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Benutzername: 
Fannie
Wohnort: 
Oelsnitz/Erzgebirge

Bewertungen

Insgesamt 142 Bewertungen
Bewertung vom 21.02.2023
Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1
Mackintosh, Clare

Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1


ausgezeichnet

Dieser Roman hat alles, was ein guter Krimi braucht!

Ein klirrend kalter Neujahrsmorgen am Llyn Drych, dem Mirror Lake, durch den die Grenze zwischen Wales und England verläuft: Die Einwohner des walisischen Dörfchens Cwm Coed haben sich zum traditionellen Neujahrsschwimmen versammelt. Doch die gute Stimmung wird bald getrübt, denn im See treibt eine Leiche – zweifelsfrei ein Mordopfer. Der Tote ist der aus Cwm Coed stammende Opernsänger Rhys Lloyd, der in seine Heimat zurückgekehrt ist, um am Llyn Drych das protzige Ferienparadies „The Shore“ für Gutbetuchte zu bauen. Die Luxus-Lodges und seine Bewohner stoßen im Dorf auf wenig Gegenliebe – doch ist das der Grund für den Mord an Rhys Lloyd?

Clare Mackintoshs Kriminalroman „Die letzte Party“ (Originaltitel: "The Last Party") ist der Auftaktband zu einer Reihe um die walisische Ermittlerin Ffion Morgan – und was für einer! Von der ersten Seite an glaubt man sich mitten in der Idylle im Grenzland zwischen Wales und England. Die Autorin lässt dank ihrer atmosphärischen Beschreibungen gestochen scharfe Bilder vor dem geistigen Auge ihrer Leserschaft entstehen. Und ebenso lebendig sind auch Clare Mackintoshs Charaktere, allen voran natürlich ihre Protagonistin Ffion Morgan, die gemeinsam mit DC Leo Brady von der englischen Polizei nach dem Mordmotiv und dem Täter sucht. Dabei ist die Ermittlerin eigentlich befangen, denn sie selbst lebt in Cwm Coed. Kompetenzgerangel und Parteilichkeit sind jedoch nur ein Aspekt der Geschichte.

Clare Mackintosh hat quasi zwei Welten erschaffen, die Lichtjahre voneinander entfernt zu sein scheinen, tatsächlich jedoch lediglich durch den See getrennt werden: Da sind einerseits die einfachen Leute aus Cwm Coed und die ebenso Schönen wie Reichen in „The Shore“. Doch wenn die Einheimischen meinen, die neuen Anwohner haben ihres Vermögens wegen keine Sorgen, dann irren sie gewaltig. Unverblümt lässt die Autorin ihre Leser hinter den schönen Schein blicken und man erfährt nach und nach, dass in „The Shore“ weiß Gott nicht alles Gold ist, was glänzt.

Clare Mackintosh, die selbst zwölf Jahre lang in Diensten der britischen Kriminalpolizei stand, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte, führt ihre Leser in ihrer Story auf Irrwege, streut falsche Verdächtigungen und baut gekonnte Twists ein.

Schon bald meint man, nahezu jeder hätte ein Motiv für den Mord an Rhys Lloyd. Zackige Dialoge und ein mit derben Spitzen durchwirkter Humor machen diesen Whodunnit-Krimi zu einem echten Lesevergnügen. Meine anfänglichen Befürchtungen, dass der Lesefluss womöglich durch zu viele und zu komplizierte walisische Begriffe beeinträchtigt werden könnte, bestätigte sich übrigens nicht. Die Autorin setzt Walisisch homoöpathisch dosiert ein.

Ein großes Lob für den zudem sprachlich hervorragenden Roman gebührt nicht nur Clare Mackintosh, sondern auch der Übersetzerin Sabine Schilasky.

Fazit: Ein Wahnsinns-Setting, originelle Charaktere, Spannung bis zum Schluss, ein toller Schreibstil und eine glaubhafte Auflösung: „Die letzte Party“ hat wirklich alles, was ein verdammt guter Kriminalroman braucht!

Ich fiebere schon jetzt dem zweiten Teil entgegen, auch wenn es vermutlich noch eine ganze Weile dauert, bis dieser in Deutschland erscheint. Die englische Originalausgabe des zweiten Bands mit dem Titel „A Game Of Lies“ kommt am 3. August 2023 auf den Markt.

Bewertung vom 10.11.2022
Die Sehnsucht nach Licht
Naumann, Kati

Die Sehnsucht nach Licht


ausgezeichnet

Alles kommt vom Bergwerk her

Bedrückende Enge, Hitze, Finsternis und Staub – unter Klaustrophobie darf man als Bergmann nicht leiden. Und doch haben sich die Mitglieder der Familie Steiner aus dem erzgebirgischen Bad Schlema über Generationen hinweg all diesen Widrigkeiten ausgesetzt, um dem Berg seine Schätze abzutrotzen.

Heute sind die Schächte stillgelegt und anstelle der Bergleute fahren Touristen und Interessierte ein, um sich im Besucherbergwerk ein Bild vom Leben unter Tage zu machen. Luisa, mit 30 Jahren das jüngste Mitglied der Bergarbeiterfamilie Steiner, vermittelt den Gästen im Schacht 15IIb mit Enthusiasmus, wie es einst unter der Erde zugegangen ist. Dabei kann sie auf Informationen und Erinnerungen aus erster Hand zurückgreifen, denn ihr Vater, ihr Großvater, ihr Urgroßvater und sogar ihr Ururgroßvater waren Bergleute. Auch ihr Großonkel Rudolf gehörte dieser Zunft an – bis er eines Tages nicht mehr von der Schicht nach Hause kam. Luisa beschließt, sich auf die Spuren ihres Großonkels zu begeben und lüftet dabei ungewollt so manches Familiengeheimnis …

Dem Erscheinen von „Die Sehnsucht nach Licht“ habe ich voller Ungeduld entgegengefiebert. Ich wohne nur 15 Kilometer entfernt von Bad Schlema, dem Hauptschauplatz des Romans und gleichzeitig dem Wohnort der fiktiven Familie Steiner, und finde Regionalgeschichte absolut fesselnd. Am 25. Oktober 2022 wurde „Die Sehnsucht nach Licht“ bei HarperCollins veröffentlicht – und ich habe das Buch im Rekordtempo gelesen!

In sich abwechselnden Kapiteln erzählt Autorin Kati Naumann von der Vergangenheit der Familie Steiner, beginnend im Jahre 1908, und der heutigen Zeit, die im Herbst 2019 angesiedelt ist. Ich bin ehrlich beeindruckt, wie viel Geschichte und Geschichten die Autorin auf 416 Seiten platziert hat, ohne dabei jemals oberflächlich zu sein.

Jede Zeit, jede Epoche im Roman hat ihre ganz eigene, charakteristische Atmosphäre, die Kati Naumann für ihre Leser lebendig und greifbar macht. Spielend leicht versetzt die Autorin einen in die Kaiserzeit, in entbehrungsreiche Kriegsjahre, in die 40 Jahre währende DDR bis in die Gegenwart. Auch die Traditionen kommen nicht zu kurz: Von den Rauhnächten über die Mettenkerze bis hin zum Schwibbogen lässt die Autorin erzgebirgisches Brauchtum in ihre Geschichte einfließen.

Den einzelnen Sohlen in einem Bergwerk ähnlich, beleuchtet Kati Naumann Generation für Generation der Steiners, gibt ihnen eine Stimme, lässt sie aus ihrem Leben erzählen, das sich im Laufe der Zeit genauso wandelt wie der einst so mondäne Kurort. Der Stammbaum der Familie ganz am Anfang des Buchs erweist sich als äußerst hilfreich, sonst würde man bei fünf Generationen früher oder später den Überblick verlieren.

„Die Sehnsucht nach Licht“ ist nicht nur eine Familiensaga, bei der die „kleinen“ Leute im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Biografie eines Ortes, der im Laufe der Jahrzehnte immer wieder sein Gesicht verändert hat.

Selbst als „Hiesige“ habe ich beim Lesen von „Die Sehnsucht nach Licht“ eine Menge Neues erfahren. Spannend erzählt, kombiniert Kati Naumann gründlich recherchierte (Bergbau-)Geschichte mit mitreißendem Familienroman. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Es war ein Genuss, dieses Buch zu lesen!

Und spätestens, wenn man dann nach 416 Seiten das Buch zuklappt, weiß man, warum sowohl für die Familie Steiner als auch für das Erzgebirge gilt: „Alles kommt vom Bergwerk her.“

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.11.2022
Die Träume anderer Leute
Holofernes, Judith

Die Träume anderer Leute


sehr gut

Einmal Popstar und zurück

Eins vorweg: Ein klassisches „Wir sind Helden“-Fangirl war ich nie. Ich mochte ihre Lieder ganz gern, habe die Band einmal live gesehen, aber das war´s dann auch schon. Dennoch wollte ich Judith Holofernes‘ Buch „Die Träume anderer Leute“ unbedingt lesen, da ich eine Schwäche für Musiker-Biografien habe.

Einen passenderen Titel als den gleichnamigen „Wir sind Helden“-Song aus dem Jahr 2010 hätte deren ehemalige Frontfrau für ihr Buch nicht wählen können. Sie beschreibt darin die kreative Enge in den Mühlen der Musikindustrie, in der Verkaufszahlen alles sind und der Künstler nicht mehr ist als ein Produkt. Judith Holofernes legt in "Die Träume anderer Leute" den Schwerpunkt aber nicht auf die schillernden Momente ihrer Karriere mit den Helden, sondern auf die Zeit danach. 2012 trennten sich die Wege der Band und die Musikerin stand nun vor der schwierigen Aufgabe, sich neu zu erfinden. An kreativen Ideen mangelte es ihr nicht, aber eines stand für sie fest: Sie wollte nicht länger die Träume anderer Leute träumen.

Zu Beginn war es ein wenig schwierig, mich an den Schreibstil von Judith Holofernes zu gewöhnen. In manchen Passagen wirkte der hektisch und ein bisschen überdreht. Aber einmal im Flow, machte es mir immer mehr Spaß, dieses Buch zu lesen und ihr zuzuhören. Ja, zuzuhören – und das bei einem Printbuch! Denn mit der Zeit kommt es einem tatsächlich so vor, als würde man neben der erzählenden Judith Holofernes auf dem Sofa sitzen. Sie spart dabei nicht an Wortwitz und verfügt über einen schier unerschöpflichen Wortschatz – langweilig wird es also nie.

Die Musikerin zeigt ihre verletzliche Seite und gewährt Einblicke in ihr Familienleben, das so gar nicht rockstarmäßig, sondern erschreckend normal ist. Ganz offen beschreibt Judith Holofernes, wie sie schließlich krank wird, nicht mehr funktioniert und erst nach einer Weile wieder auf die Beine kommt.

Besonders liebenswert an „Die Träume anderer Leute“ ist, wie herrlich uneitel die Autorin über sich selbst schreibt.

„Ich sehe an schlechten Tagen aus wie die verwirrte Lieblingstante von Boy George.“
(Seite 182)

Neben allem Hadern und Zweifeln, wie sie sich eine neue Karriere aufbauen kann, ohne dabei immer auf die Frontfrau von „Wir sind Helden“ reduziert zu werden, kommt Judith Holofernes eins zum Glück nie abhanden: Ihr Humor.

Ergo: Definitiv lesenswert für alle Musikinteressierten und Künstler!

Bewertung vom 12.04.2022
Stimmen der Freiheit / Die Frauen vom Reichstag Bd.1
Gabriel, Micaela A.

Stimmen der Freiheit / Die Frauen vom Reichstag Bd.1


sehr gut

Unterhaltsamer Rückblick auf die Geburtsstunde deutscher Demokratie

Zugegeben, ich habe ein wenig gezögert, bevor ich mich bewusst für die Lektüre des Romans „Die Frauen vom Reichstag – Stimmen der Freiheit“ entschieden habe. Frauenwahlrecht, Weimarer Republik, Entente: Ich fürchtete, dieser Exkurs in die deutsche Geschichte könnte womöglich ein bisschen langatmig sein. Aber da hatte ich die Rechnung ohne Autorin Micaela A. Gabriel gemacht. Die gebürtige Hanseatin hat sowohl unter ihrem Mädchennamen Micaela Jary als auch dem Pseudonym Michelle Marly große literarische Erfolge vorzuweisen.

In ihrem aktuellen Roman „Die Frauen vom Reichstag – Stimmen der Freiheit“, erschienen am 22.03.2022 bei Rowohlt Polaris, nimmt sie die Leser mit in die ausgehende Kaiserzeit und den Aufbruch in die Demokratie. Im Zentrum steht dabei die fiktive Figur Marlene von Runstedt, die als eine der ersten 37 Parlamentarierinnen Deutschlands in den Reichstag einzieht. Die Juristin ist fest entschlossen, sich als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) für die Rechte der Frauen einzusetzen. Ihre einstige Freundin Sonja Grawitz, inzwischen ein gefeierter Theaterstar, tritt für die kaisertreue Deutschnationale Volkspartei (DNVP) an. Doch es sind nicht nur die unterschiedlichen politischen Ansichten der beiden Frauen, die die einstigen Freundinnen entzweien – sie konkurrieren vor allem um einen Mann. Der Offizier Justus von Ostwald ist kein Kostverächter und fühlt sich zu beiden Frauen hingezogen. Mit Sonja unterhält er eine über Jahre andauernde Affäre, aber die strebsame Marlene ist es, an die er sein Herz verloren hat. All dies spielt sich vor der Kulisse eines von Aufständischen umkämpften und unruhigen Berlin ab; zwischen Kriegsmüdigkeit und Neubeginn.

Mit anspruchsvollem Duktus, dabei dennoch unterhaltsam führt Micaela A. Gabriel ihre Leserschaft durch die Geschichte und zeichnet anhand von zahlreichen Rückblicken insbesondere den beruflichen, aber auch den privaten Werdegang Marlenes und Sonjas nach. Mit ihrem anschaulichen Schreibstil gelingt es ihr eindrucksvoll, bewegte Bilder vor das geistige Auge des Lesers zu projizieren und ihn mitzunehmen in eine Zeit, in der Pferdehufe über das Kopfsteinpflaster donnerten und Automobile noch eine Rarität waren.

Mein Respekt gilt vor allem der aufwendigen Recherche, die Micaela A. Gabriel für ihr Buch betrieben hat. Die Autorin sagte in einem Online-Hintergrundgespräch mit einigen Bloggern, zu denen auch ich gehören durfte, sie sei eine gute Kundin des Online-Antiquariats ZVAB (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher).

Und die Recherchearbeit dürfte auch aktuell noch einen Gutteil der Zeit der Autorin beanspruchen, denn „Die Frauen vom Reichstag“ ist als Trilogie angelegt. Teil 2 mit dem Titel „Die Frauen vom Reichstag – Ruf nach Veränderung“ erscheint am 16.08.2022 und führt die Leser mit der Protagonistin Sophie Maytrott von der Zentrumspartei zurück in das Jahr 1927. Im Fokus des dritten Teils der Parlamentarierinnen-Reihe „Die Frauen vom Reichstag – Schritte in eine neue Welt“ steht die SPD-Abgeordnete Paula Hagedorn im Jahre 1941. Dieser dritte und letzte Band erscheint am 15.11.2022. Eine echte Saga also über einflussreiche Frauen, die für ihre Sache einstehen.

Für mich steht fest, dass ich auch die kommenden beide Teile lesen werde. Die Figuren, die Micaela A. Gabriel entworfen hat, sind äußerst interessant und lebendig und ich bin schon sehr gespannt auf die kommenden Protagonistinnen. Nur an einigen wenigen Stellen erinnert der Roman an ein Sachbuch, nämlich dann, wenn politische Zusammenhänge einen Tick zu gewissenhaft geschildert werden.

Insgesamt ist „Die Frauen vom Reichstag – Stimmen der Freiheit“ eine Lektüre, die einen packt, lehrt, fabelhaft unterhält und nicht zuletzt daran erinnert, dass vieles, das wir heute als normal empfinden, noch vor gut einhundert Jahren alles andere als gang und gäbe war.

Bewertung vom 20.05.2021
Weg ins Leben
Weissenberg, Tami

Weg ins Leben


ausgezeichnet

Ungeschönte Fortsetzung der Autobiografie eines männlichen Opfers von häuslicher Gewalt

Das stereotype Bild von Gewalt in der Partnerschaft zeigt eine dem Mann körperlich unterlegene Frau, die den Attacken des Partners wehrlos ausgesetzt ist. Dass sich eine solche Gewalt sehr wohl auch von einer Frau ausgehend gegen den Mann richten kann, mutet für manche Menschen seltsam an. Und doch: Diese Form der Gewalt gegen Männer gibt es - allerdings meist verborgen hinter einer unüberwindbaren Mauer aus Scham.

Der unter dem Pseudonym Tami Weissenberg publizierende Autor aus Sachsen hat in seinem ersten Buch "Darjeeling Pur" mit bedrückender Intensität die sich sukzessive aufbauenden Gewaltexzesse durch seine damalige Ehefrau geschildert. Unglaublich, aber wahr: Die namentlich nicht genannte, zierliche Frau drangsalierte einen beruflich erfolgreichen, hundert Kilo schweren und fast zwei Meter großen Mann, der sich niemals wehrte oder gar zurückschlug.

Im zweiten Band seines autobiografischen Berichts, der den Titel "Weg ins Leben" trägt und am 30. März 2021 in der Edition Outbird erschienen ist, beschreibt Tami Weissenberg, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass er in den Teufelskreis der Abhängigkeit von seiner Frau geriet. Eine Abhängigkeit, die er fast mit seinem Leben bezahlt hätte. Es ist schmerzlich, aber unverzichtbar, vor der Lektüre von "Weg ins Leben" zuerst "Darjeeling Pur" zu lesen.

In sachlich-nüchternem Ton reißt der Autor in seinem aktuellen Buch die Fassade der vermeintlichen Bilderbuchfamilie ein, die mit mondänem Haus, großem Garten und teuren Autos Nachbarn und Bekannte zu beeindrucken wusste. Mit psychologischer Scharfsinnigkeit zeichnet er den Worst Case nach, der seinen Anfang nahm, als er und seine Exfrau sich kennenlernten: Sie weckte in ihm den Beschützerinstinkt, er, unerfahren in Partnerschaftsdingen, gab nach und nach sein eigenständiges Leben für sie auf und fand sich schließlich in seinem eigenen Albtraum wieder.

Wie weit er gegangen ist, welche Grenzen und Gesetze er überschritten hat, nur um seine damalige Frau ruhigzustellen, schildert Tami Weissenberg mit ehrlicher Reue, ohne sich dabei selbst in Schutz zu nehmen. Er steht zu seinen Fehlern und seinen Worten merkt man an, dass er heute, mit einigen Jahren Abstand zum Erlebten, und nach vielen Stunden Psychotherapie, geläutert und befreit ist.

Klipp und klar formuliert er, dass er weder Rache an seiner Exfrau üben möchte noch mit den Erlösen aus den Buchverkäufen reich werden will. Denn Letztere fließen ausschließlich in den von ihm gegründeten Weissenberg e. V. - Männernetzwerk Plauen. Der Verein betreibt eine von staatlicher Seite mitfinanzierte Schutzwohnung für von häuslicher Gewalt betroffene Männer und verfügt über ein kompetentes Netzwerk zur Beratung der Opfer.

Inzwischen ist Tami Weissenberg viel herumgekommen, war in Presse, Funk und Fernsehen vertreten. Er erzählt seine Geschichte nicht, um Mitleid oder Ruhm zu erhaschen. Tami Weissenberg ist ein unglaublich engagierter Kämpfer. Im Anhang des Buchs zeugen Presseartikel und Fotos von seinen zahlreichen Auftritten, in deren Rahmen er dem Thema Gewalt gegen Männer ein Gesicht gibt - sein Gesicht.

So ist aus etwas Furchtbarem dennoch etwas Gutes erwachsen. Doch bis dahin war es ein steiniger, schmerzhafter und langer Weg, an dem Tami Weissenberg den Leser offen und ehrlich teilhaben lässt. Er hat viel über sich selbst gelernt. Mit Fleiß und Hingabe hat er ehrenamtlich ein Hilfsprojekt initiiert, das es damals, als er selbst Gewaltopfer war, nicht gab. Und das Wichtigste: Er ist endlich glücklich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.12.2020
Willst du Blumen, kauf dir welche
Berg, Ellen

Willst du Blumen, kauf dir welche


sehr gut

Humorvolle Abrechnung mit den Tücken des Online-Datings

Lena liebt ihren Kater Dewey, ihre eigene kleine Buchhandlung und die Romane von Jane Austen. In herzergreifenden Büchern findet sie, wonach sie nach einigen Enttäuschungen im echten Leben gar nicht mehr sucht: Romantik und Liebe. Nicht mal der Bestsellerautor Benjamin Floros, den sie zu einer Lesung in ihre Buchhandlung einlädt, kann sie mit seinem Verkaufsschlager „Die ultimative Liebesformel“ davon überzeugen, dass sich die Suche nach Mr. Right lohnen wird. Überhaupt hält Lena Floros für einen Scharlatan – einen gut aussehenden zwar, aber das ändert nichts an ihrer Antipathie für den erfolgsverwöhnten Schriftsteller. Zu dumm nur, dass sie sich nach einer gemeinsam geleerten Flasche Sherry auf eine fatale Wette mit Benjamin einlässt …

Wer humorvolle Bücher mag, kommt an Ellen Berg nicht vorbei. Die Autorin hat bereits sage und schreibe 17 Romane veröffentlicht, die sich hauptsächlich um ein Thema drehen: Die Liebe. Die beleuchtet Ellen Berg in sämtlichen Facetten – und das stets mit viel Humor. In ihrem aktuellen Roman „Willst Du Blumen, kauf dir welche – (K)ein Romantik-Roman“ nimmt sie sich den Mysterien des Online-Datings an. Ihrer Hauptfigur Lena wird dabei so einiges abverlangt, denn sie trifft bei ihren Dates größtenteils auf äußerst kauzige Kandidaten. Ellen Berg hat sogar ihre eigenen Erfahrungen aus der Welt der virtuellen Liebe einfließen lassen.

Auch bei Band 17 zeichnet (im Wortsinne!) wieder einmal der Cartoonist Gerhard Glück für die unverwechselbaren Cover der Ellen Berg-Romane verantwortlich.

Obwohl es Bücher gab, in denen Ellen Berg richtiggehende Gag-Feuerwerke zündete und ihr das in ihrem aktuellen Roman nur zuweilen gelingt, ist „Willst du Blumen, kauf dir welche“ dennoch ein äußerst kurzweiliger Roman, der für gute Laune sorgt. Gleichzeitig ist das Buch eine hinreißende Hommage an die Literatur und alle passionierten Leseratten, denn Lena denkt oft in Buchtiteln und geht ganz in ihrer Berufung als Buchhändlerin auf. Ihrem zackigen, wortschatzreichen Schreibstil bleibt Ellen Berg auch in ihrem aktuellen Roman treu. So macht Lesen Spaß!

Die Charaktere sind unverwechselbar und die meisten davon sympathisch. Und obwohl die Geschichte relativ vorhersehbar ist, eignet sie sich dennoch für kurzweilige Stunden auf der heimischen Couch und hilft dabei, den Corona-Blues zu vertreiben.

Bewertung vom 14.12.2020
Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück
Bernstein, Lilly

Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück


sehr gut

Aufwühlender Roman mit eindringlicher Mahnung

Anna ist noch ein kleines Mädchen, als ihre Freundin Ruth mitsamt ihrer Familie von heute auf morgen plötzlich verschwindet, ihr geliebter Onkel Matthias zum Kriegsdienst eingezogen wird und sich ihre Heimatstadt Köln mehr und mehr in eine Trümmerwüste verwandelt.

Sie wächst bei ihrer Tante Marie auf und ist von jüngster Kindheit an ein Leben voller Entbehrungen gewöhnt. Hunger, Kälte, Verlust und Mangel sind ihr nur allzu vertraut. Doch aus dem Mädchen wird eine junge Frau, die sich entschlossen gegen die Widrigkeiten des Krieges stemmt, um für die zu sorgen, die ihr am Herzen liegen: ihre Familie und ihre Freunde.

Einfühlsam erzählt Lilly Bernstein in ihrem 512-seitigen Roman „Trümmermädchen – Annas Traum vom Glück“ eine Geschichte, die die Jahre 1941 bis 1947 umspannt. Der unglaublich bildhaften Sprache der Autorin und Journalistin, deren bürgerlicher Name Lioba Werrelmann lautet, ist es zu verdanken, dass man das zerbombte Köln klar vor sich sieht. Mit der Veröffentlichung ist für Lilly Bernstein ein Traum in Erfüllung gegangen und es sei ihr bisher persönlichster Roman, heißt es. Und tatsächlich lässt dieses Buch unschwer erkennen, wie viel Herzblut darin steckt.

Mit großer Liebe zum Detail hat die Autorin an ihren Figuren gefeilt und einen Plot erarbeitet, der manche Überraschungen bereithält – das gilt für die guten ebenso wie für die schlechten.

Die Not, die die Menschen damals litten und die Umstände, unter denen sie leben mussten, sprengen heute jegliche Vorstellungskraft. Aus diesem Grund ist Lilly Bernsteins Buch mehr als ein Roman, sondern zeitgleich eine Mahnung, wie dankbar wir heute für alle Annehmlichkeiten des Alltags, volle Supermarktregale und ein gemütliches Zuhause sein müssen.

Dank vieler Gespräche mit Zeitzeugen und umfangreicher Recherchen gelingt es Lilly Bernstein in ihrem Buch mühelos, die unvorstellbaren Lebensbedingungen von damals in Worte zu fassen und für ihre Leserschaft regelrecht erlebbar zu machen.

„Trümmermädchen“ ist außerdem ein Buch, das Mut macht, denn was Anna und ihre Familie leisten, ist unvorstellbar. Ja, sie hadern, sie sind erschöpft, doch sie kämpfen entschlossen für ihren Traum. Ohne ein paar für meinen Geschmack zu glückliche Zufälle ließe sich der allerdings nicht realisieren.

Dennoch ist „Trümmermädchen“ ein bildgewaltiger Roman, der mit Anna über eine gleichermaßen sympathische wie starke Protagonistin verfügt, die stellvertretend für eine ganze Generation steht, die sich mit bewundernswerter Tatkraft nach dem Krieg dem Wiederaufbau eines ganzen Landes gewidmet hat.

Bewertung vom 27.09.2020
An Liebe stirbst du nicht
Dalban-Moreynas, Géraldine

An Liebe stirbst du nicht


ausgezeichnet

Aufwühlendes Romandebüt aus Frankreich

„Es gibt Geschichten, an deren Anfang man sich das Ende einfach nicht vorstellen kann.“

(Zitat aus dem Buch, Seite 181)

Ob sich Elle und O., die beiden Protagonisten in Géraldine Dalban-Moreynas‘ Debütroman „An Liebe stirbst du nicht“, zu Beginn ihrer Amour fou überhaupt ein Ende vorstellen können, darf bezweifelt werden. Unversehens stürzen sich die beiden neuen Nachbarn, die bislang bequeme und unaufgeregte Leben führten, in eine Affäre. Die Anziehung zwischen den beiden ist einfach zu groß. Ihre Treffen häufen sich bald ebenso wie die Lügen, die sie ihren jeweiligen Partnern auftischen, um sich ein paar gemeinsame Stunden zu stehlen. Über Elle und O. erfährt man nicht viel, nur dass sie beide Anfang 30 sind, er Anwalt und sie Journalistin ist, beide vergeben sind, und in Paris leben. Und doch lernt man als Leser schon beizeiten das verletzliche Innenleben des heimlichen Paares kennen, ihre Träume und ihre Wünsche.

Sie wagen einen Tanz auf dem Drahtseil, können jeden Moment abstürzen und ins Bodenlose fallen. Die Autorin beschreibt mit präzisem Blick die Achterbahn der Gefühle, in der die beiden sich befinden. Schon nach kurzer Zeit wird klar: Es ist Liebe, sie ist tief und wahrhaftig. Doch haben Elle und O. eine gemeinsame Perspektive? O. hat eine Tochter, die noch keine zwei Jahre alt ist. Seine Frau könnte er verlassen, seine Tochter jedoch nicht. So hadern die beiden Teilzeitliebenden (Seite 65), die nichts mehr wollen als zusammen zu sein, mit den Umständen, die genau das verhindern.

„Zum Glücklichsein braucht man Mut.“

(Zitat aus dem Buch, Seite 113)

Doch dieser Mut fehlt vor allem O. Als neutrale Beobachterin führt die Autorin Buch über den Verlauf einer heimlichen Liebe, die so unmöglich wie alles verschlingend ist.

Die Kapitel sind kurz, sie geben auch einige der zahllosen SMS und E-Mails wieder, die sich Elle und O. schicken. Trotz des nüchternen Erzählstils von Dalban-Moreynas, der wohl am ehesten mit „auf den Punkt gebracht“ umschrieben werden kann, schwingt eine feine Melodie in ihren Worten mit. Am Ende war mein Exemplar des Buchs mit unzähligen bunten Klebe-Fähnchen übersät, weil es so viele Zitate, so viele Momente gab, die mich ganz besonders berührt haben, sodass ich schon gefragt wurde: „Liest du oder bastelst du?“

Dieser Roman hat eine unglaubliche Wucht, und auf nur 192 Seiten erzählt die Autorin eine Geschichte, wie sie tagtäglich geschieht, und die doch einzigartig ist. Die Intensität der Gefühle tut beim Lesen fast schon körperlich weh. Als Leser wird man mitgerissen in diesen Abgrund, an dessen Rand Elle und O. tanzen, und sehenden Auges in ihr Unglück rennen. Man leidet mit den beiden, fragt sich, wie wohl das Ende aussehen wird. Der Weg dorthin kann es in puncto Spannung mühelos mit jedem guten Thriller aufnehmen. Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – was wird am Ende überwiegen?

Chapeau! Géraldine Dalban-Moreynas hat mit ihrem Debütroman wirklich ein grandioses Stück Literatur geschaffen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.06.2020
Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?
Greve, Julia

Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?


ausgezeichnet

Ein hinreißendes Stück Unterhaltungsliteratur über die Flaute im Ehebett

Nach 15 Jahren Ehe ist bei Nina und Steffen im Bett die Luft raus. Der Familienalltag mit den beiden Töchtern plätschert gemächlich vor sich hin. Eines Abends schreibt das Paar einen Wunschzettel mit den Dingen, die sie sich in der Horizontalen wünschen, um ihr Sexleben wieder auf Vordermann zu bringen – und plötzlich steht das Thema Partnertausch auf dem Tapet. Während Steffen sich nach einem aufregenden Abenteuer mit einer fremden Frau sehnt, geht Nina mit Skepsis an die Sache heran. Kann sie das? Will sie das? Nach langer Überlegung beschließt sie, sich auf das gewagte Experiment einzulassen. Noch ahnen die beiden nicht, was sie damit in Gang setzen …

Autorin Julia Greve, Jahrgang 1975, nimmt sich in ihrem Roman „Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?“ eines Themas an, das wohl den meisten Menschen in langjährigen Beziehungen vertraut ist: Die Flaute im Bett und wie man da bloß wieder rauskommt.

Ihre Romanheldin Nina – eine herrlich uneitle, teilweise schüchterne und alles in allem völlig normale Frau – lässt sich auf den delikaten Wunsch ihres Gatten ein, obwohl sie von einem erotischen Treffen mit einem fremden Mann alles andere als überzeugt ist. Sex ohne Liebe – geht das denn überhaupt?

Julia Greves am 18. Februar 2020 bei Rowohlt erschienener Roman ist ein hinreißendes Stück Unterhaltungsliteratur mit spritzigen Dialogen und sympathischen Darstellern, die glatt nebenan wohnen könnten. Das Buch ist fluffig geschrieben und mit viel Witz gewürzt. In diesem Kein-Kitsch-Roman macht sich der Leser gemeinsam mit dem sexuell gelangweilten Ehepaar auf eine aberwitzige (S)Expedition, die mit einem wahrlich überraschenden Ende punktet.

Das 384-seitige Buch lief vom Anfang bis zum Schluss vor meinen Augen wie ein unterhaltsamer Film ab, so klar habe ich Nina, Steffen und Co. vor mir gesehen. Dabei überspitzt Julia Greve die Handlung nicht. Genau so könnte sich die Geschichte im wahren Leben zutragen.

„Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?“ ist viel mehr als ein platter Frauenroman. Es ist eine großartig erzählte Geschichte über ein Thema, das – wie schon gesagt – vielen Menschen leider ziemlich bekannt vorkommen dürfte.

Bewertung vom 21.03.2020
Die Stille vor dem Sturm
Heib, Marina

Die Stille vor dem Sturm


sehr gut

Mitreißender Thriller mit spannendem Setting

Auf die Autorin Marina Heib bin ich zum ersten Mal durch ihren großartigen Thriller "Drei Meter unter Null" gestoßen. Deshalb wollte ich natürlich auch ihr aktuelles Buch "Die Stille vor dem Sturm" unbedingt lesen, das am 18. September 2019 im Pendragon Verlag erschienen ist. Dem Genre ist die Autorin dabei treu geblieben. "Die Stille vor dem Sturm" ist ebenfalls ein Thriller.

Die Geschichte spielt auf einer Yacht, die von den drei Söhnen eines Kielers Reeders in die Karibik überführt werden soll. Auch ein paar Freunde werden mit von der Partie sein - so zumindest sieht es der Plan vor. Doch ein paar unvorhergesehene Ereignisse führen dazu, dass sich der entspannte Segeltörn schon bald in einen echten Horrortrip verwandelt ...

Dass Marina Heib auch als Drehbuchautorin arbeitet, merkt man ihren Büchern an. In "Die Stille vor dem Sturm" lässt sie das Geschehen wie einen Film vor dem geistigen Auge des Lesers ablaufen. Das von ihr gewählte Setting ist überaus spannend, denn eine Yacht auf offener See bietet schließlich keinerlei Fluchtmöglichkeiten - und auch mit einer Rettung von außerhalb ist nicht zu rechnen, wenn - wie hier - die gesamte Kommunikationsanlage ausfällt. Deshalb sind die Protagonisten ihrem Schicksal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Doch nicht nur das macht diesen Thriller so mitreißend, sondern auch die Dynamik innerhalb der Gruppe. Genug Zündstoff hat Marina Heib ihren Protagonisten mit auf den Weg gegeben und die unterschiedlichen Charaktere tun ihr Übriges, um die Atmosphäre auf der Yacht alles andere als langweilig werden zu lassen.

Einen Stern musste ich leider abziehen, denn als Landratte war für mich die üppige Verwendung des Seglerlateins nicht oder nur schwer zu verstehen. Ein Glossar im Anhang hätte mir an dieser Stelle das Lesen erleichtert beziehungsweise die Google-Suche erspart.

Dennoch ist es Marina Heib einmal mehr gelungen, mich mit ihrem klugen Plot und der durchweg aufrechterhaltenen Spannung vollkommen zu fesseln. Mit "Die Stille vor dem Sturm" war ein packendes Lesevergnügen!