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Benutzername: 
dorli
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Berlin
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Bewertungen

Insgesamt 878 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2023
Um 1500
Schmitz-Esser, Romedio

Um 1500


ausgezeichnet

Europa um 1500 - das Mittelalter verabschiedet sich langsam und macht Platz für die Frühe Neuzeit. Es gibt viel zu erzählen über diese dynamische Zeit, die geprägt war von grundlegenden Neuerungen und Umbrüchen. Bedeutende historische Ereignisse wie die Erfindung des Buchdrucks, die Reformation oder auch die Entdeckung Amerikas veränderten das Leben in Europa maßgeblich.

Romedio Schmitz-Esser startet den Ausflug in diese lebhafte Epoche nach einem kurzen Vorwort mit einem Überblick darüber, was den Leser auf den folgenden rund 500 Seiten erwartet. Er erklärt seine Herangehensweise an die Themen und welche Absicht er verfolgt.

Dann beginnt eine fesselnde Zeitreise. Begleitet wird man auf dem Rundgang durch die Jahre des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts von einem Zeitzeugen: Albrecht Dürer, der als bedeutendster Renaissancekünstler Deutschlands gilt, wird zum Reiseführer. Auszüge aus seinem umfangreichen Nachlass bilden die Grundlage für einen intensiven Blick auf das Leben und den Alltag um 1500.

Fakten über das Wachsen und Werden Dürers, über seine Familie, Freunde und Geschäftspartner, über seine Erlebnisse und Erfahrungen während seiner zahlreichen Reisen, über seine Denkweise, seine Lebensumstände und natürlich über sein Schaffen ergänzen die aufschlussreichen Texte in diesem Buch. Die insgesamt 50 Kapitel werden jeweils mit einem Werk des Nürnberger Künstlers eröffnet - hier wurde stets eine gute Wahl getroffen, die Abbildungen sind allesamt ein gelungener Aufmacher für das anstehende Thema. Auch gut gelungen: Dürer kommt immer wieder selbst zu Wort. Kurze Auszüge aus seinen Tagebüchern und Briefen bereichern die informativen Inhalte. Der Autor hat diese Textschnipsel in Dürers Sprache belassen - Worte, die ich nicht immer auf Anhieb verstanden habe, die mir aber eine willkommene Knobelei waren :-)

Romedio Schmitz-Esser wartet mit einer großen Themenvielfalt auf. Man begibt sich auf einen Streifzug durch alle Lebensbereiche - so gut wie alles, was die Menschen damals bewegt und beschäftigt hat, findet man in diesem Buch wieder. Man kann „Um 1500“ dank der in sich abgeschossenen Kapitel als Nachschlagewerk nutzen, es lässt sich aber auch ganz hervorragend wie ein Roman lesen, da sich die einzelnen Themen durch gelungene Übergänge prima aneinanderfügen. Für die Lektüre sollte man sich ausreichend Zeit nehmen, da in die kurzen Kapitel sehr viele Informationen hineingepackt wurden, so dass ich mich manchmal ein wenig überfordert gefühlt habe von der Fülle an Wissen. Der Inhalt ist verständlich geschrieben und gut lesbar, so habe ich es zumindest überwiegend empfunden. Es gibt aber auch Passagen, da spürt man deutlich, dass der Autor Historiker und Kulturwissenschaftler ist. Ab und an gibt es Formulierungen, bei denen ich als geschichtsinteressierter Nichtwissenschaftler an meine Grenzen gestoßen bin und nachschlagen musste.

Ein umfangreicher Anhang rundet das Werk ab. Hier gibt es neben Anmerkungen und Bildnachweisen auch einen Personen- und einen Ortsindex sowie eine Bibliographie, die nach Themen sortiert ist. Nicht nur der Inhalt, auch die Aufmachung kann sich sehen lassen. Das Buch ist qualitativ hochwertig und dank der zahlreichen Abbildungen sehr ansprechend gestaltet.

„Um 1500 - Europa zur Zeit Albrecht Dürers“ hat mir sehr gut gefallen. Das Werk hält viele wissenswerte Informationen bereit und vermittelt einen umfassenden Überblick über den Beginn der Frühen Neuzeit - ich habe viel Neues erfahren und wurde zudem gut unterhalten.

Bewertung vom 22.10.2023
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Ford, Olivia

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn


ausgezeichnet

Die 77-jährige Jennifer Quinn und ihr Mann Bernard haben sich vor einiger Zeit in einem beschaulichen englischen Dorf niedergelassen, um in ruhiger Atmosphäre ihren Lebensabend zu verbringen. Jenny ist eine leidenschaftliche Bäckerin. Fast täglich verwandelt sie ihre kleine Küche in eine Backstube. Sie hütet alte Familienrezepte wie einen Schatz und verfolgt außerdem mit Begeisterung die TV-Show „Das Backduell - Backen auf der Insel“. Als die Weihnachtsausgabe der beliebten Sendung mit dem Aufruf endet, sich für die nächste Staffel der Show zu bewerben, erwacht in Jenny der Wunsch, noch einmal in ihrem Leben ein Abenteuer zu erleben. Sie zögert zunächst, doch dann gibt sie sich einen Ruck und bewirbt sich…

Olivia Ford hat mich schon nach wenigen Seiten mit ihrer Geschichte über Mrs. Quinn eingefangen. Da ist nach fast sechzig Jahren Ehe so viel Harmonie zwischen Jenny und Bernard - einfach wunderbar, dieses warmherzige Miteinander mitzuerleben. Es gelingt Olivia Ford ganz ausgezeichnet, die Gedanken und Gefühle ihrer überaus charmanten Protagonistin zu vermitteln, so dass ich gut nachvollziehen konnte, warum Jenny trotz ihres glücklichen und unaufgeregten Lebens den Wunsch verspürt, ihren Alltag aufzupeppen. Da ist plötzlich der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, der in ihr das Verlangen weckt, das tägliche Einerlei mit etwas Spannung zu füllen.

Es geht in diesem Buch aber nicht nur um das Backen und den Wettbewerb. Jenny hat ein großes Geheimnis, das sie schon über ein halbes Jahrhundert ganz tief in ihrem Inneren vergraben hat. Niemand soll jemals davon erfahren. Bis ihre Teilnahme an dem Backduell ihr ganzes bisheriges Leben auf den Kopf stellt und ans Tageslicht spült, was Jenny über all die Jahre so sorgsam verborgen gehalten hat.

Einige Kapitel beginnen mit Rückblenden in Jennys Kindheit und Jugend - hier erfährt man, was Jenny als Jugendliche erlebt hat und ihr bis heute schwer auf der Seele liegt. Auch wenn schnell durchklingt, um was für ein Geheimnis es sich handelt, ist es spannend und unterhaltsam, den weiteren Verlauf der Dinge zu verfolgen.

„Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ hat mir sehr gut gefallen. Es hat Spaß gemacht, Jennifer Quinn kennenzulernen, mit ihr mitzufiebern und die für sie neuen Erfahrungen und überwältigenden Erlebnisse mit ihr zu teilen. Eine mitreißende und vor allen Dingen sehr warmherzige Geschichte, die Mut macht, auch im fortgeschrittenen Alter noch einmal etwas Neues zu wagen.

Bewertung vom 20.09.2023
Ich, Sperling
Hynes, James

Ich, Sperling


ausgezeichnet

In seinem Roman „Ich, Sperling“ entführt James Hynes den Leser in das 4. Jahrhundert nach Carthago Nova - eine antike Hafenstadt auf der Iberischen Halbinsel - und erzählt die Geschichte eines Sklavenjungen.

In einem kurzen Prolog stellt sich Jakob vor. Jakob ist ein alter Mann, der seine Lebensgeschichte niederschreibt. Es sind seine Kindheitserlebnisse, um die es in diesem Roman geht. Jakob beginnt seine Erzählung mit seinen ersten zusammenhängenden Erinnerungen - er sitzt im Dämmerlicht auf dem Boden in einer Küche. Es ist drückend heiß. Eine zornige Frau entgrätet Fische.

Einen Namen hat Jakob als Kind nicht. Man erklärt ihm, dass er ein Niemand ist. Namenlos. Elternlos. Herkunft unbekannt. Ein Ding, kein Mensch. Man ruft ihn Pusus, Maus oder auch Kleiner. Eine seiner Ziehmütter, die Prostituierte Euterpe, erzählt ihm eine Geschichte vom gelehrigen Sperling. Der Sperling wird für den Jungen nicht nur zu einem heimlichen Namensvetter, sondern auch zu einem Sinnbild für Hoffnung.

Die täglichen Aufgaben des Jungen beschränken sich zunächst auf die Arbeit in der Küche. Später muss er auch zum Brunnen und Wasser holen, andere Botengänge erledigen, die Taverne putzen und kellnern. Und schließlich wird auch das Bordell zu seinem Arbeitsplatz.

Es treibt einem beim Lesen die Tränen in die Augen, weil dieser wissbegierige Junge von Anfang an keine Chance hat. Obwohl er schnell lernt und sich den groben Gepflogenheiten in der Taverne anpasst, es versteht, Faustschlägen zu entgehen und Tritten auszuweichen, kann er dem Sklavendasein nicht entkommen. Er ist der Willkür und den Launen seines Umfelds schutzlos ausgeliefert. Immer wieder wird ihm klar gemacht, dass sein Leben und sein Körper nicht ihm gehören. Nur der Sperling spendet ihm in den schlimmsten Momenten Trost.

James Hynes versteht es ganz ausgezeichnet, die Straßen der antiken Stadt mit Leben zu füllen. Er schildert die Lebensumstände der Deklassierten, die Geschäftigkeit auf dem Markt und am Hafen, die Brutalität des Alltags und die rauen Sitten in Taverne und Bordell genauso intensiv wie die kurzen Augenblicke der harmlosen Fröhlichkeit, wenn Euterpe Sperling das Lesen und Rechnen lehrt und Geschichten erzählt über das Geschehen auf der anderen Seite des Gartenzauns. Carthago Nova ist schmutzig und bunt zugleich. James Hynes nimmt beim Erzählen kein Blatt vor den Mund. Er scheut sich nicht, eine derbe, dem Milieu angepasste und mit Obszönitäten gespickte Sprache zu verwenden. Diese grobschlächtige Ausdrucksweise rundet die vielschichtige Handlung perfekt ab.

„Ich, Sperling“ ist ein Buch, für das man sich Zeit nehmen sollte. Zum einen, um die außerordentlich gut gelungenen Beschreibungen, Schilderungen und Formulierungen ausgiebig genießen zu können, zum anderen aber auch, weil der Inhalt schwere Kost ist, die man nur häppchenweise verdauen kann.

„Ich, Sperling“ hat mich von der ersten bis zur letzten Seite fest im Griff gehabt. Ich habe mit Sperling gelebt und gelitten, habe mit ihm gebangt und gehofft und habe Kummer und Leid genauso mit ihm geteilt, wie die kleinen Glücksmomente. Eine fesselnd erzählte, herzzerreißende Geschichte, die lange nachklingt. Ein Volltreffer!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


gut

Frida Skybäck beginnt den ersten Band ihrer in der südschwedischen Provinz Skåne län spielenden Krimiserie mit einem spannenden Prolog: Die 84-jährige Gun Storm muss an einen kalten Januarmorgen hilflos mitansehen, wie Nomi Pedersen wie von Sinnen auf das viel zu dünne Eis des Vombsjön rennt, einbricht und ertrinkt. Ein tragisches Unglück? Womöglich Suizid? Oder steckt mehr dahinter? Um die Sachlage zu klären, wird die Mordkommission Lund alarmiert. Mit dem Fall betraut werden die Ermittlerin Fredrika Storm, die gerade aus Stockholm in ihre alte Heimat zurückgekehrt ist und ihr Kollege Henry Calment, ein vermögender, etwas exzentrisch wirkender Mittvierziger, der sich trotz mehrerer Studienabschlüsse entschlossen hat, als einfacher Polizist zu arbeiten.

Die Ermittlungen werden für Fredrika mehr und mehr zu einer persönlichen Odyssee, denn mit jedem neuen Hinweis zum Tod von Nomi wird deutlicher, dass nicht nur ihre Familie in den Fall verstrickt ist, sondern dass auch das spurlose Verschwinden ihrer Mutter vor über zwanzig Jahren mit dem aktuellen Geschehen verwoben zu sein scheint.

Frida Skybäck hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen problemlos folgen.

Ganz besonders punkten kann die Autorin mit der Schilderung von Land und Leuten. Das beschauliche Harlösa, idyllisch gelegen zwischen Wald und dem See, in dem Nomi auf so grausame Weise zu Tode kommt, wird sehr anschaulich beschrieben. Auch die dörfliche Atmosphäre ist absolut stimmig: jeder kennt jeden, doch eigentlich weiß niemand so richtig, was seinen Nachbarn bewegt und beschäftigt. Wird ein Schuldiger gesucht, zeigt man gerne auf denjenigen, der als Sonderling gilt. Unzulänglichkeiten werden unter den Teppich gekehrt, damit man nicht zur Zielscheibe von Klatsch und Tratsch wird.

Falsche Fährten, zahlreiche Verdächtige und immer wieder neue Hinweise halten die Handlung lebendig, dennoch wollte bei mir keine wirkliche Spannung aufkommen. Das lag vor allen Dingen daran, dass Fredrikas Familiengeschichte zwar interessant ist, aber dennoch viel zu viel Raum bekommt. Zudem habe ich Fredrikas Verhalten als sehr unglaubwürdig empfunden. Dass eine Polizistin ständig ohne Absprache mit dem Team handelt, dabei immer wieder sich selbst und ihre Mitmenschen in Gefahr bringt, ihre Familie vor den Kopf stößt und sogar eine Einstellung der Ermittlungen riskiert, weil sie laufend wider besseres Wissen ihrem Bauchgefühl folgt, halte ich für wenig realistisch.

Auch das Ende lässt mich ein wenig unzufrieden zurück. Dabei ist die Auflösung des Falls für mich durchaus nachvollziehbar, auch wenn Fredrika den ausschlaggebenden Hinweis eher zufällig entdeckt. Es sind die Ereignisse danach, die mir nicht gefallen haben. Über 20 Jahre Geheimniskrämerei und hartnäckiges Schweigen lösen sich mit einem Ruck in Wohlgefallen auf. Jegliche Missstimmung ist wie weggewischt. Dass überall plötzlich Harmonie und Eintracht herrscht, war mir zuviel des Guten.

„Schwarzvogel“ hat mir über weite Strecken gut gefallen - ein etwas holperiger Auftakt einer neuen Krimireihe.

Bewertung vom 23.08.2023
Dead Romantics
Poston, Ashley

Dead Romantics


weniger gut

Die 28-jährige Florence Day lebt in New York und arbeitet als Ghostwriterin der berühmten Romance-Autorin Ann Nichols. Der Abgabetermin für einen neuen Roman rückt näher, doch Florence ist nicht in der Lage, das geforderte Happy End zu schreiben, da ihr der Glaube an die Liebe abhanden gekommen ist, seit ihre letzte Beziehung mit einer herben Enttäuschung in die Brüche ging. Florence bittet den neuen Lektor um einen Aufschub, doch Benji Andor ist unerbittlich und beharrt auf dem vereinbarten Termin. So weit, so normal. Nicht ganz so normal ist eine Eigenschaft, die Florence von ihrem Vater geerbt hat: sie kann Geister sehen. Verstorbene, die auf Erden noch eine Mission zu erfüllen haben, erscheinen ihr als durchsichtig schimmernde Gestalten. Während Florence verzweifelt versucht, ihre Schreibblockade zu überwinden, erhält sie die Nachricht, dass ihr Vater gestorben ist. Florence eilt zu ihrer Familie nach South Carolina. Kaum angekommen, klingelt es an der Tür. Florence öffnet und vor ihr steht Benji Andor, von Kopf bis Fuß durchsichtig schimmernd…

„Dead Romantics“ kommt mit einem fröhlich-frischen Cover daher, doch leider versteckt sich dahinter nicht das von mir erwartete unterhaltsame Lesevergnügen. Das Buch lässt sich zwar angenehm flott lesen und hat mir ab und an ein Schmunzeln entlockt, es fehlt jedoch das gewisse Etwas. Für einen „Liebesroman mit hohem Wohlfühlfaktor und genau der richtigen Prise Magie“ wie der Klappentext verspricht, war die Geschichte in meinen Augen zu wenig romantisch und zu wenig magisch.

Außerdem wird die Geschichte durch viele Belanglosigkeiten gestreckt. Dadurch fehlt es der Handlung durchweg an Schwung. Außerdem machen zu viele Klischees die Story irgendwann vorhersehbar und damit leider auch langweilig.

Auch mit den Charakteren hatte ich so meine Schwierigkeiten. Besonders die Hauptfiguren bleiben im Verlauf der Geschichte blass und oberflächlich und gewinnen auch durch ihre Erlebnisse nicht wirklich an Tiefe, so dass mir ein echtes Mitfiebern und Miterleben nicht gelingen wollte.

„Dead Romantics“ hat mich nicht so gepackt, wie ich es mir erhofft hatte. Obwohl viel Potential verschenkt wurde, fand ich die Idee hinter der Geschichte aber recht spannend. Daher zwei Sterne und das Fazit: „Kann man lesen, muss man aber nicht“.

Bewertung vom 17.08.2023
Bei euch ist es immer so unheimlich still
Schröder, Alena

Bei euch ist es immer so unheimlich still


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ widmet sich Alena Schröder zwei weiteren Zeitabschnitten aus der Familiengeschichte rund um Evelyn Borowski. Während wir in „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ zum einen mit Evelyn als junges Mädchen in den 1920er und 30er Jahren und zum anderen mit Evelyn als hochbetagte Frau, die in einer Seniorenresidenz lebt und den Besuchen ihrer 27-jährigen Enkelin Hannah entgegenfiebert, bekannt gemacht werden, sind es in diesem Roman die Nachkriegszeit - Evelyn ist Ärztin, Ehefrau und Mutter - sowie die Zeit rund um Mauerfall und Wende - Evelyn befindet sich im Ruhestand und hat sich aus Frust in ihren Haus eingeigelt, als plötzlich ihre Tochter Silvia vor der Tür steht, im Arm Evelyns vor wenigen Wochen geborene Enkelin Hannah.

Obwohl dieses Buch auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes bestens verständlich ist, habe ich das Wissen um die bisherigen Ereignisse als Bereicherung empfunden. Auch in diesem Roman konzentriert sich Alena Schröder nicht ausschließlich auf Evelyn, sondern erzählt auch ausführlich von den Frauen in deren familiärem Umfeld. In dem in den 1950er Jahren spielenden Part lernen wir ihre Freundin und Schwägerin Betti, die als „Übriggebliebene“ ihr Leben so gestaltet, wie sie es für richtig hält, besser kennen. Und in dem 1989er Erzählstrang ist es die rebellische Silvia, die in den Fokus der Handlung rückt.

Alena Schröder hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen mühelos folgen. Auch der stetige Wechsel zwischen den Zeitebenen ist unproblematisch.

Die Autorin wartet mit einer großen Portion Gesellschaftskritik auf. Jede Zeit hat ihre Eigenarten und prägt den Menschen durch eine Vielzahl von Herausforderungen und Ansprüchen. Das gilt natürlich auch für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Darstellung dieser gesellschaftlichen Zwänge und der damit einhergehenden hohen Erwartungen an jeden Einzelnen und eben besonders an die Frauen in der Gesellschaft habe ich als sehr gelungen empfunden.

In dieser mehrere Generationen umspannenden Familiengeschichte geht es um die vielfältigen Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht darum, wie diese Frauen mit den an sie gestellten Erwartungen umgingen. Wie sie den Spagat zwischen gesellschaftlichen Konventionen und der Verwirklichung ihrer eigenen Träume schafften oder eben auch nicht schafften. Es geht darum, was die Unzufriedenheit mit ihnen gemacht hat, wenn die eigenen Wünsche auf der Strecke blieben. Es geht um ihren Umgang mit großen und kleinen Dramen und alltäglichen Konflikten. Und es geht darum, dass Probleme gelöst wurden, indem man sie einfach totschwieg.

Ausnehmend gut gefallen hat mir das glaubwürdige und lebensnahe Zeitkolorit. Insbesondere die biedere Kleinstadtatmosphäre im fiktiven Ildingen wird sehr authentisch dargestellt. Vieles hat mich an meine eigene Kindheit und Jugend erinnert, vor allem das ewige „was sollen die Leut’ denn sagen“ ist mir auch heute noch im Ohr und lässt mich nach wie vor den Kopf schütteln.

„Bei euch ist es immer so unheimlich still“ hat mir sehr gut gefallen - eine tiefgründige Familiengeschichte, die kurzweilig erzählt wird.

Bewertung vom 12.07.2023
Refugium / Stormland Bd.1
Lindqvist, John Ajvide

Refugium / Stormland Bd.1


ausgezeichnet

Schweden 2019. Eine Insel inmitten der Stockholmer Schären. Ein extravagantes Mittsommerfest. Ein festlich gedeckter Tisch auf einem Bootssteg, an dem neben der gastgebenden Familie Helander vier Gäste Platz genommen haben. Ein grausiges Massaker, das nur die 14-jährige Astrid schwer traumatisiert überlebt - das ist die Zusammenfassung des spannenden Prologs, mit dem John Ajvide Lindqvist seinen Thriller „Refugium“ beginnt.

Im Folgenden lernt man die Hauptfiguren kennen. Da ist die ehemalige Polizistin Julia Malmros, die sich mittlerweile als Krimiautorin einen Namen gemacht hat und gerade dazu auserkoren wurde, einen Entwurf für den nächsten Millennium-Roman einzureichen. Weil Julia wenig Ahnung von Hacking und Internet-Spionage hat, wird ihr der junge Hacker Kim Ribbing zur Seite gestellt. Kim ist der Spross eines alten Adelsgeschlechts und dank eines riesigen Familienvermögens finanziell unabhängig. Der 28-Jährige hatte jedoch eine grausige Kindheit und Jugend. Er wurde auf unsägliche Weise von seinem gewalttätigen Großvater und später auch von seinem Therapeuten, der mit Elektroschocks experimentiert hat, gequält und missbraucht.

Julia und Kim befinden sich gerade in Julias Sommerhaus auf Tärnö, als auf der nahen Insel der Helanders das Attentat verübt wird. Die beiden eilen per Boot an den Tatort und werden schließlich in die Ermittlungen rund um die Suche nach den Tätern und den Hintergründen zu diesem kaltblütigen Anschlag hineingezogen.

Lindqvist hat mich mit seinem mitreißenden Erzählstil schnell in seinen Bann gezogen. Schon nach wenigen Seiten lief mein Kopfkino auf Hochtouren - den Leser erwartet hier ein vielschichtig angelegter Krimi. Kurze Kapitel, ständig wechselnde Perspektiven, internationale Schauplätze, globale Verwicklungen und dazu mehrere Rückblenden in Kims Vergangenheit sorgen für eine lebhafte und abwechslungsreiche Handlung.

In „Refugium“ befinden sich einige Parallelen zur Millennium-Reihe. Das kommt nicht von ungefähr, denn Lindqvist ist gefragt worden, ob er weitere Fortsetzungen der Reihe schreiben möchte, sein Entwurf wurde dann allerdings vom Lektorat abgelehnt. Damit die monatelange Recherche und Schreibarbeit nicht vergeblich war, hat Lindqvist sein Manuskript umgeschrieben und als Auftaktband einer eigenen Reihe veröffentlich. Die Idee, seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen während des Werdegangs des Romans auch seine Protagonistin Julia Malmros durchmachen zu lassen, habe ich als sehr gelungen empfunden.

„Refugium“ hat mir sehr gut gefallen - ein Thriller, der mit einem abwechslungsreichen Geschehen punkten kann und mir ein paar spannende Lesestunden beschert hat.

Bewertung vom 11.06.2023
Und morgen ein neuer Tag
Alexander, Claire

Und morgen ein neuer Tag


ausgezeichnet

Glasgow, 14. November 2018. Für die meisten Menschen ein ganz normaler Tag, für die fast 40-jährige Meredith Maggs der 1214. Tag, den sie in selbstgewählter Isolation verbringt. Die freiberufliche Texterin ist nicht in der Lage, ihre Wohnung zu verlassen, sie bekommt außerhalb ihrer eigenen vier Wände Angstzustände und Panikattacken. Meredith hat ihren Alltag entsprechend angepasst. Sie arbeitet von zuhause aus, kommuniziert via Internet mit ihrer Therapeutin Diane, chattet mit Bekannten aus einer Selbsthilfegruppe und nimmt Lieferdienste in Anspruch. Ab und an bekommt sie Besuch von ihrer Freundin Sadie und deren Kindern. Meredith scheint sich in ihrem abgeschotteten Universum wohlzufühlen, dennoch ist ihr klar, dass sie ein alles andere als normales Leben führt. An Tag 1215 steht Tom McDermott vom Verein „Helfende Hände“ vor ihrer Tür. Er möchte sie dabei unterstützen, ihre Angst vor der Außenwelt zu überwinden, doch Meredith reagiert trotzig. Erst nach und nach erkennt sie, dass sie in ihrer kleinen Welt doch nicht so glücklich ist, wie sie gedacht hat…

Claire Alexander lässt Meredith ihre Geschichte selbst erzählen. Man bekommt dadurch einen guten Einblick in ihren Alltag und erlebt alles, was sie bewegt, antreibt und ausbremst intensiv mit. Während die laufende Handlung kaum ausgeprägte Höhen und Tiefen hat - was ich als sehr ansprechend empfunden habe, weil man sich so voll und ganz auf Merediths Gedanken und Gefühle konzentrieren kann - sind es die eingeflochtenen Rückblenden in Merediths Kindheit, Jugend und auch nähere Vergangenheit, in denen sich schreckliche Abgründe auftun. Schnell ist klar, dass sie ein Trauma mit sich herumschleppt, welches sie nicht zu verarbeiten in der Lage ist. Hinzu kommt eine überaus lieblose Mutter, die ganz besonders Meredith aber auch ihre Schwester Fiona über viele Jahre hinweg mit emotionalen Grausamkeiten überschüttet hat.

Besonders gut gefallen hat mir, wie feinfühlig die Autorin die aktuelle Situation ihrer Protagonistin schildert. Die sichere Welt, die Meredith sich selbst geschaffen hat und in der sie sich geborgen und glücklich fühlt. Ihre zahlreichen Versuche, den verlorenen Lebensraum außerhalb ihrer Wohnung zurückzuerobern. Die Rückschläge, weil sie trotz aller Anstrengung lange Zeit nicht in der Lage ist, auch nur einen Fuß vor die Haustür zu setzen.

Claire Alexander jongliert mit sehr gewichtigen Themen. Es geht um psychische und körperliche Gewalt, um tief verwurzelte Traumata, Angststörungen und Depressionen. Keine leichte Kost. Aber die Autorin zeigt auch auf, was echte Freundschaft bewirken kann. Dass es immer einen Funken Hoffnung gibt und sich auch die dunkelsten Ecken wieder mit Licht füllen lassen.

Bewertung vom 14.05.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


ausgezeichnet

Sadie Green und Sam Masur lernen sich als Elfjährige im Spielzimmer eines Krankenhauses kennen und sind sofort auf einer Wellenlänge - sie teilen die Begeisterung für Videospiele und zocken unzählige Stunden Super Mario Bros. Eine Freundschaft entsteht, die allerdings abrupt endet, als Sam erfährt, dass Sadie sich die gemeinsamen Stunden als gemeinnützige Arbeit für ihre Bat Mizwa gutschreiben lässt. Auch wenn sie sich nie gänzlich aus den Augen verlieren, dauert es ungefähr zehn Jahre, bis sie sich am Harvard Square in Cambridge (Massachusetts) zufällig begegnen - Sadie studiert am MIT, Sam an der Harvard University - und ihre Freundschaft wieder aufleben lassen. Sie beschließen, gemeinsam mit Sams Mitbewohner Marx eigene Computerspiele zu entwickeln und landen gleich mit ihrem ersten Versuch einen Volltreffer…

In ihrem Roman „Morgen, morgen und wieder morgen“ nimmt Gabrielle Zevin den Leser mit auf eine spannende Zeitreise, die in den 1980er Jahren beginnt und mehrere Jahrzehnte umspannt. Die Autorin schildert den Lebensweg ihrer Protagonisten dabei nicht chronologisch, sondern hüpft munter zwischen den Zeiten und Perspektiven hin und her, so dass man nach und nach immer mehr Hintergründe erfährt und neue Seiten der Akteure entdeckt. Dieser stetige, gut durchdachte Wechsel zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat mir besonders gut gefallen, weil die Handlung dadurch durchweg lebhaft und interessant bleibt.

Als Fundament für ihren Roman hat Gabrielle Zevin die Welt der Computerspiele gewählt, doch man muss kein Kenner der Szene sein, um dieses Buch in vollen Zügen genießen zu können, denn die Geschichte von Sadie und Sam ist viel mehr als ein Blick in die Gaming-Branche - hier geht es um das Wachsen und Werden zweier Menschen, um Freundschaft, Liebe und Rivalität, um Erfolg, Konflikte und Scheitern, um Umwege, Verlust und Neubeginn. Sam zeichnet gerne Labyrinthe und sagt im Verlauf der Handlung einmal, dass ein Labyrinth ein Videospiel in seiner reinsten Form sei. Genauso habe ich diesen Roman empfunden - als Labyrinth. Sadies und Sams Leben gleicht einem Irrgarten aus verschlungenen Wegen mit Abzweigungen, Kreuzungen, Gabelungen, Hindernissen, Sackgassen und Schleifen. Ein Wirrwarr, in dem man sich verlaufen kann, manchmal wieder am Anfang steht, aber irgendwann dann doch ans Ziel kommt.

Obwohl ich nicht in der Gaming-Welt zu Hause bin, war ich schnell mittendrin im Geschehen und konnte den Abläufen trotz der Komplexität der Geschichte problemlos folgen. Gabrielle Zevin hat das Leben und Wirken von Sadie und Sam eng mit der Realität verwoben, viele gesellschaftlich relevante Themen bereichern die Handlung und zwingen die Akteure, immer wieder neue Herausforderungen zu meistern. Es gibt schöne Zeiten, amüsante Momente, spannende Wendungen, tragische Augenblicke und dramatische Passagen, die alle sehr mitreißend geschildert werden. Besonders greifbar ist dabei immer wieder die große Leidenschaft der Akteure für Spiele und Spieleentwicklung.

„Morgen, morgen und wieder morgen“ hat mir sehr gut gefallen - ein unterhaltsam erzählter Roman, der mir ein paar kurzweilige Lesestunden beschert hat.

Bewertung vom 16.04.2023
Zornige Flut / Liv Lammers Bd.7
Weiß, Sabine

Zornige Flut / Liv Lammers Bd.7


ausgezeichnet

Sabine Weiß beginnt den siebten Band ihrer Sylt-Krimi-Reihe mit einem mitreißenden Prolog: Liv Lammers und ihre Tochter Sanna entgehen nur ganz knapp einer Katastrophe - Flammen wüten mitten in der Nacht im Erdgeschoss ihres Flensburger Kapitänshauses. Eindeutig Brandstiftung. Es soll nicht der einzige Anschlag auf das Leben der sympathischen Kommissarin bleiben…

Liv hat nur wenig Zeit, den Schrecken zu verarbeiten. Ein neuer Fall auf Sylt verlangt ihre ganze Aufmerksamkeit - ein Kollege aus der Kriminaltechnik hat während seines Kuraufenthalts in einer Fastenklinik einen menschlichen Schädel entdeckt. Hinweise auf Gewalteinwirkung lassen keinen Zweifel daran, dass der unbekannte Tote einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Da aber der Täter jegliches Gewebe sowie alle Zähne entfernt hat, kann der Schädel zunächst keinem aktuellen Vermisstenfall zugeordnet werden. Dann erfahren die Ermittler, dass eine prominente Sylter Galeristin seit einem halben Jahr wie vom Erdboden verschluckt ist…

„Zornige Flut“ hat mich schon nach wenigen Seiten fest im Griff gehabt. Sowohl die Ermittlungsarbeit in dem undurchsichtigen Mordfall wie auch die aufreibenden privaten Angelegenheiten der Ermittler und ganz besonders Livs lebensbedrohliche Situation werden spannend geschildert, so dass man durchweg mit den Akteuren mitfiebern und bis zum Schluss prima über Motive, Hintergründe und die Identität der Täter miträtseln und mitgrübeln kann.

Besonders gut gefällt mir an dieser Krimireihe, dass jede Figur einen ganz eigenen Charakter und eine individuelle Geschichte hat. Das „Stammpersonal“ macht seit dem ersten Band eine stetige Entwicklung durch, die ich als authentisch und nachvollziehbar empfinde. Es macht Spaß, die Wege der einzelnen Akteure zu verfolgen und ihr lebhaftes und abwechslungsreiches Zusammenspiel zu beobachten.

Neben interessanten Themen wie die forensische Gesichtsweichteilrekonstruktion oder die Herstellung von Waffen mittels 3D-Drucker sind auch die Beschreibungen der Handlungsorte auf Sylt und in Flensburg in diesem Band wieder äußerst gut gelungen - die technischen Erläuterungen sind leicht verständlich und die einzelnen Schauplätze kann man sich alle prima vorstellen.

„Zornige Flut“ hat mir sehr gut gefallen - ein kurzweiliger Krimi, der mich mit spannenden Ermittlungen und einer gut durchdachten Handlung bis zur letzten Seite gefesselt hat.