell steht jedes Buch, was den Fall anbelangt, für sich alleine. Den relevanten Personenkreis überblickt man auch ohne Kenntnis der Vorgängerbände problemlos. Dennoch, ich glaube, die Charaktere der Protagonisten, ihre Entwicklung und warum sie so sind, wie sie sind, versteht man sicher noch besser, wenn man die Reihe von Beginn an gelesen hat.

Im Gegensatz zum vorherigen Band „Inselspiel“, der von Beginn an tempo- und abwechslungsreich ist, beginnt „Inselbrise“ sehr gemächlich mit Schwerpunkt auf zwischenmenschliche Beziehungen und ausgiebige Charakterbilder. Die Ermittlungsarbeit setzt erst nach gut der Hälfte des Romans ein. Ab dem Moment, als sich die Verdachtsmomente rund um Susan verdichten, wird auch die Polizei auf Norderney offiziell mit einbezogen. Denn der erste Mord ereignete sich ja nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Ab da kommt richtig Spannung auf, die sich bis zum dramatischen Finish noch steigert und eine unerwartete Lösung offenbart.

Die Protagonisten wirken authentisch und lebendig, zeigen Stärken und Schwächen, Vorgeschichten sind angedeutet. Privates ist gut mit der Krimihandlung verwoben, nimmt aber meiner Meinung nach etwas zu viel Raum ein, auch wenn die Dialoge unterhaltsam und die Protagonisten sympathische Zeitgenossen sind. Deren Freundschaft ist trotz mancher Differenzen und Missverständnisse geprägt von Harmonie und Verständnis füreinander.

„Inselbrise“ hat mich persönlich leider nicht so sehr mitgerissen wie der Vorgängerband. Ich fühlte mich zwar wohl im Kreise von Martin Ziegler und Ruth Keiser samt Partnern und Freunden, ließ mich gerne per Kopfkino auf Norderney entführen und inhalierte sehnsuchtsvoll Urlaubsgefühle, doch die Krimihandlung lag für mich zu lange zu sehr im Hintergrund. Nichtsdestotrotz empfehle ich den Krimi als optimale Urlaubslektüre gerne weiter und vergebe 4 Sterne.

Bewertung vom 21.07.2024
Verrat auf Helgoland
Ziegert, Susanne

Verrat auf Helgoland


ausgezeichnet

Tod bringende Reportage

„Verrat auf Helgoland“, der 5. Band der Reihe von Susanne Ziegert, in der Friederike von Menkendorf ermittelt, ist nicht nur ein spannender Nordsee-Krimi, sondern hat auch einen interessanten historischen Hintergrund.

Worum geht es?
Der Journalist Casimir Dorst kommt auf Helgoland, um einen kritischen Bericht über die Insel zu drehen, nicht nur über die Schönheiten, Sehenswürdigkeiten und möglichen Freizeitaktivitäten, sondern auch über die Vergangenheit Helgolands, insbesondere über die Widerständler im Zweiten Weltkrieg. Aber bevor er seinen Film fertigstellen kann, wird er ermordet.

Am Cover prangt die sogenannte Lange Anna, eine der typischen Felsformationen auf Helgoland. Das Motiv sticht nicht nur ins Auge, es stimmt auch auf den Schauplatz des Krimis ein. Die Handlung spielt in der nicht näher festgelegten Gegenwart. Das Buch erschien 2024. Die Kapitel sind angenehm kurz gehalten, ohne Orts- oder Zeitangaben. Ich bin beim Vorgängerband quer in die Reihe eingestiegen. Man kommt in die einzelnen Fälle auch gut hinein, wenn man sie nicht der Reihe nach liest. Will man auch den roten Faden kontinuierlich verfolgen, sollte man wohl mit Band eins beginnen.

Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Mich beeindruckte insbesondere die anschauliche Schilderung der Hochseeinsel in all ihren Facetten – die Stimmung je nach Wetterlage, ob stürmische See oder strahlender Sonnentag, Flora und Fauna wird so verlockend beschrieben, dass man regelrecht animiert wird, Helgoland zu bereisen. Sehr geschätzt hätte ich eine Landkarte oder wenigstens Skizze von Helgoland, um die Lage der Schauplätze und die zurückgelegten Wegstrecken nachvollziehen zu können. Stetiges Googeln finde ich lästig, das stört den Lesefluss. Sehr interessant fand ich die eingeflochtenen Tagebucheintragungen, die viel über die Rolle von Helgoland im Zweiten Weltkrieg offenlegen, einen Faktor, der wohl nicht jedermann bekannt ist.

Der Fokus der Handlung liegt auf der Ermittlungsarbeit, auf der Suche nach dem Mörder des Journalisten. Das Opfer war kein sympathischer Zeitgenosse, sodass es weder an Verdächtigen noch an Mordmotiven mangelt. Somit gibt es viel Raum zum Miträtseln. Der Spannungsbogen hält sich bis zum Ende auf gutem Niveau, inklusive etwas Action und kritischen Situationen. Obwohl man irgendwann den Mörder zu erahnen beginnt, nimmt die Handlung am Schluss eine gänzlich unerwartete Wendung.

Die Charaktere, auch die der Nebenfiguren, sind lebendig und gut vorstellbar gezeichnet, wie die ehrgeizige, heimatverbundene Tourismusmanagerin Jana, der frauenverachtende Journalist Dorst, die fanatisch ihr Ziel verfolgende Hotelinhaberin. Harry Kruss, der Inselpolizist, wird durch die zufällig auf Urlaub weilende Friederike von Menkendorf bei den Ermittlungen unterstützt. Die beiden sind sympathisch und bilden ein harmonisch und effizient zusammenarbeitendes Team. Neben ihren Qualitäten als Kriminalbeamte kommen auch Gefühle nicht zu kurz. Das Private ist gut dosiert mit der Handlung verwoben. Die beiden kennen sich von früher, hatten sich etwas aus den Augen verloren und entdecken die Liebe zueinander wieder. Doch Harry wird Helgoland kaum verlassen wollen …

„Verrat auf Helgoland“ hat mir in mehrerer Hinsicht sehr gut gefallen. Abgesehen vom gut aufgebauten, spannenden Kriminalfall, fand ich vor allem alles rund um Helgoland äußerst interessant, das Historische ebenso wie das Touristische. Somit freue ich mich schon jetzt auf weitere Fälle mit Rike, ja vielleicht wieder gemeinsam mit Harry? Wie sich die Fernbeziehung wohl weiterentwickeln wird?
Von mir gibt es 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.07.2024
Dunkler Abgrund
Lillegraven, Ruth

Dunkler Abgrund


sehr gut

Ein Blick in menschliche Abgründe

„Dunkler Abgrund“ von der norwegischen Autorin Ruth Lillegraven ist die Fortsetzung von "Tiefer Fjord", ein Spannungsroman mit Clara Lofthus im Mittelpunkt.

Worum geht es?
Clara Lofthus, Mutter von Zwillingen und seit dem Tod ihres Mannes Alleinerzieherin, erreicht einen Höhepunkt ihrer Karriere: sie wird zur Justizministerin ernannt, was ihrerseits vollen Einsatz verlangt. Für ihre Kinder hat sie immer weniger Zeit. Eines Tages sind sie verschwunden. Entführt.

Das Cover mit der im tiefen Wasser schwimmenden Frau strahlt bereits in Verbindung mit dem Buchtitel eine gewisse bedrohliche Situation aus – das tiefe Wasser, das sie hinab zieht oder hinab ziehen könnte, in den Abgrund. Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel „Av mitt blod“ (=Von meinem Blut). Aus dem Norwegischen übersetzt wurde diese von Günther Frauenlob. Die deutschsprachige Ausgabe erschien 2024. Unterteilt ist der Roman in drei Teile (Arbeit, Die Kinder, Gebirge). In kurz gehaltenen Kapiteln entwickelt sich die Geschichte chronologisch, indem abwechselnd aus Sicht verschiedener Protagonisten jeweils in Ich-Form erzählt wird. Ich fand diesen Erzählstil gewöhnungsbedürftig. Die stetigen Perspektivenwechsel, die meist noch neben Gegenwärtigem Vergangenes offenlegen, gestalten die Handlung einerseits abwechslungsreich, erzeugen aber andererseits irgendwie einen unruhigen Lesefluss. Davon unabhängig ist der Schreibstil schon flüssig, gut beschreibend, auch im Hinblick auf das Umfeld, die typische norwegische Landschaft.

Für mich war es das erste Buch dieser Autorin. Dass es sich bei "Dunkler Abgrund" um einen Fortsetzungsroman handelt, war mir nicht bekannt. Ich bin dennoch ohne Vorkenntnisse gut in die Geschichte hineingekommen, da ja sukzessive die Vorgeschichte ans Tageslicht kommt. Nichtsdestotrotz bin ich überzeugt, dass es von Vorteil ist, Band 1 zuvor gelesen zu haben.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Clara Lofthus, eine Karrierefrau. Als Alleinerzieherin und frisch ernannte Justizministerin ist sie zunehmend mit der Betreuung ihrer Kinder überfordert. Zu Lebzeiten ihres Mannes hat dieser primär sich um die Zwillinge gekümmert, Freizeitaktivitäten mit ihnen geteilt. Erst als die Kinder verschwunden sind, wir ihr bewusst, wie sehr sie sie liebt. Auf einmal ist ihr der Beruf weniger wichtig. Als weitere erzählende Protagonisten agieren primär ihr Vater Leif, der beste Freund ihres verstorbenen Mannes, Alex, der in Clara verliebt ist und ihr bzw. ihren Söhne im Alltag hilft, sowie Andreas, einer der Zwillinge. Primär geht es um Schuld, Gerechtigkeit, auch Rache, aber auch um familiäre Bande, Verstrickungen, seelische Abgründe.

Was den Spannungsbogen anbelangt, so treibt einen selbstverständlich die Suche nach den entführten Kindern an weiterzulesen. Zudem fragt man sich natürlich, wer dahinter steckt. Denn es bieten sich so nach und nach immer wieder andere Verdächtige an. Überraschende Wendungen und Aktionen führen letztlich zu einem Ende, das ich so nicht erwartet habe und das mich auch nicht wirklich befriedigt hat, und mich in der Annahme bestärkt, dass es eine Fortsetzung geben wird.

Durch die Ich-Form eröffnet sich die Gedanken- und Gefühlswelt der Personen, auch so manches Geheimnis. Trotzdem wurde ich mit keiner der Figuren wirklich warm, insbesondere Clara war mir von Beginn an nicht sympathisch, erst recht nicht im Laufe der Handlung, als ich mehr und mehr über ihren Charakter erfuhr. Im Großen und Ganzen sind alle maßgeblichen Personen gut vorstellbar gezeichnet.

„Dunkler Abgrund“ ist ein spannendes Buch mit typisch skandinavischer dramatisch-tragischer Handlung. Diese triste Stimmung, die wenig sympathische Hauptfigur und das mehr oder weniger offene Ende waren nicht ganz meins. Nichtsdestotrotz ist das Buch gut geschrieben, somit vergebe ich 4 Punkte.

Bewertung vom 07.07.2024
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
Spieldenner, Klaus E.

Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!


ausgezeichnet

Eine abenteuerliche Reise ins Glück

„Das kann doch nicht ihr Ernst sein“ von Klaus E. Spieldenner stellt nach elf Regionalkrimis einen Genrewechsel dar. Dies ist, wie es der Autor bezeichnet, ein Womo Road Krimi, eine amüsante Geschichte über eine abenteuerliche Reise mit einem uralten Wohnmobil.

Worum geht es?
Der Hamburger Ernst Groß, verschuldet und obdachlos, macht sich mit einem altersschwachen Hymer-Mobil auf die Reise nach Polen. Er erlebt viel, Gutes und Schlechtes, und zieht aus seinen Erlebnissen folgenden Schluss: „Nicht am Ziel wird der Mensch groß, sondern auf dem Weg dorthin.“

Bereits das Cover sprach mich an, es wirkt fröhlich, urlaubsmäßig und turbulent. Das Buch erschien 2024 und gliedert sich in 25 mit Überschriften versehene Kapitel von angenehmer Länge. Der Schreibstil ist flüssig und humorvoll, so manch Situationskomik hat mich zum Lachen gebracht. Auch das Lokalkolorit kommt gut zur Geltung. Mir, die noch nie an der Ostsee war – die Handlung spielt zwischen Lübeck und Usedom – wurde ein anschaulicher Eindruck der dortigen Landschaft und Schauplätze vermittelt. Besonders geschätzt habe ich die am Buchrücken angebrachte Landkarte, wo ich die Reiseroute von Ernst Groß gut verfolgen konnte. Ich mochte bislang die Krimis von Klaus Spieldenner sehr, und ich finde, dieser Genrewechsel ist ihm auch ausgezeichnet gelungen.

Im Mittelpunkt steht eindeutig Ernst Groß, ein mir von Beginn an sympathischer Zeitgenosse, bei dem eben im bisherigen Leben so einiges schief lief, unverschuldet. Er verkörpert aufgrund seiner Körpergröße von nur 1,57 Meter nicht unbedingt das, was man sich unter einem Helden vorstellt. Doch er verfügt über Eigenschaften, die ihn aus der Masse hervorheben. Er ist aufmerksam, geht mit offenen Augen durch die Welt, ist hilfsbereit, mischt sich ein und handelt selbstlos und verantwortungsvoll, wenn er Missstände ortet. Jede seiner guten Taten hilft ihm auf seiner Reise weiter. Quasi nach dem Motto „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Er lernt natürlich nicht nur ihm wohlgesinnte Menschen kennen, doch letztlich siegt das Gute. So würde man es sich wünschen, im wahren Leben. Man weiß, so ist das reale Leben nicht, aber es liest sich wunderbar. Es tut einfach gut, einmal in ein bisschen heiler Welt zu versinken.

Nicht nur Ernst Groß ist lebendig, mit Stärken und Schwächen und Emotionen charakterisiert, auch die Nebenfiguren kann man sich sehr gut vorstellen, zum Teil haben mich auch die Namen sehr amüsiert, fängt ja schon damit an, dass ein 1,57 Meter großer Protagonist mit Nachnamen Groß heißt. Fantasievolle Namen wie Kommissar Deppenhauer, Kommissar Kälberjung, Bauer Knolle oder Habbe Niegenug erinnerten mich sogar etwas an Johann Nestroy.

Die Handlung ist abwechslungsreich, voll Fantasie, ein Erlebnis jagt das andere. Die Situationen sind kurios, witzig beschrieben, haben aber teils auch reale Hintergründe, manchmal steckt auch Kritik an Umständen dahinter – wie der Autor im Vorwort sagt: „Die Handlung bewegt sich zwischen spaßiger Komik und fiktiver Realität“. Und es mangelt auch nicht an Spannung, denn Ernst gerät aus lauter Gutmütigkeit und Naivität in so manch prekäre Situation.

Ich hatte unheimlichen Spaß beim Lesen. Mit Bedauern habe ich das Buch geschlossen und hoffe nun, dass der Autor, auch wenn ich seine Krimis schätze, auch noch Ideen für weitere amüsante Geschichten in petto hat. Eine unbedingte Leseempfehlung meinerseits und natürlich 5 Sterne!

Bewertung vom 03.07.2024
Der Nachtläufer
Fossum, Karin

Der Nachtläufer


sehr gut

Ein Außenseiter spielt mit der Macht

„Der Nachtläufer“ von der norwegischen Autorin Karin Fossum ist der Auftakt für eine neue Krimireihe mit Kommissar Eddie Feber als Ermittler.

Worum geht es?
Nachts schleicht sich ein Mensch in fremde Schlafzimmer, nicht als Dieb, sondern er bedroht die Opfer mit einer Waffe, noch ohne zu töten. Warum? Und wann wird es den ersten Toten geben? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt für die Polizei.

Das Cover vermittelt ebenso das norwegische Flair wie die nächtliche Situation, wenn der Täter unterwegs ist. Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel „Natteløperen“ (=Nachtläufer). Aus dem Norwegischen übersetzt wurde diese von Roland Hoffmann. Die deutschsprachige Ausgabe erschien 2024. Es gibt keinerlei Unterteilung in Kapitel, trotzdem sind die Perspektivenwechsel zwischen Täter und Polizeiaktionen problemlos nachvollziehbar. Der Schreibstil ist flüssig, gut beschreibend, auch im Hinblick auf die Schauplätze, auf das etwas düstere, auch einsame Umfeld, eben darauf, dass die Handlung in Norwegen spielt. Nicht vorrangig, doch unterschwellig werden Anderssein, Behinderung und die Probleme der Betroffenen bzw. die Akzeptanz durch andere Menschen thematisiert.

Das Besondere dieses Kriminalromans liegt erstens darin, dass man von Beginn an den Täter kennt, dessen Umfeld, dessen Charakter und somit in gewissem Maße auch dessen Handlungen nachvollziehen kann. Folglich verfügt man als Leser auch über einen Wissensvorsprung gegenüber den Ermittlern. Die Spannung kreiert sich aus den bedrohlichen Szenen, wo man mit den im Schlaf überraschten Opfern mitleidet, mitzittert, bzw. daraus, wann es der Polizei gelingen wird, den Täter zu stoppen. Doch der Täter hat sich ein perfides Spiel ausgedacht.

Die zweite Besonderheit ist das sehr intensive Charakterbild des Täters, das vermittelt wird. Ein unscheinbarer Außenseiter findet eine Waffe. Zitat (S. 39): „Die Waffe veränderte etwas in ihm.“ Ich fand es faszinierend, seine Entwicklung zu verfolgen, was er sich da ausdenkt, und wie dann doch nicht alles so verläuft, wie er sich das vorgestellt hat, wie die Reaktionen seiner Opfer auf ihn wirken, ihn beeinflussen. Die Waffe gaukelt ihm Stärke und Macht vor, hebt sein Selbstbewusstsein. Im Kern seiner Persönlichkeit bleibt er unsicher, kann er seine Herkunft nicht abschütteln, dieses bisher verspottete, ungeliebte Dasein. Er verkörpert die Sorte von Täter, die man als Leser bemitleidet. Er ist nicht von Grund auf böse, ihn treibt Verzweiflung, auch der Wunsch nach Anerkennung, nach Liebe, die Suche nach seinen Wurzeln. Letztlich mündet sein Plan in einer total unerwarteten, aber gerecht scheinenden Lösung, in einem dramatischen und tragischen Ende.

Auch sein Gegenspieler, Kommissar Eddie Feber, ist eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Ein Familienmensch, Vater von acht Kindern, teilweise mit besonderen Bedürfnissen, verheiratet mit einer Kriminalautorin. Er hat nicht nur ein besonderes Gespür und Verständnis für seine Kinder, sondern er strahlt generell eine positive Aura aus, was sich in harmonischer Zusammenarbeit mit seinem Team ebenso äußert wie bei seine Befragungstaktik Verdächtigen gegenüber. Was die Tiefe der Charakterschilderung anbelangt, so lag das Hauptaugenmerk in diesem Band eindeutig beim Täter. Ich hoffe, dass die Folgebände über die rein sympathische Ausstrahlung noch etwas mehr Einblick in Eddie Febers Seele und Gedankenwelt geben werden. Generell sind die weiteren Personen gut vorstellbar beschrieben, jedoch eher nur oberflächlich.

„Der Nachtläufer“ ist ein Kriminalroman mit einer ungewöhnlichen Grundidee, einer eher psychologisch angesetzten Handlung. Ich fand das Buch interessant, aber es ist kein Pageturner. Auch ist es schwierig, mit den Protagonisten richtig warm zu werden, vor allem Eddie Feber hat für mich noch etwas zu wenig charakterliche Struktur. Dennoch bin ich neugierig auf die Fortsetzung. Dieses Buch empfehle ich vor allem an jene weiter, die einmal „einen etwas anderen Krimi“ lesen möchten. Ich vergebe 4 Punkte.