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alicii

Bewertungen

Insgesamt 26 Bewertungen
Bewertung vom 01.08.2022
Eine Feder auf dem Atem Gottes
Nunez, Sigrid

Eine Feder auf dem Atem Gottes


sehr gut

Sigrid Nunez wächst als Kind eines chinesisch-panamaischen Vaters und einer deutschen Mutter in den 50ern und 60ern in einer Sozialsiedlung in New York auf. Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass sie sich ihr ganzes Leben auf der Suche nach ihrer Identität befindet. Das tut sie auch in und mit diesem Roman, die Kapitel widmen sich verschiedenen identitätsstiftenden Elementen ihres Lebens: ihren Elternteilen, dem Ballett und einer Beziehung zu einem Einwanderer.

Wesentlicher Bestandteil der Suche ist immer wieder die Sprache. Die amerikanische Sprache, die ihr Vater nie richtig erlernt hat. Die deutsche Sprache, die ihre Mutter nie komplett aufgegeben hat. So hatte jedes Elternteil sein eigenes sprachliches Universum und obwohl sie zusammenlebten, lebte am Ende jeder für sich allein.
Die Sprache spielt auch in ihrem Erwachsenenleben eine Rolle, es ist die amerikanische Sprache, die sie Vadim beizubringen versuchte, die russische Sprache, die ihr das Gefühl gab, ihn niemals komplett zu kennen.

Der Roman lebt von Nunez Offenheit und Ehrlichkeit, die sich auch in ihrer Sprache und ihrem Schreibstil widerspiegeln. Das Kapitel über ihre Liebe zum Ballett, aus dem auch der Titel des Romans entstammt, fand ich etwas schwächer, den letzten Abschnitt über ihre Beziehung zu Vadim dafür umso stärker. Ein tolles Buch, das den Leser an eine außergewöhnliche Lebensgeschichte heranführt!

Bewertung vom 17.07.2022
Sturmrot / Eira Sjödin Bd.1
Alsterdal, Tove

Sturmrot / Eira Sjödin Bd.1


ausgezeichnet

Ein tiefgründiges Buch über das Bewahren von Geheimnissen, das Aufdecken von Geheimnissen und das Weitererzählen von Geheimnissen. Wie weit würdest du gehen um dich und deine Familie zu schützen? Und könntest du mit dem Wissen leben, dass jemand für Etwas bestraft wird, dass er nicht getan hat? Wer ist am Ende tatsächlich das Opfer und wer der Täter?

Eira Sjödin, eine gewissenhafte junge Polizistin, ist zurück in ihrer Heimat. Nach ihrem Dienst in Stockholm erwartet sie, dass sie es hier vor allem mit kleineren Delikten wie Schlägereien, Autounfällen und Diebstählen zu tun bekommt. Doch bald steckt sie mitten in einer Mordermittlung, die nur zu einem Abschluss kommen kann, wenn sie sich mit der Vergangenheit beschäftigt, mit dem Fall der verschwundenen Lina aus ihrer Kindheit. Im Laufe der Ermittlungen kommen immer mehr Geheimnisse ans Licht, auch Eiras Familie scheint davon nicht ausgenommen zu sein.
Am Ende kann durch Eiras Hartnäckigkeit nicht nur der Tod von Sven Hagström aufgeklärt werden, sondern auch Licht in den Fall Lina gebracht werden.

Man merkt, dass dieses Buch der Auftakt einer Reihe ist. Die Autorin nimmt sich viel Zeit für die Beschreibung der Region mit ihrer Natur und führt die Hauptpersonen ausführlich ein. Das hat mir gut gefallen. Das Buch steckt voller überraschender Wendungen und macht Lust auf mehr!

Bewertung vom 12.06.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


gut

Ich kann mich noch erinnern, dass ich es im Geschichtsunterricht besonders schwer fand, die 20er-Jahre zu durchblicken und eine Struktur in die vielen gleichzeitig stattfindenden Ereignisse zu bringen.

Vor dem gleichen Problem stand auch der Autor, er hat mit einer Ordnung anhand der Monate ein sinnvolles und gut funktionierendes Konzept gewählt. Die Auswahl und Kombination der erzählten Ereignisse und Porträts ist teilweise sehr gelungen, insgesamt aber etwas zu oberflächlich und sprunghaft. Vielleicht hätte er sich insgesamt mehr an das Konzept "weniger ist mehr" halten sollen und sich mehr Zeit nehmen sollen, die Geschichten ausführlich zu erzählen. Vielleicht wäre es auch hilfreich gewesen, innerhalb der Monate noch eine Untergliederung nach Politik, Wirtschaft, Kultur etc. vorzunehmen.

Das Kapitel "Was weiter geschah" hat mir gut gefallen und ich bin beeindruckt von der umfangreichen Recherche, die hinter diesem Buch stecken muss. Der Schreibstil lässt den Leser in Kombination mit den teilweise absurd erscheinenden Ereignissen vergessen, dass es sich hier nicht um Fiktion, sondern die realen Ereignisse des Jahres 1923 handelt.

Bewertung vom 22.05.2022
Der Tote aus Zimmer 12
Horowitz, Anthony

Der Tote aus Zimmer 12


ausgezeichnet

Susan Ryeland, ehemalige Lektorin, hat London mittlerweile den Rücken zugekehrt und betreibt ein Hotel auf Kreta. Ihr altes Leben holt sie ein, als ein Ehepaar sie um Mithilfe bei der Suche nach ihrer verschwunden Tochter bittet. Sie vermuten, dass sich entscheidende Hinweise im Roman "Atticus Pünd unterwegs" befinden, den neben dem bereits verstorbenen Autor wahrscheinlich keiner so gut kennt wie Susan, die ihn damals lektoriert hat...

Nicht zuletzt aufgrund der in Aussicht gestellten großzügigen Entlohnung ihrer Hilfe begibt Susan sich nach England und beginnt die Ermittlungen. Schnell wird klar, dass sie nicht drum herum kommen wird, den Roman noch einmal zu lesen. Dabei ist sie nicht allein, Anthony Horowitz hat das Buch in kompletter Länge in seinen Roman eingefügt, sogar mit Cover und Leserstimmen. Es ist ihm gelungen, die beiden Bücher wie voneinander unabhängige Werke unterschiedlicher Autoren erscheinen zu lassen, Atticus Pünd weist (wahrscheinlich nicht unabsichtlich) viele Parallelen zu Hercule Poirot auf. Sollte man zuvor noch Zweifel an Horowitz' schriftstellerischem Talent gehabt haben, sind diese spätestens jetzt ausgeräumt.

Insgesamt ein typischer Krimi von Horowitz - eine spannende Handlung mit raffinierten Wendungen, einer eingängigen Beschreibung der handelnden Personen und Handlungsorte und am Ende ein Ergebnis, auf das man als Leser auch hätte kommen können, das aber trotzdem überraschend ist.

Bewertung vom 16.03.2022
Future Fairy Tales - Geschichten aus einer anderen Welt
Rahlens, Holly-Jane

Future Fairy Tales - Geschichten aus einer anderen Welt


sehr gut

Dieses Buch ist nicht das erste literarische Werk, welches Märchen neu erzählt. Dennoch ist es etwas besonderes, da die Autorin nicht nur die Märchen in der Zukunft spielen lässt, sondern den gesamten Erzählrahmen, begonnen beim Erscheinungsjahr 2440, in die Zukunft verlegt.
So gibt bereits das Vorwort dem Leser einen Einblick in die Zukunft, die auf jedes Märchen folgenden Erläuterungen und literarischen Analysen stellen eine Verbindung zwischen dem Jetzt und der Zukunft her. Es entsteht ein Bild von Ereignissen, die für uns noch in der Zukunft liegen, für den fiktiven Leser aber schon längst Vergangenheit sind.

Die Sammlung zeichnet sich durch eine große literarische Vielfalt aus, es gibt neben klassischen Erzählungen auch ein Lied, einen Tagebucheintrag, ein Interview, einen Schulaufsatz, ein Drehbuch und die Abschrift eines Vlogs. Die Texte sind nicht zur gleichen Zeit entstanden, sondern zwischen 2019 und 2290. Dementsprechend sind sie auch unterschiedlich stark futuristisch.
Leider sind die Texte nicht alle auf dem hohen Niveau des Erzählrahmens, manche fand ich so gut, dass ich gern erfahren würde, wie es weitergeht, andere scheinen entbehrlich zu sein.

Ein sehr gelungenes Buch, an dem Jung und Alt ihre Freude haben werden. Und wer weiß, was die Zukunft bringen wird...

Bewertung vom 16.03.2022
Ein Giro in Triest
Klinger, Christian

Ein Giro in Triest


sehr gut

Eine Zeitreise ins Jahr 1914: in Deutschland herrscht der Kaiser, ebenso in Österreich. Beide Länder sind deutlich größer als heute, Österreich erstreckt sich sogar bis zum Mittelmeer. Auf dem Balkan brodelt es schon länger, die Spannungen entladen sich beim Attentat auf den österreichischen Thronfolger.
Gaetano Lamprecht ermittelt gerade in einem Todesfall in der Armee als sich die Ereignisse auf dem Balkan überschlagen und er von höchster Stelle damit beauftragt wird, einer scheinbaren Verschwörung in Triest auf den Grund zu gehen. Doch die Lage ist verworren, wer steckt tatsächlich hinter der Drohung, die Särge des ermordeten Thronfolgerehepaars zu stehlen? Die Italiener? Die Slawen? Oder doch Leute aus den eigenen Reihen?

Es gelingt dem Autor sehr gut, die Probleme der Vielvölkerstaaten einzufangen, die es ja noch heute auf dem Balkan gibt. So sieht sich auch Gaetano als Sohn einer italienischen Mutter und eines österreichischen Vaters im Laufe der Ermittlungen mit der Frage konfrontiert, ob er sich als Österreicher oder als Italiener sieht.
Generell scheint der Roman gut recherchiert zu sein, man merkt, dass der Autor häufiger Gast in Triest ist. Das Erzähltempo variiert, passt aber stets zur Dichte der Ereignisse. Im letzten Drittel des Romans überschlagen sich die Ereignisse und Gaetano wächst über sich selbst hinaus. Es scheint etwas unrealistisch, welches Pensum er bewältigt, allerdings ist er ja auch ein versierter Radsportler.
Gerade weil die damaligen territorialen Grenzen doch sehr von den heutigen abweichen, wäre es schön gewesen, eine Karte von Triest und der näheren Umgebung zu haben. So hätte man Gaetanos Ermittlungen in und um Triest auch gut räumlich nachvollziehen können.