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leseeule
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Eisenhüttenstadt

Bewertungen

Insgesamt 30 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2023
Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
Yagisawa, Satoshi

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki


gut

Manchmal muss man vom Leben eine Pause machen

Takakos Welt liegt in Trümmern. Ihre Zukunftsträume sind zerplatzt wie eine Seifenblase. Sie fällt in ein tiefes Loch und der Knoten in ihrer Brust nimmt ihr die Luft zum Atmen. Ein Tapetenwechsel scheint da genau richtig, so die Meinung ihrer Familie. Notgedrungen zieht Takako zu ihrem Onkel Satoru in das berühmte Bücherviertel Jinbocho. Dort soll sie erst ein Mal eine Auszeit nehmen und ihrem Onkel in seinem Antiquariat unter die Arme greifen. Da Takako weder ihrem Onkel noch dem Lesen besonders zugetan ist, verkriecht sie sich noch mehr in ihr Schneckenhaus.
Satoshi Yagiawa hat seinen Roman in zwei Teile eingeteilt. Der erste Teil behandelt dabei Takakos Seelenheilung während ihrer Tage in der Buchhandlung Morisaki. Mit Begeisterung begleitete ich Takako auf ihren Streifzügen durch Jinbocho und fühlte ihren plötzlichenunbändigen Drang sämtliche Literatur in sich aufzusaugen. Die Menschen denen sie währenddessen begegnete, waren allesamt sehr charmante Persönlichkeiten. Allen voran ist mir ihr Onkel Satoru besonders ans Herz gewachsen. Seine sehr direkte Art mag nicht jedem gefallen, doch hat genau dies seinen besonderen Charme ausgemacht. Beschäftigt man sich näher mit ihm, dann erblickt man eine unglaublich sensible und loyale Persönlichkeit. Er und alle anderen in Takakos neuem Umfeld trugen auf eine ganz besondere Art und Weise dazu bei, dass sie wieder zu sich selbst finden konnte. In dieser Zeit hat Takako eine starke Entwicklung durchgemacht.
Für mich persönlich hätte die Geschichte hier enden können und ich wäre glücklich gewesen.
Mit dem nachfolgenden Teil konnte ich mich einfach nicht identifizieren. Dieser spielte außerhalb der Buchhandlung und handelt hauptsächlich von Takakos Tante Momoko. Und genau dieser Charakter minderte meine Begeisterung für dieses Buch deutlich. Auch wenn ich ihre Beweggründe in Teilen nachvollziehen konnte, war sie für mich eine wirklich sehr unsympathische Person. Aufgrund ihrer anmaßenden und unhöflichen Art baute sich förmlich eine Mauer in mir auf, die ein Schatten auf die gesamte Geschichte warf. Und genau hier zeigt sich wieder, dass eine vernünftige Kommunikation vieles leichter gemacht hätte. Doch liegt es wahrscheinlich in der Natur des Menschen, sich bei Problemen in Schweigen zu hüllen und somit Dinge unnötig zu verkomplizieren. Auch mit Takako hatte ich in diesem Teil so meine Probleme, da ihre Gedanken mit ihrem Handeln im Widerspruch standen. Außerdem hätte ich erwartet, dass sie viel mehr hinterfragen und gewisse Dinge nicht einfach so hinnehmen müsste. Genau dies habe ich auch bei Onkel Saturo vermisst, der leider in diesem Teil sehr stark in den Hintergrund gerückt ist.
Den Schreibstil von Yagisawa mochte ich sehr. Er erzählt die Geschichte schnörkellos und auf eine sehr direkte Art. Eigentlich passiert gar nicht wirklich viel, dennoch sind es diese kleinen Momente die einen aufgrund von Komik oder Sensibilität berühren. Es sind hier wieder die leisen Töne, die teilweise echt poetisch dahin getragen werden, die die Geschichte zu etwas einzigartigen macht.
Manchmal habe ich mir etwas mehr von allem gewünscht. Mehr von Jinbocho, mehr Bücherzauber und mehr Dialoge. Ich glaube aber, dass es einfach an dem gewohnten westlichen Literaturstil liegt, manches viel zu sehr auszuschmücken. Manchmal ist weniger einfach mehr und lässt einen sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Dieses Buch ist optisch gesehen ein absoluter Blickfang. Das Cover erinnerte mich sofort an die Zeichnungen in den japanischen Mangas. Es wirkte auf mich wie eine persönliche Einladung, mich umgehend auf die Reise dorthin zu begeben, durch Jinbocho zu streifen, sämtliche Auslagen zu durchforsten und mich mit meinen neuen Schätzen in das Zimmer über der Buchhandlung niederzulassen.
Abschließend kann ich sagen, dass mich dieser Roman sehr zwiespältig zurück lässt. Während mich der erste Teil sehr gut unterhalten hat, konnte mich der Rest leider weniger überzeugen. Würde ich den zweiten Teil außer Acht lassen, dann gäbe ich mit Freuden 4 ½ Sterne. Doch leider muss ich das Gesamtergebnis bewerten. Eine Verfilmung des Romans erfolgte bereits 2018, doch bisher nicht auf Deutsch. Sollte es noch dazu kommen, würde ich ihn gern sehen.

Bewertung vom 08.05.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


sehr gut

Orwells Vision
Die Welt in der wir leben lässt schon lange keine Anonymität mehr zu. Wir sind gläserner als je zuvor. Mit jedem Schritt, den wir machen, stehen wir unter Beobachtung und geben mehr preis, als uns bewusst ist. Die Datenkraken freuen sich über unsere Naivität. Verkauft wird uns das Ganze als Verbesserung unserer Lebensqualität und zu unserer Sicherheit. Doch inwieweit darf dieser Sicherheitsgedanke in das Leben eines Einzelnen eingreifen? Wie weit stehen wir wirklich unter Beobachtung? Wie schmal ist der Grat zwischen Allgemeinwohl und Überwachungsstaat wirklich? Genau hier setzt „Going Zero“ an.
Cy Baxter, unumstrittener Medienexperte, hat es sich, aus persönlichen Gründen, zur Aufgabe gemacht die Welt zu 100% sicher zu machen. Dafür geht er mit seiner Firma eine Kooperation mit dem FBI, der NSA und CIA ein. Dadurch entsteht eine bisher nie dagewesene Datenbank, um jeden Menschen zu jeder Zeit, an jedem Ort zu finden und jede Handlung vorhersagen zu können. Um zu beweisen, dass sein Fusion-Projekt all dies leisten kann, startet er den Beta-Test zu Going Zero. Die 10 ausgewählten Kandidaten haben die Aufgabe, für 30 Tage unter dem Radar zu bleiben und nicht auffindbar zu sein. Als Belohnung winken 3 Millionen Dollar. Der Bibliothekarin Kaitlyn Day, bekannt als Zero 10, räumt man die wenigsten Erfolgschancen ein. Sie zu unterschätzen war jedoch ein schwerwiegender Fehler und es beginnt ein rasantes Katz- und Mausspiel.
Ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass ich selbst Zweifel hatte, wie eine durchschnittliche Frau, wie Kaitlyn, dazu fähig sein soll sich komplett unsichtbar machen zu können. Charakterlich schien sie auch nicht besonders stark zu sein, um diesem Unterfangen gewachsen zu sein. Genau wie Cy Baxter, bin auch ich meinen Vorurteilen erlegen. Sie war so ambivalent in ihrem Verhalten, sodass ich zwar merkte, dass mehr in ihr zu stecken schien, ich aber die ganze Zeit im Dunkeln tappte. Ihre fast schon zu methodische Flucht und inneren Monologe stand schon sehr im Widerspruch zu dem Bild, das man anfangs von ihr bekam.
Ich habe schon einige Romane mit ähnlichem Inhalt gelesen. Dabei passierte mir nur allzu oft, dass mir das Personenregister zu unübersichtlich wurde und ich häufig nicht mehr wusste, wer eigentlich wer ist. Hier erging es mir zum Glück nicht so und ich konnte somit gut der Handlung folgen. Auch fiel mir positiv auf, dass man auch ohne größere Grundkenntnisse den technischen Details folgen kann.
Mir gefiel ebenfalls, dass der Jagd nach den anderen Zeros ebenfalls Raum gegeben wurde. Zero 1 war mir dabei von allen am sympathischsten. Es war echt spannend zu erfahren, mit welch unterschiedlichen Herangehensweisen die Kandidaten sich vor ihren Häschern zu verstecken versuchten. Fusions Jagdmethoden waren dabei ebenfalls einfallsreich wie auch erschreckend. Ich meine, dass mir ein Großteil der eingesetzten Technik schon bekannt war, aber vieles auch ein völlig neues Level an grenzenloser Überwachung bot und meine Vorstellungskraft sprengte. Mit diesem Wissen ihm Hinterkopf, was wirklich möglich sein könnte, könnte man schlicht paranoid werden. Auch, wenn man nichts zu verbergen hat, möchte doch niemand das Gefühl haben auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Wie weit darf der Wunsch nach Sicherheit gehen? Wer entscheidet was erlaubt ist? Gerade an Cy Baxter lässt sich gut erkennen, dass noch so gute Absichten ganz schnell umschlagen können. Gerade wenn man bedenkt, wie viel Macht sich aus unserer Datenmenge ergibt.
In Bezug auf das Cover bin ich etwas zwiegespalten. Einerseits mochte ich die Idee dahinter, einen Fingerabdruck zu verwenden, der gleichzeitig einem Irrgarten gleicht und einige Blindspots enthält. In meinen Augen ist damit das Thema perfekt getroffen. Nur leider bin ich kein Freund der farblichen Gestaltung.
Die Kapitel sind relativ kurz und in wechselnden Perspektiven geschrieben. Dies gab der Geschichte schon einen gewissen Seriencharakter. Der stetige Countdown sorgte ebenfalls für Spannung. Der Schreibstil war schnörkellos und passte sich der jeweiligen Erzählsicht gut an.
Den Plottwist empfand ich als sehr gelungen und war für mich völlig unerwartet. Zwar brachte er endlich Licht in Dunkel, doch fiel die Spannung danach leider merklich ab. Danach gab es für mich zu viele Zufälle, die irgendwie zu konstruiert wirkten. Der eigentliche Grundgedanke der Geschichte war für mich dann leider dahin.
Trotz der Schwächen zum Ende hin, habe ich mich gut unterhalten gefühlt und gebe eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 16.04.2023
Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


sehr gut

Mit großer Vorfreude ging ich erneut auf die Reise mit der „Pharmacie Littéraire“. Ich ging an Bord, ohne zu wissen, wohin das Schiff mich diesmal bringen würde und als was für ein Mensch ich am Ende ankommen würde. Meines Erachtens ist es wirklich wichtig im Vorfeld „Das Lavendelzimmer“ gelesen zu haben. Es würde auch ohne gehen, doch befürchte ich, dass einem einiges im Bezug auf die Gefühls- und Gedankenwelt einiger Charaktere, sowie deren Handeln verborgen bleiben könnte.
Jean Perdu kehrt nach langer Zeit wieder auf sein Bücherschiff zurück. Es zieht ihn zurück zu seiner Berufung, Menschen in ihren jeweiligen Gemütszuständen, mit Hilfe literarischer Medizin, zu helfen. Er bietet quasi Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei heilt er nicht nur die Menschen, die von ihm angezogen werden, sondern auch sich selbst Stück für Stück.

Nina George besitzt einen einzigartigen poetischen und gefühlvollen Sprachstil, auf den man sich aber einlassen sollte, sich treiben lassen und nicht versuchen dagegen anzuschwimmen. Diese besondere Art der Komplexität ist nicht dafür gemacht nebenbei gelesen zu werden. Mal glitt ich auf den Wellen dahin und im nächsten Augenblick wurde ich zurückgeworfen, als würde mir der Mistral entgegen wehen und mich um mich selbst drehen lassen. Ich gebe zu, dass ich ein ums andere Mal meine Gedanken sortieren und einige Abschnitte erneut lesen musste.
Diese Geschichte spricht Gefühle und Gedanken an, die man zwar in sich spürte, aber nie klar benennen konnte. Gibt ihnen Namen und macht sie somit greifbar. Meine neuen Lieblingswörter habe ich hier auch gefunden…“Untiefe Gespräche, Ankermensch, wunderblind…“

Die Charaktere waren allesamt bunt und individuell wie das Leben selbst. Jeder von ihnen war auf seine unperfekte Art und Weise perfekt. All ihre Gedanken, Sorgen und Glücksmomente mitzuerleben, hat mich sehr bewegt.

Es geschieht vielleicht nicht ganz so viel wie in der Vorgeschichte. Die Handlung ist dies Mal überschaubarer, doch muss ja nicht immer alles in große Ereignisse ausarten. Es geht mehr um die leisen Zwischentöne, die dich tief im Inneren berühren und in einem noch lange nach hallen. Genau in diesen Momenten wohnt ein Zauber inne, den man nur selten findet. Und auch, wenn ich mich dieses Mal nicht ganz so sanft auf den französischen Gewässern treiben lassen konnte, kam ich innerlich doch weiter, als zwischenzeitlich gedacht. Es war für mich eine Zeit der Selbstreflexion. Zum einen über meine eigene Beziehung zu Büchern, bei der die „Leseverfassung“ viel dazu beigetragen hat. Und umso mehr über die Bedeutung des Zwischenmenschlichen und die Magie der einzelnen Momente. Die Summe all dieser Augenblicke bzw. „Details“, verwoben aus Liebe, Genuss und besonderen Menschen, öffnen einem die Augen, für das was wirklich zählt. Dem Seelenglück.

Die „Große Enzyklopädie der kleinen Gefühle“ war etwas ganz Einmaliges für mich. Die Verbindung von Literatur und gewissen „Seelen-Maladien“, wurde durch diese einzigartige Sammlung noch einmal hervorgehoben. Jeder einzelne Eintrag passte ausgesprochen gut zum jeweiligen Kapitel. Dennoch brachte es mich, im Hinblick auf die Haupthandlung, stets aus dem Konzept. Wie das nervige Schleusen auf den Kanälen, hielt es mich davon ab, meine Reise ungestört fortzusetzten. Und genau dies war vielleicht auch der Faktor, weshalb ich mich diesmal nicht ganz so zu Hause gefühlt habe.
Dennoch ist es aufgrund seiner Seelenmomente, zu einem Wohlfühlbuch geworden.

Bewertung vom 16.04.2023
STONE BLIND - Der Blick der Medusa
Haynes, Natalie

STONE BLIND - Der Blick der Medusa


ausgezeichnet

Die Geschichte der Medusa ist jedem, der sich für die griechische Mythologie interessiert, weitestgehend bekannt. Ein junges unschuldiges Mädchen, das dem Narzissmus und Ränkespielen egozentrischer Götter ausgeliefert war und schlussendlich zum Monster deklariert wurde. Perseus dagegen, ist im Gegenzug der strahlende Held, der die Menschheit von mehr als nur einer grausamen Kreatur befreit hat. Doch können wir dieser Version der Geschichte überhaupt vertrauen? Wird Geschichte nicht meist nur aus der Sicht der Sieger geschrieben? Genau wie eine Medaille zwei Seiten besitzt, so hat auch jede Geschichte meist mehr als nur eine Wahrheit.
In dieser Adaption darf Medusa erstmals ihre Geschichte zu größten Teilen, selbst erzählen. Sie ist hier keine Priesterin der Athene, sondern eine echte Gorgone, wenngleich sterblicher als ihre beiden Schwestern. Die Geschichte und Beziehung der Schwestern war für mich das absolute Highlight. Diese unsterblichen Wesen sind zunächst völlig überfordert, sich um dieses hilflose Bündel zu kümmern. Daraus ergaben sich zahlreiche ungewollt witzige Situationen. Es war so herzerwärmend mit zu erleben, wie die beiden an ihrer Aufgabe wuchsen, sich hingebungsvoll um Medusa sorgten und sogar zu menschlichen Gefühlen in der Lage waren. Gewissermaßen erinnerte mich dieser Teil an Maleficient und Aurora. Doch leider ist Medusa das mitunter berühmteste Beispiel für Täter-Opfer-Umkehr in der griechischen Mythologie. Geschändet, diffamiert und verflucht kann nicht einmal die Liebe ihrer Schwestern ihr Leid mindern. Dennoch verliert sie nicht ihre menschliche Seite.
Gleichzeitig lernen wir Perseus, Sohn des Zeus und Halbgott, kennen. In vermeintlich guter Absicht, muss er sich auf die Suche nach dem Kopf einer Gorgone begeben. Hierbei erhält er sogar göttlichen Beistand. Anfangs hatte ich wirklich mit beiden Mitleid, da sie ja eigentlich nur Spielbälle der Götter waren. Medusas Hass auf Perseus konnte ich zum Teil nachvollziehen, da er sie ja ermordete. Trotzdem kam ich nicht umhin mich zu fragen, weshalb sich ihr Hass so vehement auf seinen Charakter bezog. Erst im Laufe dieser „Heldenreise“ kam für mich Licht ins Dunkle. Perseus charakterlicher Wandel hat mich völlig verwirrt. War es Unwissenheit, menschliche Arroganz oder das Gefühl der Macht? Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten.
Zwischendurch kommen auch die Götter zu Wort und wir erfahren viel über ihre Taten. Dass die alten Götter grausam waren, war mir längst bekannt. Dennoch widert es mich jedes Mal aufs Neue an. Unsterbliche, gelangweilte, streit- und rachsüchtige Wesen, die selber der Hybris verfallen sind. Ohne ihre göttliche Macht sind sie nicht besser als so mancher Mensch.
Natalie Haynes Sicht der Geschehnisse hat mich wirklich überrascht und zum Nachdenken gebracht. Hier einige Zitate: „Wer entscheidet, was ein Monster ist? Was macht jemanden zu einem Monster? Wer entscheidet, wer der Liebe würdig ist? Ist ein Monster immer böse? Gibt es überhaupt so etwas wie ein gutes Monster? Denn was passiert, wenn ein guter Mensch zu einem Monster wird?“ Diese Fragen beschäftigen mich noch immer und werden noch lange nachklingen.
Der Aufbau der Geschichte ist wirklich eigenwillig und besonders. Auf den ersten Blick scheint es vielleicht seltsam zu sein, dass ein Buch dessen Hauptthema Medusa ist, so viele Nebenhandlungen und augenscheinlich irrelevante Details enthält. Für mich ergibt sich aber gerade daraus ein Gesamtbild. Es kommen außenstehende Beobachter, wie Tiere, mythologische Wesen und sogar Pflanzen zu Wort und geben noch ein Mal eine ganz neue Perspektive. Nachdem ich hinter das Geheimnis der Gorgoneion gelangte, war ich schon sehr beeindruckt.
Der Erzählstil passte sehr gut zur Handlung und unterstrich seinen mythologischen Charakter. Es gab mir das Gefühl, ein griechisches Epos zu lesen. An einigen wenigen Stellen schlich sich dann doch aber etwas Umgangssprache hinein, doch kann ich darüber hinwegsehen.
Ich bin überaus froh, dass Natalie Haynes Medusa eine Stimme gegeben hat, um ihre Geschichte zu verbreiten. Nur über das Ende, also das wirkliche Ende, bin ich etwas traurig. Einerseits scheint Medusa ihren Frieden gefunden zu haben, dennoch ist sie an dem Ort gelandet, an dem sie nie wieder sein wollte.
Ich spreche eine klare Leseempfehlung aus. Lasst euch auf die Geschichte ein, seht über die Mauer und bildet euch eure eigene Meinung.

Bewertung vom 22.03.2023
Finni Fantastisch
Rose, Jess

Finni Fantastisch


ausgezeichnet

Ich bin gut so wie ich bin
Finni ist ein zauberhaftes Fuchskind, dass seinen einzigartigen Charakter auch nach außen hin sichtbar macht. In farbenfroher Kleidung tanzt es wie ein Regenbogen durch die Welt. Dies bringt auch sein näheres Umfeld zum Strahlen. Doch Finnis Individualität stößt auch auf Missfallen und immer öfter wird es mit kritischen Blicken und Worten konfrontiert. Natürlich geht das nicht spurlos an Finni vorbei. Das kleine Fuchskind wird immer unsicherer und versucht sich der Masse anzupassen, um nicht weiter abgelehnt zu werden. Dadurch verliert Finni aber ein wichtiges Stück seiner selbst. Je angepasster es wird, desto trauriger und leerer wird es innerlich. Finni wird allmählich farblos und verschmilzt mit der grauen Masse. Doch auch sein Umfeld verliert dadurch seinen Glanz und Fröhlichkeit. Unbewusst stärkt Finnis Umfeld sein Inneres und das Fuchskind erhält sein Strahlen wieder zurück.
Mir gefiel besonders, dass Finni bewusst kein Geschlecht zugeordnet wurde. So kann sich wirklich jedes Kind mit dem kleinen Fuchskind identifizieren. Außerdem ist ein extrovertierter Lebensstil keine Frage des Geschlechts.
Die gesamte Gestaltung ist genauso bezaubernd wie Finni selbst. Die Illustrationen sind nicht zu grell gestaltet und bieten eine klare Bildsprache, in Verbindung mit den kurzen einfachen Texten. Die Idee, Emotionen und Farben miteinander zu verknüpfen ist zwar nicht neu, passte hier aber sehr gut. Der schleichende Prozess von bunt und fröhlich zu farblos und innerlich leer, tat unheimlich weh.
Mit Finni erhält man einen sehr kindlichen Einblick in dieses hochsensible Thema. Die Geschichte lädt zum Philosophieren und Selbstreflektieren ein. Ich hoffe Finni zeigt all den engstirnigen Menschen, wie sehr man, allein mit Worten, einer Seele Schaden zufügen kann. Hier zeigt sich auch, wie wichtig Resilienzfaktoren sind. Besondere Menschen und Dinge um sich zu haben, um zur eigenen inneren Stärke zu finden.
Ich gebe eine Altersempfehlung von 3-4 Jahren. Natürlich werden auch ältere Kinder ihre Freude mit Finni haben, doch erwarte ich dafür mehr Diversität bzw. eine bessere Problemlösung.
Charaktere wie Finni sind wichtig, um nicht selbst im Alltagsgrau zu versinken.
Danke an alle Finnis, die unsere Welt bunter und strahlender machen.
„Nicht ich bin anders. Ihr seid alle gleich“

Bewertung vom 04.03.2023
Wolfskinder
Buck, Vera

Wolfskinder


sehr gut

Das Böse wohnt hier wie dort.
Die Handlung nimmt uns mit in eine mehr als abgeschiedene Siedlung in einer Bergregion. Ein Ort wie aus einer vergangenen Zeit, dessen Bewohner mit allen Mitteln versucht unsichtbar zu bleiben. Schnell wird klar, dass dort etwas nicht zu stimmen scheint. Zunächst ist es mehr ein Gefühl als etwas Greifbares. Zeitgleich lernt man die junge moderne Smilla kennen. Genau vor 10 Jahren verschwand ihre beste Freundin aus genau dieser Bergregion. Immer noch traumatisiert, hat sie die Suche nach ihr nie aufgegeben. Und immer wieder verschwinden dort junge Mädchen. Auf der Suche nach der Wahrheit bringt sie etwas ins Rollen, das den ganzen Berg erschüttern wird.
Der Prolog ließ schnell erahnen, dass nicht nur idyllische Almromantik in diesen Bergen herrschen kann, sondern dort das Böse lauert, das einen einmal gepackt, schwer wieder los lässt. Schon dieser Einstieg hinterließ bei mir klaustrophobische Gefühle. Welches Monster lauert dort im Berg?
Zu Beginn war mir die Siedlung Jakobsleiter und dessen Bewohner doch sehr suspekt. Wer verzichtet freiwillig auf moderne Annehmlichkeiten und führt stattdessen ein, in unseren Augen, entbehrungsreiches Leben? Weshalb leben dort eigentlich fast nur Männer? „Dies ist kein Ort, der für das Leben erbaut wurde. Er ist fürs Verstecken gemacht. Aber wovor?“ Doch scheint selbstgewählte Einsamkeit meist durch schlechte Erfahrungen begründet zu sein. Dies merkt man schon am Verhalten des Nachbardorfes. Mit dem wahren Ursprung dieser Siedlung hätte ich aber nie im Leben gerechnet. War mir anfangs diese Art zu leben doch recht weltfremd, empfand ich im Laufe der Geschichte die Einbindung der sogenannten Zivilisation als etwas Störendes. Auf beiden Seiten herrscht ein, durch Geheimnisse und Vorurteile geschürtes Feindbild. Zeitweise hatte ich wirklich das Gefühl, dass je zivilisierter die Menschen waren, desto grausamer waren sie.
Das Smilla all die Jahre nicht aufgegeben hat, war beeindruckend. Ich bewunderte ihre Hartnäckigkeit und wunderte mich, dass sonst niemand die Zusammenhänge sah. Ich war neugierig darauf, wer nun der wahre Teufel war und habe Smilla eine Erlösung von dieser Ungewissheit gewünscht. Ebenso habe ich mit Rebekka mit gefiebert und ihr ein gutes Ende gewünscht. Doch trotz des allgegenwärtigen Nervenkitzels, konnte mich die Tätersuche nicht ganz packen.
Die Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert. Was für den einen Befreiung bedeutet, endet für andere in Zerstörung. „Die Männer sind auf den Berg gekommen, um alles kaputt zu machen, was bislang meine Welt war. Doch sie haben die falschen Waffen mitgenommen. Es braucht gar kein Benzin und keine Feuerzeuge. Es braucht nur die Wahrheit.“
Die Geschichte zeigte mir außerdem, wie sehr die Umgebung, das eigene Denken und Werteempfinden beeinflussen kann. Dies wird besonders an den drei einzigen Kindern in Jakobsleiter deutlich. Rebekka, 16 Jahre, kann und will nicht mehr so abgeschieden leben. „Was für eine Ironie, dass ich dem Berg entkommen wollte. Und nun Stecke ich mittendrin.“
Jesse, 17 Jahre, der gern zur Schule geht aber nie seine Familie im Stich lassen würde und sich eigentlich auch in der Siedlung wohlfühlt.
Edith, 8 Jahre, macht den Eindruck eines wirklichen Wolfkindes. Sie spricht nicht, ist eins mit der Natur und sehr intelligent. Ihre Art zu Denken machte mir stellenweise schon Angst. In ihr wohnt eine Wildheit inne, die sie fast zu einem Talgeist macht. „Man lernt viel, wenn man tote Tiere untersucht, und man lernt noch mehr, wenn man den Tieren beim Sterben zusieht.“
Die Geschichte wird abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dies gibt dem Leser die Möglichkeit die Geschehnisse aus mehreren Sichtweisen zu erfahren. Dennoch bleibt lange ein Schleier über der eigentlichen Wahrheit. Die Kapitel sind relativ kurz und geben einem dadurch die Möglichkeit öfters das gelesene zu reflektieren. Die Autorin hat wirklich geschafft, jedem Erzähler einen eigenen Erzählstil zu geben. Dadurch hatte man noch mehr das Gefühl in deren Gedanken- und Gefühlswelt einzutauchen. Es herrscht durchgehend eine beklemmende Atmosphäre und es entstehen düstere Stimmungsbilder, die einen kaum los lassen. Selbst die traumhafte Kulisse wirkte dadurch kalt und unwirtlich. Ab und an flacht der Spannungsbogen etwas ab, doch auch die leiseren Szenen waren nicht weniger düster.
Das Cover wirkt sehr geheimnisvoll und symbolisiert durch sein Spiel aus Licht und Schatten, die beiden Seiten des Berges.
Leider blieben für mich 1-2 Fragen nicht vollständig geklärt.
Wolfskinder ist ein einnehmender Thriller, der es schafft gerade mit den leiseren Tönen einem bis in Mark zu kriechen. Tatsächlich waren die Thrillerelemente für mich eher nebensächlich. Mich faszinierten vor allem die subtile Gesellschaftskritik und die psychologisch gut durchdachten Charaktere.

Bewertung vom 24.02.2023
Die kleine Rittereule
Denise, Christopher

Die kleine Rittereule


ausgezeichnet

Klein aber oho

Ich habe schon lange nicht mehr ein solch bezauberndes Kinderbuch lesen dürfen.
Eine kleine Eule träumt davon ein Ritter zu werden. Sie schafft es, das Unmögliche wahr werden zu lassen und ihren Traum zu verwirklichen.
Dieses Buch zeichnet sich für mich durch einen hohen Mehrwert aus und ist aus pädagogischer Sicht sehr wertvoll.
Beim Betrachten dieses Buches fallen einem als erstes die liebevoll gestalteten Illustrationen auf. Sie wirken nicht überladen und sind selbsterklärend, d.h. sie würden auch ohne Text funktionieren. Die jeweiligen Texte sind relativ kurz. Dadurch bietet sich viel Raum für das eigene Erzählen, Bildbetrachtungen und sogar Philosophieren.
Die kleine Eule ist ein äußerst liebenswerter Charakter. Mit ihrer kindlichen Naivität kommt sie gar nicht auf die Idee zu scheitern. Man kann förmlich spüren, wie mit wie viel Stolz sie ihre Rüstung trägt. Es ist bewundernswert, wie sehr sie die ritterlichen Tugenden verinnerlicht hat und nach diesen auch handelt. Somit hat sie auch eine gewisse Vorbildwirkung.
Obwohl die Geschichte an sich nicht lang ist, enthält sie doch eine Vielzahl an wichtigen und lehrreichen Botschaften. Die kleine Eule verfolgt zielstrebig ihren Traum und lässt sich trotz Rückschlägen nicht entmutigen. Durch sie wird auch deutlich, dass Anderssein nichts negatives ist, sondern ein Mehrwert für die Gesellschaft sein kann. Kinder können durch sie auch lernen, dass man mit Mut, Herz und Verstand auch die schwierigsten Aufgaben meistern kann.
Ich bin ein großer Fan der kleinen Rittereule und auch mein 11jähriger Sohn konnte sich ihren Charme nicht entziehen. Ich würde mich freuen noch mehr von diesem süßen Vogel zu lesen.

Bewertung vom 19.02.2023
In blaukalter Tiefe
Hauff, Kristina

In blaukalter Tiefe


gut

Eine Reise, die mich nicht ganz mitnahm

Der Roman ist an sich ein psychologischer Einblick, was falsche Erwartungen und Geheimnisse, in Verbindung mit beklemmender Enge hervorbringen kann. Zusammen mit den schwedischen Schären als Schauplatz, hatte ich große Erwartungen an diesen Roman.

Das Cover fängt auf beeindruckende Weise die magische Atmosphäre am Meer ein. Das kaleidoskopartige Farbenspiel weckte mein Meerweh.

Der alternde Finanzanwalt Andreas chartert eine Segelyacht, um seine Frau Caroline wieder für sich zu gewinnen. Sie kommt nur widerwillig mit. Mit dabei sind Andreas junger Protegé Daniel und dessen Freundin Tanja. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht dieser vier Charaktere erzählt, wobei der Fokus auf Caroline zu liegen schien. Dadurch gerieten meiner Ansicht nach, vor allem die Männer sehr in den Hintergrund. Begleitet werden die beiden Paare von dem Skipper Eric. Von ihm erfährt man eigentlich fast gar nichts. Als Leser erhält man keinen Einblick in seine Hintergrundgeschichte und Gedankenwelt. Er bleibt genauso unnahbar und undurchsichtig, wie das Meer auf dem sie segeln.

Andreas, Caroline, Daniel und Tanja. Jeder von ihnen erhoffte sich ganz gewisse Dinge von dieser Reise. Doch stellte sich bei allen relativ schnell Ernüchterung ein. Unterschiedliche Charaktere, die jeder für sich, ihre eigenen Päckchen mit an Bord brachten, werden auf engstem Raum damit konfrontiert. Dies ist meiner Meinung nach, immer ein perfekter Nährboden für Konflikte. Die gemeinsam verbrachte Zeit wurde für alle eine physische und mentale Herausforderung, die auch zwischenmenschliche Opfer forderte und alles veränderte. An Bord gibt es keine Möglichkeit für sich zu sein. Keine Chance auf Rückzug oder seine eigene Maske auf Dauer aufrecht zu erhalten. Doch auch, wenn man sich nicht aus dem Weg gehen konnte, waren die Charaktere viel mit ihren Gedanken allein.
Und je ungestümer das Meer um sie herum wurde, desto rauer wurde die Stimmung im Inneren.
Die Namenswahl des Schiffes, „Querelle“, hätte eigentlich allen eine Warnung sein sollen.

Der Schreibstil war zum einen nüchtern gehalten und passte eigentlich relativ gut zur unterkühlten Stimmung an Bord. Die Umgebungsbeschreibung dagegen war wunderschön detailliert gezeichnet.

Abschließend muss ich leider sagen, dass dieser Roman meine Erwartungen leider nicht ganz Erfüllen konnte.
Stellenweise war mir die Segelsprache etwas zu viel und störte mich im Lesefluss. Wirklich sympathisch waren mir die Charaktere auch nicht. Sie waren für mich nie ganz greifbar. Es bricht zwar viel aus ihnen heraus, doch wird kaum etwas zur Sprache gebracht.
Für mich gibt es besser ausgearbeitete Romane dieser Art.

Bewertung vom 19.02.2023
Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1
Mackintosh, Clare

Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1


sehr gut

Eine Party, die weit mehr als eine Leiche zutage fördert
...
Der Fund einer Leiche, während des traditionellen Neujahrschwimmens, erschüttert das kleine walisische Dorf Cwm Coed. Schnell ist klar, dass es sich bei dem Toten um den reichen Bauherren Rhys Lloyd handelt, der in der Nähe das Luxusresort „The Shore“ aus dem Boden gestampft hat. Wer könnte ein Motiv gehabt haben, ihn auf der Party in der Silvesternacht um zubringen?

„Die letzte Party“ bildet den Auftakt einer neuen Krimireihe rund um die walisische Polizistin Ffion Morgan. Aufgrund der zwiegespaltenen Zuständigkeit, ermittelt sie gemeinsam mit einem englischen Kollegen, namens Leo Bradey. Die beiden kennen sich durch eine flüchtige Begegnung, wodurch sich die Zusammenarbeit nicht gerade einfach gestaltet.

Während der laufenden Ermittlung wird eines ganz deutlich. Es gibt niemanden, der kein Motiv gehabt hätte ihn aus dem Weg zu räumen. Jeder trägt entweder ein Geheimnis in sich oder hegte einen tiefen Groll gegen Rhys Lloyd. Sei es seine eigene Familie, Einheimische oder die Bewohner des Resort. Keiner ist wirklich frei von Schuld. Nicht einmal Ffion Morgan selbst, die in dem Dorf aufgewachsen ist, ist unbefangen. Zum einen hat sie zu jedem Dorfbewohner eine Verbindung und zusätzlich ein großes Geheimnis, das sie mit aller Macht bewahren will.

Die Erzählweise war schon sehr außergewöhnlich. Die Ermittlung an sich erleben wir chronologisch fortlaufend aus der Sicht der beiden Ermittler. Dazwischen erfährt man in vielen Rückblicken, aus unterschiedlichsten Perspektiven etwas über die zurückliegenden Ereignisse. Das ganze geschieht auch noch rückwärts erzählt. Ich muss zugeben, dass die Unmenge an handelnden Personen, mich zunächst etwas überforderte. Mir fiel es schwer im Kopf zu behalten, wer, wie und mit wem was gemacht hatte. Auch zog sich für mich die erste Hälfte etwas zäh dahin, da mir die bis dato offenbarten Geheimnisse zu trivial erschienen. Doch nach einem Plottwist, konnte ich das Buch nicht mehr weglegen. Mit jedem neuen Rückblick wurden neue Details enthüllt. Ich war bis zum Ende vollkommen ahnungslos, da nichts für mich vorhersehbar war. Die Idee gleiche Handlungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu offenbaren, empfand ich als sehr geschickt eingesetzt. Jede neue Sichtweise birgt eine ganz eigene Wahrheit und lässt nichts so sein wie es scheint. Und als ich am Schluss dachte, dass nun wirklich jede verdrängte Wahrheit an die Oberfläche getreten war, wurde ich eines Besseren belehrt. Ich war vollkommen fassungslos.

Um ehrlich zu sein hatte ich anfangs meine Schwierigkeiten mit den Charakteren warm zu werden. Einzig für Leo hatte ich Sympathie und seine Charakterentwicklung hat mich sehr beeindruckt. Ffion empfand ich zunächst als sehr anstrengend und eigenwillig mit ihrer Art. Irgendwann konnte ich sie dann aber auch verstehen und sah sie als starke Persönlichkeit. Alle anderen Charaktere blieben für mich teilweise unnahbar, obgleich die Einheimischen mich mit ihrer rauen Art mehr überzeugten. Ich denke, dass die Distanz hauptsächlich an den ganzen Geheimnissen lag und keiner wirklich auffallen wollte.

Der Schreibstil war sehr angenehm zu lesen. Die Beschreibung der Umgebung war unglaublich detailliert. Ich konnte mir wirklich sehr gut vorstellen am Llyn Drych zu stehen und die Schönheit der Natur in mich aufzunehmen. Die kühle und reservierte Art der Dorfbewohner wurde dadurch gut unterstrichen. Die Einbettung der walisischen Sprache fühlte sich für mich sehr authentisch an.

Der Handlungsort war meiner Ansicht nach, sehr gut ausgewählt. Die Fehde zwischen Nordwales und England hat die Stimmung noch mehr angeheizt und war quasi zum Zerreißen gespannt. Die Abneigung untereinander war allgegenwärtig spürbar.

Auf eine Fortsetzung bin ich schon sehr gespannt. Ich würde mich sehr freuen noch mehr von Ffion und Leo zu lesen. Wer weiß schon, welche Abgründe noch in Cwm Coed ans Tageslicht drängen wollen

Bewertung vom 19.02.2023
Jetzt ist Sense
Rath, Hans

Jetzt ist Sense


ausgezeichnet

Kommt der Tod zum Psychiater...
Was normalerweise einen platten Witz ankündigen würde, funktioniert in diesem Roman auf eine sehr eigene Art und Weise perfekt.

Das Cover an sich ist schon ein echter Blickfang und zog mich magisch an. Auf der einen Seite wirkt der Anblick des Sensenmannes an der Bar schon sehr surreal. Andererseits stimmte es mich unendlich traurig, ihn dort ganz allein sitzen zusehen.

Der Tod gehört zu unserem Leben dazu, auch wenn wir davor gern die Augen verschließen. Hier begegnet er uns in Gestalt eines griechischen Gottes, der nicht nur verdammt gut aussieht, sondern auch noch äußerst charmant zu sein scheint. Kein Wunder also, dass die Psychiaterin Olivia ihn für einen Stripper hält, als dieser rein zufällig an ihrem 50. Geburtstag auf der Matte steht. Da er nebenbei in einer Sinnkrise steckt, nutzt der Tod, hier Zino genannt, die Gelegenheit und besucht Olivia nun häufiger, um in Therapie zu gehen. An der wahren Identität hat Olivia zunächst Zweifel. Doch einige Zufälle später ist sie sich da nicht mehr so sicher.

Schon nach den ersten Seiten hatte mich die Geschichte. Der locker leichte Schreibstil, in Verbindung mit einem ganz eigenen Humor, bescherte mir reines Lesevergnügen. Es herrschte eine Situationskomik, die für mich auf den Punkt genau richtig war und nie peinlich oder zu gewollt wirkte.

Deshalb mochte ich die Charaktere, da sie auf mich verdreht aber deswegen so authentisch wirkten.

Manchmal fragte ich mich, wie Olivia es mit all den skurrilen Charakteren in ihrem Umfeld überhaupt aushält, ohne selbst in Therapie zu müssen.

Und genau dieser Humor nimmt dem Thema Tod seine erdrückende Schwere, ohne respektlos zu werden. Denn neben all der Ironie und dem Wortwitz tauchen auch viele leise Töne auf, die zum Philosophieren und Nachdenken anregen. Es treten tiefgründige Fragen und Sichtweisen auf, die noch lange nachklingen. Zum Glück passiert das Ganze, ohne esoterisch zu werden.

Was ist der Sinn des Lebens?

Ist das Schicksal unausweichlich?

Habe ich erfüllt gelebt?

Ist man irgendwann bereit zu gehen?

Viel zu oft denkt man, dass man noch ewig Zeit hätte oder man vergisst zu leben, aus Angst Fehler zu machen.

Den Tod zu personifizieren, dem Unbekannten ein Gesicht zu geben, um einem die Angst davor zu nehmen, gefiel mir sehr gut. Für mich hatte er viel menschliches an sich. Leben und Tod sind halt untrennbar miteinander verbunden. Die Einbettung der griechischen Mythologie, ist in meinen Augen das Sahnetüpfelchen.

Genau wie der Tod kam das Ende leider viel zu überraschend. Gern hätte ich noch länger in der Geschichte verweilt.

Für mich gehört dieser Roman jetzt schon zu meinen Jahreshighlights.

Und wenn der Tod eines Tages vor eurer Schwelle steht, dann hadert nicht mit eurem Schicksal.
Ladet ihn einfach auf einen Ouzo ein.