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Volker M.

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Insgesamt 429 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2024
Ernst Grosse
Szentivanyi, Helga

Ernst Grosse


weniger gut

Der deutsche Kunstvermittler Ernst Grosse ist tatsächlich nur noch einigen Fachleuten ein Begriff. Er war zwischen 1906 und 1913 in Japan und China als Einkäufer für die neugegründete ostasiatische Abteilung der Berliner Museen unterwegs und auch vorher knüpfte er schon wertvolle Verbindungen zum japanischen Kunstmarkt. Obwohl er wesentlich zum Grundbestand der Sammlung beitrug und auch seine eigene Kollektion dem Museum stiftete, war ihm die meiste Zeit seines Lebens die Anerkennung verwehrt. Das klingt nach einem spannenden Thema, das sich aufzuarbeiten lohnt.

Helga Szentivanyi bemüht sich in ihrem schmalen Band, Ernst Grosse die Bedeutung zurückzugeben, die er wohl hatte, doch gelingt ihr das nur in Ansätzen. Der kurze Text ist inhaltlich sehr fragmentiert und es mangelt ihm erkennbar an klarer Struktur, was zu zahlreichen Wiederholungen führt, die zumindest mir irgendwann lästig wurden. Immer wieder springt die Autorin innerhalb eines Kapitels zu themenfremden Aspekten, die später mehrfach wieder aufgenommen werden. Gleichzeitig ist die Eindringtiefe aber sehr gering. Man erfährt zwar, dass Grosse promovierte, aber nicht, bei wem und über welches Thema. Er wird als Kunsthistoriker bezeichnet, aber aus dem Werdegang wird kaum ersichtlich, woher er diese Qualifikation hatte. Er wird durchgehend als „intuitiver“ Experte bezeichnet, der sich von den „wissenschaftlichen“ Experten bewusst abgrenzt (und von ihnen auch abgelehnt wird). An keiner Stelle wird dagegen die wichtige Frage diskutiert, ob seine intuitiven Werturteile, mit denen er oft in Konflikt mit seinen Auftraggebern geriet, heute noch Bestand haben. Auch der Verbleib der Sammlung, die immerhin zwei Weltkriege überlebt haben muss, bleibt im Dunkeln. Es gibt noch viele weitere Aspekte, die zu untersuchen interessant gewesen wäre, aber die Autorin zitiert stattdessen lieber inhaltsähnliche Passagen aus dem Reisetagebuch, die mehr anekdotischen als weiterführenden Charakter haben.

Dass Szentivanyi den Umstand, dass in europäischen Haushalten Yokohamas japanisches Dienstpersonal angestellt war, in einen kolonialen Kontext stellt, zeigt, wie sehr die postkoloniale Debatte mittlerweile aus dem Ruder gelaufen ist. Zum einen war Dienstpersonal um 1900 im bürgerlichen Umfeld üblich, zum anderen war Japan niemals kolonial besetzt und das japanische Dienstpersonal erhielt im Landesvergleich überdurchschnittliche Löhne (die Beschäftigung in einem ausländischen Haushalt galt als ehrenrührig). Von Kolonialismus ist da keine Spur. Während die Autorin den tatsächlich vorhandenen Rassismus der europäischen Siedler deutlich anprangert, bleibt der japanische rassistische Nationalismus, der gerade in dieser Zeit aufblüht, unerwähnt. Auch das ist mittlerweile eine weitverbreitete Praxis „wissenschaftlicher“ Debatte, die gerne Fakten in eine gewünschte Richtung dreht, indem sie Unerwünschtes ausblendet.

Man kann nicht sagen, dass das Thema kein Potenzial gehabt hätte, aber die Autorin scheitert an der geringen Recherchetiefe und der Oberflächlichkeit, mit der sie ihre Themen bearbeitet. Die Umwälzungen der Meiji-Ära wären ein trefflicher Spiegel gewesen, in dem sich das Ost-West-Verhältnis in vielen Details hätte zeigen lassen, aber all das wird nur angerissen und nicht wirklich ausdiskutiert. Mir ist bis zum Schluss nicht klar geworden, was Ernst Grosse aus heutiger Sicht geleistet hat, außer dass er sich fast bis zur Selbstzerstörung engagierte und ein im besten Sinn Japanophiler war. Dass die Quellen wirklich nur so spärlich sind, wie es das sehr kurze Literaturverzeichnis suggeriert, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.11.2024
Besuch aus der Schattenwelt

Besuch aus der Schattenwelt


ausgezeichnet

Sammlungen von Gruselgeschichten gibt es immer wieder und ich bin ein Fan davon, seit ich lesen kann. „Besuch aus dem Schattenreich“ ist eine besonders gelungene Mischung aus echten Klassikern und neuen Entdeckungen, wobei „neu“ nicht heißt, dass die Texte wirklich neu sind. Bis auf einen haben alle Autoren das Schattenreich bereits selber betreten, ohne dass ihre Werke in irgendeiner Weise altmodisch geworden wären. Der älteste Text erschien bereits 1820 und ich kannte zwar die Geschichte, aber bisher nur als Film: „Sleepy Hollow“ hat sich dann aber als eine echte Entdeckung erwiesen, denn Washington Irving schreibt dermaßen witzig und originell, dass ich mir sofort einen antiquarischen Band mit seinen Kurzgeschichten zugelegt habe. „Sleepy Hollow“ ist aber auch genial übersetzt!
Die anderen Geschichten zeichnen sich ebenfalls durch abwechslungsreiche Ideen, literarische Herangehensweisen und überraschende Wendungen aus, so dass die Zusammenstellung nirgendwo Durchhänger hat. Zu den ausgewählten Autoren gehören u. a. H. P. Lovecraft, Edgar Allan Poe, Ambrose Bierce und Edith Wharton. Die verstehen alle ihr Handwerk.

Besonders erfreulich war, dass ich tatsächlich nur zwei Geschichten aus anderen Büchern kannte, alles andere war neu für mich. Und die zwei habe ich gerne nochmal gelesen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.11.2024
Kimono
Atkins, Jaqueline

Kimono


ausgezeichnet

Kimono gehören zur japanischen Kultur wie Kalligrafie und Teezeremonie. Zu offiziellen Veranstaltungen werden sie noch heute getragen, von Männern wie Frauen, auch wenn ihre Bedeutung mit jeder neuen Generation schwindet. Nasser David Khalili besitzt nach eigenen Angaben eine der größten Kimonosammlungen der Welt, in Teilen bereits 2015 publiziert, die einen besonderen Fokus auf die sogenannten „omoshirogara“ Textilien legt. „Omoshirogara“ zeigen programmatische Motive, die oft auch der zeitgenössischen Populärkultur entstammen und die ab dem Ende der Meiji-Ära weite Verbreitung fanden. Zusammen mit neuen Textildruckverfahren begleiteten sie auf ihre Weise den gesellschaftlichen Umbruch.

Die Kuratorin Jaqueline M. Atkins erläutert in ihrem kenntnisreichen Essay die historischen Wurzeln und besonderen kulturellen Hintergründe des omoshirogara-Kimonos, bevor im anschließenden Katalog die Exponate im Detail vorgestellt werden.
Verschiedene Druck- und Webtechniken imitieren zunächst aufwändige traditionelle Textilien, die sie in gewissem Maße demokratisieren. Bald verlieren sie die Aura des hohen Sozialstatus und werden zu Massenprodukten, die von Frauen, Männern und Kindern getragen werden. Hervorzuheben ist, dass insbesondere der Männer-Kimono und dessen Begleittextilien ihre „Wirkung“ im Verborgenen entfalteten, denn die Außenseite der Kleidung war (und ist) üblicherweise dunkelbraun oder schwarz. Statements gab man mit den aufwändig verarbeiteten Innenfuttern ab, die aber nur im geschützten Umfeld gezeigt wurden. Anders dagegen die Kimonos von Frauen und Kindern, die ihre Motive öffentlich präsentierten.

Die Sammlung umfasst Beispiele zwischen 1910 und den frühen Nachkriegsjahren, mit einem Schwerpunkt auf den Zwanziger- und Dreißigerjahren, als der Kimono auch zunehmend Plakatfläche für nationalistische und militaristische Botschaften wurde. In dieser Konsequenz gibt es das tatsächlich nur in Japan. Überraschenderweise zeigen die Motive aber nicht nur Panzer und Flugzeuge, sondern auch Elemente japanischer und sogar amerikanischer Popkultur: Mickey Mouse und westliche Luxuskreuzschiffe signalisierten die Weltgewandtheit des Trägers nach außen.

Verwundert hat mich die eingeschränkte Farbpalette der Dekore, die oft auf Braun- und Grautönen basierten, was Atkins mit traditionellen Sehgewohnheiten erklärt. Männerkimonos reduzierten sich in der Vergangenheit bereits auf gedeckte Töne, leuchtende Farben gab es nur bei Frauenkimonos, die aber nach heutigen Maßstäben auch nicht übermäßig bunt erscheinen. Es sind die Motive, die in einzigartiger Weise die Aufbruchstimmung der Meiji-Ära vermitteln, zunächst in einer Vermischung westlicher und asiatischer Elemente, wie sie in dieser Phase der japanischen Geschichte typisch ist. Mit zunehmender Militarisierung der Gesellschaft werden die Motive dann nationalistischer und dienen sowohl der Volkserziehung als auch zur Demonstration der eigenen Gesinnung.

Die Sammlung ist historisch hoch interessant und beleuchtet einen bedeutenden gesellschaftlichen Aspekt, der hier im Westen kaum bekannt ist. Hier wie dort war Kleidung aber immer schon ein Element der Gruppenzugehörigkeit und sendete Botschaften, die die Empfänger in ihrer Zeit lesen konnten und auch verstanden.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2024
Künstliche Intelligenz
Strümke, Inga

Künstliche Intelligenz


ausgezeichnet

Wird uns die Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft wirklich helfen oder haben wir die Büchse der Pandora geöffnet? Inga Strümke, Professorin für KI und maschinelles Lernen, ist da durchaus zwiegespalten. Sie sieht zwar Chancen, aber auch erhebliche Risiken in dieser Technologie, wenn sie nicht staatlich reguliert wird. In ihrem Buch erklärt sie, wie KI funktioniert, was sie heute kann (und was nicht) und welche Auswirkungen KI heute und in Zukunft auf uns haben wird. Mit ihrer verständlichen, lebendigen Sprache und ihrer sachlich differenzierten Herangehensweise gelingt es der Autorin, sowohl Einsteiger, die noch nicht viel über KI wissen, anzusprechen, als auch den fortgeschrittenen Leser zu fesseln. Nicht umsonst ist das Buch in Strümkes Wahlheimat Norwegen zum Bestseller geworden.

Mit der Dreiteilung der KI in gestern, heute und morgen legt die Autorin die Grundstruktur des Buches fest. Sie erläutert die Entwicklungsstufen der KI, angefangen von Algorithmen, über Expertensysteme bis hin zu neuronalen Netzen und ihrem eigenen Forschungsschwerpunkt maschinelles Lernen. Dazu gehören auch Sprachmodelle wie ChatGPT.

Die Grundlage des maschinellen Lernens (oder präziser des überwachten Lernens) sind die Daten. Wenn die Daten die tatsächliche Verteilung nicht gut repräsentieren, erhält man ein Modell, das schlecht funktioniert und im schlimmsten Fall Schaden anrichten kann. Modelle des maschinellen Lernens wissen nicht, ob sie repräsentative Daten erhalten haben und genau darin, so Strümke, liegt das Problem und die Gefahr solcher Modelle. Sobald mit ChatGPT o.ä. generierte Texte wieder als Trainingsgrundlage verwendet werden, ist das System selbstreferenziell und wird über kurz oder lang unbrauchbar. Wer verhindert das? Strümke spricht viele solcher Probleme an und befürchtet, dass „die KI-Systeme, die wir heute entwickeln, unheimlicher werden können als Killerroboter“. Diese Diskussionen müssen geführt werden und sollten sich mit der Regulierung der Technologie und dem Teilen von Daten befassen. Aus ihrer Sicht ist der Anfang mit dem KI-Gesetz der EU gemacht, aber es hat seine Feuerprobe noch nicht bestanden. Wenn wir die Verantwortung für die Grundlagenforschung kommerziellen Technologieunternehmen wie Google, Meta und Microsoft überlassen, die dann große Fortschritte machen und potentiell eine allgemeine künstliche Intelligenz entwickeln können, entscheiden wir uns de facto dafür, dass sich die Technologie ohne unsere Kontrolle entwickelt – resümiert Strümke.

Die Autorin holt Leser mit unterschiedlichem Wissensstand ab und bringt sie auf einen einheitlichen Kenntnisstand, um dann die Chancen und Risiken der Technologie zu diskutieren. Ich habe schon einige Bücher über KI gelesen, aber die meisten waren entweder zu oberflächlich, zu technisch oder zu einseitig in der Bewertung. Auf rund 270 Seiten gelingt es Strümke, eine hochaktuelle und sehr ausgewogene Sicht auf das Thema einzunehmen – verständlich, kurzweilig und einprägsam. Selbst trockene Themen wie die KI-Ethik hat sie für mich spannend und nachvollziehbar aufbereitet.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2024
Archäologieführer Baden-Württemberg
Rademacher, Lisa

Archäologieführer Baden-Württemberg


ausgezeichnet

Dass ein Reiseführer zum Pageturner wird, habe ich auch noch nicht erlebt. Aber Lisa Rademacher hat ihre Ausflugsziele so raffiniert miteinander verknüpft, dass man gar nicht mehr aufhören will. Jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger, den man ganz leicht umgehen kann, indem man die Seite umblättert und das nächste Kapitel beginnt. Da das ganze Buch chronologisch (nicht geografisch!) aufgebaut ist, begibt man sich dabei auf eine spannende Reise durch die Vergangenheit Baden-Württembergs, wobei der Untertitel des Buches in die Irre führt: Der Bogen spannt sich deutlich weiter als nur bis zur Frühgeschichte. Die endet per Definition mit dem Beginn der Römerzeit in Mitteleuropa, die Beiträge haben aber einen nicht unbedeutenden Schwerpunkt gerade dort. Das letzte Kapitel lugt sogar noch ein wenig in das frühe Mittelalter hinein. Man bekommt also deutlich mehr als erwartet.

Lisa Rademacher verbindet das, was man bei den jeweiligen Ausgrabungen, Museen oder Archäologiepfaden sieht, mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur jeweiligen Zeitstellung. Die urgeschichtliche Ausbreitungskarte auf Seite 24 entspricht nicht dem Stand der Forschung. Homo sapiens sapiens entwickelte sich in Nord- nicht in Südafrika und der Mensch erreichte Sibirien deutlich vor 30 000 v. Chr., da es kurz darauf bereits nachgewiesene Siedlungen in Südamerika gibt. Die Erkenntnisse sind allerdings neuer als das Druckdatum des Buchs.
Ansonsten diskutiert die Autorin sehr ausgewogen, wie sich die Erkenntnisse im Lauf der Zeit gewandelt haben. Was vor hundert Jahren noch gesichert war, ist heute teilweise überholt, insbesondere was die urzeitlichen Funde der schwäbischen Alb angeht, die auch in den letzten Jahren immer wieder spektakuläre Entdeckungen gebracht haben.
Ein weiterer Schwerpunkt sind Kelten und Römer, die mit zahlreichen Bodendenkmälern noch heute sichtbare Spuren hinterlassen haben. An vielen Stellen kann man heute anschauliche Rekonstruktionen besichtigen und das nicht nur in themengebundenen Museen.

Zu jedem Ausflugsziel gibt es detaillierte Angaben zur Anfahrt, in der Regel auch mit Geokoordinaten, was die Orientierung im Gelände erleichtert. Weitere Informationen umfassen die Barrierefreiheit, Öffnungszeiten und die Dauer, die man für einen Besuch einplanen sollte. Ist das Ziel für einzelne Besucherkreise besonders interessant (z. B. Schulklassen oder Kinder), wird das gesondert erwähnt. Auf der Einbandinnenseite findet sich übrigens auch eine Karte mit allen eingezeichneten Lokalitäten, so dass man Besuche günstig bündeln kann.

Ich war sehr überrascht, wie viel Aufwand Baden-Württemberg treibt, um die eigene Vergangenheit für ein möglichst breites Publikum zu erschließen und auf welch hohem didaktischen Niveau das geschieht. Geschichte als anschauliches, persönliches Erlebnis hat eine ganz andere Wirkung als ein Buch. Aber manchmal öffnet einem eben erst ein Buch die Türen zu solchen Erlebnissen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.10.2024
Bücher restaurieren
Rücker-Weininger, Katharina

Bücher restaurieren


ausgezeichnet

Alte Bücher haben es schwer. Der Wertverfall bei Buchauktionen ist dramatisch, so dass sich professionelle Restaurierungen beschädigter Bücher nur noch in seltensten Fällen lohnen. Aber man kann tatsächlich vieles auch selber machen, mit überschaubarem finanziellen Aufwand, etwas Geduld und Ausdauer. Kat Rücker-Weininger ist gelernte Buchbinderin und zeigt, wie sowas geht.

Zunächst stellt sie die benötigten Werkzeuge und Materialien vor. Einiges hat man auch im Haushalt, aber man muss anderes ggf. neu anschaffen. Insbesondere die unterschiedlichen Papierqualitäten, die für die verschiedenen Elemente eines Buches benötigt werden, sollten bestimmte Qualitätsanforderungen einhalten, um nicht mehr Schaden anzurichten als sie nutzen. Wirklich schwierig wird es, wenn man präzise gefärbte Papiere braucht und keinen Fachhandel für Buchbinderei oder Papierrestaurierung in der Nähe hat. Ansonsten sind alle Materialien und Werkzeuge auch im Internet leicht zu beziehen und meistens auch nicht sehr teuer. Wasserstoffperoxid bekommt man als Privatmann allerdings nur in verdünnter Form und es wird nicht ganz klar, mit welcher Konzentration die Autorin arbeitet. Nach meiner Erfahrung ist die Bleichwirkung bei 3% eher gering.

Nach der „Materialkunde“ geht es dann strukturiert an unterschiedliche Schadbilder. Angefangen bei einfachen Methoden der Papierrestauration (Beseitigen von Flecken, Schimmel, Rissen und Knicken), über Kleinschäden an Einbänden (Gebrochene Falze, abgestoßene Ecken, Ergänzen von Fehlstellen) bis hin zu aus meiner Sicht schon recht aufwendigen und komplexen Projekten, bei denen z. B. die Bezüge der Buchdecken teilweise abgelöst und hinterlegt werden. Es geht aber ganz systematisch von den einfachen zu den komplizierteren Aufgaben, so dass man das Gelernte immer weiter perfektioniert. Man sollte in jedem Fall zuerst üben, bevor man sich an das Lieblingsbuch macht.

Die Beschreibungen sind präzise, anschaulich und werden mit zahlreichen Fotos illustriert. Tipps aus der Praxis helfen zusätzlich bei der Umsetzung. Es wäre natürlich am besten, jemand schaut einem bei der Arbeit korrigierend über die Schulter, aber das Buch kommt dem so nah, wie es nur geht.

Im Anhang findet man eine kurze Liste mit Bezugsquellen und weiterführender Literatur. Es fehlt leider ein Glossar und ein Indexregister, was insofern wichtig wäre, als die Autorin einmal eingeführtes Fachvokabular beim Leser in der Folge voraussetzt. Nicht jedem ist sofort eingängig, was Falz, Kapital, Vorsatzblatt oder Spiegel ist. Da hätte eine Illustration wahrscheinlich mehr genutzt als die textliche Beschreibung (die zwar präzise, aber z. T. auch anspruchsvoll ist).

Genervt hat mich das konsequente Gendern. Das darf jetzt langsam mal auf den Müllhaufen der Sprachgeschichte.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.10.2024
Geschichte der Textilherstellung
Veit, Dieter

Geschichte der Textilherstellung


gut

Zur Geschichte der Textilherstellung gibt es erstaunlich wenig zusammenfassende Literatur, wenn man bedenkt, dass wir mit diesen Produkten wirklich täglich umgehen. Und das seit Tausenden von Jahren.

Dieter Veit, Mitarbeiter am Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen, hat diese sehr umfangreiche und breit aufgestellte Monografie zum Thema vorgelegt, die sich auf dem schmalen Grad zwischen Allgemeinverständlichkeit und Fachpublikation bewegt. Das ist nicht immer ganz gelungen und stellte mich als Leser öfter vor die Frage nach der eigentlichen Zielgruppe.

Das Buch ist zunächst chronologisch strukturiert, mit Überkapiteln zur Vor- und Frühgeschichte, der Antike, dem Mittelalter, der frühen Neuzeit, gefolgt von Kapiteln zum 18., 19., 20. und 21. Jahrhundert. Schon an dieser Staffelung erkennt man, dass die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert die Textilherstellung grundlegend verändert hat. Textilen wurden zunehmend zur Massenware und allgemeinverfügbar, auch für niedere Stände. Die immer neuen Varianten neuer Maschinen optimieren die Prozesse, führen aber nicht nur zu ökonomischen Verbesserungen, sondern auch zu sozialen Verwerfungen.

Bei aller Präzision in den technologischen Kapiteln haben sich in den historisch/archäologischen Passagen zu Beginn des Buches doch einige Ungenauigkeiten und auch Fehler eingeschlichen. Im Grab Alexanders konnte man z. B. keine indigogefärbten Wollstoffe finden, weil Alexanders Grab nie entdeckt wurde und Indigo wird auch nicht durch Sonnenlicht, sondern durch Luftsauerstoff oxidiert. Ebenso konnte man in der europäischen Antike nicht mit Tagetes färben, weil das eine mittelamerikanische Spezies ist. Es gibt einige solcher Ungenauigkeiten, die aber vor allem dann passieren, wenn Veit sein eigentliches technologisches Fachgebiet verlässt.

Einen wissenschaftlichen Ansatz kann man dem Band nicht absprechen. Veit zitiert wissenschaftlich korrekt und seine Referenzlisten sind ausgesprochen umfangreich und mit z. T. sehr aktuellen Quellen.

Große Teile des Buches sind auch für interessierte Laien gut lesbar, nur verwendet Veit in einzelnen Kapiteln ein technisches Fachvokabular, das er voraussetzt und das auch oft nicht über geeignete Abbildungen erklärt wird. Das sehr kurze Glossar beschränkt sich auf wirklich grundlegende Elemente der Garn- und Textilherstellung, ist aber in den Erklärungen aus meiner Sicht nicht anschaulich genug und auch nicht vollständig, so dass es eher selten hilfreich ist.

Oft nutzt Veit rein textliche Beschreibungen mit technischem Fachvokabular, wo eine Abbildung mit Bezeichnung der beschriebenen technischen Elemente deutlich anschaulicher gewesen wäre. Dass nicht alle Abbildungen, die für das Verständnis des technischen Funktionsprinzips nötige Größe haben, kommt erschwerend hinzu. Insgesamt ist das Buch sehr umfangreich illustriert, was grundsätzlich positiv ist, aber es gibt unnötige Dopplungen, während an anderen Stellen wie gesagt größere Abbildungen erforderlich gewesen wären.

Einerseits ist das Buch klar wissenschaftlich-technologisch ausgerichtet, nutzt wissenschaftliche Zitierweise und Fachsprache, andererseits rutscht Veit auch immer wieder in umgangssprachliche Untiefen, die zum Rest nicht richtig passen wollen („Die Kreuzritter waren offenbar nicht die hellsten Kerzen auf der Torte“). Stellenweise machte es auf mich daher einen etwas unausgewogenen Eindruck. Dennoch ein wirklich hochinteressantes Thema, nur diese Monografie ist wohl noch nicht das letzte Wort.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.10.2024
Besseres Englisch. Die 250 häufigsten Fehler. Das Arbeitsbuch mit Aufgaben und Lösungen
Shuttleworth, Malcolm

Besseres Englisch. Die 250 häufigsten Fehler. Das Arbeitsbuch mit Aufgaben und Lösungen


ausgezeichnet

„Actual“ heißt nicht aktuell, ein „desert“ kann man nicht essen und mit einem „handy“ auch nicht telefonieren. Im Englischen nennt man diese fehlgeleitete Intuition „false friends“ und falsche Freunde gibt es für uns Deutsche eine ganze Menge.

Malcom Shuttleworth ist Muttersprachler, Englischlehrer und wohnt derzeit in Burscheid, er hat also genug Gelegenheiten, den lustigen Deutschen aufs Maul zu schauen. 250 häufige Fehler hat er in seinem Buch zusammengetragen und liefert nicht nur die Richtigstellung, sondern auch jeweils 5 Übungssätze, um die richtige Verwendung zu trainieren. Ein einfaches, aber sehr wirkungsvolles Konzept. Im Anhang gibt es dann die Lösungen der Aufgaben.

Germish ade!

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.10.2024
American Icons

American Icons


ausgezeichnet

Nach ihrer Gründung im Jahr 1776 waren die USA sehr lange auf der Suche nach einer eigenen Identität. Die Architektur orientierte sich noch bis ins 20. Jahrhundert an Europa, dessen Stile man weitgehend unverändert übernahm. Um 1920 entwickelt sich dann ein typisch amerikanischer Baustil, initiiert von Architekten, die zwar in Europa ausgebildet wurden, sich aber zunehmend emanzipierten. Zunächst noch eine Mischung aus Art déco und industriellen Anklängen (klassisch: das Chrysler Building), wird Frank Lloyd Wright die amerikanische Architektur revolutionieren und in seinem Windschatten etablieren sich weitere Titanen der Architektur, die zeitlose Werke hinterlassen haben.

„American Icons“ versammelt die Crème de la Crème amerikanischer Architekten und Architektur. Es sind tatsächlich Ikonen, deren Eleganz für eine ganze Epoche stilbildend war und die sich in das kollektive Gedächtnis der Menschheit gebrannt haben. Aber dieses Buch erzählt nicht nur die Geschichte der Gebäude und ihrer Erbauer, sondern gibt durch die großformatigen Fotografien einen exzellenten Eindruck von der inneren Raumwirkung und der Einbindung in die jeweiligen (Stadt)Landschaften. Man bekommt eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie sich das jeweilige Gebäude heute präsentiert, was auch an der technischen Präzision der Aufnahmen liegt, die selbst bei starken Kontrasten jedes Detail wiedergeben und keinerlei Verzeichnungen oder Verzerrungen aufweisen. Architektur kann man kaum besser und anschaulicher illustrieren, zumal viele Häuser heute noch original möbliert sind.

Besonders gefallen hat mir die Kombination aus visuellem Reiz und den sehr kompakten, aber pointiert formulierten biografischen Hintergrundinformationen. Je nach Kontext stehen der Lebenslauf des Architekten, das Verhältnis zum Auftraggeber, Designinnovationen oder auch konstruktive Besonderheiten im Focus.

Der Schwerpunkt der vorgestellten Gebäude liegt zeitlich zwischen 1925 und etwa 1970, der Blütezeit der amerikanischen Architektur. Vereinzelt finden sich auch spätere Beispiele, aber nach 1970 internationalisierte sich die Architektur zunehmend, wodurch der Stil heute nicht mehr im engeren Sinn „amerikanisch“ ist, wenn auch immer noch amerikanisch beeinflusst.

Das schwere, matte Papier reflektiert nicht, bildet aber trotzdem jedes Detail präzise ab und auch der Einband ist handwerklich gut produziert, mit Fadenbindung und leinenverstärktem Rücken, so dass man lange Freude an dem Buch haben wird.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.10.2024
Schöne Bescherung auf Compton Bobbin
Mitford, Nancy

Schöne Bescherung auf Compton Bobbin


sehr gut

Der Schriftsteller Paul Fotheringay ist todunglücklich über seinen neuen Roman, der sich gerade zum Bestseller entwickelt. Gedacht als Tragödie, wird er aus berufenem Munde zum „lustigsten Buch des Jahres“ erklärt, worauf Paul aus Scham inkognito zum abgelegenen Compton Bobbin flüchtet, wo er sich als Hauslehrer hat anstellen lassen. Doch ganz so abgeschieden ist Compton Bobbin dann doch nicht, denn zur Weihnachtszeit pflegt sich die weit verzweigte Familie um Lady Bobbin zu versammeln und darunter sind einige Personen, die Paul nicht unter dem Namen „Fisher“, sondern Fotheringay kennen. Außerdem ist er in einer geheimen Mission unterwegs, die Lady Bobbin ganz und gar nicht gutheißen würde...

Die Autorin Nancy Mitford gehörte zwar zur berüchtigten Mitford-Familie, die sich in den Dreißigerjahren als Bewunderer Hitlers und überzeugte Faschisten exponierte, stand aber der politischen Überzeugung ihrer Geschwister und Eltern sehr kritisch gegenüber. Während des Krieges arbeitete sie für die Regierung und diente u. a. als Informantin für die Umtriebe der Mitfords. Dennoch kannte sie das Leben der britischen Oberschicht sehr genau aus eigener Erfahrung. Sie wuchs in einem großen Herrenhaus mit viel Personal und wenig Kontakt zu ihren Eltern auf, die sie überdies von höherer Bildung fernzuhalten suchten. Das erklärt Nancys spöttische Haltung gegenüber der reichen, aber intellektuell herausgeforderten Elite, die mit ihrer Zeit und mit ihrem Geld nichts wirklich Sinnvolles anfangen kann. Hohlbirnen und Versager geben sich in Compton Bobbin die Klinke in die Hand, was erwartungsgemäß für kleinere und größere Verwicklungen sorgt. Die sorgfältige Schilderung des Tagesablaufs in einem englischen Landhaus aber auch die latente Untergangsstimmung, die bei aller vordergründiger Lustbarkeit den unaufhaltsamen Niedergang der Adelsklasse begleitet, fängt Nancy Mitford mit trockenem Humor ein. Die Konstellation, die sich vor allem um amouröse Verwicklungen, gelungene und weniger gelungene Anbahnungsversuche, um schräge Typen und blasierte Adelige dreht, erinnert auf den ersten Blick stark an die damals äußerst erfolgreichen Romane von P. G. Wodehouse, Mitfords Plot ist allerdings deutlich weniger klamaukig. Sie besitzt ein feines Gespür für den Zynismus des englischen Smalltalks, den sie perfekt in ihre Dialoge einbaut. Während Wodehouse jeden Freund einer guten Pointe opfert (Pointen setzen konnte er allerdings wie kein zweiter), bleiben bei Nancy Mitford die Personen immer noch glaubwürdige Menschen und werden nie zu Karikaturen ihrer selbst.

„Schöne Bescherung in Compton Bobbin“ liefert Einblick in eine untergegangene Welt, geschrieben von einer Autorin, die zwar selber zu dieser Welt gehörte, sich aber literarisch und im wahren Leben von ihr distanzierte. Ihr Stil ist humorvoll, aber die Geschichte kommt lange nicht vom Fleck. Bis alle Protagonisten vorgestellt und „in Position“ gebracht sind, ist das halbe Buch vorüber und auch danach entwickelt sich die Handlung ziemlich vorhersehbar. Das Buch ist kein Schenkelklopfer, aber es steckt voller Lokalkolorit und historischer Authentizität.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.