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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
reimon
Wohnort: 
Vorarlberg

Bewertungen

Insgesamt 26 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2022
Affenhitze / Kommissar Kluftinger Bd.12
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Affenhitze / Kommissar Kluftinger Bd.12


sehr gut

Hitzezäh
Der Titel ist originell. Für mein Gefühl zieht sich die Geschichte aber diesmal ein wenig ereignisarm in die Länge. Das mag der darin herrschenden Hitze geschuldet sein. Ist ja auch sicher nicht leicht, jährlich die Erwartungen der riesigen Fangemeinde zu erfüllen.
Der Klufti ist immer noch liebenswert, immer noch mit dem Langhammer nicht wirklich warm geworden, immer noch Familienmensch.
Die Querelen zwischen den Archäologinnen, dem Grundbesitzer und den Sektenmitgliedern mögen aus dem Leben gegriffen sein, entbehren für mich aber der Spannung. Lustig finde ich die Idee mit der Bürgergrabung, an der sich natürlich .... Langhammer, eh klar, höchst wichtigtuerisch beteiligt. Leider wird es trotzdem nix mit dem Allgäu als Wiege der Menschheit.
Trotzdem, der Kluftinger und seine Entourage gehören quasi zur Familie. Und da ist ja auch nicht jeder Tag aufregend.

Bewertung vom 06.03.2022
Kaiserstuhl
Glaser, Brigitte

Kaiserstuhl


sehr gut

Deutsch-französische Freundschaft?

Geschichte lernen fällt mir am leichtesten, wenn das Thema in einen Roman verpackt ist: menschliche Schicksale verknüpft mit Zeitgeschichte. Darum habe ich mich bei „Vorablesen“ um „Kaiserstuhl“ beworben. Auch das Cover hat mich angesprochen. Nach den ersten Kapiteln, die mich gleich begeistert haben, ist es mir allerdings immer schwerer gefallen, dranzubleiben. Zu häufig macht die Autorin Zeitsprünge, auch die vielen Namen haben mich eher verwirrt. Den Stammbaum an Ende des Buches habe ich da immer wieder verwendet. Wenn ich aber mehrere Stunden beim Lesen bleiben kann, tauche ich wieder in die sehr anschauliche Geschichte aus der deutsch-französischen Grenzregion ein.
Den Kern bilden eine Liebesgeschichte – und eine Flasche eines besonderen Champagners. Diese Welt der edlen Getränke hat die Autorin sehr intensiv recherchiert. Sehr gut begreifbar beschreibt Brigitte Glaser auch die Wirren und ständigen Veränderungen, die wohl für jedes Grenzgebiet typisch sind. Und sie macht auch klar, dass es niemals einfach „die Guten“ und „die Bösen“ gibt.

Bewertung vom 16.02.2022
Die dritte Hälfte eines Lebens
Herzig, Anna

Die dritte Hälfte eines Lebens


sehr gut

Wir alle sind Krimmwing
Das fiktive Dorf Krimmwing – die Namensfindung wäre interessant – kann überall sein. Wer ist „wie alle anderen“, kann so einer engen Dorfgemeinschaft vermutlich etwas abgewinnen. Aber wehe, wer nicht!
Laut Klappentext schreibt die Autorin „nah am Leben“. Das tut sie mit anschaulichen Vergleichen sehr beeindruckend: Auf das Coming-out des Sohnes reagiert der Vater „mit der Empathie eines Traktors ausgerüstet“. Oder: „Es gibt Dinge, die sind in uns hineingeschrieben, mit der schwärzesten Tinte.“
Die knappe, präzise Erzählweise und die vielen Dialoge nehmen einen mit, mitten hinein ins Geschehen. Verwirrend sind manchmal die vielen Personen und deren Namen. Aber das ist wohl beabsichtigt. Anna Herzig schaut genau hin, stellt niemanden bloß und lässt zu guter Letzt ihre Hauptfigur wiederauferstehen.
Das Cover ist schlicht und klar und passt somit zur Geschichte, obwohl ich inhaltlich keinen Zusammenhang sehe.

Bewertung vom 18.01.2022
Der letzte Sommer in der Stadt
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


sehr gut

Schon das Titelbild ist ambivalent und macht neugierig: ein Blick über die dunstige, sonnengelbe Stadt, davor sitzt ein Mann in Pullover und Anzug.
Die Geschichte zieht einen rasch hinein: Der Müßiggänger – er nennt sich „Leo Gazzarra, erst mal“ – erzählt vom dolce far niente als Lebenskünstler, der nur im gerade notwendigen Ausmaß arbeitet. Für viele Mitteleuropäer klingt das fast unerreichbar.

Die Geschichte beginnt mit der Sprachlosigkeit des Vaters dem Sohn gegenüber, die sich auch im herzzerreißend beschriebenen Abschied am Bahnhof zeigt.
Immer wieder finden sich atemberaubende Formulierungen: „Die Jahreszeiten wechseln nachts, ohne das Wissen der Leute, und wir erlebten ein Schauspiel, dessen Großartigkeit nur mit der Stille vergleichbar war, in der es stattfand.“
Bald nach seiner Abreise aus dem als trist beschriebenen Mailand nach Rom lernt Leo eine atemberaubende Frau kennen, die sein Leben umkrempeln wird.

Parallelen zum Autor sind hier wohl zulässig: Dieser ist geboren in Triest, aufgewachsen in Mailand und lebte dann in Rom als Journalist.
Der Roman war nach dem Erscheinen 1973 in Italien bald ein Kultbuch, verschwand dann auf Flohmärkte und in Antiquariate, wurde 2010 von einem anderen Verlag neu aufgelegt, war wieder vergriffen und beinahe vergessen und wurde nun von einem dritten Verlag neu aufgelegt. Derzeit wird er in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Die Übersetzerin Karin Krieger ist LeserInnen italienischer Romane weithin bekannt (Ferrante, Camillieri, ...). Offensichtlich kann sie sich besonders gut in die Italianità einfühlen und so auch uns Deutschsprachige daran teilhaben lassen.

Bewertung vom 07.10.2021
Auf Basidis Dach
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Mona Ameziane fühlt sich in zwei Welten heimisch. Sie lebt in Deutschland mit deutscher Mutter und marokkanischem Vater und verbringt viele Urlaube in Marokko, auch bei der Familie. Sie nimmt uns mit auf eine Reise mit ihrem Vater und gibt uns Einblicke abseits jeder touristischen Erfahrungsmöglichkeit. „Basidi“ ist übrigens das marokkanische Wort für Großvater.
Als Journalistin gelingt ihr immer wieder ein objektiver Blick auf beide Gesellschaften, als „Zweiheimische“ erzählt sie sehr anschaulich von ihrer Gefühlswelt, vor allem bei Aufenthalten in Marokko. Sehr beeindruckt hat mich, wie sie ihr Gefühlschaos nach den Anschlägen und Übergriffen 2015 in Frankreich, Belgien und Deutschland beschreibt.
Die Reflexionen über den derzeit in Deutschland und Österreich durchgeführten konfessionellen Religionsunterricht, der so viele junge Menschen ausschließt, zeigen aus der Sicht der Betroffenen, wie wertvoll ein gemeinsamer Ethik- und Religionenunterricht für alle wäre.
Das Buch ist kein Roman, liest sich aber sehr spannend und oft auch vergnüglich – ohne kitschige Verklärung, aber mit ganzem Genuss am orientalischen Leben.
Besonderes Lob gebührt dem Verlag für das wunderschöne Cover.

Bewertung vom 27.09.2021
Das Buch der verschollenen Namen
Harmel, Kristin

Das Buch der verschollenen Namen


ausgezeichnet

Zeitgeschichte als persönliches Schicksal
Eine spannende Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht: Eva und ihre MitstreiterInnen, die in der französischen Résistance in einem kleinen Dorf in Südfrankreich ihre Talente zur Rettung vieler Menschen, vor allem Kinder genützt haben. Und das unter großer persönlicher Gefahr.
Das pastellige Cover hat mich vorerst nicht so angesprochen, der Roman begeistert mich aber sehr. Die Geschichte wird zum einen von der Ich-Erzählerin in der Gegenwart, zum anderen über sie in der Zeit der Nazi-Besetzung Frankreichs erzählt. Wie bei so manchem Krimi wird der Hauptgegenstand, eben das Buch, gleich am Beginn vorgestellt. Die Verwendung dieses alten Buchs als raffiniert verschlüsseltes Register der Geretteten war eine Meisterleistung.
Der Roman zeigt auf, wie kreative Ideen und persönlicher Mut sehr wohl auch im Kleinen gegen ein grausames Regime wirksam werden können. Trotz der tragischen Geschehnisse kommt es auch immer wieder zu schönen Begegnungen und Beziehungen.
Kristin Harmel schreibt mit viel Gespür für Details und Stimmungen, die Gewissenheitskonflikte, Schrecken und Ängste der DarstellerInnen sind gut nachvollziehbar.