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VolkerM

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Insgesamt 139 Bewertungen
Bewertung vom 21.02.2025
inside tagesschau
Teske, Alexander

inside tagesschau


ausgezeichnet

„Welchen Platz eine Meldung in der Sendung hat, ob sie am Anfang steht oder am Schluss, richtet sich nach der Wichtigkeit des Themas. Die Relevanz einer Nachricht bestimmt Platz und Länge des Beitrags.“ – soweit die Selbstdarstellung der Tagesschau über ihre Arbeit. Doch wer die Tagesschau in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, wird eine Boulevardisierung der Nachrichten bemerkt haben. Aufmacher werden zu Nachrichten (z.B. ein Sturz bei der Tour de France, also der sprichwörtliche „Sack Reis in China“), die dem selbsternannten Anspruch widersprechen: „Sachlich, knapp, präzise, umfassend und journalistisch kompetent“ sollen Nachrichten in der Tagesschau sein. Relevante Nachrichten werden auch schon mal herausgefiltert, wenn sie nicht „in den Kram passen“, wie Alexander Teske in seinem Buch „inside Tageschau“ an zahllosen Beispielen belegt. Der Journalist weiß, wovon er spricht, denn er war sechs Jahre lang Redakteur bei der Tagesschau in Hamburg.

Dies ist aber nicht der einzige Kritikpunkt, den Teske an der Tagesschau und im weiteren Sinne am öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) hat. Er übt deutliche Kritik an der Arbeitsweise verschiedener Akteure, insbesondere der Chefredakteure und Chefs vom Dienst. Wiederkehrende Muster bei der Zusammenstellung und Priorisierung von Themen und eine interessengesteuerte Auswahl von Kommentatoren und Experten deuten auf eine einseitige und linkslastige Berichterstattung hin. Seine Beispiele sind überzeugend und lassen endgültig an der Neutralität der „Institution“ Tagesschau zweifeln. Es ist also nicht nur ein Gefühl, sondern ein strukturelles Problem. Teskes Fazit: „Es besteht aus Sicht von Experten, Wissenschaftlern und Journalisten Handlungsbedarf.“

Alle im Buch angesprochenen Themen (Arbeitsklima, Wording, Vermeidung bestimmter Begriffe (Framing), tendenziöse Berichterstattung, „Experten“wahl, Verhältnis zur Politik, AfD, Migration, Einschaltquoten, Fake News, Gender, Fehlerkultur usw.) werden seinen gemachten Erfahrungen hinterlegt. Dabei sind seine Analysen stets sachlich und nicht polemisch. Er äußert viel Kritik, weist andererseits aber auch klar auf unhaltbare Vorwürfe hin.

Besonders interessant fand ich die Schlussbemerkung des „Nestbeschmutzers“ in Bezug auf das zuletzt häufige Tagesschau-Bashing in den Medien. „Warum fallen halbwahre Anschuldigungen aber auf derart fruchtbaren Boden? Weil man es der ARD und der Tagesschau zutraut.[...] Und das ist tatsächlich auch ein Ergebnis der Berufsauffassung zahlreicher Redakteure im ÖRR. Sie verstehen sich nicht als objektive Berichterstatter, sondern als Aktivisten“ oder, wie sie selbst sagen, als „Journalisten mit Haltung“. Klingt zwar besser, ist aber letztlich eine berufliche Bankrotterklärung. Hans Joachim Friedrich hat einmal gesagt: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“. Doch die „Kunden“ des ÖRR, also wir, zeigen sich zunehmend genervt vom Aktivismus und der rot-grünen Filterblase.

Teske hat meine Beobachtungen gegenüber der Tagesschau und anderen Sendungen im ÖRR auf ganzer Linie bestätigt und mir gezeigt, wie wichtig Medienkompetenz in der heutigen Zeit ist. Die Tagesschau als Leitmedium existiert nicht mehr. Nachrichten sollte man immer (und auf allen Kanälen) mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen, ohne ihren Machern pauschal zu misstrauen. Nur wo ist die Grenze, ab der Misstrauen gerechtfertigt ist?

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.02.2025
Gründerzeit 1200
Graichen, Gisela;Wemhoff, Matthias

Gründerzeit 1200


ausgezeichnet

Dass das Mittelalter nicht ganz so dunkel war, wie es mein Geschichtslehrer noch darstellte (und dann husch husch darüber hinweg ging), hat sich ein bisschen rumgesprochen. Um 1200 explodierte die mitteleuropäische Kultur geradezu, es kam zu gesellschaftlichen Umwälzungen, die an das heranreichen, was wir gerade erleben. Innerhalb kürzester Zeit wurden alleine in Deutschland Hunderte Städte gegründet, von denen die meisten tatsächlich heute noch existieren. Die Stadt war ein Erfolgsmodell. Wie kam es dazu? Und was für Folgen hatte es für die Menschen?

Gisela Graichen und Matthias Wemhoff – Namen, die man aus diversen ZDF-Dokumentationen kennt – haben zusammen ein Buch darüber geschrieben, in dem sie nicht nur die Ursachen untersuchen, sondern auch, wie Archäologie und Geschichtsforschung Licht in das vermeintliche Dunkel gebracht haben. Viele der Erkenntnisse sind noch keine 20 Jahre alt und sie haben altes „Überlieferungswissen“ oft genug widerlegt. Fake News gibt es nicht erst seit Donald Trump und Nancy Faeser.

Besonders gefallen hat mir der interdisziplinäre Ansatz der Autoren, die aus verschiedenen Richtungen an das Problem herangehen. Sie diskutieren das Klima(optimum) im Hochmittelalter, die Umbrüche im Rechtssystem (vom Gewohnheitsrecht zur Kodifizierung), die Rolle von Kirche und Klöstern, den Raubbau an der Natur und seine dramatischen Folgen, Epidemien, Handelsbündnisse und Stadtplanung. Und obwohl es ein spezielles Kapitel „Frauen in der Stadt“ gibt, ist das Buch erfreulich frei von woken Gedankenschranken und Sprachverhunzung. Man muss heute auf sowas leider extra hinweisen, weil es im akademischen Umfeld mittlerweile so weit verbreitet ist. Aber das geht wieder vorüber. Heute klopfen wir uns über das wolkige 68er-Gefasel („Die Gesamtsituation ist irgendwie unbefriedigend“) auch vor Lachen auf die Schenkel. Kleiner, notwendiger Exkurs, zurück zum Buch:

Ein zweiter Punkt, der mir positiv aufgefallen ist, ist die spürbare Begeisterung der Autoren, die sich beim Lesen überträgt. Die beiden brennen für ihr Thema. Exemplarisch an einzelnen Städten unterschiedlicher Größe und Lage diskutieren sie Gemeinsamkeiten der Entwicklungen und wichtige Unterschiede. Da spielen Handelsgeografie, Umwelt und Politik eine Rolle, aber nur selten ist eine Stadtgründung reiner Zufall. Im Verlauf des Buchs wird die eine oder andere Diskussion zwar redundant erzählt, aber das stört nicht viel, sondern festigt das Gelesene.
Die Darstellung ist fachlich auf dem allerneuesten Stand und insbesondere Matthias Wemhoff stellt die jeweiligen Wissenschaftler auch immer mit Namen vor, denn ihm als Archäologen ist offenbar sehr bewusst, wie wichtig Teamarbeit in seinem Job ist. Auch das ist mir positiv aufgefallen.

„Gründerzeit 1200“ setzt so aus Tausenden Einzelfakten das bunte Bild einer sehr dynamischen und in die Zukunft gerichteten Entwicklung zusammen, die bis heute unser Zusammenleben prägt. Erstmals nach der römischen Antike kam es zu hochgradiger Arbeitsteilung und zu bürgerlicher Selbstorganisation. Es sind die ersten Schritte hin zur Emanzipation des Individuums und letztlich der Demokratie.

Soll nochmal jemand sagen, das Mittelalter sei dunkel gewesen.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.02.2025
Wächst nicht gibt's nicht
Lugerbauer, Katrin

Wächst nicht gibt's nicht


ausgezeichnet

„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“. Das Gleiche kann man von sogenannten „Problemzonen“ im Garten sagen. Die gibt es nicht, es gibt nur die falschen Pflanzen für den Ort, denn bis auf wenige Ausnahmen werden in unseren Breiten alle Orte irgendwie von Pflanzen besiedelt. Man braucht nur mit offenen Augen durch die Natur zu gehen, dann lernt man viele Arten kennen, die sich auf solche „Problemzonen“ spezialisiert haben und da gut zurechtkommen. Sie sind oft wenig durchsetzungsstark, aber an ihrem Standort eben konkurrenzlos. Katrin Lugenbauer erklärt in ihrem neuen Buch diese Lebensraumstrategien und wie man sie im Garten vorteilhaft nutzen kann. Dabei bedient sie sich nicht nur in der heimischen Flora, sondern auch in Nordamerika, dem Nahen Osten und Asien, wo es sehr gartenwürdige Vertreter gibt, die oft auch mit unseren Einheimischen verwandt sind.

Neben der richtigen Pflanzenauswahl setzt die Autorin auch einen Fokus auf die richtige Bodenvorbereitung, denn auch hier lässt sich einiges optimieren, was dann wieder die Auswahl erhöht.
Neben der Neuanlage hat Katrin Lugenbauer einige praktische Ideen für den Umbau von bestehenden Beeten „im laufenden Betrieb“. Nicht jeder kann oder will ja seinen eingewachsenen Garten mit dem Bagger umgestalten. Aber wie anfangs schon gesagt, sind viele der attraktiven Problemzonenbewohner nicht sehr konkurrenzstark, so dass man ihnen ein bisschen nachhelfen muss. Allerdings hat die Autorin auch ein paar Vertreter im Programm, die ganz schön lästig werden können (Centranthus ruber ist so ein Kandidat), ohne dass die Autorin darauf ausdrücklich hinweist. Dann kann eine Problemzone nach ein paar Jahren auch gerne zur Monokultur mutieren. Kann auch schön aussehen.

Die Artenlisten sind nach den jeweiligen Standorten sortiert (Wurzeldruck, schattig, vollsonnig und trocken etc.), unterscheiden sich aber deutlich vom Nullachtfünfzehn-Sortiment. Die üblichen Baumarkt-Kandidaten wird man hier eher nicht finden. Trotzdem sind die Vertreter ausgesprochen attraktiv, darunter echte Leitstauden und Begleiter, in vielen Höhenstaffelungen und Farben. Eigentlich kann man mit ihnen genauso arbeiten wie mit den Standardpflanzen, man muss sie eben nur kennen. Da viele Vertreter auch heimisch sind, sind sie von besonderem ökologischen Wert, indem sie z. B. Insekten mit Nahrung, Nistmaterial oder Behausung versorgen. Bezugsquellen nennt die Autorin genauso wie weiterführende Literatur.

Obwohl das Buch weitgehend auf dem wissenschaftlichen Konzept der Strategietypen basiert, erklärt Karin Lugenbauer das Prinzip in einer allgemeinverständlichen Sprache, ohne akademischen Ballast. Viele Anmerkungen zur Praxiserfahrung ergänzen die Pflanzenlisten und die Illustrationen sind sehr attraktiv. „Problemzonen“ gibt es wirklich nicht.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus
Twain, Mark

Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus


ausgezeichnet

Mit 14 habe ich den „Yankee“ zum ersten Mal gelesen, damals noch als reine Abenteuergeschichte. Es war tatsächlich meine erste literarische Begegnung mit Mark Twain, noch vor „Tom Sawyer“ oder dem herrlichen „Bummel durch Europa“, mit der wohl lustigsten Beschreibung der deutschen Grammatik überhaupt. Im Abstand von einigen Jahrzehnten habe ich den „Yankee“ jetzt wieder gelesen und er hat mich erneut gefesselt. Zu meinem Glück hatte ich viele Wendungen schon vergessen, so dass die Spannung nicht gelitten hat, hinzugekommen ist aber die Bewunderung für die originelle Geschichte, die tatsächlich ein echter Science-Fiction-Roman ist. Der Ich-Erzähler wird aus seiner Gegenwart, dem Ende des 19. Jahrhunderts, geradewegs ins Mittelalter katapultiert, wobei er mit seinem technischen und naturwissenschaftlichen Wissen einen unschlagbaren evolutionären Vorteil genießt. In kürzester Zeit erobert er sich die Stelle des Premierministers und beginnt, das Land umzubauen. Sein Fernziel ist die Abschaffung der Leibeigenschaft und des Adels, was erwartungsgemäß auf Widerstand trifft, doch Twains Überlegenheitsgefühl bekommt irgendwann Risse. Der Zauberer Merlin, mit dem er in inniger Feindschaft verbunden ist, wartet nämlich nur auf seine Gelegenheit. Und die wird kommen.

Twains Humor zeichnet sich besonders durch seine Menschenfreundlichkeit und feine Selbstironie aus, wodurch die menschlichen Schwächen sogar noch deutlicher hervortreten. Der Kampf von Wissenschaft und Logik gegen tumben Glauben ist selten so originell beschrieben worden und die Mechanismen, mit denen Menschen in einer weltanschaulichen Blase die Wahrheit ausblenden, erinnert doch sehr an unsere Gegenwart. Twain ist erstaunlich zeitgemäß, bedenkt man, dass das Buch fast 150 Jahre alt ist. Die Einfälle sind heute noch so originell wie damals und nicht umsonst wurde es mehrfach verfilmt. Übrigens erschien der „Yankee“ noch vor dem Roman „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells, der sich nicht wenige Ideen von Twain „geborgt“ hat.

Die Übersetzung ist gut, aber an einigen Stellen, bei denen englische Wortspiele im Hintergrund stehen, hätte ich mir etwas mehr Mühe bei der Übertragung gewünscht. Harry Rowohlt war einer der wenigen Übersetzer, der solche Transferleistungen ins Deutsche genial hinbekam, hier gelingt das nicht ganz so elegant. Auch die „mittelalterliche“ Wortwahl der Einheimischen erinnert mich eher an Living History als an authentischen Sprachgebrauch.

Trotzdem habe ich das Buch wieder mit großem Vergnügen gelesen, auch weil die liebevolle Buchausstattung der Manesse-Ausgabe dazu zusätzlich beiträgt. Eine Geschichte, die jede Generation aufs Neue begeistern wird.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Seunggu Kim
Kim, Seunggu

Seunggu Kim


ausgezeichnet

Wie erholt man sich in einer Gesellschaft, die immer in Eile ist, die keine Zeit hat und in überindustrialisierten Städten mit wenig Naturräumen lebt? Koreaner sind Pragmatiker. Sie planen ihre Freizeit so effizient wie die berufliche Arbeit und wägen Aufwand gegen Nutzen ab. Stadtnahe Freizeitparks und Festivals sind Gelegenheiten, mit geringem Aufwand zusammen mit anderen Spaß zu haben. „Kollektiven Individualismus“ nennt der Fotograf Seunggu Kim dieses Phänomen, das es in dieser Ausprägung nur in Korea gibt. Für Europäer sind das uniforme Verhalten und die trostlose Einfachheit der „Attraktionen“ mit Individualismus kaum zu assoziieren, in Korea ist das ganz offensichtlich anders. Kim hat seit fast 10 Jahren detaillierte Übersichtsfotos von Freizeitparks und Festivals aufgenommen und gibt so interessante Einblicke in das Vor-Corona, Während-Corona und Nach-Corona Korea. Die Unterschiede sind kaum wahrnehmbar, was auf bestimmte kollektive Verhaltensmuster zurückzuführen ist, die es Korea ermöglichte, ohne drakonische Maßnahmen die Corona-Pandemie zu überstehen, bei der gleichzeitig geringsten Todesrate aller Industrienationen.
Kims Fotos werden immer aus erhöhten Perspektiven aufgenommen und wirken oft wie Drohnenbilder, wodurch der gleichgeschaltete Individualismus, der für den europäischen Betrachter so irritierend ist, auf den ersten Blick erkennbar wird.

Im Nachwort erklärt der Autor diese auffälligen kulturellen Unterschiede, allerdings zeigen die Fotos auch keine absolute Realität, denn die vielen Dutzend Menschengruppen eines einzelnen Bildes sind einfach zu perfekt arrangiert, um natürlich zu sein. Sie visualisieren also eher ein Konzept. Aber letztlich macht das künstlerische Fotografie immer.

Kim nutzt Großformatkameras für seine Fotos, was im verkleinerten Format als Überdetailliertheit wahrgenommen wird. Es sind echte Wimmelbilder, die man gerne größer sehen möchte, um die Raffinesse der Komposition klarer zu erkennen. Das Buchformat ist erkennbar ein Kompromiss, der den riesigen Originalen zwar nicht wirklich ebenbürtig ist, aber zumindest einen realen Eindruck vermittelt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Das Reisebuch Japan
Kleinschmidt, Bernhard;Elisa Mori

Das Reisebuch Japan


ausgezeichnet

Als ich Japan vor fast 20 Jahren „entdeckte“, war es wirklich noch eine Entdeckung. Das Land war vom Massentourismus völlig unberührt und das Reisen war eine Erfahrung, wie ich sie noch nicht kannte. Zuverlässig, sauber, ruhig. Zuverlässig ist das Reisen in Japan immer noch, sauber auch, aber ruhig? Das Land der aufgehenden Sonne ist Opfer seines eigenen Erfolgs geworden, Influencer und Bucket Lists haben schweren Schaden angerichtet, so dass mittlerweile nicht nur die Einwohner, sondern auch die Touristen über massive Einschränkungen klagen. Umso wichtiger ist die Vorbereitung.

Das „Reisebuch Japan“ ist eine gelungene Mischung aus Bildband und Reiseführer, wobei die Reiseinformationen sich auf touristische Sehenswürdigkeiten beschränken. Es gibt also keine „Praxistipps“ zu Transport, Unterkunft oder Verpflegung. Es ist eher ein Buch für die Vorbereitung zu Hause, weniger ein Reisebegleiter vor Ort.

Positiv ist die große geografische Bandbreite, die auch entlegene Winkel berücksichtigt und das wirklich ausgezeichnete Bildmaterial. Man bekommt visuell einen sehr guten Eindruck von dem, was einen erwartet und man kann sich auch darauf verlassen, dass es jeweils die absoluten Höhepunkte der Region sind. Die Kultur steht zwar im Vordergrund, aber es gibt auch Tipps für Erlebnisurlaub in der Natur oder zum Sport. Eingeschoben sind Spezialkapitel, die japanische Besonderheiten erklären (Onsen, Matsuri, Sushi ...) und gleich auch noch ein paar Empfehlungen geben. Sowohl die Auswahl der Ziele als auch die „Rankings“ der Autoren zeugen von viel Reiseerfahrung. Die meisten würde ich bedenkenlos teilen und ich kenne wirklich sehr viele der genannten Ziele.

Es gibt nur einen Punkt, den ich kritisieren muss, und der bezieht sich auf das anfangs Gesagte: So schön einige der Sehenswürdigkeiten auch sind, sie sind teilweise hoffnungslos (!) überlaufen. Der Eikando in Kyoto, auf Platz 7 der persönlichen Bestenliste der Autoren, hat im Herbst Warteschlangen von 2-4 Stunden und die berühmten Torii von Fushimi-Inari sind unerträglich geworden. Das muss man wissen, wenn man eine Tagestour plant und ggf. auf weniger überlaufene Ziele ausweichen. In Kyoto wird das aber schon schwierig. Andererseits kann ich verstehen, wenn man die Top-Highlights auch sehen möchte, deshalb ist es absolut notwendig, die Ziele unabhängig zu recherchieren. Die Stadt Kyoto hat z. B. für einige Attraktionen seit Kurzem einen „Crowd Simulator“, der dabei hilft, ein geeignetes Zeitfenster zu finden.

Das Buch ist mit großer Reiseerfahrung zusammengestellt, es ist in den gewählten Themenbereichen informativ und erlaubt dem Leser gute Entscheidungen zu treffen. Aber das Japan von heute ist nicht das Japan von gestern, besonders im Expo-Jahr 2025, so dass vor Reiseantritt in jedem Fall eine gründliche Nachrecherche nötig ist, sonst wird ein zu voll gepackter Tagesplan schnell zur herben Enttäuschung.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Stanley Kubrick's The Shining
Rinzler, J. W.

Stanley Kubrick's The Shining


ausgezeichnet

Steven Spielberg, der die Buchvorlage für „The Shining“ geliefert hat, schreibt im Vorwort sehr treffend, was Stanley Kubricks Filme auszeichnen: Sie brechen die etablierten Regeln des Kinos, erobern stets cinematisches Neuland und kein Film ist wie der andere. 13 Werke, darunter der esoterisch angehauchte Science-Fiction „2001- A Space Odyssey“, der Historienfilm “Spartacus”, die Endzeit-Komödie „Dr. Seltsam“ oder „Clockwork Orange“ und „Eyes Wide Shut“, die eigene Kategorien sind. Insgesamt 13 Oscar-Nominierungen für 13 Filme. Nicht nur für Spielberg ist Kubrick eines der größten Genies der Filmgeschichte.

„The Shining“ hat eine ganze Generation traumatisiert, ein Film, der sich in die Albträume eines jeden einbrennt, der ihn gesehen hat. Ganz ohne hektische Schnittfolgen, wie es bei Horrorfilmen üblich war (und ist), durchzogen von einer bedrohlichen Ruhe im eingeschneiten Overlook Hotel, dessen Geister Jack Torrance langsam in den Wahn treiben werden. Ein epochaler Horrorfilm über den regalmeterweise cineastische Literatur existiert, aber kein einziges Making-of. Fast zeitgleich kamen der renommierte Buchautor J. W. Rinzler und der Oscar-prämierte Regisseur Lee Unkirch („Toy Story“) auf die Idee, dem abzuhelfen. Rinzler hatte bereits umfangreiche Making-ofs der Star Wars Serie publiziert, Unkirch galt als einer der versiertesten Kenner von „The Shining“, dessen Memorabilia und Hintergrundinformationen er seit vielen Jahren sammelte. Die beiden trafen sich im Kubrick-Archiv in London und vereinbarten eine Zusammenarbeit, die über 10 Jahre bis zur Publikation andauerte. Rinzler verstarb kurz vor Drucklegung.

Der 900 Seiten starke Textband folgt chronologisch den Ereignissen, von Spielbergs Buchvorlage bis zur Rezeption des Films nach der Premiere 1980. Zahllose Set Fotos, faksimiliertes Hintergrundmaterial und Film Stills ergänzen die minutiösen Beiträge, die Kubrick nicht nur als hochintelligenten Workaholic erkennen lassen, sondern vor allem als jemanden, der in einem extrem komplexen Umfeld buchstäblich jeden Aspekt des Filmemachens aktiv begleitete. Der Vertrag mit Warner ließ ihm nach Abnahme des Drehbuchs uneingeschränkte Freiheit, die Kubrick in den über zwei Jahren Produktion auch nutzte. Alle Teilnehmer beschreiben die Arbeit mit ihm mindestens als sehr intensiv, oft sogar brutal, Kubricks Perfektionismus nahm jedenfalls keinerlei Rücksicht. Er selber stand zwar nicht mehr für Interviews zur Verfügung, aber sein Archiv wurde noch von ihm für die Nachwelt konzipiert und enthält das, was er als Quintessenz in tausenden Kisten sorgfältig bewahrte. Dazu kommen noch über 100 Stunden Interviews mit noch lebenden Weggefährten, Publiziertes aus Filmzeitschriften, Yellow Press und weiteren privaten Aufzeichnungen. Es ist eine unfassbare Menge an Material, bei dem es nicht wundert, dass die Auswertung über 10 Jahre gedauert hat.

Der zweite Band ist mit „Scrapbook“ betitelt und enthält mehr als 400 Fotos der Produktion von „The Shining“. Kubricks echtes Notizbuch ist zwar nicht erhalten, es ging zerlegt in seinem Archiv auf, aber diese Rekonstruktion zeigt, wie es hätte aussehen können. Quellen sind das Kubrick-Archiv, aber auch private Fotos von anderen Beteiligten, viele Stills aus Deleted Scenes oder Set Fotos, alles jeweils mit knappen Erklärungen versehen. Sie ergänzen, ebenfalls chronologisch, den Textband und können fast parallel gelesen werden.

Die buchtechnische Verarbeitung ist hervorragend, mit solider Fadenbindung, angenehm getöntem Papier, Farbschnitt und robustem Schuber. Einzig der Textband hat einen Flexeinband aus Kunststoff, die ich persönlich nicht so schätze, weil man nicht vorhersehen kann, ob die Weichmacher im Lauf der Zeit ausblühen und die Oberfläche klebrig wird. TASCHEN achtet normalerweise auf sowas, also hoffe ich, das Material ist dauerhaft. Es wäre auch sehr schade, denn nach dieser Ausgabe ist zum Thema Making-of von „The Shining“ wirklich alles gesagt und recherchiert, was es zu sagen und recherchieren gibt. Als wäre man selbst dabei gewesen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Warren Buffett: Sein Weg. Seine Methode. Seine Strategie.
Hagstrom, Robert G.

Warren Buffett: Sein Weg. Seine Methode. Seine Strategie.


ausgezeichnet

Warren Buffett gilt als der erfolgreichste Investor aller Zeiten. Kein Wunder, dass es unzählige Bücher über ihn und seine Anlagestrategien gibt, darunter sehr gute Analysen wie auch die von Robert G. Hagstrom. Seit 30 Jahren ist das Buch ein Bestseller und wird immer wieder neu aufgelegt und aktualisiert.

Der Portfoliomanager und Autor Hagstrom hat Buffetts Aussagen und Anlageentscheidungen über mehrere Jahre hinweg analysiert, um daraus die wichtigsten Methoden und Strategien für Privatanleger abzuleiten. Das Ergebnis ist eine Checkliste mit zwölf zeitlosen Anlagestrategien, die sich auf das Unternehmen, das Management und die Finanzen beziehen: Ist das Geschäftsmodell des Unternehmens verständlich, arbeitet das Management rational, ist es aufrichtig gegenüber den Aktionären und wie hoch ist die Eigenkapitalrendite?

Obwohl ich schon einige Bücher über Warren Buffett und seine Value-Investing-Strategien gelesen habe, hat mich Hagstrom überrascht, zum Beispiel beim Thema Diversifikation, die er kritisch sieht. Warren Buffett hat sich bei seinem Portfoliomanagement immer auf wenige herausragende Unternehmen konzentriert und sieht sich daher als „company picker“ und nicht als „stock picker“. Dieser einzigartige Ansatz ist wahrscheinlich das Gegenteil von dem, was normalerweise über das Investieren am Aktienmarkt gelehrt wird, nämlich Aktien und damit das Risiko zu streuen. Buffett hat einleuchtende Gründe für sein „Focus Investing“, das allerdings nur für „erfahrene“ Anleger geeignet ist und entsprechendes Wissen und viel Arbeit voraussetzt. Will man das nicht, empfiehlt er „unwissenden“ Anlegern, in Indexfonds zu investieren, auch wenn diese Absicherung ihren Preis hat – schließlich kauft man immer auch die Underperformer im Index mit.

Neben einer kurzen Biografie Buffetts (mit 11 Jahren kaufte er seine erste Aktie) stellt Hagstrom auch fünf Fallstudien vor, die das Handeln und die Grundsätze des Jahrhundert-Investors anhand der Unternehmen Coca-Cola, Apple & Co. verdeutlichen.

Der Autor hat aber auch andere fokussierte Investoren daraufhin untersucht, ob sie ähnlich erfolgreich sind wie Warren Buffett (z.B. Bill Ruane vom Sequoia Fund oder Lou Simpson von GEICO). Hagstrom erklärt, warum es so wenige Nachahmer von Berkshire gibt und warum die Strategien der meisten Investmentmanager nicht funktionieren. Auch mit der Effizienzmarkttheorie geht Buffett hart ins Gericht.

Für mich das beste Buch über Warren Buffett, denn es betet nicht einfach nach, was andere schon geschrieben haben, sondern kommt zu ganz eigenen und oft überraschenden Schlüssen. Und auch wenn man nicht alles beherzigen kann, was Hagstrom herausgefunden hat, sollte man es zumindest wissen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Briefe von morgen, die wir gern gestern schon gelesen hätten
Vermes, Timur

Briefe von morgen, die wir gern gestern schon gelesen hätten


ausgezeichnet

Unsere Welt ist mittlerweile so irre, dass die Zukunft nicht mehr das Versprechen, sondern die Drohung ist. Was wäre, wenn es immer so weitergeht? Wenn die künstliche Intelligenz irgendwann bemerkt, dass es gar keine natürliche gibt? Wenn uns Konzerne regieren, deren Beschwerde-Hotline nur noch eine Geheimnummer hat? Oder man stelle sich mal vor, Wahlprogramme würden sich von der Realität entkoppeln! Eine gruselige Vorstellung.

Timur Vermes hat unsere Gegenwart ein kleines bisschen weiter überdreht und daraus keinen Roman gemacht, sondern ein satirisches Kaleidoskop, das er nach jedem Kapitel schüttelt, damit ein neuer Irrwitz herauskommt: Eine KI-Augenlinse, die die Realität an die Wünsche des Trägers anpasst. Archäologen der Zukunft, die sich Gedanken über eine unterirdische Kultstätte machen, in der tödliche Strahlenschätze lagern. Ein virtueller Thomas Gottschalk, der aus dem Grab eine Laudatio auf Deutschlands erste Influencer-Kanzlerin hält. Einen Bestellschein für maßgeschneiderte Babies, mit eingebauter Ritalinpumpe und Fernbedienung. Ein Gespräch mit Gott, der sich um andere Dinge kümmert als die um die Menschheit. Und das ist noch lange nicht alles.

So unterschiedlich die Themen, so unterschiedlich die Formate: Briefe, Interviews, Werbebroschüren, Zeitungsartikel, geheime Gesprächsmitschnitte. Immer ganz dicht dran und knallhart nachgefragt. Lanz ist auch dabei.

Den meisten Spaß hatte ich an den Dialogen, die so auf den Punkt geschrieben sind, dass wirklich jede Pointe sitzt. Messerscharf, absurd, aber nicht weniger realistisch als unsere absurde Gegenwart. Etwa so wie der brachialrhetorische Schlagabtausch zwischen den Presseabteilungen der Hamas und Israelis. Nur Gewinner. Irgendwann.

Sogar Dennis Scheck lobt Timur Vermes, aber spätestens hier wird dann klar, dass das alles nur ausgedacht ist. Kurz, aber nicht schmerzlos.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2025
Hokusai
Marks, Andreas

Hokusai


ausgezeichnet

Der im Westen wohl bekannteste japanische Künstler ist Katsushika Hokusai, was nicht nur an den bemerkenswerten Zuschlägen für seine Werke bei internationalen Auktionen liegt, sondern auch an seinem Einfluss auf die europäische Kunstgeschichte. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden seine weltweit vertriebenen Holzschnitte und die seiner Nachfolger zu prägenden Vorbildern für Impressionismus und Jugendstil.
In Japan steht Hokusai in einer weit zurückreichenden Tradition, die er zwar in neue Bahnen lenkte, aber er wird dort nicht als isoliertes Ausnahmetalent gesehen. Andreas Marks stellt Hokusai, sein Leben und Werk in einen größeren Zusammenhang, indem er die Wechselwirkungen zwischen seinen Lehrern, Schülern und Verlegern thematisiert, aber auch seine vielfältige künstlerische Entwicklung. Hokusais frühe Arbeiten sind wesentlich seltener als die späteren, die teilweise in riesigen Auflagen gedruckt wurden. Die frühen unterlagen meist nicht der Zensur, da sie in kleiner Auflage privat verkauft wurden und motivisch größere Freiheit genossen. Dass Marks auch aus dieser Frühphase zahlreiche authentische Beispiele aufgespürt hat, ist die erste Überraschung in dieser an Überraschungen reichen Monografie. Die verzerrte Wahrnehmung von Hokusai nur als begnadetem Landschaftsmaler bekommt hier ganz neue Facetten, denn er war auch auf den Gebieten des (Schauspieler-)Portraits, der Buchillustration oder buddhistischen Malerei sehr erfolgreich. Es gibt kaum ein Genre, das er im Lauf seines langen Lebens nicht bediente.

Marks macht in seinem Buch nicht den Fehler, den anekdotischen Hokusai mit dem historisch Belegten zu vermischen. Die erste Hokusai-Biografie erschien fast 50 Jahre nach seinem Tod und stützte sich auf Erzählungen von Menschen, die den Künstler meist nicht mehr persönlich kannten. Hier die Wahrheit von der Legende zu trennen, ist nicht einfach, gelingt Marks aber überzeugend. Das gleiche gilt für die unterschiedlichen Künstlernamen, die Hokusai führte und die immer noch kontrovers diskutiert werden. Hokusai kommt auf weit über 20 belegte Namen, die er in verschiedenen Kontexten und Phasen verwendete. Auch hier sorgt der Autor für Ordnung. Unlösbar bleibt dagegen das Problem der „Eigenhändigkeit“, das bei der engen Kooperation von Schülern und Lehrern in japanischen Druckwerkstätten unvermeidlich ist. Hokusai hatte mindestens 50 Schüler, die alle in die Produktion involviert waren und seinen Stil perfekt beherrschten. Marks folgt nicht der vor allem im hochpreisigen Kunsthandel verbreiteten Heroisierung, die Hokusai als One-Man-Show inszeniert. Die „Marke“ Hokusai war ein Kunstbetrieb, der Masse liefern musste, um Familie und Angestellte zu ernähren. Reich wurde der Meister übrigens nicht damit, anders als die heutigen Händler, die mit ökonomischen Hintergedanken immer weiter an einer vermarktbaren Legende stricken.

Der Band ist chronologisch gegliedert und in sechs Kapitel nach den sechs Hauptkünstlernamen Hokusais unterteilt. Jedes Kapitel zeigt sowohl die biografische Entwicklung, als auch die charakteristischen Stil- und Motivmerkmale der jeweiligen Periode, wobei der Autor großen Wert darauf legt, Werke zweifelhafter Zuschreibung auszuklammern. Diese beispiellose Monografie zeigt mit fast 1500, oft originalgroßen Abbildungen, das riesige Oeuvre, das nach Schätzungen etwa 8000 Gemälde, Drucke und Zeichnungen umfasst haben mag. Auch wenn der Band damit keinen Catalogue raisonné repräsentiert (was er auch nicht vorgibt zu sein), ist es die mit großem Abstand umfangreichste Darstellung, nicht nur im Westen, sondern überhaupt. Die kritische Herangehensweise hebt Marks außerdem stark von kommerziell beeinflussten Autoren ab, und seine Unabhängigkeit und ausgewiesene Expertise machen „Hokusai“ zu einem echten Grundlagenwerk, das in keiner Sammlung fehlen darf, auch wenn ein Anhang mit authentischen Namenssiegeln und Verlegerstempeln sicher hilfreich gewesen wäre.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.