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Benutzername: 
Xirxe
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Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 869 Bewertungen
Bewertung vom 30.09.2021
Sarah Jane
Sallis, James

Sarah Jane


ausgezeichnet

Sarah Jane war Herumtreiberin, Soldatin, Köchin, Cop, Sheriff. So wie sie ihre Berufe wechselte, wechselte sie ihren Wohnsitz, auch heraufbeschworen durch unglückliche Beziehungen verschiedenster Art und Weise. Stets auf der Suche nach einem Ort, wo sie bleiben kann, sich sicher fühlt, landet sie schließlich in Farr, einer Kleinstadt „irgendwo in der Mitte des Landes“ und wird ein Cop. Als ihr Chef verschwindet, wird sie umstandslos zum Sheriff befördert und versucht neben dem Alltagsgeschäft auch das Verschwinden ihres früheren Vorgesetzten aufzuklären.

Obwohl es irgendwann noch einen Toten gibt, dessen Person vielleicht mit Sarah Janes Vergangenheit in Zusammenhang zu stehen scheint, ist das Buch kein Krimi. Es ist die Geschichte von Sarah Janes Leben, von dem sie rückblickend erzählt. Auch wenn sie praktisch ihr ganzes Leben schildert, bleibt Vieles im Ungefähren, denn immer wieder bricht sie ab, um Gedanken zu folgen, die nahezu philosophischen Charakter haben.

"Alle Geschichten sind Geistergeschichten, über verlorene Dinge, verlorene Menschen, Erinnerungen, Heimat, Leidenschaft, Jugend, über Dinge, die darum ringen, von den Lebenden gesehen und anerkannt zu werden."

Von den schlimmsten Erlebnissen scheint sie fast gleichgültig zu berichten und wirkt erst einmal nicht wie eine Protagonistin, der man gerne folgt. Doch je mehr man von ihr und über sie liest, desto näher kommt sie einem, denn hinter dieser scheinbar so leidenschaftslosen Erzählerin verbirgt sich eine intelligente und sehr empathische Person. Aufmerksam hört sie den Menschen zu, die sonst offensichtlich von niemandem Zuwendung erfahren und nimmt sich voller Respekt und Achtsamkeit Zeit für sie und ihre Anliegen.

Es ist eine Geschichte über das Leben von Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen und trotzdem irgendwo, irgendwie dazugehören wollen. Zumindest ein bisschen.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2021
Die Tote mit der roten Strähne
Kent, Kathleen

Die Tote mit der roten Strähne


sehr gut

Bettys Einstand als Serienheldin ist stürmisch: Gerade mal nach fünf Monaten bei der Polizei in Brooklyn wird sie mit ihrem Kollegen zu einem Schusswechsel gerufen, sie entdecken vier Leichen und einen durchgeknallten Amokläufer. Elf Jahre später beginnt sie ihre Arbeit in Dallas, Texas und ist weitere zwei Jahre später, September 2013, die leitende Ermittlerin bei der Überwachung eines großen Kokaindeals. Doch der Einsatz geht schief, es gibt mehrere Tote und die Schützen können fliehen. Auf der Jagd nach den Tätern und dem Verantwortlichen für den Kokainhandel gibt es weitere Opfer und es sieht so aus, als ob Betty dabei direkt ‚angesprochen‘ wird.

Die rothaarige schlagfertige Betty, die niemandem etwas schuldig bleibt, ist eine Bereicherung in der Flut der Krimineuerscheinungen. Mit ihrer Frau ins offenbar ultrakonservative Texas gezogen, fällt sie nicht nur mit ihrer Erscheinung (1,80m, wilde rote Locken) auf, sondern auch durch ihren unkonventionellen Umgangston. Mit Empathie für die Benachteiligten und fähig, Vorurteile zu revidieren, ist sie knallhart in der Sache.

Der Fall selbst scheint zu Beginn ein üblicher Drogendeal zu sein, der ‚etwas‘ aus dem Ruder läuft. Doch nach und nach zeichnet sich ab, dass hier offenbar noch andere Interessen bestehen als nur ein größerer Kokainverkauf. Erst nach mehr als zwei Dritteln des Buches wird offensichtlich, was wirklich dahintersteckt und das ist so abgedreht, dass ich doch hin und wieder den Kopf schütteln musste. Dennoch, spannend ist es auf jeden Fall (und teilweise auch eklig-blutig) und die Auflösung hinterlässt noch eine kleine Spur von Unsicherheit: Hat der Anfang vielleicht doch etwas mit dem Ende zu tun?

Bemerkenswert sind manche der Bilder, die die Autorin erzeugt:

"… die Hitze hockt jetzt schon auf meinem Kopf wie ein fettes, mit Spiegelschuppen bedecktes Monster, das mir mit feuchtheißer Zunge in die Ohren und den Nacken hinunterfährt." Seite 17

"… ein riesiges Ohrenstäbchen auf Steroiden, …" Seite 19

Alles in allem ein guter Auftakt einer neuen Serie – den zweiten Band gibt es ja bereits in Englisch und vermutlich auch demnächst auf Deutsch. Ich werde ihn mir vormerken.

Bewertung vom 30.09.2021
Shuggie Bain
Stuart, Douglas

Shuggie Bain


ausgezeichnet

Glasgow, Anfang der 80er. Der fünfjährige Shuggie Bain lebt mit seinen Eltern und seinen beiden Halbgeschwistern bei den Großeltern in deren 3-Zimmer-Wohnung. Sein Vater Shug, ein stadtbekannter Schürzenjäger, fährt Nachts Taxi, seine geliebte schöne Mutter Agnes ertränkt ihren Frust in Alkohol. Als Shug seine Familie in eine Wohnung in einer Bergarbeitersiedlung außerhalb von Glasgow einquartiert und danach verschwindet, scheint Agnes‘ Abstieg nichts mehr aufzuhalten.

Zehn Jahre umfasst der erzählte Zeitraum, in dem Shuggie zu einem jungen Mann heranwächst. Sein Leben ist bestimmt vom Alkohol, dem seine Mutter immer mehr verfällt und der ihn bereits als Kind mit acht, neun Jahren zu ihrem Beschützer und Betreuer werden lässt. Seine älteren Geschwister versuchen Abstand zu nehmen und mit 14 Jahren ist Shuggie allein mit Agnes, die das Kindergeld vom Dienstag meist schon am gleichen Tag für Alkohol wieder ausgegeben hat.

Es ist eine deprimierende Zeit, nicht nur in dieser Familie. Die 80er Jahre sind geprägt durch Thatchers Reformen, die ganze Stadtteile in die Arbeitslosigkeit stürzten, worauf der Alkohol- und Drogenmissbrauch so um sich griff, dass er im ganzen Stadtbild sichtbar wurde und das Schlechte im Menschen zum Vorschein brachte: Überfälle, Vergewaltigungen, Missbrauch, Mord. Shuggie und Agnes bekommen das am eigenen Leib zu spüren: Jeder ist sich selbst der Nächste und der so wenig männliche Junge ist als Opfer ebenso prädestiniert wie seine schöne, fast immer betrunkene Mutter. Dennoch versucht er sie stets voller Liebe und Hingabe zu beschützen und zu versorgen, was ihm angesichts seines jungen Alters vergleichsweise gut gelingt.

Es ist eine traurige und düstere Geschichte, die nur wenige Lichtblicke aufweist und drastisch vor Augen führt, was Alkoholismus nicht nur bei Abhängigen, sondern insbesondere bei deren Kindern anrichtet. Und trotzdem ist es immer wieder auch eine Lektüre voller Wärme und Mitgefühl, die man nur ungern aus der Hand legt, was an Douglas Stuarts außergewöhnlicher Sprache liegt. Er schafft bemerkenswerte Bilder, die auch das Grauen in Schönheit verwandeln.

"…, aber als sie jetzt neben Leek stand, ließ sie die bernsteinfarbene Süße des Starkbiers in ihr Herz laufen." Seite 229

"Agnes packte ihn am Pulloverkragen. Shug griff nach seinem Geldgürtel und küsste sie energisch mit der Zunge. Er musste die kleinen Knochen ihrer Hand zerquetschen, damit sie losließ. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie vollkommen brechen müssen, bevor er sie endgültig verließ. Agnes Bain war ein zu kostbares Exemplar, um sie der Liebe eines anderen zu überlassen. Er durfte nicht mal Scherben übrig lassen, die ein anderer später einsammeln und kleben könnte." Seite 131

Ein beeindruckendes Buch, das zu Recht den Booker Preis 2020 erhalten hat.

Bewertung vom 30.09.2021
Das zweite Leben des Adolf Eichmann
Magnus, Ariel

Das zweite Leben des Adolf Eichmann


ausgezeichnet

Ach du je, schon wieder was zum III. Reich und den Nazis – das kennt man doch schon Alles! So oder ähnlich mögen nicht Wenige denken, wenn sie diesen Buchtitel und den Klappentext lesen. Doch egal, wer wann wieviel schon zu diesem Thema gelesen, gesehen und/oder gehört hat – diese Lektüre lohnt sich in jedem Fall!

Adolf Eichmann leitete im III. Reich die zentrale Stelle, die für die Organisation der Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden verantwortlich war und somit für die Ermordung von ca. sechs Millionen Menschen. Nachdem er nach Kriegsende fünf Jahre untergetaucht war, gelang ihm die Flucht nach Argentinien, wo er bis zu seiner Entführung nach Israel im Jahr 1960 unbehelligt mit seiner Familie leben konnte.

Über diese Zeit hat Ariel Magnus eine fiktive Teilbiographie geschrieben, wobei er sich nah an die wenig bekannten tatsächlichen Begebenheiten sowie an den Sprech- bzw. Schreibstil Eichmanns gehalten hat, wie man an dessen schriftlichen Ergüssen wie beispielsweise Götzen feststellen kann. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es liest sich nicht einfach. Eichmann neigte zu ausufernden, schwadronierenden Sätzen gespickt mit Fremdworten, vermutlich um seine scheinbare Überlegenheit darzustellen.

Magnus übernimmt dies in die Sprech- und Denkweise seiner fiktiven Figur Eichmann, die sich in Argentinien den Namen Ricardo Klement gab und stellt somit dar, was er tatsächlich war: ein armseliges Würstchen ohne Rückgrat, der vermutlich auch bei den Stalinisten oder Pol Pot Karriere gemacht hätte. Ohne ihn allzu sehr ins Lächerliche zu ziehen (sieht man mal von der Möhre ab ;-)), entblößt sich dieser fiktive Eichmann allein durch seine Gedankenwelt, die von der der realen Person möglicherweise gar nicht allzu sehr abweicht. Dennoch gibt es nicht allzuviel zum Lächeln: Sobald er eines seiner irrwitzigen Hirngespinste entwirft, um sich selbst etwas vorzumachen (beispielsweise hätten die Juden es ihm zu verdanken, dass sie einen eigenen Staat bekommen hätten), werden wie eine Selbstverständlichkeit die unvorstellbaren Grausamkeiten und Barbareien des III. Reiches erwähnt – ein eventuelles Lächeln bleibt einem im Halse stecken.

Ein wichtiges Buch, ein Buch gegen das Vergessen – auf eine andere Art.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2021
Harlem Shuffle
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


gut

Harlem in den Sechzigern: Ray Carney kommt aus üblen und ärmsten Verhältnissen, die Mutter früh verstorben, sein Vater ein Harlemweit bekannter Kleinkrimineller. Doch Ray nimmt sich fest vor, seinem Vater nicht nachzueifern. Er absolviert ein Wirtschaftsstudium und nach diversen Jobs eröffnet er seinen eigenen Möbelladen, heiratet Elizabeth aus gutem Hause und beide erwarten bald ihr zweites Kind. Doch das Geld ist knapp; es reicht kaum für die Miete und die Schwiegereltern, unzufrieden mit der Wahl ihrer Tochter, lassen ihn spüren, dass er für sie nur ein Underdog ist. So macht er hin und wieder kleine und etwas größere nicht ganz so legale Geschäfte mit seinem Cousin Freddie, der für ihn wie ein Bruder ist. Doch als der plötzlich bei den Großen mitmischen will, steht für Ray sein bürgerliches Leben auf der Kippe.
Colson Whitehead beschreibt das Harlem dieser Jahre 1959 bis ca. 1965 unglaublich bildreich und anschaulich, sodass man es förmlich vor sich sieht. Doch das hat auch eine nicht so schöne Seite. Der Autor ergänzt seine Beschreibungen um derart viele Menschen, Gruppen und Dinge, die damals eine Rolle spielten, dass ich immer wieder den Überblick verlor. Um es verständlicher zu machen: Auf den Seiten 136 bis 138 tauchen die folgenden Namen und Bezeichnungen auf: Adam Clayton Powell Jr., Clarence Darrow, NAACP, Dyckman Six, WASP. Für US-AmerikanerInnen dürften die Namen kein Problem sein, für EuropäerInnen aber schon viel eher. Ein Glossar wäre sehr sehr hilfreich gewesen, denn das ständige Suchen unterbricht den Lesefluss immens.
Zudem wird man mit Orts- und Straßennamen regelrecht zugeschüttet. Hätte man einen Stadtplan Harlems jener Zeit vor sich, könnte man Rays Wege sicherlich exakt nachvollziehen, aber so liest man bei dieser großen Anzahl über die Ortsangaben irgendwann einfach hinweg.
Schade, denn die Geschichte Rays, die auch eine Geschichte Harlems ist, wäre mit diesen Ergänzungen vermutlich richtig grandios geworden; ein regelrechtes Eintauchen in eine vergangene Zeit in einer für uns fremden Stadt. So ist es immerhin kein schlechter, aber verwirrender Roman mit viel Atmosphäre, für den es dreieinhalb Sterne gibt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2021
Keine Ruhe in Montana
Burke, James Lee

Keine Ruhe in Montana


sehr gut

Nachdem der Hurrikan Katrina den Süden Louisianas verwüstet hat, gönnt sich Dave Robicheaux mit seiner Frau Molly und seinem besten Freund Clete eine Auszeit in Montana. Aber schon nach kurzer Zeit werden in der Nähe ihres Aufenthaltsortes zwei ermordete Studenten aufgefunden und Dave und Clete werden um Mithilfe bei der Suche nach dem Mörder gebeten. Doch bei ihren Nachforschungen kommen sie manch Mächtigen zu nahe, vor allem Clete, der Schwierigkeiten geradezu zu suchen scheint.

Einige Bände mit Dave Robicheaux habe ich bereits gelesen und dachte immer, übler als in Louisiana kann es kaum irgendwo zugehen – aber weit gefehlt. Daves Aufenthalt in Montana toppt Alles, was ich bisher gelesen habe: so viele Verrückte und Psychopathen (andere gibt es kaum in diesem Krimi) habe ich bisher selten in einem Buch erlebt. Wobei man Montana zugute halten muss: Es handelt sich bei Allen um ‚Zugereiste‘ ;-) Ob das Klima dort eine Rolle spielt?

Wie auch immer, der Fall ist verzwickt, wie man es von James Lee Burkes Romanen gewohnt ist und natürlich werden auch gesellschaftliche Missstände angesprochen: die Behandlung von Gefangenen, der alltägliche Rassismus, unbehandelte Kriegstraumata.
Doch was diesen Band von anderen unterscheidet, ist die unglaubliche Menge an Gewaltausbrüchen in übelster Form, die nicht immer wirklich nachzuvollziehen sind und selbst mir (die ich nicht gerade empfindlich bin) fast schon etwas zu viel waren. Auch Clete, Daves bester Freund, erschien mir mit zunehmender Seitenzahl immer seltsamer. Obwohl nicht allzu gut aussehend und schon etwas älter, hat er einen Schlag bei Frauen als wäre er Mr. Universum. Und sein Handeln scheint eher das eines pubertierenden Teenagers zu sein als das eines gestandenen Veteranen.

Dennoch – auch ein nicht ganz so guter Dave Robicheaux-Krimi ist immer noch ein guter Krimi, verglichen mit vielem, was sich so in den Bestsellerlisten tummelt.

Bewertung vom 20.09.2021
Die Blankenburgs / Die Porzellan-Dynastie Bd.1
Berg, Eric

Die Blankenburgs / Die Porzellan-Dynastie Bd.1


sehr gut

Der Schwarze Freitag im Jahr 1929 zerstört das bisherige Leben der Schwestern Ophélie und Elise Blankenburg völlig: Kurz nach der Feier des 150jährigen Jubiläums der familieneigenen Porzellanmanufaktur verlieren das Familienoberhaupt Aldamar und sein Schwiegersohn beim Börsencrash ihr Vermögen und nehmen sich anschließend das Leben. Die zerstrittenen Schwestern versuchen die Manufaktur am Laufen zu halten, doch können sich nicht auf eine Vorgehensweise einigen. Als ein Verwandter Eigentumsansprüche anmeldet und Tante Arabella aus Amerika zurückkehrt und zu vermitteln versucht, ist das Chaos perfekt. Das Überleben der Porzellanmanufaktur ist mehr als fraglich.
Geschickt verknüpft der Autor die damaligen Geschehnisse jener Zeit mit der Geschichte um die Blankenburgs. Die Historie dient somit nicht nur als plakativer Hintergrund, sondern ist ein wesentlicher Bestandteil des Erzählten, sodass das Buch nicht nur eine unterhaltsame Familiengeschichte bietet, sondern man auch sein historisches Wissen erweitern kann

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2021
Unbarmherziges Land
Offutt, Chris

Unbarmherziges Land


sehr gut

Nach acht Monaten kehrt Mick Hardin, Ermittler bei der US-Army, aus Europa zurück zu seiner Frau Peggy nach Kentucky. Seine Schwester Linda hat ihn informiert, dass Peggy schwanger ist – von Peggy selbst hat er seit sechs Wochen nichts gehört. Und es erwartet ihn nicht nur eine veritable Ehekrise, auch Linda bittet ihn um Hilfe. Sie ist seit kurzem der erste weibliche Sheriff des County und hat bereits einen Mordfall zu lösen. Die Herren der Politik scheinen ihr dies jedoch nicht zuzutrauen und wollen den Fall lieber in Männerhänden sehen; doch Linda lässt sich nicht so leicht kaltstellen.
Was uns Chris Offutt hier präsentiert, ist ein Krimi, in dem die Hauptrolle der Bundesstaat Kentucky spielt ;-) Chris Offutt, der selbst aus dieser Gegend kommt, beschreibt Land und Leute so ausdrucksvoll, dass man bald ein Gefühl für die Atmosphäre dort bekommt. Die Menschen dort in den dünn besiedelten Wäldern und Bergen haben keine Erwartungen an den Staat; über die Jahre hinweg geht es ihnen schlechter als besser.

"Überall sonst leben die Menschen jedes Jahr ein bisschen länger. Nur bei uns wird das Leben im Schnitt kürzer. Das gibt es sonst nirgendwo in Amerika. Vor zwanzig Jahren haben die Leute hier noch länger gelebt." Seite 58

Was zählt, ist die Familie. Die steht über Allem.

"Tanner war ruhig und schüchtern, die Leute mochten seine Art, aber trotzdem bekam er nie einen Fuß auf die Erde. Eine Kultur, in der Blutsverwandtschaft über allem stand, konnte Tanner nicht vertrauen. Im ganzen County wurde er nur „der Adoptierte“ genannt." Seite 80

Im Zweifel gilt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Staat in Form des Gesetzes bzw. des Sheriffs hat hier nur wenig bis nichts zu melden.
Angesichts der Schilderungen von Micks und Lindas Leben wie auch das diverser Einheimischer gerät der Kriminalfall fast ein wenig in den Hintergrund, was für eingefleischte Krimifans vermutlich etwas enttäuschend sein könnte. Insbesondere Micks Eheleben fand ich etwas zu ausführlich dargestellt; dennoch bleibt die Geschichte spannend und die Auflösung bzw. das Ende hat es wirklich in sich.
Sollte es eine Fortsetzung geben – ich wäre wieder dabei ;-)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2021
Ein Raum aus Blättern (eBook, ePUB)
Grenville, Kate

Ein Raum aus Blättern (eBook, ePUB)


sehr gut

In diesem Buch lässt Kate Grenville Elizabeth Macarthur von ihrem Leben erzählen, unter anderem wie sie mit Anfang 20 mit ihrem Mann John 1790 nach Australien reist, das zu jener Zeit eine Sträflingskolonie war. Es war keine Liebesheirat, die die Beiden zusammenbrachte, aber man arrangiert sich. Für Elizabeth ist es schwer, denn ihr Mann hat nur ein Ziel: gesellschaftlichen Aufstieg um jeden Preis - für Gefühle ist da kein Platz. Doch sie lässt sich nicht so leicht unterkriegen und erkämpft sich in diesem fremden Land nach und nach ihren Freiraum und eine gewisse Selbständigkeit.
John Macarthur war der Erste, der die Schafzucht in Australien zum Geschäft machte und damit ein Vermögen verdiente. Doch wie so häufig in solchen Fällen hatte daran auch die Ehefrau ihren Anteil, was die Geschichte jedoch meist verschweigt. Elizabeth war die erste akademisch ausgebildete Frau in Australien und als John aus politischen und geschäftlichen Gründen mehrfach für mehrere Jahre in Großbritannien blieb, war sie somit allein für die Farm verantwortlich. Doch ihr Wirken und ihr Erfolg blieben stets im Hintergrund.
Die australische Schriftstellerin Kate Grenville will ihr nun späte Gerechtigkeit widerfahren lassen und lässt uns in diesem Roman an ihren Memoiren teilhaben, wobei sich Grenville von Briefen inspirieren lässt, die Elizabeth an ihre beste Freundin, ihre Mutter und ihren Mann nach Großbritannien geschrieben hat. Nur wenig von den Geschehnissen in diesem Buch sind tatsächlich belegt, zu wenig aussagekräftig ist die Korrespondenz. Doch die Autorin lässt Elizabeth recht glaubwürdig von ihrem Leben erzählen, das geprägt war von der Liebe zur Natur, einer überwiegend glücklichen Kindheit, ihrem hartnäckigen Wunsch nach Selbstbestimmung und einem nicht enden wollenden Wissensdurst. Und wie sie letztendlich zu der Frau wurde, die in der Lage war, erfolgreich eine Farm nach ihren Vorstellungen zu leiten und zu führen - ganz ohne Mann ;-)
Eine gelungene, fiktive Biographie mit viel Gefühl (für mich etwas zu viel), die aber genau so hätte geschehen sein können.

Bewertung vom 23.08.2021
Melnitz
Lewinsky, Charles

Melnitz


ausgezeichnet

1871 – eigentlich sind die Meijers eine ganz normale Schweizer Familie – aber nur eigentlich. Denn sie sind Juden und obwohl sie das volle Bürgerrecht bekommen haben, sind sie weiterhin Außenseiter in der Schweizer Gesellschaft. Über fünf Generationen hinweg bis 1945 schildert Charles Lewinsky das Schicksal dieser Familie und vergisst dabei nicht die Geschehnisse der Weltgeschichte mit einzubinden, die sich auch im Leben der Familie Meijers widerspiegeln.

Salomon, der Viehzüchter und seine Frau Golde leben mit ihrer Tochter und einer Art Pflegetochter in dem kleinen Dorf Endingen, einem der beiden Dörfer in der Schweiz, in dem sich Juden niederlassen dürfen. Als der entfernte Verwandte Janki unerwartet bei ihnen auftaucht, wird es unruhig in der Familie. Ein Jahr später ist er verheiratet und eröffnet einen Laden in der nahegelegenen Kleinstadt Baden, wie alle Meijers getrieben von dem Wunsch, ein anerkannter und geachteter Bürger der Schweiz zu werden. Doch selbst der nächsten Generation, die es teilweise bis nach Zürich treibt, bleibt dieser Wunsch verwehrt.
Stets im Hintergrund dabei ist Onkel Melnitz, der als mahnender Geist die Familienmitglieder begleitet und ihnen immer wieder deutlich macht, wie fragil ihr Status ist und wie weit entfernt sie davon sind, anerkannte SchweizerInnen zu sein.

Charles Lewinsky ist ein außergewöhnlich guter Erzähler, der seine Romanfiguren so lebendig werden lässt, dass es einem schwer fällt, sie nach über 900 Seiten zu verlassen. Auch die vielen Geschichten der Familie Meijer sind so gekonnt zwischen Witz und Tragik angesiedelt mit jeder Menge überraschenden Wendungen, sodass man trotz der Dicke des Buches keine einzige Seite missen möchte, ebensowenig wie das im Anhang befindliche neunseitige Glossar mit jüdischen Begriffen. Obwohl im Text weitestgehend Alles erklärt ist, bleibt es eine wunderbare hilfreiche Ergänzung, die ich immer wieder gerne zu Rate zog.

Eine durchweg großartige Lektüre!